Hilfe bei Schlafproblemen.

Vorbeugen. Schl afen.
Hilfe bei
Schlafproblemen.
Der Schlaf kann in jeder Phase gestört sein, von der Kindheit bis zum
höheren Erwachsenenalter. Je nach Alter zeigen sich Schlafprobleme mit
unterschiedlichen Gesichtern und die Hilfestellung muss altersspezifisch
ausfallen. Das Wissen, wie guter Schlaf funktioniert, ist eine wichtige
Voraussetzung, um zu einer erholsamen Nacht zu gelangen.
Text: Dr. phil. Eva Birrer, dipl.-psych. Ute Bahner
Schlafstörungen gehören im Kindesalter zu den häufigsten Verhaltensauffälligkeiten und habe haben
nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit und Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, sondern können auch in beträchtlichem Masse das Familiensystem
belasten. So leiden oftmals nicht nur Eltern mit Säuglingen unter Schlafmangel und einem unregelmässigen
Schlaf-Wach-Muster. Auch Einschlafschwierigkeiten
im Kleinkind- und Vorschulalter, nächtliches oder zu
frühes Aufwachen können bei Eltern über einen län­
geren Zeitraum zu Erholungsmangel und Stresssymptomen führen.
Veränderung der inneren Uhr
Eltern von Jugendlichen werden dann oft wieder auf
die Probe gestellt, wenn sich die Bett- und Aufstehzeiten der Pubertierenden nach hinten verschieben. Es
kommt in dieser Entwicklungsphase zu einer Veränderung der inneren Uhr, die dazu führt, dass am Abend
nochmals eine intensive Wachphase erlebt wird und
das Einschlafen erst spät gelingt. Um erholt zu sein,
müssen die Jugendlichen bis in den späten Vormittag
hinein schlafen, was aufgrund der frühen Schul- und
Arbeitszeiten nicht möglich ist. Oftmals verursacht
dieses veränderte Schlafverhalten Konflikte im Familienleben: Die Jugendlichen wollen am Abend spät ins
70 Gesund Leben | 2015
Bett und stehen am Wochenende kaum vor dem Mittag auf. Dieses Phänomen verliert sich normalerweise
im frühen Erwachsenenalter. Bei Mädchen meist
­früher als bei Jungen. Politische Bestrebungen, die
Schul­zeiten für Jugendliche zu verschieben, sind bisher gescheitert.
Sorge um den Schlaf
Unregelmässige Schlafmuster in den ersten Lebensmonaten und Ein- oder Durchschlafprobleme in der weiteren Entwicklung können das familiäre Umfeld deutlich
belasten. Im Fokus der Aufmerksamkeit in der schlafmedizinischen Praxis steht daher nicht nur die Befindlichkeit des Kindes, sondern auch die der Eltern oder
betroffener Bezugspersonen. Insbesondere Mütter und
Väter von Neugeborenen und
Babys leiden oft unter einem
gestörten Schlaf. Dies kann
zu Schlafmangel, Tagesmüdigkeit, Leistungseinbussen
und erhöhtem Stress führen.
Wenn die Kinder dann
durchzuschlafen beginnen, reguliert sich meist
auch der Schlaf der
Eltern. Die elterliche
Vorbeugen. Schl afen.
Schlafstörung kann sich jedoch auch verselbstständigen. Bei dieser Form der Schlafstörung, der Fachter­
minus lautet psychophysiologische Insomnie, sind die
auslösenden Faktoren (z.B. Schreien des Kindes) nicht
mehr vorhanden, aber eine anhaltende Sorge um den
eigenen fehlenden Schlaf und seine Folgen führen zu
einer erhöhten inneren Anspannung. Es entsteht ein
Teufelskreis aus gedanklicher Anspannung und Sorge
um den Schlaf, welcher Entspannung verhindert und
die elterliche Schlafstörung aufrechterhält und das
familiäre Klima gesamthaft belasten kann.
INTERVIEW
«Der Schlafbedarf ist
individuell verschieden!»
Frau Dr. Eva Birrer, wie merken
Eltern, wann und ob ihr Kind
Schlafstörungen hat und
was können sie dagegen tun?
Ein wichtiges Kriterium in der Beurteilung
von Schlafstörungen ist die Erholsamkeit des Schlafs.
Besteht bei den Kindern eine erhöhte Tagesmüdigkeit
oder sind andere Befindlichkeitsstörungen auffällig,
z.B. Unkonzentriertheit oder Hyperaktivität, kann
eine behandlungsbedürftige Schlafstörung vorliegen.
Viele Schlafstörungen können durch eine verbesserte
Bettzeit reguliert werden. In der Planung der Bettzeiten ist es wichtig, den individuellen Schlafbedarf und
Chronotyp des Kindes altersgemäss zu berücksichtigen. Ein strukturierter Tagesablauf (geregelte Essenszeiten, Aktivitäten und Ruhephasen) und feste Einschlafrituale können gerade im Kleinkindalter das
Ein- und Durchschlafen fördern. Aber auch tägliche
Aufenthalte im Freien, die durch die Lichtexposition
den Abbau des Schlafhormons Melatonin und somit
Wachheit fördern, tragen zu einem gesunden SchlafWach-Rhythmus bei. Der Spielraum zwischen einem
rigiden und flexiblen System, zwischen Strenge und
Fürsorge, ist jedoch gross. Jede Familie sollte für sich
herausfinden, wie sie am besten funktioniert. Sind die
Probleme jedoch anhaltend und nicht zu bewältigen,
ist es empfehlenswert, fachlichen Rat einzuholen.
Wie läuft eine Schlafberatung ab?
In der Beratung von Eltern mit schlafgestörten Kindern gilt es vorerst, die individuellen Eigenheiten im
Wie Sie zu einem gesunden
Schlaf kommen
Die integrative, nicht-medikamentöse
Behandlung in der Seeklinik Brunnen
setzt auf alle genannten Faktoren
(siehe Interview). Die Behandlung kann
ambulant und bei sehr chronischen
Fällen auch stationär gemacht werden.
Am Anfang findet eine schul- und komplementärmedizinische Untersuchung statt,
bei der auch die sogenannte Herzraten­
variabilität (HRV) gemessen wird. Je
­v ariabler die HRV, desto besser ist der
Mensch in der Lage, zu entspannen und
sich zu regenerieren. Die HRV-Messung
in der Insomniebehandlung erlaubt eine
Standortbestimmung zu Beginn und eine
Verlaufskontrolle am Ende der Behandlung. Gleichzeitig erhalten die Patienten
ein Schlaftagebuch und einen Aktometer
(Bewegungsmesser). Damit weden während 14 Tagen der Schlaf-Wach-Rhythmus
und das Schlafverhalten gemessen. Aus
all diesen Daten wird ein Behandlungskonzept erstellt.
Angst, Fehlerwartung und Frustration über
schlechten Schlaf werden mittels Schlaf­
edukation aufgelöst und schlafhygienische
Massnahmen eingeführt. Durch die vorüber­
gehende Reduktion der Bettzeit wird ein
Schlafdruck aufgebaut und das Ein- und
Durchschlafen erleichtert. Durch die Einführung von Schlafritualen und das Auf­
suchen des Bettes nur zu Schlafzwecken
(und für sexuelle Aktivitäten) sollen wieder
positive Assoziationen zwischen Schlafumgebung und dem Schlaf erarbeitet werden.
Im stationären Rahmen werden Kunst-,
Musik, Bewegungs- und verschiedene
­Körpertherapien helfen, um sich von der
Schlaffixierung zu lösen und wieder vermehrt eigene Interessen und Bedürfnisse
zu aktivieren. Entspannung wird durch verschiedene Entspannungstechniken und
ausgleichende Verfahren wie Progressive
Muskelentspannung, Autogenes Training,
Tai-Chi, Achtsamkeitsmethoden hergestellt.
Ein besonderes Augenmerk gilt den
­schlafbehindernden Gedanken. Die Grübelneigung wird mit spezifischen Techniken
angegangen. Grübeln wird vielfach als
­Problemlösestrategie missverstanden,
sodass wirkungsvolle Bewältigungsmechanismen erarbeitet werden müssen. Dies
geschieht im Rahmen von einem Stress­
bewältigungstraining. Bei Bedarf können
auch weitere komplementärmedizinische
Verfahren wie Homöopathie, Phytotherapie
und Akupunktur hinzugezogen werden.
2015 | Gesund Leben 71
Vorbeugen. Schl afen.
Schlafverhalten des Kindes herauszufinden. Dies ist
für die diagnostische Einschätzung sehr wichtig, da
sich bereits im Kindesalter individuelle schlafbezogene­
Verhaltensmuster herausbilden, die lebenslang stabil
bleiben. So manifestiert sich sehr früh im Laufe der
Entwicklung, ob ein Mensch eher ein Morgentyp oder
ein Nachttyp ist. Das Gleiche gilt auch für die Schlafdauer. Es gibt sogenannte Lang- und Kurzschläfer und
jene, die irgendwo dazwischen liegen.
Gibt es bestimmte Normen, wie viel Schlaf ein Kind
tatsächlich braucht, um erholt zu sein?
Nein, die gibt es nicht. Ist die Rede von einer normalen
Schlafdauer, handelt es sich dabei meist nur um einen
statistischen Durchschnittswert, der keine Aussage
über einen Zusammenhang zwischen Schlafgüte und
Schlafdauer macht. Es gibt Kinder, die mit einem Jahr
16 Stunden Gesamtschlaf benötigen, während andere
mit 11 Stunden auskommen. Der Schlafbedarf variiert
von Individuum zu Individuum und bleibt über das
Leben stabil, d.h. ein Langschläfer bleibt ein Langschläfer, ein Kurzschläfer ein Kurzschläfer.
Die Schlafdauer hängt ja auch vom Alter ab,
nicht wahr?
Ja, das Schlafverhalten verändert sich im Laufe des
Lebens stark und folgt entwicklungsbedingten biologischen Umbauprozessen. Der Schlaf von Neugeborenen und Säuglingen ist polyphasisch, d.h. das SchlafWach-Muster setzt sich aus mehreren Schlafepisoden
(5 – 7) im 24-Stunden-Rhythmus zusammen. Die
durch­­schnittliche Schlafdauer beträgt 14 – 15 (9 – 19)
Stunden. Eine ungenügende biologische Reifung kann
oftmals zu häufigem nächtlichem Schreien und
un­regelmässigen Schlaf-Wach-Mustern führen. Diese
Schlafstörungen können die Eltern sehr belasten, sind
aber meist vorübergehend und verlieren sich in den
ersten Monaten. Während in den ersten Lebenswochen
der Nachtschlaf noch relativ kurz ist, verdichtet sich
im ersten Lebensjahr der Nachtschlaf bereits deutlich,
sodass Einjährige meist schon gut in der Nacht durchschlafen können und am Tag nur noch wenige Schlafphasen benötigen. Kleinkinder weisen ein biphasisches
Schlafmuster auf. Sie brauchen ca. 9 – 14 Stunden
Nachtschlaf und einen Tagesschlaf von 1 – 2 Stunden.
Schlafstörungen in dieser Phase sind oft das Ergebnis
von ungünstigen Einschlafritualen, die das selbststän­
dige Einschlafen erschweren. Doch was richtig oder
72 Gesund Leben | 2015
falsch in Bezug auf das Einschlafen ist, lässt sich aufgrund der kulturellen und individuellen Unterschiede
in den Bedürfnissen und Erziehungshaltungen nicht
normativ vorgeben. Auch rhythmische Bewegungen
treten in dieser Altersphase oft auf, verschwinden aber
meist spontan mit drei oder vier Jahren. Im Vorschulalter verliert sich der Tagesschlaf und der Nachtschlaf
nimmt zu. Kinder in diesem Alter schlafen zwischen
9,5 – 12,5 Stunden und leiden häufig unter Schlaf­
störungen. So treten bei ca. 40 % Schlafwandeln und
Alb­träume, Bewegungsstörungen (Bruxismus, Körper­
rollen oder -wackeln) auf. Im Schulalter lassen ­d iese
kindlichen Schlafstörungen nach.
Welche Tipps haben Sie für Eltern
von Jugendlichen?
Ruhig Blut bewahren ist hier das oberste Ziel. Im Wissen darum, dass sich die innere Uhr in diesem Alter
tatsächlich verschiebt, gilt es, mit dem Jugendlichen
Massnahmen auszuhandeln, damit die Einschlafzeit
nicht noch später wird, als sie ohnehin schon ist, z.B.
ab wann der Computer abgestellt und das Lernen am
Abend beendet wird. Wichtig ist, dass die Jugend­
lichen Gelegenheit bekommen, den fehlenden Schlaf
der Woche am Wochenende ein Stück weit zu kompensieren. Dennoch sollte es auch möglich sein,
gemeinsame Aktivitäten zu planen.
Und was raten Sie Erwachsenen?
Es ist unglaublich, was für eine lange Leidensgeschichte Patientinnen und Patienten haben, bevor sie sich
professionelle Hilfe suchen. Der überwiegende Teil hat
chronische Schlafstörungen, jahre- und jahrzehnte-
Vorbeugen. Schl afen.
lang. Jahre der Müdigkeit, des Sich durch das LebenSchleppen, der mangelnden Konzentration, der Stimmungsbeeinträchtigungen. Sie fühlen sich Monate
und Jahre nicht belastbar, sind gereizt und reissen sich
zusammen. Sie versuchen es mit Schlafmitteln,
machen einen Yoga-Kurs und trinken chinesische Tees
– alles, um jeden Abend müde hellwach zu bleiben und
nicht zu schlafen. Am Anfang einer Ein- und Durchschlafstörung stehen typische Muster: Kinder hindern
beim Durchschlafen, die Ehekrise, der Jobwechsel,
eine Grippe oder Schmerzen rauben den Schlaf.
­Warum kommt jedoch der Schlaf nicht wieder, wenn
die Krankheit behoben, die Kinder gross sind und die
Ehe gerettet ist? Weil die Menschen dann in einem
psychophysiologischen Kreislauf gefangen sind. Schlafverhindernde Schlafgewohnheiten, Angst vor dem
Nichtschlafenkönnen, erhöhte Grübelbereitschaft und
Anspannung spielen eine Rolle und über dem Ganzen
steht: Eine Fixierung auf den Schlaf, es wird alles
getan, damit dieser endlich kommt, was ihn letztendlich genau verhindert. Der Schlaf ist wie der Spatz auf
der Handfläche, will man ihn greifen, fliegt er davon.
Der Schlaf kommt nur bei entsprechender Gelassenheit gegenüber dem Schlaf, und genau dies wird in
unserer Schlaftherapie erlernt. Schlafstörungen sind
sehr gut behandelbar. Wenn man schon länger in diesem Teufelskreis gefangen ist und der Leidensdruck
hoch ist, sollte man die Schlafprobleme ernst nehmen
und professionelle Hilfe annehmen.
Zu den Personen:
Dr. phil. Eva Birrer, Leiterin Schlafmedizin und Therapien, dipl.-psych. FSP Ute Bahner, Psychotherapeutin,
www.seeklinik-brunnen.ch