Dr. med Ulrich Kemper: "Pathalogisierung für den

Zentrum für Suchtmedizin
LWL-Klinikum Gütersloh
3. Fachtag
Arbeitskreis Jugendhilfe CJD e. V. Region West
Wissen wir was wirkt – wirkt was wir wissen?
Pathologisierung für den Rechtsanspruch
06.05.2015
Dr. med. Ulrich Kemper
Chefarzt des Zentrums für Suchtmedizin
am LWL-Klinikum Gütersloh
Pathologisierung:
„Deutung von Verhaltensweisen als Krankheit"
SGB VIII
Leistungen der Jugendhilfe
•Jugendarbeit
•Jugendsozialarbeit
•Erzieherische Kinder- und Jugendschutz
•Förderung der Erziehung in der Familie
•Förderung von Kindern in Tagespflege und Tageseinrichtungen
•Hilfe zur Erziehung und ergänzende Leistungen
•Hilfen für seelisch behinderte Minderjährige und ergänzende Leistungen
•Hilfen für junge Volljährige und deren Nachbetreuung
SGB VIII: § 27 Hilfe zur Erziehung
Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder
eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine
dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung
nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und
notwendig ist.
SGB VIII: § 31 Sozialpädagogische Familienhilfe
Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und
Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von
Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt
mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe
geben. Sie ist in der Regel auf längere Dauer angelegt und erfordert die
Mitarbeiter der Familie.
SGB VIII: § 34 Heimerziehung, sonstige betreute
Wohnform
Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht
(Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform soll Kinder
und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit
pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung
fördern.
SGB VIII: Zweiter Unterabschnitt
Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder
und Jugendliche
§ 35a Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche
Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
1.Ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs
Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.Daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder
eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Deutschland
Statistik der Kinder- und Jugendhilfe
Ausgaben (Auszahlungen) und Einnahmen (Einzahlungen) für die Kinder- und Jugendhilfe
ZR 1.2 Einzel- und Gruppenhilfen und andere Aufgaben nach dem SGB VIII ab 2009
1 000 Euro
Ausgaben/Auszahlungen
Einnahmen/Einzahlungen
--------------------Art
der Hilfe
2003
2013
Veränderung
Hilfe zur Erziehung
4 336 310
6 520 779
+50%
sozialpädagogische
Familienhilfe
314 172
785 269
+150%
Vollzeitpflege
594 912
1 00 500
+68%
2 586 968
3 437 999
+33%
439 368
1 027 519
+134%
Heimerziehung: Erziehung in
einer sonstigen betreuten
Wohnform
Eingliederungshilfe für
seelisch behinderte Kinder
und Jugendliche
Basiserhebung 2003 – 2006
Welle 1
2009 – 2012
Robert Koch Institut
•Ein Fünftel (20%) der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17
Jahren kann der Risikogruppe für psychische Auffälligkeiten zugeordnet
werden.
•Jungen zeigen dabei signifikant häufiger Anzeichen für psychische
Auffälligkeiten als Mädchen (23,4% vs 16,9%).
•Jungen im Alter von 3 bis 6 Jahren und 14 bis 17 Jahren erfüllen seltener
die Kriterien der Risikogruppe für psychische Auffälligkeiten als Jungen im
Alter von 7 bis 13 Jahren. Bei Mädchen sind die Altersunterschiede
geringer ausgeprägt.
Basiserhebung 2003 – 2006
Welle 1
2009 – 2012
Robert Koch Institut
•Die Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten folgt einem sozialen
Gradienten: Je höher der soziale Status der Herkunftsfamilie, desto
geringer ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit psychischen
Auffälligkeiten. Dies gilt sowohl für Mädchen als auch für Jungen.
•Nur 18,6% der als auffällig klassifizierten Kinder und Jugendliche hatten
im Jahr vor der Befragung Kontakt zu einem Psychiater, Psychologen oder
zur Jugendhilfe
57 % der Kinder und Jugendlichen in Jugendhilfeeinrichtungen haben
mindestens eine psychiatrische Erkrankung.
(Nützel 2005)
50% der kinder- und jugendpsychiatrisch Erkrankten haben im
Anschluss an die Behandlung einen Bedarf an einer
Jugendhilfemaßnahme
Häufigste Diagnose:
-Störung des Sozialverhaltens
-Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens
-Depression
(Goldbeck et al. 2009)
„soziogene Entwicklungsstörung“
Durch Pathologisierung der Kinder sollen fehlende
oder fehlgeschlagene Erziehungsleistungen
medizinisch ausgeglichen werden.
Werden Kinder und Jugendliche in die Jugendhilfe
hinein diagnostiziert?
Ist die Jugendhilfe ein „Wachstumsmarkt“ für
Psychotherapeuten?
Brauchen wir für alle auffälligen Kinder und
Jugendliche eine psychiatrische Diagnostik?
Sind verhaltensauffällige Jugendliche ein
zunehmender „Markt“ für stationäre Einrichtungen?
„Jugendliche sind unteilbar und haben ein Zuhause,
für das Jugendhilfe die Verantwortung hat.“
(R. Schepker 2011)
Prävention
Universelle Prävention
Selektive Prävention
Indizierte Prävention
„Von der Therapie zur Prävention“
Im Erziehungshilfebereich besteht für die Träger ein
Rechtsanspruch auf Bezahlung in den Bereichen
Jugendarbeit u. a. nicht.
Der Ökonomisierungsprozess der Jugendhilfe
verschiebt die Kräfte in Richtung „Markt“.
Es geht um Unternehmen
Gewinne
Produkte und
Kunden
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. med. Ulrich Kemper
Chefarzt der Klinik für Suchtmedizin
und der Bernhard-Salzmann-Klinik
Buxelstraße 50
33334 Gütersloh
Tel. 05241/502 2550
Fax: 05241/502 2601
Email: [email protected]