Abstract 13.03.2015 , 315.1 kB, PDF

Freitag, 8. Mai 2015, 20.30 Uhr im PSZ
Freitagsvortrag
im Rahmen des Zyklus «Aktuelle psychoanalytische
Entwicklungstheorien»
Jürgen Grieser, Zürich
Entwicklung bis zum Ende – Der psychische Raum und
der Tod
Was hat der Tod mit der psychischen Entwicklung zu tun, ausser dass er ihr ein
Ende setzt? Mit und seit Freud tut sich die Psychoanalyse mit dem Tod schwer,
hat sich immer lieber mit der Libido als mit dem Tod beschäftigt. Eine
Entwicklungstheorie des Alters und Sterbens gab es bis vor kurzem nicht, im Alter
schien es nicht um Entwicklung, sondern um Rückentwicklung und Abbau zu
gehen.
In diesem Vortrag soll die Frage indes anders herum gestellt werden, nämlich:
Was trägt der Tod zur psychischen Entwicklung bei? Es wird die Hypothese
vorgetragen, dass die Wahrnehmung des Todes, die sich regelhaft in bestimmten
Lebensphasen dem Ich aufdrängt, einen basalen Organisator und Motor für die
Errichtung und Veränderung des psychischen Raums des Menschen darstellt.
Dies beginnt in der Kindheit mit den ersten Begegnungen mit dem Tod, wiederholt sich in der Adoleszenz, in der die Macht des Todes massiv ins Bewusstsein
einbricht und sich beispielsweise in Panikstörungen manifestiert, dann wieder in
der Krise der Lebensmitte und schliesslich zunehmend dringlicher im Alter. Doch
in der Psychotherapie wird habituell ein Bogen um den Tod gemacht; anstatt die
Todesvorstellungen hinter den Symptomen zur Sprache kommen zu lassen, werden sie seit Freud auf Trennungs- oder Kastrationsängste reduziert.
Die Bewältigung dieser vom Tod ausgelösten Gedanken macht psychische Konstruktionen nötig, Symbolisierungen, Abwehrmanöver, die den psychischen Raum
zentral mitgestalten. Die Gedanken sind es, die das Denken erzwingen, meinte
Bion, und nicht umgekehrt. Um die Hypothese einer von der frühesten Kindheit
bis ins hohe Alter strukturierenden Kraft des Todes weiter zu treiben: Analog zu
Laplanches Spekulationen über die rätselhaften Botschaften, die das Sexuelle
von den Eltern auf die Kinder übermitteln, kann man davon ausgehen, dass die
Todesgedanken der Eltern schon von Anfang an in die sich entwickelnde Psyche
ihres Kindes eingehen. Dies reicht von den ganz normalen Ängsten, die die Eltern
um ihre Kinder haben müssen, um sie angemessen schützen zu können, bis zu
den pathologischen Beispielen aus der therapeutischen Praxis, etwa bei Kindern
mit perinatal depressiven Eltern.
Jürgen Grieser, Dr. phil., Psychotherapeut FSP, Psychoanalytiker, Familientherapeut, Supervisor und Dozent u. a. am PSZ. Langjährige Tätigkeit in kinder/jugendpsychiatrischen und pädiatrischen Institutionen. Niedergelassen in
psychiatrisch-psychoanalytischer Praxisgemeinschaft in Zürich.
Buchveröffentlichungen: Der phantasierte Vater. Zu Entstehung und Funktion des
Vaterbildes beim Sohn. Tübingen 1998. Architektur des psychischen Raumes.
Die Funktion des Dritten. Gießen 2011. Triangulierung. Gießen 2015. Artikel zum
Vortragsthema: Der psychische Raum im Alter und der Tod. Psychotherapie &
Sozialwissenschaft, 2013, 1, S. 103-127. Homepage: www.grieser.ch.
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