Film und Buch10

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ich freue mich, euch die zehnte Ausgabe von FILM und BUCH zu präsentieren. Wer
hätte gedacht, dass es überhaupt zu zehn Ausgaben kommen würde. Die Idee, ein
eMagazin herauszubringen, das sich mit einfach allem beschäftigt, was auch nur ir­
gendwie mit Film und Buch zu tun hat, hatten wir vor ziemlich genau drei Jahren.
2015 haben wir sozusagen ein Doppeljubiläum: Drei Jahre und zehn Ausgaben.
Uns gibt es übrigens nicht nur als PDF­Version. Auf unserem FILM und BUCH­Blog
erscheinen regelmäßig weitere Essays, Artikel und Rezensionen. Ein Blick darauf lohnt
sich.
In Ausgabe 10 erwarten euch wieder spannende und interessante Artikel: Alessandra
Reß schreibt über die Rolle der Musik in der phantastischen Literatur. Sabine
Schwientek verfasste einen Artikel über die Heftromane der 70er Jahre und konnte zu­
sätzlich ein Interview mit dem Monstrula­Coverillustrator Olof Feindt führen. Und
Alexander Pechmann berichtet über die Hintergründe zu der wohl berühmtesten
Schauergeschichte The Turn of the Screw.
Viel Spaß beim Lesen!
Eure Redaktion FILM und BUCH
Impressum
Herausgeber: Max Pechmann, Jung-Mee Seo; Email: [email protected].
Coverkonzept und gestalterische Beratung: Seohyun Moon; Coverfoto Copyright: Mit freundlicher Genehmigung
von Olof Feindt.
Mitarbeiter: Sabine Schwientek, Alessandra Reß, Alexander Pechmann, Nina Wilhelmi.
Film und Buch ist ein unabhängiges Magazin und erscheint vierteljährlich als Ebook. Für unverlangt eingesandte
Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen. Die mit Namen versehenen Artikel geben
nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Alle Text- und Bildbeiträge sind urheberrechtlich geschützt.
Vervielfältigung und die Weitergabe als Ganzes bedarf der ausdrücklichen und schriftlichen Genehmigung des
Herausgebers.
Inhalt
Alexander Pechmann
Die Geister des Henry James
S. 4
Alessandra Reß
Zu schön, um von dieser Welt zu sein
S. 13
Sabine Schwientek
Monstrula
S. 19
Phantastische Cover
Interview mit dem Illustrator Olof Feindt
S. 29
Max Pechmann
Horror of the 70s
S. 32
A l ex a n d er P ech m a n n
Die Gespenster des Henry James
Henry James' Novelle The Turn of the Screw gehört zu den
berühmtesten Vertretern der Schauerliteratur. Bis heute rät­
seln Experten und Fans über den Inhalt der unheimlichen
Geschichte. Als Vorbild für das allein stehende Haus diente
Lamb House. Aber auch andere Aspekte von James' Meister­
werk haben einen wahren Hintergrund.
b House
h t vo n L am
Innenansic
Henry James (1910)
Vielleicht sind Geister nichts anderes als uner­
ledigte Aufgaben? Diese Überlegung verfolgte
Henry James und beschäftigte ihn, wenn er an
all die geliebten Freunde und Familienangehö­
rigen dachte, die er verloren hatte – an früh
verstorbene Schriftstellerkollegen wie Robert
Louis Stevenson, Constance Fenimore Wool­
son, James Russell Lowell, vor allem aber an
seine immerzu kränkliche und oft depressive
Schwester Alice, die ihm nach dem Tod der El­
tern nach London gefolgt und dort nach Jah­
ren fruchtlosen Leidens 1892 an Brustkrebs
gestorben war. Alice, eine intelligente Frau oh­
ne Möglichkeiten, ihre Intelligenz unter Be­
weis zu stellen und entweder künstlerisch, wie
Henry, oder wissenschaftlich, wie ihr ältester
Bruder, der berühmte Psychologe William Ja­
mes, nutzbar zu machen, hatte Kraft in dem
Glauben gefunden, dass der Tod nichts ande­
res sei als ein Übergang in eine andere Da­
seinsform. Diese Idee der Transformation, die
von William geteilt wurde, ließ sie mit einer
geradezu ekstatischen Vorfreude auf das Ende
warten; eine dunkle Wartezeit in ihrer kleinen
Londoner Wohnung, wo nur die hingebungs­
volle Pflege ihrer einzigen engen Freundin Ka­
therine Loring, die allzu seltenen und kurzen
Besuche Henrys und das Niederschreiben ih­
rer Gefühle und Erinnerungen Abwechslung
boten. Als junges Mädchen hatte sie mit ihrem
Vater über Selbstmord gesprochen, und er hat­
te ihr geantwortet, es sei keine Sünde, dem ei­
genen Leben im Angesicht ausweglosen
Leidens ein Ende zu setzen. Er hatte ihr sogar
die väterliche Erlaubnis dazu gegeben, sie je­
doch gleichzeitig ermahnt, eine möglichst
„sanfte“ Methode zu wählen, um ihren Hin­
terbliebenen keinen Kummer zu bereiten.
Doch nun, da die Schmerzen wirklich uner­
träglich geworden waren und der Krebs jede
Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft er­
stickte, entschied sie sich gegen den Ausweg
des Suizids. Sie klammerte sich an die vage
Idee, dass ihr Sterben einen Sinn haben moch­
te, wenn sie den bitteren Kampf heroisch und
stolz bis zum Ende ausfechten würde. Ihr kör­
perliches Elend konnte ihrem hellwachen
Geist nichts anhaben. Auch zeigte sie oft An­
flüge von schwarzem Humor: Sie amüsierte
ihre Brüder mit der Anweisung, man solle ihre
Seele nach dem Tod in Frieden lassen und
bloß nicht mittels Séancen, Geisterbeschwö­
rungen und all den okkulten Spielereien, die
damals in Mode waren, zurück in das Land
der Lebenden rufen.
Die Bitte war freilich nur teilweise scherzhaft
gemeint. Alice wusste, dass William sich mit
zunehmendem Interesse für die Grenzwissen­
schaften begeisterte und versuchte, mithilfe ei­
nes Mediums namens Leonora Evelina Piper
mit dem Jenseits zu kommunizieren oder zu­
mindest herauszufinden, ob derlei übernatür­
liche Erscheinungen und Kontakte mit
Verstorbenen real waren und rational erklärt
werden könnten. So machte Alice sich durch­
aus ernsthafte Sorgen, man wolle sie nach dem
Tod als eine Art Postboten zwischen Diesseits
Henry James (1860)
und Jenseits einsetzen, um auf diese Weise
Nachrichten von den Eltern zu übermitteln.
Dies war nicht die Transformation, die sie her­
beisehnte.
Auch Henry James hatte sich immer wieder
für das Übernatürliche interessiert, und der
Tod der Schwester hatte dieses Interesse neu
angefacht sowie einige Texte inspiriert, die un­
heimliche oder unbegreifliche Phänomene auf­
griffen. Für ihn waren sie indes weniger eine
wissenschaftliche, spirituelle oder theologi­
sche Frage als eine ästhetische. In seinem 1892
verfassten Essay „Is there Life after Death“
kam er zu dem Schluss, dass es kein anderes
Nachleben gebe als jenes, das man durch die
kreativen Leistungen zu Lebzeiten schaffen
könne. Unsterblichkeit war für ihn nur ein
Denkmal, das man sich selbst errichtete. Doch
ob Geister nun existierten oder nicht, er liebte
Gespenstergeschichten und wusste Spukphä­
nomene effektvoll in etlichen seiner Erzählun­
gen einzusetzen, allerdings nicht um Angst
und Schrecken zu erzeugen, sondern um eine
gewisse bedeutungsvolle Atmosphäre zu
schaffen. Er betrachtete Geister vor allem als
Symbole, als Schlüssel zu jenen Seelenregio­
nen, die sich gegen eine direkte Auseinander­
setzung wehren und ihr nicht zugänglich sind.
Ein Geist war für ihn demnach keine gruselige
Gestalt, die sich in weiße Laken hüllt und mit
Ketten rasselt. Ein Geist konnte alles mögliche
repräsentieren: eine unerwiderte Liebe, eine
ungelebte Vergangenheit, ein Gefühl, das so
stark war, dass es den Tod überdauerte.
Er kannte zumindest das innige Gefühl der
Verbundenheit mit jenen, die vor ihm gegan­
gen waren und denen er treu blieb, indem er
sie in und durch seine Kunst weiterleben ließ.
Seine Erzählung „The Altar of the Dead“, die
nach dem Selbstmord der amerikanischen Au­
torin Fenimore Woolson in Venedig in deren
alter Oxforder Wohnung ersonnen wurde,
handelt einerseits von einem Gedenken, das
zur Obsession und zum Lebenszweck wird, ist
aber andererseits auch einer von vielen Versu­
chen des Autors, die Erinnerung an seine Lie­
ben zu pflegen und seine persönlichen
Verluste zu verarbeiten. James dachte an seine
Jugendliebe Minny Temple, als er die Hauptfi­
gur seiner Geschichte, George Stransom, ein
Leben lang um dessen jung verstorbene Braut
Mary trauern ließ, und schuf in der Figur der
namenlosen, in Schwarz gekleideten Schrift­
stellerin ein kleines Porträt seiner verstorbe­
nen Freundin Fenimore: Sie führt am Ende
Stransoms Trauerarbeit fort, indem sie an dem
Altar, den er dem Gedenken an seine Toten
geweiht hat, eine Kerze für ihn anzündet. Die
Lebenden, nicht die Toten, sind in dieser Ge­
schichte die eigentlichen Gespenster, denn sie
entfernen sich von weltlichen Zielen und zeh­
ren von der Illusion, dass sie durch ihre Erin­
nerungsrituale ganz und gar Besitz ergreifen
könnten von den flüchtigen Seelen der Ver­
storbenen. Und dies war für James vielleicht
mehr als nur ein literarischer Einfall.
Wahrscheinlich hatte James früher oft mit Fe­
nimore Woolson über dieses Thema gespro­
chen, deren Vater und drei ältere Schwester
gestorben waren, als sie fast noch ein Kind
war. Sie hatte sich auf der Suche nach spiritu­
ellem Halt von den Theorien eines gewissen
Thomson Jay Hudson überzeugen lassen, der
in seinem Buch The Law of Psychic Phenome­
na behauptet hatte, dass Geister lediglich die
Verkörperung von Gedanken seien, die insbe­
sondere im Fall eines gewaltsamen Todes eine
spürbare Intensität erreichten und noch lange
Zeit nach dem entsetzlichen Vorfall erhalten
blieben. Häuser, in denen es spukt, seien dem­
nach nichts anderes als Batterien, aufgeladen
mit den Gedanken der Menschen, die in ihren
Zimmern lebten und starben.
Jenes gespenstische Echo flüchtiger Existenzen
konnte sich auf verschiedenste Weise manifes­
tieren, durch Schatten, Lichter, kaum merkli­
che Luftbewegungen und Geräusche wie das
merkwürdige Klopfzeichen aus einem Eintrag
in Henry James’ Tagebuch: „Man stelle sich ei­
ne Tür vor – entweder zugemauert oder seit
langem verriegelt – an der man gelegentlich
ein Klopfen hört – ein Klopfen, das nur über­
natürlichen Ursprungs sein kann, da der
Raum hinter der Tür unzugänglich ist. Der Be­
wohner jenes Hauses oder Zimmers ist seit
langem mit diesem Klopfgeräusch vertraut;
und da er es für ein Spukphänomen hält und
der Geist hinter der Tür sich nie auf andere
Art bemerkbar macht, hört er allmählich auf,
ihm Beachtung zu schenken. Diese Person
könnte jedoch irgendeinen großen und bestän­
digen Kummer haben, und eine andere Per­
son, die diese Geschichte erzählt, könnte
feststellen, dass das Klopfen häufiger auftritt,
wann immer jener Kummer sich verstärkt. Er
bricht schließlich die Tür auf, und der Kum­
mer verfliegt – als habe der Geist Einlass be­
gehrt, um einzuschreiten, zu erlösen und zu
beschützen.“
Henry James kam erst viele Jahre später auf
diese Notiz vom Januar 1879 zurück. Im Mai
1899, während eines Aufenthalts in Rom, stell­
te er sich einen jungen Mann vor, der überall,
wohin er auch geht, in jeder Wohnung und je­
dem Hotelzimmer, ein gespenstischen Klopfen
vernimmt; doch wenn er die jeweilige Tür öff­
net, ist niemand da. Dann, eines Tages, öffnet
er die Tür und sieht … was? James konnte es
sich nicht wirklich vorstellen, behielt aber die
Idee im Hinterkopf, bis er sie 1906 schließlich
doch noch in einer Erzählung verwendete. In
„The Jolly Corner“ kehrt ein amerikanischer
Junggeselle, der sein Leben in Europa verbum­
melt hat, zurück nach New York, um das alte,
verlassene Haus seiner Familie zu überneh­
men. Die geheimnisvollen Klopfzeichen füh­
ren
zu
der
Begegnung
mit
einem
Doppelgänger, einem Geist, der all das sym­
bolisiert, was aus ihm hätte werden können,
wäre er dem Beispiel seiner Vorväter gefolgt
und hätte sich deren weltlichen Zielen, der
Anhäufung von Geld, Einfluss und Macht ge­
widmet.
James nutzte die Symbolkraft übernatürlicher
Phänomene für seine Zwecke – viele seiner
Gespenstergeschichten sind allegorisch und
manchmal
andeutungsweise
autobiogra­
phisch. Sie sind weniger Auseinandersetzun­
gen mit dem Tod und der Frage, was danach
kommt, als mit dem Leben, das sich nie ganz
von der Vergangenheit lösen kann und eine
wachsende
Bürde
verpasster
Chancen,
falscher Entscheidungen und nicht wahrge­
nommener Verantwortung mit sich herum­
schleppt. Dies waren die drei Geister, die auch
Henry James zunehmend verfolgten, und ihn
manchmal mit den vertrauten Zügen von Ma­
ry Temple, Fenimore Woolson und Alice Ja­
mes heimsuchten.
jekte entstanden, hatten jedoch auch den ganz
profanen Zweck, Geld in leere Kassen zu spü­
len. Diese Art Literatur wurde von den Lesern
geschätzt und von den Redakteuren und Ver­
legern gern angenommen, und es war eine
Geistergeschichte, The Turn of the Screw, die
Henry James den größten kommerziellen Er­
folg seiner späten Jahre bescherte. Dieses
Werk, das der Autor gern in einem fast
schuldbewussten Ton als „potboiler“ herab­
setzte und bestenfalls als jeu d’esprit bezeich­
nete, ist sein wohl unheimlichstes und
effektvollstes. Basierend auf einer Geschichte,
die ihm der Erzbischof von Canterbury erzählt
hatte, handelt es von zwei Kindern, die von
Geistern zu bösen Taten verführt werden –
wobei jedoch immer ungewiss bleibt, ob die
Geister nicht nur im Kopf der überspannten
Gouvernante jener Kinder existieren. James
verzichtete hier darauf, den Spukphänomenen
einen moralischen oder symbolhaften Sinn
aufzubürden, sodass der Schrecken des Uner­
klärlichen und Übernatürlichen erhalten
bleibt. Nur der schottische Sekretär, dem Ja­
mes den kleinen Roman diktierte, ließ sich
nicht davon beeindrucken. Zum ständigen Är­
ger des Autors, verzog der Schotte keine Mie­
ne, als er ihm mit bedeutungsvoller Stimme
die schauerlichsten Szenen vortrug.
Die Geistergeschichten, die überwiegend nach
dem endgültigen Scheitern seiner Theaterpro­
The Turn of the Screw erinnert, was den
Schauplatz des altehrwürdigen englischen
Landsitzes, die Figuren und das geschilderte
Grauen angeht, ein wenig an die Werke des
exzentrischen irischen Autors und Herausge­
bers Joseph Sheridan Le Fanu, der seine im
selben Milieu angesiedelten, verwickelten und
unheimlichen Romane und Erzählungen zwi­
schen Mitternacht und vier Uhr früh schrieb,
um die entsprechende Stimmung einzufangen.
Die Ähnlichkeit ist wohl kein Zufall, denn Ja­
mes hatte nicht nur Le Fanus spannende Bü­
cher gelesen, sondern zählte auch dessen
Nichte Rhoda Broughton zu seinem engeren
Freundeskreis.
Miss Broughton war eine elegante, etwas
streng und kühl aussehende Frau mit einem
sarkastischen Lächeln und einer berüchtigten
spitzen Zunge, die sogar einen Meister der
Schlagfertigkeit wie Oscar Wilde in die Flucht
jagen konnte. Sie hatte, so munkelte man, we­
gen einer enttäuschten Liebe nie geheiratet,
aber bereits im Jugendalter begonnen, Romane
zu schreiben. Ihr berühmter Onkel vermittelte
die ersten Veröffentlichungen und sah sich
bald in seiner Vermutung bestätigt, dass seine
Nichte große Erfolge feiern würde. Heute sind
ihre zahlreichen Werke vergessen, doch da­
mals waren sie skandalträchtige Bestseller,
denn Rodha Broughton scheute sich nicht da­
vor, ihren jungen Heldinnen, die mit den übli­
chen Heiratsintrigen und Beziehungsnöten
des viktorianischen Zeitalters zu ringen hat­
ten, sexuelle Begierden zuzugestehen. Ähnlich
wie Le Fanu schwelgte sie stellenweise in den
entsprechenden, heutzutage freilich völlig
harmlos wirkenden Andeutungen, die auch
gleichgeschlechtliche Liebe nicht ausklammer­
te. Sie war drei Jahre älter als James und eben­
falls mit Fenimore Woolson befreundet
gewesen, die zeitweise in der Nähe ihres Hau­
ses in Oxford gewohnt hatte und ihr auch
während ihrer Aufenthalte in Florenz öfters
über den Weg gelaufen war. Sie besaß zudem
eine Wohnung in London, wo James sie fast
allabendlich besuchte, um über alte Zeiten
und Literatur zu reden, oder ins Theater be­
gleitete, wenn sie zufällig beide in der Stadt
waren. James’ wiederholte, fast flehentliche
Einladungen in sein neu erworbenes Haus in
Rye, wo er sich, zweieinhalb Stunden Bahn­
fahrt von London entfernt, zunehmend ein­
sam fühlte, lehnte sie jedoch kategorisch ab.
Lamb House in Rye, mit seinen schmalen ho­
hen Fenstern, dem wuchtigen Schornstein und
dem malerischen, von Kletterpflanzen um­
rankten Gartenhäuschen, wirkt auf den ersten
Blick wie der ideale Ort, um Gespensterge­
schichten zu schreiben, und der erste Text, an
dem James hier zu arbeiten begann war tat­
sächlich The Turn of the Screw – als hätten der
Umzug in die neue, ländliche Umgebung, die
relative Abgeschiedenheit und ungewohnte
Stille, die wichtigste Inspiration geliefert. Der
neue Wohnort scheint auch ein wenig dazu
beigetragen zu haben, dass Henry James seine
doch sehr skeptische Haltung gegenüber dem
Übernatürlichen überdachte und zumindest
den entsprechenden Spekulationen mit einer
viel weniger ablehnenden Haltung begegnete
als in seinem oben erwähnten Essay. Er räum­
te sogar ein, selbst einen Geist in Lamb House
gesehen zu haben – eine alte Dame, die nicht
erschien, um ihm einen Schrecken einzujagen,
sondern um ihm bei der Arbeit zu helfen. Auf
Anfragen von Freunden des Okkulten, die ihn
nach dem Erscheinen seines unheimlichen
kleinen Romans erreichten, reagierte er aller­
dings weiterhin irritiert.
In den Jahren nach Alice James’ Tod, in der
Zeit als Henrys beste Geistergeschichten ent­
standen, beschäftigten sich nicht nur William
James und dessen Frau, sondern auch der jün­
gere Bruder Bob James und alte Freunde der
Familie, Tom Perry und Lilla Cabot, mit routi­
niert durchgeführten Séancen, während denen
sie vermeintliche Botschaften von Verstorbe­
nen empfingen, die sie erstaunten, da sie an­
geblich intime Kenntnisse des Familienlebens
vermittelten, auch wenn die Worte aus dem
Jenseits im Grunde nicht sinnreicher waren als
das wöchentliche Horoskop in der Sonntags­
zeitung.
Bob, ein lebenslang erfolgloser Trinker, der ge­
trennt von seiner Frau in Boston lebte, hatte
die umtriebige Mrs. Piper, die womöglich bes­
ser über das Seelenleben der Jameses Bescheid
wusste als jeder Biograph, am 28. Dezember
1893 um ein Treffen gebeten. Das Medium
kam bei der Séance in Kontakt mit einem Geist
namens Phinuit, der zu Lebzeiten angeblich
ein kreolischer Arzt gewesen war, und dieser
„Seelengeleiter“ übermittelte einige Worte der
Eltern Mary und Henry Senior sowie der
Schwester Alice an die Hinterbliebenen. Als
Bob seine Schwester fragte – oder vielmehr
über Mrs. Piper und den kreolischen Geist fra­
gen ließ – warum sie jetzt zu ihm sprechen
wolle, wo sie doch früher kein gutes Haar an
den Spiritisten gelassen habe, lautete die Ant­
wort: „Wir alle denken nun anders darüber.
Du darfst dir uns nicht so vorstellen, wie wir
einst waren, sondern wie wir jetzt sind.“ Die
Botschaft des Vaters fiel auch nicht viel aussa­
gekräftiger aus, rührte aber den nach Bestäti­
gung suchenden Empfänger zutiefst: „Ich bin
dein Vater Henry James. Bob alles wird gut.
Ich werde immer auf dich aufpassen und
wenn du mich rufst werde ich kommen. Ich
bin dein Vater Henry James.“
Sir Sydney Waterlow, ein pensionierter Diplo­
mat, der zu Henry Juniors Bekannten in Rye
zählte, notierte in seinem Tagebuch einige
Stichworte über eine andere Séance, die offen­
bar wenige Jahre nach Williams Tod im Jahr
1910 stattfand und bei der Williams Frau und
deren Tochter Peggy anwesend waren. Wil­
liams Geist zeigte sich kurz als undeutlich er­
kennbare Gestalt im Rollstuhl, doch Alice, die
wenig später aus dem Jenseits sprach, ließ ih­
rem Bruder Henry eine Nachricht übermitteln:
Sie habe gesehen wie jemand ihm etwas
schenkte und sei sehr froh darüber gewesen.
Auch er habe sich darüber gefreut. Eine leuch­
tende Schale. Eine goldene Schale. Dann fragte
sie, ob er je ihr Gesicht hinter Glas betrachte.
Als Henry James dies von Waterlow erfuhr,
zeigte er ihm zwei Glasrahmen mit Fotografi­
en seiner Schwester, die er von seinem Sessel
aus direkt ansehen konnte. Die erwähnte
Schale entsprach dem Geschenk, das ihm seine
englischen Freunde zum siebzigsten Geburts­
tag überreicht hatten. James’ erklärte sich dies
durch eine „telepathische Übertragung“, die
zwischen Peggy, die über die Fotos und die
Schale Bescheid wusste, und dem Medium
stattgefunden habe. Er suchte nach einer ratio­
nalen Erklärung, doch blieb ein schwer fassba­
rer Zweifel, der zeigte, welche Gefühle solche
Scharaden in ihm auslösten: „Was, wenn es
wirklich Alice war? Was, wenn es wirklich
Alice war?“, wiederholte er immer wieder.
Die für ihn wichtigste Botschaft aus dem Jen­
seits kam jedoch von seiner Mutter Mary, die
1882, wenige Monate vor ihrem Mann gestor­
ben war. William James’ Frau Alice Howe
Gibbens, die wohl einzige vollkommen über­
zeugte Spiritistin der Familie, hatte zusammen
mit ihrem vierundzwanzig Jahre alten Sohn
Billy und der unverzichtbaren Mrs. Piper
einen Geist namens Hector heraufbeschworen.
Dieser übermittelte die Worte einer „Mary“ an
Henry: „Er soll sich keine Sorgen mehr ma­
chen, denn das Ergebnis wird wunschgemäß
ausfallen.“
Die Schwägerin zögerte lange, diese zweimal
wiederholte Nachricht an Henry James weiter­
zuleiten, und auch Billy hielt es für möglich,
dass es den Empfänger eher verärgern würde,
wenn er davon erführe. Er stand dem Spiritis­
mus zumindest skeptisch gegenüber, und eine
Séance, bei der man seine Mutter, deren An­
denken er stets in Ehren hielt, herbeizitierte,
hätte er wohl als reichlich geschmacklos be­
trachtet.
Als Henry James schließlich doch von dieser
Geschichte erfuhr, war er keineswegs ge­
kränkt, sondern erstaunlicherweise sehr ge­
rührt. Dies deshalb, weil er sich, wie er seiner
Schwägerin schrieb, momentan tatsächlich
große Sorgen wegen einer Angelegenheit ge­
macht habe, über die niemand auf der Welt
außer ihm selbst Bescheid wisse. Zwei Monate
lang habe er mit sich gerungen und sich dabei
immer wieder gesagt, was er nicht alles dafür
geben würde, irgendein Wort oder ein Zei­
chen von außerhalb zu bekommen, dass ihm
versichern solle, wie überflüssig seine Sorgen
wären. Es war beinahe wie in seinen alten No­
tizen über das geheimnisvolle Klopfzeichen.
Manchmal, auch dann wenn man nicht an der­
gleichen glaubt, muss man eine lang ver­
schlossene
Tür
öffnen,
und
etwas
hereinlassen, das dafür geschaffen ist „einzu­
schreiten, zu erlösen und zu beschützen“.
Was war dieses Problem, das James insgeheim
so viel Kopfzerbrechen bereitete? Einige Bio­
graphen halten es für wahrscheinlich, dass es
hierbei um die für ihn wichtige Frage ging, ob
er eine Ausgabe seiner gesammelten, neu
überarbeiteten und mit einleitenden Essays
versehenen Werken herausgeben sollte, eine
Ausgabe mit mindestens ebenso vielen Bän­
den wie die Menschliche Komödie von Balzac.
Tatsächlich gab es für ihn wenig, was ihm
wichtiger erschienen wäre, als dieses für die
Nachwelt unübersehbare Denkmal selbst zu
errichten – keine Freundschaft, keine Liebe,
kein privates, kein gesellschaftliches Anliegen.
Mit vierzig hatte er es in knappen Worten zu­
sammengefasst: „Wenn ich wirklich arbeite,
bin ich glücklich, fühle ich mich stark. Ich sehe
viele Möglichkeiten für die Zukunft. Es ist das
Einzige, was das Leben erträglich macht.“
Wenn Henry James auf ein Klopfzeichen hin
die mystische Tür seiner Phantasie öffnete,
glaubte er manchmal, er gewähre hilfreichen
Geistern Einlass. Manchmal erschien hinter
der Schwelle auch das feiste Gesicht seines
Doppelgängers, eines geldgierigen Geschöpfs,
das die Künste bestenfalls als Zeitvertreib für
Tölpel und Müßiggänger wahrnahm und lie­
ber in die Fußstapfen des mächtigen Großva­
ters Bill James von Albany treten würde.
Meistens jedoch war der Geist, den er herauf­
beschwor, das Abbild seines brennenden Ehr­
geizes: „Ich werde ein Versager sein, wenn ich
nicht etwas Großes vollbringe.“
Die Geisterhaus­Trilogie
von
Carl Denning
Drei Häuser,
in denen es umgeht.
Exklusiv als eBook.
"Spannung bis zum Ende."
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Nur eines ist sicher:
Sie werden sich fürchten!
Alessandra Reß
Zu schön,
um von dieser Welt zu sein
Zur Verbindung von Magie und Musik in der
phantastischen Literatur
Musik ist ein zentraler Bestandteil visueller Medien. Besonders Filme
kommen ohne musikalische Untermalung der einzelnen Szenen nicht
aus. Erst durch sie vollendet sich die Dramatik der Darstellung. Doch
wie sieht es mit Musik in einem rein literarischen Kontext aus? Wel­
che Rolle kommt ihr dabei zu?
Filmsoundtracks gelten nicht unbedingt
als die Chartbreaker schlechthin. Selten
werden sie im Radio gespielt, ihre Kompo­
nisten sind nur den Kennern geläufig und
überhaupt stehen sie außerhalb von Mu­
sicals und Disneyfilmen kaum im Fokus.
Und doch schaffte es im Dezember 2014
mit „The Hanging Tree“ aus „Mockingjay
1“ von James Newton Howard ein Lied in
die Charts, das zwar mit Jennifer La­
wrence‘ Gesang aufwarten konnte, davon
abgesehen aber doch ein ziemlich klassi­
sches
Filmmusik­Exemplar
darstellt.
Der ungewöhnliche Erfolg setzt sich ge­
wiss aus mehreren Faktoren zusammen –
Lawrence‘ Popularität und die des Films
sollten nicht unterschätzt werden. Was
aber auch hineinspielt, ist das mobilisie­
rende, packende Moment des Lieds. Man
fühlt sich angesprochen, mitgerissen. Es
ist eine einkalkulierte Ironie, dass gerade
diesem Aspekt in Film und Buchvorlage
eine ambivalente Rolle zukommt: Zu­
nächst nur ein harmloser Vers, wird „The
Hanging Tree“ von mehreren Seiten politi­
siert und zur Propaganda missbraucht,
dient schließlich als eine Art Hymne der
Rebellen.
Eine Funktion, die natürlich alles andere
als neu ist. Ihr zugrunde liegt das Wissen
um das emotionale, verführende Potenzial
der Musik. Dem wurde sich in der politi­
schen Propaganda der Gegenwart ebenso
bedient wie auf schottischen Schlachtfel­
dern, römischen Galeeren oder in Werbe­
filmen von Biermarken.
Auch in den Mythologien und Sagen zahl­
reicher Kulturen spielt die mobilisierende
Funktion von Musik eine bedeutende Rol­
le. Oft ist es die verführerische Seite, die
in Gestalt von weiblichen, häufig mit dem
Element Wasser in Verbindung gebrach­
ten Wesen ihre Personifikation findet.
Man denke da beispielsweise an die Sire­
nen der griechischen Antike, deren Ge­
sang Odysseus fast ins Unglück stürzt
oder an die osteuropäischen Rusalki, die
ähnlich wie die rheinische Loreley Männer
durch ihren Gesang anlocken und in ein
nasses Grab führen. Stets schwingt hier
als auch ein Moment der Gefahr mit. Mu­
sik wird als schön charakterisiert, ja, als
wunderschön. Aber eben auch als gefähr­
lich, zerstörerisch. Und so wird Musik
auch als eine Form der Waffe verstanden,
sogar als Prophet des Todes. Wer etwa der
keltischen Aoibhell beim Musizieren
14
lauscht, soll ebenso zwangläufig dem To­
de geweiht sein wie jener, der das Weh­
klagen der Banshees vernimmt, der
irischen Todesfeen.
Dabei verkörpert Musik gleichzeitig auch
das Fremde. Sie ist gewissermaßen zu
schön, um von dieser Welt zu sein.
Fremde Welten und befremdliche Fas­
zination
Natürlich haben auch die phantastischen
Medien, insbesondere die Fantasy­Litera­
tur, diesen Aspekt für sich entdeckt. Und
das nicht nur in der ohnehin mythenver­
liebten,
pseudo­mittelalterlichen
High
Fantasy: Gerade die Dark Fantasy und
der Young Adult­Bereich sind dankbare
Abnehmer des Motivs. Musik steht hier in
direkter Verbindung zur anderen, verbor­
genen Welt. In den Vampirchroniken von
Anne Rice stellt die Rock­Band des Vam­
pirs Lestat die auditive Seite seiner Ver­
führungskraft dar. Die Menschen können
im Prinzip nicht anders, als verzaubert zu
sein. Gleichzeitig bedeutet Lestats Musik
aber auch die mediale Veröffentlichung
des untoten Daseins, was ihm den Ärger
seiner Artgenossen einbringt. Zum mobili­
sierenden, verführerischen Aspekt kommt
hier der soziale hinzu: Eine bestimmte
Musik zu hören oder zu spielen, bedeutet
auch, Zugehörigkeit zu demonstrieren.
Dabei ist es egal, ob eine Nationalhymne
gespielt, ein Szenekonzert besucht oder
die Musik der Vampir­Subkultur gehört
wird. Außenseiter werden hier wie da
skeptisch betrachtet.
Die Verbindung von Rock beziehungswei­
se Metal und Vampirdasein findet sich
auch in Hans „Hanzo“ Steinbachs Manga
„A Midnight Opera“. In dieser synästhe­
tisch aufgeladenen Hommage an den Me­
tal und die dunkle Romantik ist es der
Vampir Einblick, der sich nicht darum
schert, wen seine hypnotische, anders­
weltliche Musik anlockt. Jedenfalls, bis
sein Werwolfbruder, die Blutgräfin und
die Inquisition bei ihm auftauchen.
Victoria Frances‘ Untotenschar aus der
Graphic Novel „Favole“ fühlt sich eher zu
klassischer Musik hingezogen. Hier ver­
bindet sich der Vampirmythos mit Nym­
phenmotiven, wenn die Melodie der
ophelienhaften Fee Lavernne Tausende
Mädchen in die todbringenden Sumpfge­
wässer treibt.
Was sich in diesen Fällen aber auch zeigt,
ist die beidseitige Faszination an der Mu­
sik: Die Untoten nutzen sie, um ihre Op­
fer zu verzaubern. Gleichzeitig stellt sie
15
für Frances‘ Figuren aber auch eine Ver­
bindung zur emotionsgeladeneren, wär­
meren Menschenwelt dar. Und zunächst
ist es auch Anne Rices Lestat, der sich
von der Rockmusik der Menschen angezo­
gen fühlt – ins Gegenteil verkehrt sich das
erst später.
Eine sehr düsterte, eng am irisch­briti­
schen Volksglauben orientierte Variante
dieser gegenseitigen Faszination findet
sich in Maggie Stiefvaters Jugendbüchern
„Lamento“ und „Ballade“. In „Lamento“
weckt Deirdres Talent an der Harfe das
Interesse der Feen. Sie wird damit zu ei­
nem eindeutigen Beispiel des beliebten
Motivs des Musikers als (in diesem Falle
unfreiwilligen) Vermittlers zwischen den
Welten.
In der Fortsetzung „Ballade“ macht gleich
ein ganzes Internat musikbegabter Teena­
ger die Feenwelt auf sich aufmerksam. In
beiden Büchern steht die Musik als Aus­
gangspunkt einer gefährlichen Faszinati­
on. Deirdre droht sie in den Wahnsinn zu
stürzen, bis sie nicht mehr fähig ist, Rea­
lität und Feenillusion zu unterscheiden,
und in „Ballade“ kostet sie manch einen
sogar
das
Leben.
Weniger tragisch wird das Verhältnis in
einer weiteren Jugendbuchreihe bedacht,
die sich ebenfalls Motiven des irisch­briti­
schen Volksglaubens und der keltischen
Mythologie bedient: In Jenna Blacks „Fae­
riewalker“ zeigen sich Feen und Men­
schen gleichermaßen fasziniert vom
Gesang der jungen Dana, die, halb Fee,
halb Mensch, die stimmlichen Vorteile
beider Völker für sich zu nutzen weiß.
Musik als magische Waffe
Durch die auch in diesen Beispielen mit­
schwingende Gefahr wird bereits impli­
ziert, dass diese als Waffe dienen kann.
Ist dieser Aspekt in manchen Fällen aber
eher eine zwangsläufige Begleiterschei­
nung, wird er in anderen aktiv herbeige­
führt.
Nicht
umsonst
schließen
beispielsweise AD&D­Rollenspielgruppen
gerne einen Barden mit ein. Gerade in der
High Fantasy wird Musik nicht nur zur
Unterhaltung, sondern auch für Attacken
rege genutzt. Wer etwa in der „Drachen­
lanze“­Saga einen Zauber wirken möchte
– egal, ob es nur um einen Licht­ oder
einen Angriffszauber geht – muss dazu
normalerweise einen Singsang anstim­
men. Ähnlich funktioniert die Elbenmagie
in Thilo Corzilius‘ „Dorn“ oder auch die
(deutlich weniger mystisch angehauchte)
des Möchtegern­Rockstars Jon­Tom aus
Alan Dean Fosters „Bannsänger“­Zyklus.
In der „Elfenritter“­Trilogie von Bernhard
Hennen ist es ein Markenzeichen der Elfe
Yulivee, mit ihrer Flöte ganzen Schiffsar­
maden den Tod bringen zu können und
auch die Saiten der Harfner aus Patricia
A. McKillips „Erdzauber“­Trilogie dienen
längst nicht nur der Unterhaltung.
Aber nicht nur die High Fantasy wird so
explizit. Selbst Danas Stimmgewalt aus
„Faeriewalker“ stellt sich letztlich nicht
nur als schön, sondern auch als tödlich
heraus: In ihr liegt die Macht, Feenwesen
sterblich zu machen, was in deren Welten
ihren sofortigen Tod bedeutet.
Um den Gefahren und überhaupt der
Macht von Gesang und Melodien entge­
genzuwirken, ist es eine beliebte Vorge­
hensweise seitens der Antagonisten,
anderen ihre Stimmen zu stehlen. Wohl­
wissend, wie wehrlos sie ohne ihre ge­
sangsabhängige Magie sind, verbannt
daher auch der Elb Linus aus „Dorn“ die
Stimmen seiner Artgenossen in ein Arte­
fakt. In anderen Fällen dient der Stim­
menraub der Übertragung von Macht auf
den Dieb. Entsprechend erklärt sich das
Motiv des Herrn der Lieder, der in „Sylvie
und die verlorenen Stimmen“ die kom­
plette Tierwelt zum Schweigen bringt. Ein
prominentes Beispiel ist außerdem die
Meerhexe Ursula aus Disneys „Arielle, die
kleine Meerjungfrau“, welche die verfüh­
rerische Macht in der Gesangsstimme
Arielles für sich selbst nutzen will.
16
Zurück in die gesellschaftliche
Gegenwart
In unserer Gesellschaft mögen der Musik
keine magischen Eigenschaften im enge­
ren Sinne mehr zugeschrieben werden.
Ihre Macht zur Manipulation bleibt aber
bestehen. „Die Tribute von Panem“ be­
dient sich diesem Verhältnis in direkter
Analogie zum Hier und Jetzt. Auf einer
allgemeineren,
medien­unabhängigen
Ebene betrachtet das Joy Chant in ihrem
weitestgehend ohne magische Elemente
auskommenden „Vandarei“­Zyklus. In der
dazu gehörigen Romantasy­Novelle „Wenn
Voiha erwacht“ erschüttert ein verliebter
Musiker durch sein Können die Grundfes­
ten eines matriarchalisch organisierten
Staats.
Was in „Wenn Voiha erwacht“ geschildert
wird, ist eine Utopie beziehungsweise so­
gar nur das wertungsfreie Konstrukt einer
Möglichkeit. Unsere Gesellschaft ist zu
komplex, als dass erwartet werden könn­
te, ein einzelner Musiker sei fähig, viel zu
verändern. Doch Musik bleibt ein wichti­
ger Bestandteil im Leben der meisten
Menschen und ihre Macht sollte nicht un­
terschätzt
werden.
17
Nominert für den Deutschen Phantastik­Preis
Alessandra Reß
Vor meiner Ewigkeit
„Ich warf mich der neuen Welt in die Arme und sie
lachte mit mir, und in meinem Unwissen merkte ich
nicht, wie falsch dieses Lachen klang.“
Ohne Erinnerung erwacht der Student Simon ei­
nes Nachts in einer Stadt, in der selbst die Farben
ein Eigenleben zu führen scheinen. Von einem
Geistermädchen erfährt er mehr: In ihm ist die
Gabe des Schläfers erwacht, und seine Aufgabe
ist es, die Vampire zu jagen, welche die Stadt be­
völkern und das empfindliche Gleichgewicht von
Licht und Dunkelheit stören. Erst, wenn er diese
Aufgabe erfüllt hat, darf er in sein altes Leben
zurückkehren.
Trunken von den dunkelbunten Wundern der
Stadt Dew Linae, fügt sich Simon in sein Schick­
sal. Doch bald schon muss er erkennen, dass er
mehr und mehr seine Identität verliert. An seine
Stelle tritt der Schläfer, eine seelenlose Kreatur,
die nur im Tod ihrer Gegner Erfüllung findet.
Verzweifelt sucht Simon nach einem Weg, sein
zweites Ich zu bannen – doch trauen kann er
niemandem, nicht einmal sich selbst.m, nicht ein­
"(...) bildgewaltig, nachdenklich und anders."
Litertopia
"Die Autorin und das Buch sind ein erfrischender Neugewinn (...)."
fantasybuch.net
"Ich kann nur sagen, dass ich begeistert war von diesem Werk (...)."
Kathrinsbooklove
"Das Buch macht sprachlos (...)."
Lovelybook
Alessandra Reß: Vor meiner Ewigkeit. Art Skript Phantastik, 200 Seiten,
als print: ISBN: 978­3­39815­092­67
als eBook (Amrun Verlag): ASIN: B00Q70CZ1Y
15
Sabine Schwientek
M
A
L
U
R
T
S
ON
Die Glanzzeit der
Grusel­Groschenromane
In den 70er Jahren begann eine neue Romanform die phan­
tastische Literatur in Deutschland aufzumischen: Heftroma­
ne, die sich voll und ganz dem Unheimlichen verschrieben
hatten. Gleich mehrere Serien gingen an den Start, von de­
nen manche nur noch Sammlern und Phantastik­Experten
bekannt sind.
„Drohend schwebte der Geist, in einen
grünlichen Nebel eingehüllt, auf Jack Cal­
lum zu. »Sei verflucht, Irdischer! Schauen
sollst du die Welt der Geister, ertrinken
wirst du im Grauen!“
1974, in dem Jahr als Abba ihre Weltkar­
riere mit dem Hit Waterloo startete, die
US­Präsidentschaft von Richard Nixon
mit der Watergate­Affäre endete und un­
ter dem Titel Waldweg die erste Folge der
TV­Krimiserie Derrick lief, begann für
Jack Callum der Kampf gegen die Welt
der Geister und Dämonen. Konkret am 2.
September 1974 traf ihn Der Fluch des
Geistes ­ so hieß auch die erste Ausgabe
der Groschenromanreihe Monstrula, er­
schienen im Kelter­Verlag. Von nun an
hieß es alle vierzehn Tage: „Holen Sie sich
Monstrula – So was haben Sie noch nicht
gelesen!“­ ein „unwahrscheinlicher Gänse­
hautmacher“(2). Wie viele seiner Geister­
jägerkollegen
verdankte
auch
Jack
Callum sein Entstehen dem boomenden
Markt der Horror­Heftchen, die verstärkt
ab 1973 die Auslagen der Kioske und
Bahnhofsbuchhandlungen eroberten. Der
Gespenster­Krimi, Macabros, Dämonenkil­
ler, Professor Zamorra und andere Roman­
reihen bzw. Serien erweiterten das
Angebot des Genres, das bis vor kurzem
nur einen ‚Geisterjäger’ kannte: Larry
Brent. Mit ihm hatte der Trend 1968 be­
gonnen. Im Silber­Krimi Nr. 747 mit dem
Titel Das Grauen schleicht durch Bonnards
Haus schickte Autor Dan Shocker (3) sei­
nen Helden, den FBI­Agenten Larry Brent,
auf Spurensuche und Leserfang. Erster
Einsatzort war Maurs in Frankreich wo
angeblich Vampire ihr Unwesen trieben.
Bei seinen Ermittlungen stieß Larry Brent
nicht nur auf Leichen, Riesenfledermäuse
und blutige Experimente, er lernte auch
die
geheimnisvolle
Psychoanalytische
Spezialabteilung kennen, kurz PSA. Im
weiteren Verlauf der Romanserie wurde
Brent unter dem Codenamen X­Ray­3
selbst ein Spezialagent der PSA. Charak­
teristisches Merkmal der Silber­Grusel­
Krimis sind die modernen, teils futuristi­
schen
wissenschaftlichen
und
technologischen Methoden, mit denen
Brent und Co. die übernatürlichen Fälle
lösen. Stilistisch orientieren sich die Ge­
schichten mehr an den damals aktuellen
Agenten­Thriller und Science Fiction ­
Romanen als am klassischen Horrorgen­
re.
Die Veröffentlichung von Deutschlands
erstem Grusel­Groschenroman war eine
Reaktion auf die Erfolgswelle der Horror­
filme, die in den Swinging Sixties für ge­
füllte Kinosäle sorgten. Viele dieser Filme
20
waren schnell produzierte B­Movies, ba­
sierend auf einer attraktiven Mischung
aus Sex, Splatter und Schockeffekten. Mit
diesem Erfolgskonzept förderten Grusel­
großlieferanten wie Kultregisseur Roger
Corman und die legendären Hammer Stu­
dios eine stetig wachsende Horrorfange­
meinde.
Davon
wollte
auch
der
Zauberkreis­Verlag profitieren und erwei­
terte sein Angebot an Heftroman­Helden
um Spezialagent Larry Brent. Werbewirk­
sam warnte der Untertitel: Ein Roman für
starke Nerven. 1972 wurde aus der Sub­
Serie des Silber­Krimis die eigenständige
Roman­Serie des Silber­Grusel­Krimis.
Markenzeichen war die Skeletthand auf
dem Cover. Das Produkt Larry Brent hat­
te sich erfolgreich auf dem Markt eta­
bliert, doch trotz dieses Erfolges zögerten
andere Verlage Ähnliches zu publizieren.
Bis 1973 blieb Spezialagent X­Ray­3 un­
umstrittener Serienheld an der Dämonen­
front. Doch seine Konkurrenten ließen
nicht mehr lange auf sich warten. Mit
dem Vampir Horror­Roman legte der Pa­
bel­Verlag 1972 die Basis für eine der po­
pulärsten Sub­Serien des Genres: Der
Dämonenkiller von Autor Ernst Vlcek.
„John Sinclair dürfte zwar weltweit be­
kannter sein, jedoch für den deutschspra­
chigen Raum ist die Faszination der Story
um den Dämonenkiller Dorian Hunter
und der Kultstatus dieser Serie wohl
kaum zu schlagen.“(4) Unter dem Titel Im
Zeichen des Bösen löste der Dämonenkil­
ler im Juli 1973 seinen ersten Fall. Da­
mals
boomte
die
Branche
der
Gruselgroschenhefte und es drängten im­
mer mehr Geisterjäger auf den deutschen
Markt, darunter auch der Gespenster­Kri­
mi aus dem Bastei­Verlag. Mit ihm be­
gann die Erfolgsgeschichte von John
Sinclair, dem späteren Superstar unter
den Horror­Heftroman­Helden. Sinclair
debütierte mit der Folge Die Nacht des He­
xers von Autor Jason Dark (5): „Das typi­
sche Layout mit dem violetten Rahmen,
dem ‚tropfenden’ Reihentitelschriftzug so­
wie dem Werbeslogan („Zur Spannung
noch die Gänsehaut“) blieb während fast
der gesamten Erscheinungsdauer unver­
ändert.“(6) Der Gespenster­Krimi­Reihe
entstammen einige Erfolgsserien, darun­
ter Toni Ballard und Frank Connnors.
Ebenfalls 1973 brachte Larry Brent­Autor
Dan Shocker unter dem Titel Macabros
eine weitere Serie auf den Markt: Björn
Hellmark, Sohn aus gutem Hause, ist der
Held dieser Gruselgeschichten, die mit
der Folge Der Monster­Macher starteten.
Anders als der Silber­Grusel­Krimi war
Macabros ein Horror­Roman, der sich
ganz auf fantastisches Terrain wagte und
als Fantasy­Serie beworben wurde. Die
Welle der Neuerscheinungen im Grusel­
Groschenheft­Fomat setzte sich 1974 mit
dem Geister­Krimi, Monstrula (beide er­
schienen im Kelter­Verlag) sowie Professor
Zomorra (7) und Dr. Morton (8) fort. Letz­
terer war genau genommen keine Grusel­
Serie, „der Horror (trat) vielmehr durch
den Härtefaktor der Romane auf.“(9)
In kurzer Zeit war es eng geworden auf
dem Markt der Grusel­Heftromane und so
kämpften die Geisterjäger nicht nur gegen
ihre dämonischen Feinde, sondern auch
gegen die Konkurrenz, während über ih­
nen allen drohend das Schwert der Indi­
zierung
schwebte
–
allzeit
zum
zensierenden Schlag bereit. Nichtsdesto­
trotz ging es in einigen Horror­Serien,
darunter Monstrula, ungeschönt grausam
zur Sache. Hier ein Beispiel aus Zwei
Schritte zum Abgrund: „Moodys Hände
schossen vor, umkrallten Hals und Haare
der Frau. Mit unwiderstehlicher Gewalt
drängte der Mörder sein Opfer an den Kes­
sel mit dem heißen Öl heran. Mit einem
harten Ruck drückte er den Kopf der Un­
glücklichen hinein. Der Dämon in James
Moddy war stärker gewesen.“(10)
Die
zum Teil drastische Ausführung der
Mordszenen verdient den Titel „Schauer­
Schocker“, mit dem der Kelter­Verlag die
neue Gruselserie ankündigte. Die Titel­
seite zeigte den monumentalen Schriftzug
Monstrula mit einem blutigen Augapfel als
Logo. Das Layout war eines der besten im
Bereich des Horror­Heftromans und hatte
durchaus Kultpotential. Bis auf wenige
Ausnahmen, darunter eine Fotografie (Nr.
37), stammten die Titelbilder von Illustra­
tor Olof Feindt, Künstlername: Van Vindt.
Autor der Monstrula­Romane (mit Aus­
nahme von Nr. 2)(11) war der Österrei­
cher Richard Wunderer, „(e)iner der
fleißigsten, jedoch auch unbekanntesten
Autoren, da er unter den verschiedensten
Verlagspseudonymen wie Frederic Collins,
Brian Elliot oder Frank de Lorca publi­
zierte.“(12) Als Fremdautor schrieb Wun­
derer für die erste Auflage von John
Sinclair, darüber hinaus verfasste er u. a.
Arzt­, Berg­ und Erotikromane. Das
Pseudonym M. R. Richards, unter dem die
Monstrula­Romane erschienen, setzt sich
aus Wunderes Vornamen und dem seines
Kollegen M. R. Heinze zusammen. Letzte­
rer verfasste das Exposé. Für den Kelter­
Verlag schuf Wunderer neben Geisterjäger
Jack Callum auch Geister­Detektiv Rick
Masters, dessen Abenteuer als Sub­Serie
des Geister­Krimis erschienen. Obwohl
sozusagen Söhne eines Vaters, entwickel­
te sich Masters zu einem erfolgreichen
Sub­Serien­Helden während Callum über­
raschend schnell wieder in der Versen­
kung verschwand. Ein Grund dafür mag
die Figur selbst gewesen sein: Jack Cal­
lum war nicht der Typ eines charismati­
schen Van Helsing, er war auch kein
schlagkräftiger Superagent oder wagemu­
tiger Abenteuer, er war viel mehr ein Je­
dermann, den ein düsteres Schicksal zum
Außenseiter machte: Der Fluch eines
Geistes verlieh Jack die Fähigkeit überna­
türliche Phänomene wahrzunehmen. Es
war die Strafe für seine Weigerung, wäh­
rend einer Seance an das Erscheinen sei­
ner toten Freundin Dorothy zu glauben.
Zwei Jahre zuvor war Dorothy auf myste­
riöse Weise verschwunden. Niemand ahn­
te, dass sie ein Opfer von Dämonen
geworden war. Stattdessen geriet Jack in
Verdacht sie ermordet zu haben. Der ers­
te Fall der Monstrula­Reihe konfrontierte
Jack mit den grausigen Ereignissen der
Vergangenheit und der bitteren Erkennt­
nis, dass sich sein Leben durch die Se­
hergabe für immer verändert hatte.
Autor M. R. Richards beschrieb den Geis­
terseher als jungen Reporter, der für die
angesehene Zeitung NEWS arbeitet und
in einer Atelierwohnung im Londoner
Stadtteil Chelsea wohnt. Mitte der 70er
Jahre war Chelsea ein Künstlerviertel (mit
bezahlbaren Mieten). Dieses Umfeld passt
zum Helden, der selbst „wie ein Künstler
(wirkt) durch seine wirren schwarzen
Haare, den Bart, die abgewetzte Cordja­
cke und die Jeans.“(13) Braun, ist sie,
die Cordjacke, und wie der Leser des Öf­
teren erfährt Jacks Lieblingskleidungs­
stück. Sein Zuhause teilt sich der
Geisterjäger mit zwei Katzen, „die er in
Königstreue Philipp und Elisabeth ge­
nannt hatte.“(14) Dieser Hinweis fehlte in
kaum einer Folge, ebenso wie die viel zi­
tierte Eigenart Jacks, seinen Vollbart in
22
nervösem Zustand stereotyp zu kraulen.
Ein weiteres Markenzeichen Jacks ist sein
alter, verbeulter MG­Sportwagen. Das Au­
to mit der ‚undefinierbaren’ Farbe – von
seinem Besitzer liebevoll ‚Goldstück’ ge­
nannt – ist ein echter Hingucker: „eine
Kombination aus Rost, Beulen, fehlendem
Lack und hochgezüchtetem Motor.“(15)
Typisch für einen 70er­Jahre­Helden
raucht Jack bei jeder sich bietenden Gele­
genheit (auch in Kneipen und öffentlichen
Gebäuden) bevorzugt schwarze, französi­
sche Zigaretten. Sein Allheilmittel gegen
Stress, Schmerzen oder den Blues ist
hochprozentiger Alkohol, meist in Form
von Whisky. Den genehmigt sich Jack
auch beim Entspannen; dazu hört er
Schallplatten seiner Lieblingssängerin
Barbara Streisand. Solche und ähnliche
Momenten haben inzwischen nostalgi­
schen Charme, grundsätzlich aber wür­
den die meisten Monstrula­Abenteuer
auch heute noch funktionieren (so fern es
in bestimmten Momenten Stromausfall
oder ein Funkloch gibt!).
Jack Callum als tragischer Held elegi­
scher Geschichten – dieses Konzept war
ohnehin seiner Zeit voraus. Es setzte sich
in der Medienlandschaft erst etwa eine
Dekade später durch, im Rahmen der
Rückbesinnung auf das Genre des Film
Noir. In den 70er Jahren aber galt neben
Coolness, Unschlagbarkeit als wesentli­
ches Merkmal eines Helden – an dieser
Maxime orientierten sich auch die Auto­
ren der Horror­Heftromane. Der Sieg des
Guten über das Böse war somit in den
meisten Gruselgeschichten Programm,
mit Ausnahme von Dämonenkiller. Die
Geisterjäger dieser Serie waren „im Ge­
gensatz zu den sonstigen Helden anderer
Serien gewiss keine Übermenschen und
müssen oft Niederlagen einstecken.“(16)
Dies gilt auch für Jack Callum. Der
Monstrula­Held verbuchte im Verlauf sei­
nes kurzen Serien­Lebens etliche Fehl­
schläge: „In den gelungensten Heften ist
er am Ende umgeben von zerstörten Exis­
tenzen und ermordeten Opfern; trotz sei­
ner unermüdlichen Anstrengungen steht
er vor Trümmern und das Böse hat sich
ausgetobt.“(17) Angesichts der hohen
Pannenstatistik überrascht es nicht, dass
Jack oftmals mit pessimistischer Grund­
stimmung in den Kampf zieht: „Wenn ihr
alle wüsstet, dachte Jack Callum bitter,
wie gering die Kräfte eines einzelnen Men­
schen wiegen im Kampf gegen das Schat­
tenreich. Ich muss es ja immer wieder
erleben.“(18) Der Autor hatte es seinem
Helden wahrlich nicht leicht gemacht; er
stellte ihm keine Spezial­Abteilung zur
Seite wie Larry Brent oder einen Polizei­
apparat wie John Sinclair. Jack wurde
quasi über Nacht zum ‚Geisterjäger’ und
23
blieb als solcher etliche Folgen lang sich
selbst überlassen. Seine einzige Waffe im
Kampf gegen Geister und Dämonen war
ein Ring aus Platin mit einem fünfeckigen
Lavastein und einem eingravierten magi­
schen Zeichen. Stein und Symbol waren
unter einem Deckel verborgen, so sahen
Uneingeweihte in dem Ring lediglich „ein
dezentes, wenn auch ungewöhnliches
Schmuckstück.“(19) Verglichen mit ande­
ren Geisterjägern wie z.B. Macabros­Held
Björn Hellmark, die über ein ganzes Arse­
nal magischer und fantastischer Requisi­
ten verfügten, war Jacks ‚Ausstattung’
maximal notdürftig: Der Ring war mehr
Talisman als Waffe, er konnte das Über­
natürliche zwar bannen, aber nicht ver­
nichten.
Manchmal
versagte
das
Hilfsmittel gleich ganz, dann zum Bei­
spiel, wenn ein traumatisiertes Opfer sich
an Jacks Hand klammerte und so den
Deckel des Rings blockierte (Die Grotte
des Entsetzens). Schließlich blieb Jack
nicht einmal dieses wankelmütige Hilfs­
mittel vergönnt. In Monstrula­Folge Nr.
19 büßte er seinen Talisman überra­
schend früh bei Lady Ashers Todesfest
ein. Der Autor stand ihm keinen adäqua­
ten Ersatz zu, lediglich einen Kampfge­
fährten, Harry Parker, seines Zeichens
NEWS­Reporter und „immer tadellos ge­
kleidet mit Anzug und Krawatte“(20).
Zwar war Parker Laie in Sachen Dämono­
logie, „doch er leistete eine große Hilfe in
diesem unerbittlichen Ringen mit den Ge­
walten des Bösen.“(21) Gleich bei ihrem
nächsten Einsatz, gegen den Götzen des
ewigen Schreckens, machten Jack und
Harry Bekanntschaft mit Sin Tao. Sie ist
die Tochter eines Reporters, der dem
blutrünstigen Götzen­Kult zum Opfer ge­
fallen war. Das prädestinierte die „rassi­
ge“ Chinesin nach Ansicht des Autors für
den fortdauernden Einsatz an der Geis­
terfront. Ab Folge 25 wurde Sin Tao Mit­
glied
in
Jacks
Geisterjäger­Team.
Daneben gab es noch sporadische Helfer,
die in der Serie unregelmäßige Auftritte
hatten: In einigen Folgen, darunter Im
Taumel des Irrsinns, war es Inspektor
Hobson von Scottland Yard, der Jack un­
terstützte. Mehrfach half auch Whitey
Dyson, Reporter im Ruhestand. Whitey,
der über eine umfassende Bibliothek zu
den Themen Spiritismus und Okkultis­
mus verfügt, machte mit Jack u. a. Jagd
auf den Todesfalter. Gegen Ende der Serie
schloss sich dann noch Chefredakteur
John Miles dem Team an. Die Figur wur­
de bereits in der ersten Folge eingeführt,
blieb aber auf bescheidene Auftritte be­
schränkt. Im Wesentlichen erfuhr der Le­
24
ser über Miles bislang nur, dass er pau­
senlos Pfeife raucht und Jack bei seinen
außerdienstlichen Recherchen viel zeitli­
chen Spielraum lässt (der Wunschtraum
eines jeden Journalisten und Heftroman­
Autoren). In Folge 34, bei der Konfronta­
tion mit dem unheimlichen Pagen, ent­
deckte Miles schließlich das düstere
Geheimnis
seines
Mitarbeiters.
Neben dem Hauptschauplatz London, wo
die meisten Monstrula­Fälle angesiedelt
waren, ermittelte Jack in u. a. Irland,
Frankreich, Indien und Afrika. Seine Geg­
ner waren vorrangig Geister und Dämo­
nen, die ihre zerstörerische Macht auf
Personen und/oder Dinge übertrugen.
Andere Gruselgestalten, beispielsweise die
Vampire in der Folge Die Grotte des Ent­
setzens, tauchten selten auf. Diese einge­
schränkte Auswahl an Gegenspielern tat
der Spannung allerdings keinen Abbruch.
Die Geschichten entwickelten sich oft wie
Krimis mit fesselnder Spurensuche.
Grundsätzlich erwies sich M.R. Richards
als ein Meister der Horroratmosphäre, an­
gereicht mit haarsträubenden Schock­Se­
quenzen: „Im Mittelgang des riesigen
Archivraums lag genau unter einer grellen
Neonröhre John Wolfes Leiche. Es war
nicht mehr festzustellen, wie der Mann ge­
storben war, weil der Mörder die Leiche in
einzelne Teile zerstückelt hatte. Sie waren
wieder so auf den Fliesen angeordnet wor­
den, dass sie die Form eines auf dem
Rücken liegenden Mannes bildeten. Aller­
dings hatte der Mörder zwischen den ein­
zelnen Gliedmaßen an den Schnittstellen
einen Zwischenraum gelassen. Der Boden
war mit einem Blutfilm bedeckt, so dass es
aussah, als läge die Leiche in einem See
von dunkelroter Farbe. Die gebrochenen
Augen in dem vom Rumpf getrennten Kopf
starrten dem Inspektor anklagend entge­
gen.“(22) Derart blutrünstig wie in Mons­
trula
ging
es
im
deutschen
Grusel­Heftroman extrem selten zu, aus­
genommen der Dämonenkiller und Dr.
Morton. Die Serie Dr. Morton wartete „mit
sadistischen Anti­Helden auf, die alle bis­
her
gängigen
Heftromankonventionen
über Bord warfen.“(23) Folge war eine
Dauerindizierung für den Zeitraum eines
Jahres (von März 1975 bis März 1976),
die vorerst zur Einstellung der Serie führ­
te (24). Ähnlich sah auch das ‚Ende’ des
Dämonenkillers aus ­ auch diese Serie
verschwand
wegen
Dauerindizierung
durch die Bundesprüfstelle für jugendge­
fährdende Schriften (kurz BPjS) 1977
(vorübergehend) vom Markt. Es erwies
sich in dem Zusammenhang als weise,
dass Sinclair­Autor Rellegerd nicht dem
Wunsch einiger seiner Leser nach mehr
Gemetzel Folge leistete und es stattdessen
bei unblutigem Horror beließ. Seiner An­
sicht, dass „gute Unterhaltung oder span­
25
nende Gruselromane weder übermäßige
Brutalität noch literweise Blut oder detail­
lierte
Tötungsbeschreibungen
benöti­
gen“(25), gibt die anhaltende Popularität
der Sinclair­Romane Recht. Ob Jack Cal­
lum an der Zensur scheiterte, ist aller­
dings fraglich. Das endgültige Aus für
Monstrula nach überraschend kurzer
Laufzeit der Serie war lediglich Gerüchten
zufolge die Reaktion des Verlages auf eine
drohende Indizierung. Autor Richard
Wunderer hat diese Darstellung stets be­
stritten. Er nannte als Grund den man­
gelnden wirtschaftlichen Erfolg (26). Die
Angst vor einer Indizierung führte aber
wohl dazu, dass die Monstrula­Folgen im
letzten Drittel der Serie gezähmter wirken
und deutlich weniger blutrünstige Details
enthalten. Dafür steigerte sich Jacks Er­
folgsquote im Kampf gegen das Schatten­
reich.
Offenbar versuchte der Kelter­Verlag
Monstrula mehr nach dem Publikumsge­
schmack auszurichten. Maßstäbe hierfür
setzte der zeitgenössische Horror­Film:
die dortige Gruselwelt war primär real­
fantastisch, kultverdächtig trashig und
bizarr wie in Amando de Ossorios Film­
Reihe der Reitenden Leichen. Mitte der
70er Jahre boomte auch das Science­Fic­
tion­Horror­Genre, technisierte, futuristi­
sche Welten faszinierten vor allem die
junge Generation. Seit der Ausstrahlung
der Fernsehserie Raumschiff Enterprise im
deutschen Fernsehen hatten junge Leute
hierzulande eine feste Vorstellung von
dem, was moderne Helden ausmacht:
High­Tech­Waffen,
wissenschaftliches
Know­How, Superfähigkeiten und saloppe
Sprüche. Auf solche Trends baute auch
die Erfolgsformel des Horror­Heftroman­
Genres. Was den Lesern gefiel, sieht man
an verkaufsstarken Serien wie u. a. Larry
Brent und John Sinclair. Grundsätzlich
schienen Geister­Jäger Teams populärer
zu sein als Einzelkämpfer, also erhielt
Jack Verbündete – was hingegen nicht so
recht funktionierte bzw. nicht funktionie­
ren konnte. Die Figur des Jack Callum
war als die des einsamen Jägers konzi­
piert. Mit Harry Parker als Freund an sei­
ner Seite überzeugte Jack gerade noch als
Duo, doch mit der Einführung weiterer
Hauptfiguren verlor Jack den Charme des
tragischen Helden. Er wurde zu einem
von vielen erfolgreichen Geisterjäger, er­
folgreich im Kampf gegen Dämonen ­ nur
nicht im Kampf um die Gunst des Publi­
kums. Das anfangs innovative Monstrula­
Konzept erwies sich als ungünstig für eine
langfristig geplante Serie. Im Mittelpunkt
stand ein Held, der keiner sein wollte.
Daran änderte auch sein athletisches
Aussehen und die vielen amourösen
Abenteuer nichts. Jack war kein Action­
held, kein James Bond. Seine Fälle be­
schrieben
Einzelschicksale
und
26
beschränkten sich auf die Länge einer
Folge. Deren gängiges Muster: Ein sympa­
thischer Ermittler, quasi ohne Privatle­
ben,
löst
bizarre
Mordfälle
in
unterschiedlichen Milieus. Konzepte die­
ser Art waren die Basis erfolgreicher deut­
scher TV­Krimiserien wie Tatort, kamen
jedoch bei der Leserschaft der Horror­Hef­
tromane nicht so gut an. Sie verlangten
nach mehr Fantasy und Figuren im Stil
des Superhelden­Comic. In Monstrula gab
es keine Superschurken wie Dr. Tod, kei­
ne Mordliga, wenig Humor, keine Konti­
nuität in Form von Fehden, keine
fantastischen Charaktere. Während bei­
spielsweise Dämonenkiller Dorian Hunter
so illustere Gestalten wie Hexe Coco Za­
mis und den Hermaphroditen Philip um
sich scharte, war Jacks Team noch prosa­
ischer als er selbst. Keiner außer ihm be­
saß übernatürliche Fähigkeiten, daher
blieb er in direkten Auseinandersetzun­
gen mit dem Schattenreich weiterhin al­
lein. Es gab überdies wenig Action in
Monstrula ­ die Darstellung Jacks als
groß, breitschultrig und durchtrainiert
diente allein dem Sexappeal des Helden,
denn zu aktiven Kampfszenen kam es
kaum. Wenn Jack an seine physischen
Grenzen stieß, dann in Trance, wenn er
sich mental den Mächten der Schatten­
welt stellte. Diese Momente wurden span­
nend und phantasievoll beschrieben, nur
bot sich keine Möglichkeit der Steigerung
bzw. Entwicklung, was für eine Serie
sinnvoll gewesen wäre. Ab einem gewissen
Moment kreiste Monstrula um sich selbst
und die Macher waren gezwungen einzu­
greifen. Im Rahmen dieser Frischzellen­
kur änderte sich der Untertitel: Statt Jack
Callum im Kampf gegen Geister und Dämo­
nen hieß es ab Folge 25 schlicht Geister,
Gespenster, Dämonen. Eine Folge zuvor
wurde bereits das Layout der ersten Seite
geändert. Bislang tauchte dort immer die­
selbe Zeichnung auf: ein Mann, der mit
einem Beil bewaffnet gegen einen Geist
kämpft. Neben der Abbildung stand ein
Zitat der ersten Folge: der Fluch, der Jack
zum Geisterseher machte. Ab Folge 24
war dann auf der ersten Seite ein Aus­
schnitt des Titelbildes zu sehen sowie ein
kurzer Hinweis auf die kommende Hand­
lung. Durch diese Veränderungen wurde
Jack als zentrale Figur aus dem Fokus
genommen und der Mystery­Krimicha­
rakter der Geschichten betont. Solchen
marktstrategischen Reformen und der
überdurchschnittlichen Qualität vieler
Monstrula­Folgen zum Trotz ging die Se­
rie fast spurlos an den Fans der Grusel­
Groschenhefte vorbei. Hierzu Jochen
Bärtle: „Erstaunlich ist es, dass viele Hef­
troman­Leser die Serie nicht einmal ken­
nen […]. Daher sei an dieser Stelle einmal
eine Lanze gebrochen: Die Serie ist eine
der besseren Serien des Kelter­Verlages
und flüssig zu lesen. Die Figur des Jack
Callum ist sehr menschlich dargestellt
und in keiner Weise einer der typischen
Über­Geisterjäger.“(27)
Monstrula war nicht die einzige Serie, die
schwächelte. Auch der Geister­Western
(Bastei­Verlag) und der Grusel­Western
(Wolfgang­Marken­Verlag) fanden keinen
großen Anklang beim Publikum. Beide
hielten sich nur ein Jahr auf dem Markt
(1975­76). Ein kurzes Intermezzo gab
ebenso Erber’s Grusel­Krimi­Doppelband.
Die unpopuläre Spreu trennte sich all­
mählich vom erfolgreichen Weizen. Und
so hieß es auch für Jack Callum ­ Lebe
wohl: 1976 wurde die Monstrula­Serie
nach 46 Folgen eingestellt. Jacks Kampf
endete in Der Gruft der bleichen Gebeine
ohne große Abschiedszene. Auf der letzten
Seite erfuhr der Leser lediglich, „dass sich
Jack Callum in diesem Roman auf dem
Höhepunkt seiner seherischen Fähigkeiten
befindet und die Reihe daher hier abgebro­
chen werden soll, da keine neuen Erleb­
nisse und Ereignisse geboten werden
können.“(28) Die Umstrukturierung des
Konzepts vom Einzelhelden zum Spezia­
listenteam hatte wohl nicht den ge­
wünschten
kommerziellen
Erfolg
gebracht. Zum Ende hin ließ die Qualität
der Geschichten auch spürbar nach; in­
sofern gönnte der bislang treue Leser
Jack das abrupte Ende in Würde statt ei­
nes Siechtums in Schimpf und Schund.
27
Das hätte der Monstrula­Held nicht ver­
dient, schließlich hatte er als Geisterjäger
stets sein Bestes gegeben. Vielleicht war
Jack nur zur falschen Zeit am falschen
Ort. Anfang der 80er Jahre plante Kelter
ein Wiederaufleben von Monstrula – ein
Plan, der nie zur Umsetzung kam und so­
mit die Frage offen lässt, ob der tragische
Held in dieser Ära eher einen Treffer ge­
landet hätte.
„Jack Callum hatte den Kampf gegen die
Geister und Dämonen gewonnen. Ein lei­
ses schmerzliches Stöhnen entrann seinem
Mund, als er die Verbindung zu den Geis­
tern löschte. Nein, er wollte nicht mehr den
ungleichen Rachekampf miterleben. Sollte
er sich dort abspielen, wo kein Mensch –
auch er nicht – eindringen konnte; in der
unendlichen
Weite
des
Schattenrei­
ches.“(29)
1) u.a. in Monstrula Nr. 1 – Der Fluch des
Geistes, S. 3
2) Vorankündigung in u.a. Monstrula Nr. 4
– Die Todeskugel des Magiers, S. 65
3) Pseudonym von Autor Jürgen Grasmück
4)Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte,
Groschenhefte, Books on Demand GmbH,
Norderstedt, S. 127
5)Pseudonym von Autor Helmut Rellegerd
6) Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte,
Groschenhefte, Books on Demand GmbH,
Norderstedt, S. 151
7) Bastei­Verlag
8) Anne Erber­Verlag
9)Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte,
Groschenhefte, Books on Demand GmbH,
Norderstedt, S. 59
10) Monstrula Nr. 13 – Zwei Schritte zum
Abgrund
11) Autor: Friedrich Tenkrat
12) www.zauberspiegel­
online.de/.../22300­monstrula­kelters­
schauer­shocker­eine­kritische­bilanz
13) Monstrula Nr. 2 – Grotte des
Entsetzens, S. 4
14) Monstrula Nr. 1 – Der Fluch des
Geistes, S. 6
15) Monstrula Nr. 4 – Die Todeskugel des
Magiers, S. 4
16) Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte,
Groschenhefte, Books on Demand GmbH,
Norderstedt, S. 137
17)www.zauberspiegel­
online.de/.../22300­monstrula­kelters­
schauer­shocker­eine­kritische­bilanz
18)Monstrula Nr. 30 ­ Terror der Dämonen,
S. 56
19)Monstrula Nr. 1 – Der Fluch des
Geistes, S. 48
20)Monstrula Nr. 20 – Götze des ewigen
Schreckens, S. 9
21)Monstrula Nr. 25 – Die Geisterfalle, S. 8
22)Monstrula Nr. 16 ­ Der Hexer mit den
roten Augen, S. 5
23)Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte,
Groschenhefte, Books on Demand GmbH,
Norderstedt, S. 264
24)Ebd. S. 264
25)Ebd S. 167
26)Ebd. S. 237­238
27)Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte,
Groschenhefte, Books on Demand GmbH,
Norderstedt, S. 274
28)Ebd. S. 273
29)Monstrula Nr. 3 – Das Schloss der
tausend Augen, S. 64
28
Herr Feindt, in den 70er Jahren, haben Sie
als Illustrator für u. a. den Kelter­Verlag
(Monstrula, Gemini Science Fiction, Perry
Rhodan) und die Europa ­ Hörspiele (z. B.
von Karl May) die Fantasy­ und Science­
Fiction­Bildwelt in Deutschland maßgeb­
lich mit geprägt. Das machte Sie zu einem
Vorbild für die nächste Generation der Il­
lustratoren. Welche künstlerischen Vorbil­
der hatten Sie?
Es gibt keine speziellen Künstler, die
mich bevorzugt inspiriert haben. Von vie­
len Künstlern gibt es gute und schlechte­
re Arbeiten/Illustrationen. Was mir gefiel
hat mich zu eigenen Bildern inspiriert.
Als zunächst Angestellter Grafiker im Kel­
ter­Verlag übernahm ich die grafische Ab­
teilung und war zuständig für die
Grundgestaltung verschiedener Romane,
Heftromane, Taschenbücher und einiger
Rätselhefte, die auch Kurzgeschichten
enthielten. Zunächst wurden Bilder aus
verschiedenen Ländern angekauft und als
Titelbilder verwendet. Nur kurze Zeit spä­
ter legte ich dem Verlag erste von mir er­
stellte Muster­Illustrationen für eine neue
Heftroman­Serie vor und traf auf ein
großes Interesse der Geschäftsführung.
Im Rahmen ihrer Ausbildung zum Illustra­
tor waren Sie Ende der 60er Jahre auch in
New York. Würden Sie sagen, die Kunst­
szene dort hat Ihr Werk stilistisch beein­
flusst? Wenn ja, wie?
Nur teilweise. Meine Reise dorthin war in
erster Linie gedacht um die Techniken der
Airbrusch­Illustration zu erlernen. Der
Kontakt wurde durch einen Freund ge­
knüpft, der mich dort mit einem Spezia­
listen
zusammenführte.
Ein
echter
Kontakt zur Kunstszene war in dem kurz­
en Zeitraum meines Aufenthalts leider
nicht möglich. Hauptsächlich wollte ich
meine Airbrush­Technik erweitern.
Wie kamen Sie auf das Pseudonym Van
Vindt?
Vorbedingung der damaligen Geschäfts­
leitung des Kelter­Verlags war, dass ich in
meiner Freizeit und als Selbständiger un­
ter einem Pseudonym arbeiten sollte, da­
mit
Leser
keinen
Zusammenhang
zwischen angestelltem Grafiker und dem
Illustrator der Titelbilder hergestellt wer­
den konnte. Als Pseudonym wählte ich
einen uralten Namen der Familie „Van­
Vindt“.
29
Die Titelbilder der Horror­Heftroman­Serie
Monstrula stammen hauptsächlich von Ih­
nen. Welche Eindrücke bzw. Erinnerungen
verbinden Sie mit den Geschichten um
Geisterjäger Jack Callum?
Die Geschichten haben mich nur am Ran­
de interessiert. Ich war nie ein Freund
von Horrorstories. Meist waren es nur
kurze Szenen in damaligen Vampir­Fil­
men die mich ­ nur wegen der Optik ­ in­
teressierten.
Mancher
Schauer
war
hierbei unvermeidlich, jedoch interessant.
Anfang der 70er waren beim Kelter­Verlag
allerdings auch viele Fotos verwendet
worden und als dann die Romanserien
„Geister­Krimi“ und „Monstrula“ entstan­
den, waren zunächst nur dafür Illustra­
tionen von mir gewünscht. Auch für
„Liebesromane“ wurden einige Titelbilder
angefertigt.
Stammt auch der Monstrula­Schriftzug von
Ihnen?
Ja, den habe ich im Rahmen meiner Tä­
tigkeit als Grafiker des Kelter­Verlags ge­
staltet.
Die Monstrula­Folgen erschienen im 14­Ta­
ge Rhythmus. Da blieb wahrscheinlich
nicht immer Zeit, um die Romane zu lesen.
Wie eng war die Zusammenarbeit zwi­
schen Ihnen und Autor Richard Wunderer?
Kam es z.B. zu einem gegenseitigen Aus­
tausch von Ideen?
Leider nicht. Es gab nur kurze Gespräche
mit dem Redaktionsleiter der Romanab­
teilung über die groben Inhalte. Dann war
Phantasie gefragt um etwas gestalten zu
können... Einen Kontakt mit den Autoren
gab es leider nicht, obwohl ich mir das ge­
wünscht
hatte.
Mussten Sie als Illustrator bestimmte ver­
lagsbedingte Kriterien berücksichtigen,
z.B. im Hinblick auf den Jugendschutz?
Hierfür gab es keinerlei Anordnung der
Redaktion. Es war – so meine ich zu erin­
nern – nur ein einzigesmal problematisch,
da ich eine Nadeln in einem Auge platziert
hatte. Das war die Illustration zu dem Ro­
man „Der Puppenmörder im Blutrausch“
(Monstrula Nr.10)
Bei Monstrula Nr. 37 (Teuflische Drohung)
kam es zu einem radikalen Bruch mit der
Titelbildtradition: Das Cover zeigt ein Foto!
Wissen Sie, wie es zu diesem Stilbruch
kam?
Inzwischen hatte ich mich selbständig ge­
macht und den Kelter­Verlag verlassen.
Nach meinen Informationen sollte die Se­
rie mit Bildern anderer Illustratoren be­
stückt werden. Als Übergang wurde dann
wohl ein Foto genommen.
Die Suche nach Vorlagen für bestimmte
Motive ist im Zeitalter des Internets ein
Kinderspiel. In den 70er dürfte dies erheb­
lich schwieriger gewesen sein. Was waren
in dem Zusammenhang ihre Quellen?
Als damals fleißiger Leser diverser Comics
wie Mandra, Phantom, Tarzan, Illustrierte
Klassiker usw. wurde meine Phantasie
angeregt. Da die Romane der Monstrula­
Reihe allerdings nicht mit Comic­Zeich­
nungen bestückt werden durften habe ich
meinen eigenen Stil entwickelt. Komplett
auf eine bestimmte Stilrichtung wollte ich
mich allerdings nicht festlegen lassen, wie
kurze Zeit später bei vielen LP­Covern
und diversen Romanillustrationen zu se­
hen ist. Auf meiner Homepage sind Bei­
spiele zu sehen: www.olof­feindt.de
Dank der Grafik­Programme haben es Il­
lustratoren heute leichter Fantasy­Bildwel­
ten zu erstellen. Fehlt Ihnen als Künstler
bei aktuellen Aufträgen manchmal die
handwerkliche Herausforderung?
Das kann ich so für mich nicht bestäti­
gen, da ich nach wie vor Illustrationen
ausnahmslos mit Pinsel und/oder Air­
brush male. Klar, es ist heute deutlich
einfacher geworden, Dinge die per Com­
puter erstellt wurden, zu verändern, zu
korrigieren, bis es „passt“. Malen und
Zeichnen erfordert weit mehr Planung
und handwerkliche Arbeit. Wichtig für
mich ist aber: Es liegt am Ende ein kom­
plettes Original vor. Eine Zeichnung zu
korrigieren, zu verändern bedeutet meist
viel Arbeit um Teile neu zu schaffen.
30
Da damals von mir nur die Druckrechte
der Illustrationen verkauft wurden befin­
den sich ­ auch heute noch ­ fast alle von
mir erstellten Originale der Monstrula­
Reihe in meinem Besitz.
Monstrula wurde nach nur 46 Folgen ein­
gestellt. Wissen Sie warum?
Darüber habe ich leider keinerlei Informa­
tionen durch den Verlag erhalten.
31
Max Pechmann
Spaß am Grauen
Der US­Horrorfilm in den 80er Jahren
In den 80er Jahren wandelte sich der US­Horrorfilm radikal. Die vom
Schrecken des Vietnamkrieges und sozialen Bewegungen beeinfluss­
ten Filme der 70er Jahre standen nun nicht mehr auf der Seite der
Protestbewegungen, sondern machten sich über das Leben der einsti­
gen Hippies als neue Spießbürger während der Reagen­Ära lustig.
Jedes Genre unterliegt einem Wandel. So auch
der US­amerikanische Horrorfilm, der sich En­
de der 70er Jahre von seinem Protestimage lös­
te und stattdessen mit einer bonbonfarbenen
Heiterkeitswelle aufwartete. Das Horrorgenre
legte in den 80er Jahren seine Ernsthaftigkeit
ab und offenbarte sich als eine Form der Sati­
re, die mit böser Ironie und schwarzem Hu­
mor u. a. die Gesellschaft der Post­70er durch
den Kakao zog. Regisseure und Drehbuchau­
toren stellten sich die Frage, was eigentlich aus
den Hippies des vergangenen Jahrzehnts ge­
worden war. Hatten sie es geschafft, eine neue
Gesellschaft zu kreieren? Und was war mit ih­
ren Kindern? Die Antwort schien schnell ge­
funden. Sie lautete, dass diejenigen, welche in
den 70ern nach alternativen Lebensformen ge­
sucht und die konservative Gesellschaft ver­
dammt hatten, nun selbst zu konservativen
Bürgern geworden waren, welche es sich in
den gepflegt wirkenden Vorstädten gut gehen
ließen. Sie arbeiteten als Ärzte oder Anwälte
oder Immobilienmakler. Ihre Freizeit ver­
brachten sie mit Fernsehschauen, Essen oder
Shoppen. Ihre Kinder gerieten nicht in die
Verlegenheit, ein neues Weltbild kreieren zu
müssen. Sie verbrachten daher ihre schulfreie
Zeit in Ferienlager, auf Partys oder wie ihre El­
tern vor dem Fernseher.
Das Horrorgenre hatte somit seine neuen Op­
fer gefunden. Es setzte sich in den Vororten
und Feriencamps fest und machte sich einen
Spaß daraus, bizarre Serienmörder auf Teenies
loszulassen. Das Subgenre des Slasherfilms
wurde dadurch ins Leben gerufen. Doch auch
Filme wie „Poltergeist“ oder „Ghostbusters“
begeisterten damals die Massen. Nicht wenige
Horrorfilme kamen im Gewand einer Komö­
die daher, eine Neuerung, die es in dieser
Menge an Produktionen zuvor noch nicht ge­
geben hatte. Während Horror in den 70er Jah­
ren verstörte, machte Horror in den 80er
Jahren hauptsächlich wieder Spaß.
Ärger in der Vorstadt
Einer der wohl bekanntesten „Vorstadtfilme“
ist „Poltergeist“ (1982). Steven Spielberg und
Tobe Hooper machen sich darin lustig über alt
gewordene Hippies, die in einem hübschen
Haus wohnen und das Leben genießen. Beina­
he der gesamte Alltag ist vom Fernsehen be­
stimmt. Im Wohnzimmer, im Schlafzimmer
und sogar in der Küche stehen TV­Apparate,
die ständig am laufen sind. Was die Freelings
als ehemalige Hippies entlarvt, ist zum einen
natürlich ihr Name, der für das sich in pure
Luft aufgelöste Programm der Protestbewe­
gungen der 70er Jahre steht. Zum anderen
drehen Mann und Frau am Abend heimlich
ihre Joints. Steve Freeling beschäftigt sich
nicht mehr mit politischen Alternativen und
Freiheitsliebe, sondern interessiert sich für die
Politik des Republikaners Ronald Reagan. Die
vergangene Protestbewegung, die u. a. auch
mehr Toleranz gefordert hatte, erweist sich in
der Figur von Steve Freeling als rücksichtslos
und verschlagen. Der Ort Cuesta Verde, in
dem das Haus der Freelings steht, wurde auf
einem alten Friedhof errichtet. Obwohl die
Immobilienfirma, für die Steve arbeitet, ver­
sprochen hat, die Gräber umzubetten, wurde
dies nie vollzogen. Ein anderer Aspekt betrifft
den der Spiritualität, der sich in „Poltergeist“
im Hinblick auf die ehemaligen Protestler als
reine Farce entpuppt. Schlossen die Hippies in
ihre Handlungen eine spirituelle Weltsicht mit
ein, so erweisen sich Mr. und Mrs. Freeling als
extrem überfordert, wenn es um Fragen zu re­
ligiösen Vorstellungen wie etwa dem Jenseits
geht. Dass beide ein rein diesseitiges und ma­
terialistisches Weltbild pflegen, beweisen nicht
nur die vielen Fernseher, sondern zugleich das
Kinderzimmer, das eine Ansammlung unter­
schiedlichster Filmfiguren ist. Statt zu klassi­
schem Spielzeug, greifen beide zur Erziehung
ihrer Kinder lieber auf Merchandizing­Pro­
dukte zurück, Dinge also, die sie selbst durch
das Fernsehen wahrnehmen. All diese Ein­
zelaspekte erhalten durch den berühmten An­
fang des Filmes ein Bild der Einheit.
„Poltergeist“ beginnt mit der Großaufnahme
eines
flimmernden
Fernsehbildschirms.
Gleichzeitig dröhnt die amerikanische Natio­
nalhymne in voller Lautstärke. Spielberg und
Hooper verweisen hier auf die gesamte ameri­
kanische Gesellschaft, die anscheinend am
Anfang der 80er Jahre zur Ruhe gekommen
ist. Eine ganze Generation aber hat dadurch
ihre eigenen Ziele und Vorstellungen für eine
33
bessere Welt beiseite gestellt.
In den Mikrokosmos der Vorstadt bringt uns
ebenfalls Sean S. Cunninghams Komödie
„House“ (1986). Hier geht es um neugierige
Nachbarn, Scheinheiligkeit und die Verarbei­
tung des Vietnamtraumas. Der Horrorschrift­
steller Roger Cobb zieht in das Haus seiner
verstorbenen Tante, nur um nach kurzer Zeit
festzustellen, dass es darin spukt. Es kommt
noch schlimmer, als ein Kamerad, den er wäh­
rend eines Gefechts in Vietnam im Stich gelas­
sen hat, plötzlich als Zombie vor der Tür steht,
um es Cobb heimzuzahlen. Das Verhalten der
Nachbarn, die ohne anzuklopfen unerwartet
durchs Haus schleichen oder sich anbiedern,
sowie die offenen und versteckten Meinungen
über Cobbs Tante veranschaulichen ähnlich
wie in „Poltergeist“ das Spießbürgertum, das
sich in den Vorstädten entwickelt hat. Cun­
ningham zeigt dies allerdings nicht aus der
Perspektive früherer Hippies, sondern aus
derjenigen von Menschen, welche den Viet­
namkrieg am eigenen Leib erfahren mussten.
Der Figur Roger Cobb kommt somit eine Op­
ferrolle zu. Er sucht verzweifelt einen Platz in
der Gesellschaft. Seine Familie ist kaputt, so­
dass er auf sich allein gestellt ist. Seine Viet­
namerlebnisse versucht er, in Horrorromanen
zu verarbeiten. Es zeigt sich, dass Cobb durch
die Teilnahme an dem Krieg stigmatisiert ist.
Dies gibt ihm von Anfang an die Charakteris­
tik eines sozialen Außenseiters. Während die
Kritiker des Krieges sich nun als Neureiche
etablieren, müssen sich die Opfer des Krieges
ihren Platz in der Gesellschaft noch erkämp­
fen. Somit entwirft „House“, ähnlich wie „Pol­
tergeist“, ein demaskierendes Bild der
Post­70er Jahre.
Ein weiteres Beispiel für die satirische Aus­
richtung des Horrorgenres in den 80er Jahren
liefert der Film „Stepfather“ (1987), der auch
unter dem Alternativtitel „Kill Daddy Kill“
bekannt ist. Der Film handelt von einem Psy­
chopathen namens Jerry Blake, der auf der Su­
che nach der perfekten Familie ist. Dabei trifft
er auf Susan Maine, die zusammen mit ihrer
Tochter Stephanie in einem Vorort wohnt. Be­
reits nach kurzer Zeit heiraten Jerry und Su­
san. Ihr neuer Ehemann gilt geradezu als
vorbildlich. Stephanie kann ihn von Anfang
an nicht leiden, was Jerry natürlich zuneh­
mend in Rage bringt, da dies seinem anvisier­
ten Familienglück ziemlich im Weg steht. Dies
hat zur Folge, dass er Mutter und Tochter um­
bringen will, um sich woanders ein neues Fa­
milienglück zu suchen. „The Stepfather“
macht sich lustig über das suburbane Leben
der amerikanischen Mittelschicht, indem er
ausgerechnet einen völlig gestörten Serien­
mörder als jemanden auftreten lässt, der nach
dem perfekten Familienglück strebt. Alles,
was nicht in sein Schema einer vorbildlichen
34
Familie passt, treibt ihn sofort in den Wahn­
sinn. Mit Stephanie, einer pubertierenden Ju­
gendlichen, stößt er hierbei an seine Grenzen.
Denn diese ist ständig am Nörgeln und möch­
te nichts lieber, als dass Jerry endlich wieder
verschwindet. Hinter der glücklichen Fassade
offenbart sich dadurch ein Drama, das aus Er­
folgszwang auf beruflicher wie familiärer Ebe­
ne besteht. Diese durch Werbung und andere
visuelle Medien vermittelte Pflicht zum Glück
scheitert an der Realität, was Blake und seine
Leidgenossen recht schnell erfahren.
Eine der bösartigsten Vorstadt­Satiren liefert
letztendlich das surreale Werk „Society“
(1989). Hierbei geht es um den Jugendlichen
Bill Whitney, der eigentlich in einer vorbildli­
chen Familie lebt und alles hat, was er
braucht. Doch, um erwachsen zu werden,
müssen er und seine Schwester an einer Art
Initiationsritus teilnehmen. Erst dann sind sie
vollwertige Mitglieder der Gesellschaft (Socie­
ty). Brian Yuzna demaskiert mit diesem Film
das Spießertum der Vorstadt. Nicht nur das
Filmplakat weist auf Masken hin, hinter denen
sich die wahren Gesichter verbergen. Auf die
Frage, welches Mittel für ein erfolgreiches Le­
ben in der Gesellschaft notwendig ist, liefert
Yuzna die bitterböse Antwort: Schleimen. Die­
ser „Strategie“ für den sicheren Erfolg wird
durch ein absurd­groteskes Finale gehuldigt,
indem Bill sich einer Orgie gallertartiger We­
sen gegenübersieht, welche sich – nun ­ gegen­
seitig anschleimen.
Wir machen bloß Spaß
Die 80er Jahre brachten so unterschiedliche
Filme wie „Re­Animator“ (1985), „Waxwork“
(1988), „Elmer“ (1988) oder schließlich
„Ghostbusters“ (1984) hervor. Ihnen gemein­
sam ist, dass sie im Grunde genommen Komö­
dien sind. Die Kritik an Horrorfilmen war
aufgrund des aufkommenden Videomarkts
und der damit einhergehenden Direct­to­Vi­
deo­Productions, welche für eine wahre
Trash­Welle sorgten, besonders groß. Die Be­
hauptung, dass dies alles bloß Spaß ist, woll­
ten und wollen die wenigsten glauben.
Betrachtet man die Filme genauer, so erkennt
man, dass „Re­Animator“ sicherlich ein her­
vorragender Splatterfilm ist, dass er zugleich
aber auch als Slapstickkomödie überzeugt.
Nicht anders verhält es sich bei dem Episo­
denfilm „Waxwork“, der äußerst blutig er­
scheint,
in
Wahrheit
jedoch
einen
überragenden Humor beweist. Die unge­
schnittene Fassung von Frank Henenlotters
„Elmer“ ist noch immer indiziert, auch wenn
niemand so recht weiß, warum, handelt es
sich bei diesem Kultwerk schließlich ebenfalls
um eine überaus witzigen Film über unsere
Spaßgesellschaft. Einer der wenigen Produk­
tionen, die auch beim breiten Publikum als
Komödie durchging, ist „Ghostbusters“. Inter­
essanterweise hat dieser Film keinerlei morali­
sche Kritik geerntet, teilt er doch selbst
mächtig aus. Regisseur Ivan Reitman siedelt
seine Story nicht in der Vorstadt an und macht
sich auch nicht über ehemalige Hippies lustig.
35
Vielmehr steht bei ihm die amerikanische Kul­
tur als Ganzes auf dem Servierteller und hier­
bei speziell die Esskultur. Auf der ersten
Ebene erzählt „Ghostbusters“ die Geschichte
dreier Akademiker, die von der Universität
geschmissen werden und nun versuchen müs­
sen, sich in der freien Wirtschaft zu behaup­
ten. Auf der zweiten Ebene lässt Reitman
keinen satirischen Seitenhieb aus. Angefangen
vom Universitätswesen bis hin zur Stadtpoli­
tik und Behördenwahnsinn lässt es der Film
nicht an Spott und Hohn fehlen. Doch inter­
essanterweise zielt der Film immer wieder auf
das Essenverhalten ab. Der Dämon Suhl, der
aus einer anderen Dimension kommt, um die
Welt in Besitz zu nehmen, taucht als erstes in
einem Kühlschrank auf, in dem sich vor allem
Fertigprodukte sowie Coladosen befinden. Ei­
ner der Hauptszenen spielt in einem Hotel, wo
die Geisterjäger ein ganzes Buffet demolieren,
während sie versuchen, einen herumschlei­
menden Geist zu fangen. Dieser stopft sich
voll mit fettigem Essen, bevor er schließlich
doch noch in die Falle geht. Im Finale, in dem
die Gestalt gewählt werden soll, in welcher
der Dämon die Welt vernichtet, erscheint die­
ser schließlich in Form des „allseits beliebten
Marschmallow­Manns“. Die Geisterjäger ma­
chen somit nicht nur Jagd auf echte Gespens­
ter,
sondern
zugleich
auf
die
US­amerikanische Kultur und entpuppen sich
dadurch als wahrer Bürgerschreck, da ihnen
so gut wie nichts heilig ist oder Ehrerbietung
einflößt.
Unter das Siegel Bürgerschreck lassen sich
ebenso oben erwähnte Horrorfilme einordnen.
Herbert Wests bis ins Groteske ausartende Ex­
perimente in „Re­Animator“ machen sich (für
manche auf geschmacklose Weise) lustig über
nach außen hin kompetent erscheinende Wis­
senschaftler und ziehen dadurch das Ansehen
der Wissenschaft als solche durch den Kakao.
Brian Yuzna präsentiert keine verantwor­
tungsbewusste Wissenselite, sondern vielmehr
Chaoten, die im Grunde genommen gar nicht
wissen, was sie tun. Für die Beteiligten bedeu­
tete dies natürlich nichts Gutes.
nenlotter mit seinem Parasiten Elmer auf die
in den 80er Jahren aufgekommene Spaßgesell­
schaft. Brian ist ein Hedonist, dem nichts Bes­
seres passieren kann, als von einem Parasiten
befallen zu werden, der ihm Glückshormone
liefert. Allerdings muss er dafür morden, um
seine Belohnung zu erhalten. Zwar versucht
Brian, von seiner Sucht nach Glück loszukom­
men, was dem Film eigentlich einen recht mo­
ralischen Anstrich gibt. Doch Elmer erweist
sich jedes Mal als stärker. Für Brian wird da­
durch der Spaß zur Qual. Henenlotter sieht im
Vergnügen eine Sucht, die durch immer neue
Anreize befriedigt werden muss. Die Spaßge­
sellschaft liefert sich somit dem Stress aus,
nach Innovationen zu suchen, die allein dazu
dienen sollen, Freude zu bringen. Nicht zu­
letzt führt dieses Verhalten zu Dekadenz und
psychischem Verfall. Der Originaltitel „Brian
Damage“ erhält in diesem Sinne eine doppelte
Bedeutung.
Die Lust auf Spaß und Vergnügung ist auch
das Grundthema von „Waxwork“, in dem ein
Wachsfigurenkabinett in einer Vorstadt eröff­
net wird. Die einzelnen Ausstellungsstücke
zeigen die berühmtesten Psychopathen und
Ungeheuer aus Legende und Wirklichkeit. Ei­
ne Gruppe Jugendlicher, die nichts mit sich
anzufangen weiß, sieht darin eine lang ersehn­
te Abwechslung. Der Unterhaltungswert
schlägt jedoch rasch um in tödliche Gefahr, da
die Figuren alles andere als leblos sind. Die
Fassaden der Vorstadt zeigen keine helle
Freundlichkeit, sondern wirken leer und kalt,
was den allgemeinen Vorstellungen einer Sub­
urbia widerspricht. Die Kleinstadtidylle ver­
kommt zu etwas Leblosem. In dem
Wachsfigurenkabinett ist alles im gewissen
Sinne spiegelverkehrt, denn hier ist das Leblo­
se durchaus etwas Lebendiges. Dies bedeutet
keinesfalls einen Vorteil. Denn auch das Ver­
gnügen wird hier zu etwas wenig Wünschens­
wertem. Spaßgesellschaft und Vorstadt
geraten hier auf den Prüfstand. Das Ergebnis
ist ähnlich wie bei „Elmer“: eine Zunahme von
Dekadenz, die im Chaos endet.
So gesehen erscheinen die Aussagen dieser
Filme, trotz ihres spaßigen Charakters, über­
aus kritisch, um nicht zu sagen pessimistisch.
Nicht weniger amüsant verweist Frank He­
36
Slasherfilme und Folklore
Parallel zu den oben skizzierten Filmen entwi­
ckelte sich zu Beginn der 80er Jahre das Sub­
genre des Slasher­Movies. Bereits davor gab es
Horrorfilme, in denen vor allem Messer und
Beile zum Einsatz kamen. Man denke z.B. an
„Dementia 13“ (1963), eines der ersten Filme
von Francis Ford Coppola. Gehäuft traten die­
se Filme jedoch erst ab ca. 1980 auf.
Die grundlegende Story eines Slasher­Films
kann als dramaturgische Umsetzung urbaner
Legenden betrachtet werden. Den Zusammen­
hang zwischen Slasher und postmoderner
Folklore fasste Regisseur Bernhard Rose noch­
mals in seinem Film „Candyman“ auf drama­
turgisch­ästhetische Weise zusammen. Zwar
stammt die Produktion von 1992 und ist alles
andere als ein Slasher, dennoch weist der Re­
gisseur im Prolog auf diese Verbindung hin,
indem eine unter Jugendlichen verbreitete Le­
gende und brutale Rasierklingenmorde in
einen Zusammenhang gebracht werden. Nach
dem amerikanischen Volkskundler Jan Brun­
vand, der den Begriff der urban legend in Um­
lauf gebracht hat, handelt es sich bei diesen
Geschichten um eine Form der mündlichen
Überlieferung, welche die Kultur der Indus­
triestaaten prägt. Urbane Legenden beinhalten
merkwürdige, unheimliche und bizarre Situa­
tionen, die – wie jede Legende – angeblich auf
Ereignisse zurückzuführen sind, die sich tat­
sächlich einmal zugetragen haben sollen. Als
berühmteste Figuren gelten das Krokodil im
Abwassersystem sowie der verschwundene
Anhalter. Die Anhaltergeschichten existieren
in unterschiedlichen Variationen und reichen
von Geistergeschichten bis zu Erzählungen
über einen wahnsinnigen Mörder, der statt
seiner rechten Hand einen Haken besitzt, mit
dem er seinen Opfern die Kehle aufschlitzt. Ei­
ne weitere Berühmtheit ist der Babysitter. Hier
existieren ebenfalls mehrere Variationen, die
von grotesken Situationen, wie etwa dem Ba­
cken des Babys, bis zu unheimlichen Mördern
im Kinderzimmer reichen. Als Knotenpunkte
dieser Legenden kristallisieren sich nach
Brunvand Schulen, Universitäten und Ferien­
lager heraus.
So taucht z.B. in „Halloween“ (1979) die Baby­
sitter­Version „Mörder im Kinderzimmer“
auf. Mithilfe der Kategorisierung urbaner Le­
genden in Angst­ und Rachegeschichten sowie
merkwürdiger Anekdoten kann dieser Film
als Angstgeschichte eingestuft werden. Ein
wahnsinniger Mörder, der aus der Irrenanstalt
geflohen ist, dezimiert Jugendliche, die sich zu
einer heimlichen Party in einem Haus getrof­
fen haben, in dem eine junge Frau eigentlich
auf ein Kind aufpassen sollte. Die Frau ist als
so genanntes Final Girl die einzige Person,
welche die Mordserie überlebt und sich im Fi­
nale dem weiß maskierten Michael Myers
stellt. Auch das offene Ende weist auf die Um­
setzung urbaner Legenden hin, die in der Re­
gel damit enden, dass ein wahnsinniger
Mörder nach seiner Tat weiterhin die Gegend
unsicher macht.
Aus Perspektive urbaner Legenden kann z.B.
„Freitag der 13.“ (1980) als Rachegeschichte
eingestuft werden. Die Handlung spielt in ei­
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nem Ferienlager, in dem sich vor einigen Jah­
ren ein schreckliches Unglück ereignet haben
soll. Ein Junge, der von allen geärgert wurde,
fand im See seinen Tod. Als in diesem Som­
mer das Ferienlager geöffnet wird, ereignen
sich unheimliche Morde. Dem Zuschauer wird
suggeriert, dass es sich bei dem Mörder um
den damals ertrunkenen Jungen Jason Voor­
hees handelt, der sich an den Lebenden rächen
will. Ähnlich wie Michael Myers verdeckt Ja­
sons Gesicht eine weiße Maske. Auch hier ma­
chen sich die Aspekte urbaner Legenden
bemerkbar, wobei der Ort des Geschehens (ein
Feriencamp) direkt darauf hinweist.
Eine weitere berühmte Figur des Slasher­Gen­
res ist Freddy Krüger. Der Traumdämon mit
Schlapphut und Ringelpullover, der statt eines
Baseballhandschuhs einen Lederhandschuh
mit Stahlklingen besitzt, entwickelte sich par­
allel zu den Figuren Michael Myers und Jason
Voorhees zu einer Kultfigur der amerikani­
schen Popkultur. In „Nightmare on Elmstreet“
(1984) werden Jugendliche in ihren Träumen
von Freddy Krüger heimgesucht. Das Ende
bleibt offen. Im Gegensatz zu den oben ge­
nannten Filmen, verbindet Craven seine Story
mit nicht verkennbarer Sozialkritik. Die als
Angstgeschichte kategorisierte Handlung lie­
fert keine Aspekte von Sicherheit mehr. Selbst
das eigene Bett oder die Badewanne verkom­
men zu Orten, die für eine paranoide Stim­
mung sorgen. Wes Craven lässt die
Anonymität und Sprachlosigkeit seiner beiden
Vorgänger beiseite. Er nutzt Freddy Krüger
dazu, um der amerikanischen Suburb­Society
einen satirischen Spiegel vorzuhalten. Ihm
geht es nicht wirklich um die Demaskierung
der Hippie­Generation, wie dies in „Polter­
geist“ oder „House“ der Fall ist. Ihm geht es
viel eher darum, ähnlich wie in „Stepfather“,
der Vorstadtkultur als solcher einen Denkzet­
tel zu verpassen. Während Michael Myers und
Jason als stumme Täter durch ihre Filme spu­
ken, kontert Freddy Krüger mit Sprüchen,
welche Übergewicht, Fitnesswahn und TV­
Sucht durch den Kakao ziehen. Wes Craven
zeigt zunächst saubere, niedlich wirkende
Hausfassaden, nur um später alkoholkranke
Ehepartner und zerrüttete Familien zu präsen­
tieren. Dabei ist „Nightmare“ geprägt von ei­
nem Surrealismus, der Wahn und Wirklichkeit
miteinander vermischt. Es sind postmoderne
Elemente, die veranschaulichen, dass unser
Weltbild nicht gewiss ist. Die sozialen Ängste
reichen bis in Cravens Verballhornung der
Traumdeutung und Psychoanalyse und damit
zugleich in esoterische Modetrends, die allein
dazu dienen sollen, ein erfolgreiches Leben zu
führen. Das Ergebnis von sozialen Ängsten,
die aus Gruppen­ und Erfolgszwang resultie­
ren, ist eine ständige Panik und Ungewissheit,
die letzten Endes auch zu schlechten Träumen
führt. Der als verzerrtes Bild eines Sports­
freunds karikierte Freddy Krüger wird somit
zu einem satirischen Symbol der gestressten
amerikanischen Mittelklasse.
Schluss
Die 80er Jahre bildeten den Höhepunkt und
zugleich das Ende des US­amerikanischen
Horrorfilms. Das bedeutet nicht, dass dieses
Genre vollkommen brach lag. Es wurden wei­
terhin Filme produziert, doch riefen diese kei­
nen so genannten Hype hervor. Schuld daran
war zum einen die Horrorbranche selbst. So
führten die immer skurriler werdenden Death­
Scenes sowie die zunehmende Sinnlosigkeit
der Handlungen von Slashern dazu, dass das
stets mit großer Skepsis betrachtete Subgenre
sein eigenes Grab schaufelte. Ein anderer
Grund lag in der in den 90er Jahren aufge­
kommenen Krise in Hollywood. Es mangelte
an Ideen und guten Drehbüchern, Produzen­
ten scheuten das Risiko, neue, originelle Filme
zu finanzieren. Die Besucherzahlen gingen zu­
rück und damit auch der Umsatz.
Trotz dieser Misere belichtete das Slasher­
Genre nach einer längeren Pause wieder die
Kinoleinwände. Wes Craven hatte ihm durch
seinen Film „Scream“ (1996) zur Wiedergeburt
verholfen. Seitdem wird der Markt von Filmen
dieser Art regelrecht überflutet. Auch andere
Subgenres werden wieder mit größerer Inten­
sität bedient. Es kommt dabei zu einer Sym­
biose zwischen Horrorelementen der 70er und
80er Jahre. Aufgrund der Globalisierung
schleichen sich zudem asiatische Merkmale in
heutige Produktionen ein. Wann und ob es zu
einer nächsten „Horrorpause“ kommen wird,
bleibt abzuwarten.
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