„Knister, knitter, knüll“ (Barbara Stiller) - Bosse

3–10 Jahre
Auszug aus dem Themenkreis „Knister, knitter, knüll“ (Barbara Stiller), Konzeptordner (BE 2820)
Knister, knitter, knüll
Raschelnde Klang- und Bewegungsexperimente mit Papier
Themenkreis zum musikalisch-improvisatorischen Ergründen vielfältiger
Papierklänge (für Kinder ab vier Jahren)
Wohin mit den vielen alten Zeitungen und Werbebroschüren, die in jedem Haushalt Woche für
Woche auf einem Altpapierstapel landen? Und was passiert mit all dem Papier und Verpackungsmaterial nach einem Geburtstags- oder Weihnachtsfest? Dass altes Papier industriell zu neuem
Recyclingpapier verarbeitet werden kann, ist bekannt, aber was können wir selbst aus gebrauchtem
Papier machen? Wie können wir es zum Klingen bringen und musikalisch up-cyclen? Zu Beginn der
Themeneinheit sollte das Thema Papier noch nicht bekannt sein. Erst durch die ad-hoc-Umsetzung
des Gedichtes „Papier & Pappe“ wird auf etwas rätselhafte Weise in die Thematik eingeführt. Im
Laufe der Beschäftigung mit dem vielfältigen Material soll gezeigt werden, wie aus einem großen
Bogen Papier von der Tanzkleidung über Dekorationen und unterschiedlichste Klang- und Geräuscherzeuger bis zum Musikinstrument in kurzer Zeit allerhand Neues entstehen kann. Papiermusik lässt
sich auf vielerlei Weise spielen und ist sicher vielen bereits bekannt. In der folgenden Einheit soll
Altbewährtes mit neuen Klang- und Zu-höranregungen verbunden werden.
Materialien
• Hörbeispiele: „paper music“ von Josef Anton Riedl (1968/1970): „And what about the noise with
crumpling paper?“ von John Cage: (Ausschnitt einer Live-Performance); „Galimathias Musicum“
Quodlibet für Orchester und Cembalo von Wolfgang Amadeus Mozart, KV 32, D-Dur; „Cat o’ Nine
Tails“ von John Zorn (Aufnahme vom Kronos-Quartett); Wolfgang Amadeus Mozart: Eine kleine
Nachtmusik, KV 525, 3. Satz, Menuetto
• Gedicht „Papier und Pappe“ von Mathias Kutzner
• Gedicht und Lied „Das große kecke Zeitungsblatt“ von Josef Guggenmos
• Lied: Barbara Reher: „Knister Knaster Lied“
• Altpapiersorten aller Art, gerne gebrauchtes Papier, altes Geschenkpapier, vollgeschriebene
Flipchartpapiere, Papiertüten, Pappe, ggf. auch Papierfolien u. ä.
• sofern vorhanden eine große Zeitungspapierrolle (erhältlich bei Zeitungsdruckereien, Achtung,
sehr schwer!)
• einzelne große Papierblätter (z. B. Flipchartpapier, das stabiler ist als Zeitungspapier)
• falls vorhanden Mikrofon, Aufnahmegerät oder Kamera, Verstärkeranlage
Im Kreis stehend animiert die Lehrperson die Kinder zu einer schwungvollen Ankomm-Musik
zum Aufwecken ihres Körpers. Systematisch werden zahlreiche Körperteile einzeln vom Rumpf bis zu
den äußeren Extremitäten der Reihe nach geschüttelt, gedehnt und gestreckt. Der Kopf bedarf einer
besonders vorsichtigen Behandlung und sollte nur sanft gerollt werden. Nach mehreren Vorgaben
geht das warm-up in eine Phase über, in der alle individuell agieren dürfen. Anschließend fordert die
Lehrperson die Kinder auf, das Stretching im ganzen Raum durch freie Bewegungen zur Musik fortzusetzen. Sobald die Musik stoppt, verharren alle in einer freeze-Position. Lassen sich freeze-Momente
auch finden, ohne dass die Musik stoppt? Die Lehrperson fordert die Kinder auf, gut aufeinander zu
achten, um Stopp- und Startmomente möglichst synchron und ohne jegliche Absprachen ausführen
zu können. Sobald die Gruppe die Spielregel verinnerlicht hat, sollte die Bewegungsart bei jedem
Neustart gewechselt werden. Am Ende der Einheit fragt die Lehrperson die Kinder, ob ihre Körper
8
TIMPANO – Elementare Musikpraxis in Themenkreisen
3–10 Jahre
jetzt schön aufgewärmt, weich und beweglich sind, ob sie sich zusammenkauern und groß machen
können und ob sie sowohl Schwebe-als auch „Klebebewegungen am Boden“ verinnerlicht haben.
Anschließend bittet die Lehrperson die Kinder, sich mit genügend Abstand zum nächsten Kind
einen Platz im Raum zu suchen (ggf. Hilfestellung geben mit Reifen, Matten o. ä.). Während die Lehrperson das Gedicht „Papier&Pappe“ von Mathias Kutzner langsam spricht, sollen die Kinder das, was
sie verstehen, unmittelbar in pantomimische Bewegungen umsetzen. Zur Unterstützung kann die
Lehrperson während des Sprechens selbst pantomimische Gesten demonstrieren oder das Gedicht
zeitgleich zum Sprechen selbst mit Papier umsetzen.
Papier und Pappe 1
Gedicht
Dünn und alt und ausgeblichen
Ausgerollt und glatt gestrichen
Zu bedrucken, zu beklecksen,
Zum Verzaubern und Verhexen
Zum Zerreißen und Zerknüllen
Zum Verpacken und Verhüllen
Aufzublättern, zuzuklappen
Dünne Zettel, dicke Pappen
Anzukreiden, vollzukritzeln
Zum Beschreiben und Zerschnipseln
Stapelweise liegt es hier
Auf und um und zu gestalten
Wie viel Wunder hat Papier.
(Mathias Kutzner)
Da der Gedichttext abstrakt gehalten ist, werden möglicherweise nicht alle Kinder das Gesagte
vollständig verstehen und unmittelbar körperlich umsetzen können. Einzelne Passagen sind aber für
alle sofort verständlich. Eventuell bietet sich für jüngere Kindern zunächst auch ein Ausschnitt aus
dem Gedicht an. Am Ende wird das Rätsel gemeinsam gelöst und anschließend erneut rekapituliert.
Die Lehrperson bittet die Kinder, sich aus einem Stapel mit altem Geschenkpapier einen Bogen
herauszusuchen. Sollte kein gebrauchtes Papier vorhanden sein, reißt sich jedes Kind selbst von einer
Zeitungsrolle ein Papierstück in der Größe seiner Wahl ab. Während einer ausgiebigen Explorationsphase durch freies Hantieren mit dem Papierstück fordert die Lehrperson die Kinder auf, sich mit
dem Papier kreuz und quer durch den Raum zu bewegen und sich umgekehrt von dem Papier durch
den ganzen Raum bewegen zu lassen. Mitunter ist das Papier aber auch störrisch und möchte etwas
ganz anderes als sein Besitzer. Kann es sich den Bewegungsideen der Kinder vollständig widersetzen?
Mitunter kann es dabei regelrecht zu einem kleinen „Kampf“ mit dem eigenen „Tanzpartner Papier“
kommen. Irgendwann beruhigt sich die Situation und das Papier wird samtig zart und geschmeidig. Wie unter eine Decke kann man sich darunter kuscheln und/oder einzelne Körperteile damit
zudecken. Welche Körperteile kann das Papier gemäß seiner Größe vollständig bedecken?
Jedes Papier fühlt sich je nach Zustand, Alter und ursprünglicher Funktion anders an als alle
anderen. Eines ist glatter, weicher, knisternder und/oder faltiger als das andere. Alle Kinder
nehmen mit ihren Papieren im Kreis Platz, schließen die Augen und suchen nach beschreibenden
1 Aus: Kathke, Petra: Sinn und Eigensinn des Materials. Projekte, Anregungen, Aktionen, Band 2, Weinheim,
Beltz, 2001, S. 14.
TIMPANO – Elementare Musikpraxis in Themenkreisen
9
3–10 Jahre
Worten, die für ihr Papier besonders zutreffend sind. Anschließend werden Begrifflichkeiten gesammelt, die die Papiere besonders gut beschreiben. Je nach Zustand des Papiers eignet es sich zu
unterschiedlichen Verhüllungen als Kopfbedeckung, Cape, Schürze o. ä. Jede Verhüllung verlangt ihre
individuelle Fortbewegungsart. Können sich alle mit ihren Papieren so bewegen, als seien sie ein
Hörbeispiel
Teil des Körpers bzw. ein besonderes Kleidungsstück? Zum Hörbeispiel „Galimathias Musicum“ von
W. A. Mozart oder zu einer anderen geeigneten Background-Musik nach Wahl können die Kinder
eine kleine „Modenschau“ veranstalten, indem sie in ihren Papierverkleidungen ein Solo vorführen
oder sich alle Kinder mit einer Kopfbedeckung gleichzeitig bewegen, während alle anderen in freezePositionen verharren. In der nächsten Runde fordert die Lehrperson alle Kinder mit Papierumhängen auf, die Performance fortzusetzen, während die Kopfbedeckungsträger eingefroren stehenbleiben etc.
Wie klingen die Verhüllungen und Bedeckungen? Ein erstes explizit klangliches Experimentieren
Hörbeispiel
soll zur Musik „Cat o‘ Nine Tails“ von John Zorn stattfinden. Dafür nehmen alle mit ihren Papieren,
die nun keine Verhüllungen mehr sind, in einem Kreis am Boden Platz und werden aufgefordert, mit
ihrem Papier auf die Musik und die ausdrucksstarken Änderungen in der Komposition zu reagieren.
Je nach Erfahrungsstand der Gruppe bietet es sich an, in das Stück zunächst einmal nur hineinzuhören. Dafür könnten sich alle auf ihre Papiere legen (oder diese als Kopfkissen oder Augenmaske
nutzen) um der Musik zu lauschen. Eine weitere Experimentierphase bietet sich an, indem die gesamte Gruppe mit einem großen Bogen Papier auf die Komposition reagiert oder mehrere Kleingruppen mit einem je größeren Papierbogen zur Musik improvisieren. Wem die Komposition zu
extrem ist, kann auch mit kontinuierlich fließender Musik (zum Beispiel einer Komposition von
René Aubry) arbeiten. Jede Gruppe ist für dynamische und artikulatorische Wechsel der Phasen mit
ihrem Papierbogen selbst verantwortlich.
Anschließend nimmt die Gesamtgruppe im Kreis Platz. Die Lehrperson fordert die Kinder auf,
Hörbeispiel
während des Anhörens von „paper music“ von Josef Anton Riedl und/oder „and what about the noise
with crumpling paper“ von John Cage zu überlegen, wie die Papierklänge beim Aufführen der Komposition erzeugt worden sein könnten. Dann erhält jedes Kind erneut ein eigenes Stück Papier.
Während einer Reflexionsphase werden noch einmal alle Klänge und Spielweisen zusammengetragen und ausprobiert, die sowohl beim Reagieren auf das Hörbeispiel von Zorn als auch beim Anhören
der Riedl- oder Cage-Kompositionen entstanden sind. Welche Papierklänge und -geräusche lassen
sich darüber hinaus individuell entdecken? Aus diesen Klangexperimenten entstehen mehrere regelhafte Improvisationsspiele: Die Gruppe improvisiert einen ground, ein Kind spielt spontan eine
Papiersolomusik dazu. Nach einer Weile entwickelt sich aus dem Solo ein neuer Gruppenground, über
dem dann wiederum ein anderes Kind solistisch improvisiert etc. Auch mit geschlossenen Augen
bieten sich feinsinnige Klangexperimente mit Papiergeräuschen an. Die Gruppe beginnt mit einer
gemeinsamen Klangaktion. Sobald ein Kind den Sound verändert, verändern ihn alle. Auch ein Klangband von Kind zu Kind im Kreis, bei dem ein Kind nach dem anderen seinen Klang mit geschlossenen
Augen solistisch präsentiert, sollte von einer Kindergruppe ab einem Alter von ca. fünf Jahren gut
zu schaffen sein.
Für ältere Kinder bietet sich eine Kombination von Papier- und Stimm- bzw. Sprachklangaktionen an: ein Kind beginnt mit einer Papierklangaktion, das neben ihm sitzende imitiert diesen
Klang mit der Stimme oder mit Sprachklängen und lässt anschließend einen eigenen Papierklang
in den Stimmklang einfließen. Dieser wird wiederum vom nächsten Kind stimmlich übernommen
usw. Eine weitere Spielidee besteht darin, dass ein Kind ein Verb nennt, welches das neben ihm
sitzende Kind mit seinem Papierstück klanglich ausführt (knittern, knistern, zerknüllen, reißen, glätten,
hochwerfen etc.). Nach Möglichkeit sollte innerhalb einer Kreisrunde kein Wort wiederholt werden.
10
TIMPANO – Elementare Musikpraxis in Themenkreisen