Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich freue mich, euch die zehnte Ausgabe von FILM und BUCH zu präsentieren. Wer hätte gedacht, dass es überhaupt zu zehn Ausgaben kommen würde. Die Idee, ein eMagazin herauszubringen, das sich mit einfach allem beschäftigt, was auch nur ir gendwie mit Film und Buch zu tun hat, hatten wir vor ziemlich genau drei Jahren. 2015 haben wir sozusagen ein Doppeljubiläum: Drei Jahre und zehn Ausgaben. Uns gibt es übrigens nicht nur als PDFVersion. Auf unserem FILM und BUCHBlog erscheinen regelmäßig weitere Essays, Artikel und Rezensionen. Ein Blick darauf lohnt sich. In Ausgabe 10 erwarten euch wieder spannende und interessante Artikel: Alessandra Reß schreibt über die Rolle der Musik in der phantastischen Literatur. Sabine Schwientek verfasste einen Artikel über die Heftromane der 70er Jahre und konnte zu sätzlich ein Interview mit dem MonstrulaCoverillustrator Olof Feindt führen. Und Alexander Pechmann berichtet über die Hintergründe zu der wohl berühmtesten Schauergeschichte The Turn of the Screw. Viel Spaß beim Lesen! Eure Redaktion FILM und BUCH Impressum Herausgeber: Max Pechmann, Jung-Mee Seo; Email: [email protected]. Coverkonzept und gestalterische Beratung: Seohyun Moon; Coverfoto Copyright: Mit freundlicher Genehmigung von Olof Feindt. Mitarbeiter: Sabine Schwientek, Alessandra Reß, Alexander Pechmann, Nina Wilhelmi. Film und Buch ist ein unabhängiges Magazin und erscheint vierteljährlich als Ebook. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen. Die mit Namen versehenen Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Alle Text- und Bildbeiträge sind urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung und die Weitergabe als Ganzes bedarf der ausdrücklichen und schriftlichen Genehmigung des Herausgebers. Inhalt Alexander Pechmann Die Geister des Henry James S. 4 Alessandra Reß Zu schön, um von dieser Welt zu sein S. 13 Sabine Schwientek Monstrula S. 19 Phantastische Cover Interview mit dem Illustrator Olof Feindt S. 29 Max Pechmann Horror of the 70s S. 32 A l ex a n d er P ech m a n n Die Gespenster des Henry James Henry James' Novelle The Turn of the Screw gehört zu den berühmtesten Vertretern der Schauerliteratur. Bis heute rät seln Experten und Fans über den Inhalt der unheimlichen Geschichte. Als Vorbild für das allein stehende Haus diente Lamb House. Aber auch andere Aspekte von James' Meister werk haben einen wahren Hintergrund. b House h t vo n L am Innenansic Henry James (1910) Vielleicht sind Geister nichts anderes als uner ledigte Aufgaben? Diese Überlegung verfolgte Henry James und beschäftigte ihn, wenn er an all die geliebten Freunde und Familienangehö rigen dachte, die er verloren hatte – an früh verstorbene Schriftstellerkollegen wie Robert Louis Stevenson, Constance Fenimore Wool son, James Russell Lowell, vor allem aber an seine immerzu kränkliche und oft depressive Schwester Alice, die ihm nach dem Tod der El tern nach London gefolgt und dort nach Jah ren fruchtlosen Leidens 1892 an Brustkrebs gestorben war. Alice, eine intelligente Frau oh ne Möglichkeiten, ihre Intelligenz unter Be weis zu stellen und entweder künstlerisch, wie Henry, oder wissenschaftlich, wie ihr ältester Bruder, der berühmte Psychologe William Ja mes, nutzbar zu machen, hatte Kraft in dem Glauben gefunden, dass der Tod nichts ande res sei als ein Übergang in eine andere Da seinsform. Diese Idee der Transformation, die von William geteilt wurde, ließ sie mit einer geradezu ekstatischen Vorfreude auf das Ende warten; eine dunkle Wartezeit in ihrer kleinen Londoner Wohnung, wo nur die hingebungs volle Pflege ihrer einzigen engen Freundin Ka therine Loring, die allzu seltenen und kurzen Besuche Henrys und das Niederschreiben ih rer Gefühle und Erinnerungen Abwechslung boten. Als junges Mädchen hatte sie mit ihrem Vater über Selbstmord gesprochen, und er hat te ihr geantwortet, es sei keine Sünde, dem ei genen Leben im Angesicht ausweglosen Leidens ein Ende zu setzen. Er hatte ihr sogar die väterliche Erlaubnis dazu gegeben, sie je doch gleichzeitig ermahnt, eine möglichst „sanfte“ Methode zu wählen, um ihren Hin terbliebenen keinen Kummer zu bereiten. Doch nun, da die Schmerzen wirklich uner träglich geworden waren und der Krebs jede Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft er stickte, entschied sie sich gegen den Ausweg des Suizids. Sie klammerte sich an die vage Idee, dass ihr Sterben einen Sinn haben moch te, wenn sie den bitteren Kampf heroisch und stolz bis zum Ende ausfechten würde. Ihr kör perliches Elend konnte ihrem hellwachen Geist nichts anhaben. Auch zeigte sie oft An flüge von schwarzem Humor: Sie amüsierte ihre Brüder mit der Anweisung, man solle ihre Seele nach dem Tod in Frieden lassen und bloß nicht mittels Séancen, Geisterbeschwö rungen und all den okkulten Spielereien, die damals in Mode waren, zurück in das Land der Lebenden rufen. Die Bitte war freilich nur teilweise scherzhaft gemeint. Alice wusste, dass William sich mit zunehmendem Interesse für die Grenzwissen schaften begeisterte und versuchte, mithilfe ei nes Mediums namens Leonora Evelina Piper mit dem Jenseits zu kommunizieren oder zu mindest herauszufinden, ob derlei übernatür liche Erscheinungen und Kontakte mit Verstorbenen real waren und rational erklärt werden könnten. So machte Alice sich durch aus ernsthafte Sorgen, man wolle sie nach dem Tod als eine Art Postboten zwischen Diesseits Henry James (1860) und Jenseits einsetzen, um auf diese Weise Nachrichten von den Eltern zu übermitteln. Dies war nicht die Transformation, die sie her beisehnte. Auch Henry James hatte sich immer wieder für das Übernatürliche interessiert, und der Tod der Schwester hatte dieses Interesse neu angefacht sowie einige Texte inspiriert, die un heimliche oder unbegreifliche Phänomene auf griffen. Für ihn waren sie indes weniger eine wissenschaftliche, spirituelle oder theologi sche Frage als eine ästhetische. In seinem 1892 verfassten Essay „Is there Life after Death“ kam er zu dem Schluss, dass es kein anderes Nachleben gebe als jenes, das man durch die kreativen Leistungen zu Lebzeiten schaffen könne. Unsterblichkeit war für ihn nur ein Denkmal, das man sich selbst errichtete. Doch ob Geister nun existierten oder nicht, er liebte Gespenstergeschichten und wusste Spukphä nomene effektvoll in etlichen seiner Erzählun gen einzusetzen, allerdings nicht um Angst und Schrecken zu erzeugen, sondern um eine gewisse bedeutungsvolle Atmosphäre zu schaffen. Er betrachtete Geister vor allem als Symbole, als Schlüssel zu jenen Seelenregio nen, die sich gegen eine direkte Auseinander setzung wehren und ihr nicht zugänglich sind. Ein Geist war für ihn demnach keine gruselige Gestalt, die sich in weiße Laken hüllt und mit Ketten rasselt. Ein Geist konnte alles mögliche repräsentieren: eine unerwiderte Liebe, eine ungelebte Vergangenheit, ein Gefühl, das so stark war, dass es den Tod überdauerte. Er kannte zumindest das innige Gefühl der Verbundenheit mit jenen, die vor ihm gegan gen waren und denen er treu blieb, indem er sie in und durch seine Kunst weiterleben ließ. Seine Erzählung „The Altar of the Dead“, die nach dem Selbstmord der amerikanischen Au torin Fenimore Woolson in Venedig in deren alter Oxforder Wohnung ersonnen wurde, handelt einerseits von einem Gedenken, das zur Obsession und zum Lebenszweck wird, ist aber andererseits auch einer von vielen Versu chen des Autors, die Erinnerung an seine Lie ben zu pflegen und seine persönlichen Verluste zu verarbeiten. James dachte an seine Jugendliebe Minny Temple, als er die Hauptfi gur seiner Geschichte, George Stransom, ein Leben lang um dessen jung verstorbene Braut Mary trauern ließ, und schuf in der Figur der namenlosen, in Schwarz gekleideten Schrift stellerin ein kleines Porträt seiner verstorbe nen Freundin Fenimore: Sie führt am Ende Stransoms Trauerarbeit fort, indem sie an dem Altar, den er dem Gedenken an seine Toten geweiht hat, eine Kerze für ihn anzündet. Die Lebenden, nicht die Toten, sind in dieser Ge schichte die eigentlichen Gespenster, denn sie entfernen sich von weltlichen Zielen und zeh ren von der Illusion, dass sie durch ihre Erin nerungsrituale ganz und gar Besitz ergreifen könnten von den flüchtigen Seelen der Ver storbenen. Und dies war für James vielleicht mehr als nur ein literarischer Einfall. Wahrscheinlich hatte James früher oft mit Fe nimore Woolson über dieses Thema gespro chen, deren Vater und drei ältere Schwester gestorben waren, als sie fast noch ein Kind war. Sie hatte sich auf der Suche nach spiritu ellem Halt von den Theorien eines gewissen Thomson Jay Hudson überzeugen lassen, der in seinem Buch The Law of Psychic Phenome na behauptet hatte, dass Geister lediglich die Verkörperung von Gedanken seien, die insbe sondere im Fall eines gewaltsamen Todes eine spürbare Intensität erreichten und noch lange Zeit nach dem entsetzlichen Vorfall erhalten blieben. Häuser, in denen es spukt, seien dem nach nichts anderes als Batterien, aufgeladen mit den Gedanken der Menschen, die in ihren Zimmern lebten und starben. Jenes gespenstische Echo flüchtiger Existenzen konnte sich auf verschiedenste Weise manifes tieren, durch Schatten, Lichter, kaum merkli che Luftbewegungen und Geräusche wie das merkwürdige Klopfzeichen aus einem Eintrag in Henry James’ Tagebuch: „Man stelle sich ei ne Tür vor – entweder zugemauert oder seit langem verriegelt – an der man gelegentlich ein Klopfen hört – ein Klopfen, das nur über natürlichen Ursprungs sein kann, da der Raum hinter der Tür unzugänglich ist. Der Be wohner jenes Hauses oder Zimmers ist seit langem mit diesem Klopfgeräusch vertraut; und da er es für ein Spukphänomen hält und der Geist hinter der Tür sich nie auf andere Art bemerkbar macht, hört er allmählich auf, ihm Beachtung zu schenken. Diese Person könnte jedoch irgendeinen großen und bestän digen Kummer haben, und eine andere Per son, die diese Geschichte erzählt, könnte feststellen, dass das Klopfen häufiger auftritt, wann immer jener Kummer sich verstärkt. Er bricht schließlich die Tür auf, und der Kum mer verfliegt – als habe der Geist Einlass be gehrt, um einzuschreiten, zu erlösen und zu beschützen.“ Henry James kam erst viele Jahre später auf diese Notiz vom Januar 1879 zurück. Im Mai 1899, während eines Aufenthalts in Rom, stell te er sich einen jungen Mann vor, der überall, wohin er auch geht, in jeder Wohnung und je dem Hotelzimmer, ein gespenstischen Klopfen vernimmt; doch wenn er die jeweilige Tür öff net, ist niemand da. Dann, eines Tages, öffnet er die Tür und sieht … was? James konnte es sich nicht wirklich vorstellen, behielt aber die Idee im Hinterkopf, bis er sie 1906 schließlich doch noch in einer Erzählung verwendete. In „The Jolly Corner“ kehrt ein amerikanischer Junggeselle, der sein Leben in Europa verbum melt hat, zurück nach New York, um das alte, verlassene Haus seiner Familie zu überneh men. Die geheimnisvollen Klopfzeichen füh ren zu der Begegnung mit einem Doppelgänger, einem Geist, der all das sym bolisiert, was aus ihm hätte werden können, wäre er dem Beispiel seiner Vorväter gefolgt und hätte sich deren weltlichen Zielen, der Anhäufung von Geld, Einfluss und Macht ge widmet. James nutzte die Symbolkraft übernatürlicher Phänomene für seine Zwecke – viele seiner Gespenstergeschichten sind allegorisch und manchmal andeutungsweise autobiogra phisch. Sie sind weniger Auseinandersetzun gen mit dem Tod und der Frage, was danach kommt, als mit dem Leben, das sich nie ganz von der Vergangenheit lösen kann und eine wachsende Bürde verpasster Chancen, falscher Entscheidungen und nicht wahrge nommener Verantwortung mit sich herum schleppt. Dies waren die drei Geister, die auch Henry James zunehmend verfolgten, und ihn manchmal mit den vertrauten Zügen von Ma ry Temple, Fenimore Woolson und Alice Ja mes heimsuchten. jekte entstanden, hatten jedoch auch den ganz profanen Zweck, Geld in leere Kassen zu spü len. Diese Art Literatur wurde von den Lesern geschätzt und von den Redakteuren und Ver legern gern angenommen, und es war eine Geistergeschichte, The Turn of the Screw, die Henry James den größten kommerziellen Er folg seiner späten Jahre bescherte. Dieses Werk, das der Autor gern in einem fast schuldbewussten Ton als „potboiler“ herab setzte und bestenfalls als jeu d’esprit bezeich nete, ist sein wohl unheimlichstes und effektvollstes. Basierend auf einer Geschichte, die ihm der Erzbischof von Canterbury erzählt hatte, handelt es von zwei Kindern, die von Geistern zu bösen Taten verführt werden – wobei jedoch immer ungewiss bleibt, ob die Geister nicht nur im Kopf der überspannten Gouvernante jener Kinder existieren. James verzichtete hier darauf, den Spukphänomenen einen moralischen oder symbolhaften Sinn aufzubürden, sodass der Schrecken des Uner klärlichen und Übernatürlichen erhalten bleibt. Nur der schottische Sekretär, dem Ja mes den kleinen Roman diktierte, ließ sich nicht davon beeindrucken. Zum ständigen Är ger des Autors, verzog der Schotte keine Mie ne, als er ihm mit bedeutungsvoller Stimme die schauerlichsten Szenen vortrug. Die Geistergeschichten, die überwiegend nach dem endgültigen Scheitern seiner Theaterpro The Turn of the Screw erinnert, was den Schauplatz des altehrwürdigen englischen Landsitzes, die Figuren und das geschilderte Grauen angeht, ein wenig an die Werke des exzentrischen irischen Autors und Herausge bers Joseph Sheridan Le Fanu, der seine im selben Milieu angesiedelten, verwickelten und unheimlichen Romane und Erzählungen zwi schen Mitternacht und vier Uhr früh schrieb, um die entsprechende Stimmung einzufangen. Die Ähnlichkeit ist wohl kein Zufall, denn Ja mes hatte nicht nur Le Fanus spannende Bü cher gelesen, sondern zählte auch dessen Nichte Rhoda Broughton zu seinem engeren Freundeskreis. Miss Broughton war eine elegante, etwas streng und kühl aussehende Frau mit einem sarkastischen Lächeln und einer berüchtigten spitzen Zunge, die sogar einen Meister der Schlagfertigkeit wie Oscar Wilde in die Flucht jagen konnte. Sie hatte, so munkelte man, we gen einer enttäuschten Liebe nie geheiratet, aber bereits im Jugendalter begonnen, Romane zu schreiben. Ihr berühmter Onkel vermittelte die ersten Veröffentlichungen und sah sich bald in seiner Vermutung bestätigt, dass seine Nichte große Erfolge feiern würde. Heute sind ihre zahlreichen Werke vergessen, doch da mals waren sie skandalträchtige Bestseller, denn Rodha Broughton scheute sich nicht da vor, ihren jungen Heldinnen, die mit den übli chen Heiratsintrigen und Beziehungsnöten des viktorianischen Zeitalters zu ringen hat ten, sexuelle Begierden zuzugestehen. Ähnlich wie Le Fanu schwelgte sie stellenweise in den entsprechenden, heutzutage freilich völlig harmlos wirkenden Andeutungen, die auch gleichgeschlechtliche Liebe nicht ausklammer te. Sie war drei Jahre älter als James und eben falls mit Fenimore Woolson befreundet gewesen, die zeitweise in der Nähe ihres Hau ses in Oxford gewohnt hatte und ihr auch während ihrer Aufenthalte in Florenz öfters über den Weg gelaufen war. Sie besaß zudem eine Wohnung in London, wo James sie fast allabendlich besuchte, um über alte Zeiten und Literatur zu reden, oder ins Theater be gleitete, wenn sie zufällig beide in der Stadt waren. James’ wiederholte, fast flehentliche Einladungen in sein neu erworbenes Haus in Rye, wo er sich, zweieinhalb Stunden Bahn fahrt von London entfernt, zunehmend ein sam fühlte, lehnte sie jedoch kategorisch ab. Lamb House in Rye, mit seinen schmalen ho hen Fenstern, dem wuchtigen Schornstein und dem malerischen, von Kletterpflanzen um rankten Gartenhäuschen, wirkt auf den ersten Blick wie der ideale Ort, um Gespensterge schichten zu schreiben, und der erste Text, an dem James hier zu arbeiten begann war tat sächlich The Turn of the Screw – als hätten der Umzug in die neue, ländliche Umgebung, die relative Abgeschiedenheit und ungewohnte Stille, die wichtigste Inspiration geliefert. Der neue Wohnort scheint auch ein wenig dazu beigetragen zu haben, dass Henry James seine doch sehr skeptische Haltung gegenüber dem Übernatürlichen überdachte und zumindest den entsprechenden Spekulationen mit einer viel weniger ablehnenden Haltung begegnete als in seinem oben erwähnten Essay. Er räum te sogar ein, selbst einen Geist in Lamb House gesehen zu haben – eine alte Dame, die nicht erschien, um ihm einen Schrecken einzujagen, sondern um ihm bei der Arbeit zu helfen. Auf Anfragen von Freunden des Okkulten, die ihn nach dem Erscheinen seines unheimlichen kleinen Romans erreichten, reagierte er aller dings weiterhin irritiert. In den Jahren nach Alice James’ Tod, in der Zeit als Henrys beste Geistergeschichten ent standen, beschäftigten sich nicht nur William James und dessen Frau, sondern auch der jün gere Bruder Bob James und alte Freunde der Familie, Tom Perry und Lilla Cabot, mit routi niert durchgeführten Séancen, während denen sie vermeintliche Botschaften von Verstorbe nen empfingen, die sie erstaunten, da sie an geblich intime Kenntnisse des Familienlebens vermittelten, auch wenn die Worte aus dem Jenseits im Grunde nicht sinnreicher waren als das wöchentliche Horoskop in der Sonntags zeitung. Bob, ein lebenslang erfolgloser Trinker, der ge trennt von seiner Frau in Boston lebte, hatte die umtriebige Mrs. Piper, die womöglich bes ser über das Seelenleben der Jameses Bescheid wusste als jeder Biograph, am 28. Dezember 1893 um ein Treffen gebeten. Das Medium kam bei der Séance in Kontakt mit einem Geist namens Phinuit, der zu Lebzeiten angeblich ein kreolischer Arzt gewesen war, und dieser „Seelengeleiter“ übermittelte einige Worte der Eltern Mary und Henry Senior sowie der Schwester Alice an die Hinterbliebenen. Als Bob seine Schwester fragte – oder vielmehr über Mrs. Piper und den kreolischen Geist fra gen ließ – warum sie jetzt zu ihm sprechen wolle, wo sie doch früher kein gutes Haar an den Spiritisten gelassen habe, lautete die Ant wort: „Wir alle denken nun anders darüber. Du darfst dir uns nicht so vorstellen, wie wir einst waren, sondern wie wir jetzt sind.“ Die Botschaft des Vaters fiel auch nicht viel aussa gekräftiger aus, rührte aber den nach Bestäti gung suchenden Empfänger zutiefst: „Ich bin dein Vater Henry James. Bob alles wird gut. Ich werde immer auf dich aufpassen und wenn du mich rufst werde ich kommen. Ich bin dein Vater Henry James.“ Sir Sydney Waterlow, ein pensionierter Diplo mat, der zu Henry Juniors Bekannten in Rye zählte, notierte in seinem Tagebuch einige Stichworte über eine andere Séance, die offen bar wenige Jahre nach Williams Tod im Jahr 1910 stattfand und bei der Williams Frau und deren Tochter Peggy anwesend waren. Wil liams Geist zeigte sich kurz als undeutlich er kennbare Gestalt im Rollstuhl, doch Alice, die wenig später aus dem Jenseits sprach, ließ ih rem Bruder Henry eine Nachricht übermitteln: Sie habe gesehen wie jemand ihm etwas schenkte und sei sehr froh darüber gewesen. Auch er habe sich darüber gefreut. Eine leuch tende Schale. Eine goldene Schale. Dann fragte sie, ob er je ihr Gesicht hinter Glas betrachte. Als Henry James dies von Waterlow erfuhr, zeigte er ihm zwei Glasrahmen mit Fotografi en seiner Schwester, die er von seinem Sessel aus direkt ansehen konnte. Die erwähnte Schale entsprach dem Geschenk, das ihm seine englischen Freunde zum siebzigsten Geburts tag überreicht hatten. James’ erklärte sich dies durch eine „telepathische Übertragung“, die zwischen Peggy, die über die Fotos und die Schale Bescheid wusste, und dem Medium stattgefunden habe. Er suchte nach einer ratio nalen Erklärung, doch blieb ein schwer fassba rer Zweifel, der zeigte, welche Gefühle solche Scharaden in ihm auslösten: „Was, wenn es wirklich Alice war? Was, wenn es wirklich Alice war?“, wiederholte er immer wieder. Die für ihn wichtigste Botschaft aus dem Jen seits kam jedoch von seiner Mutter Mary, die 1882, wenige Monate vor ihrem Mann gestor ben war. William James’ Frau Alice Howe Gibbens, die wohl einzige vollkommen über zeugte Spiritistin der Familie, hatte zusammen mit ihrem vierundzwanzig Jahre alten Sohn Billy und der unverzichtbaren Mrs. Piper einen Geist namens Hector heraufbeschworen. Dieser übermittelte die Worte einer „Mary“ an Henry: „Er soll sich keine Sorgen mehr ma chen, denn das Ergebnis wird wunschgemäß ausfallen.“ Die Schwägerin zögerte lange, diese zweimal wiederholte Nachricht an Henry James weiter zuleiten, und auch Billy hielt es für möglich, dass es den Empfänger eher verärgern würde, wenn er davon erführe. Er stand dem Spiritis mus zumindest skeptisch gegenüber, und eine Séance, bei der man seine Mutter, deren An denken er stets in Ehren hielt, herbeizitierte, hätte er wohl als reichlich geschmacklos be trachtet. Als Henry James schließlich doch von dieser Geschichte erfuhr, war er keineswegs ge kränkt, sondern erstaunlicherweise sehr ge rührt. Dies deshalb, weil er sich, wie er seiner Schwägerin schrieb, momentan tatsächlich große Sorgen wegen einer Angelegenheit ge macht habe, über die niemand auf der Welt außer ihm selbst Bescheid wisse. Zwei Monate lang habe er mit sich gerungen und sich dabei immer wieder gesagt, was er nicht alles dafür geben würde, irgendein Wort oder ein Zei chen von außerhalb zu bekommen, dass ihm versichern solle, wie überflüssig seine Sorgen wären. Es war beinahe wie in seinen alten No tizen über das geheimnisvolle Klopfzeichen. Manchmal, auch dann wenn man nicht an der gleichen glaubt, muss man eine lang ver schlossene Tür öffnen, und etwas hereinlassen, das dafür geschaffen ist „einzu schreiten, zu erlösen und zu beschützen“. Was war dieses Problem, das James insgeheim so viel Kopfzerbrechen bereitete? Einige Bio graphen halten es für wahrscheinlich, dass es hierbei um die für ihn wichtige Frage ging, ob er eine Ausgabe seiner gesammelten, neu überarbeiteten und mit einleitenden Essays versehenen Werken herausgeben sollte, eine Ausgabe mit mindestens ebenso vielen Bän den wie die Menschliche Komödie von Balzac. Tatsächlich gab es für ihn wenig, was ihm wichtiger erschienen wäre, als dieses für die Nachwelt unübersehbare Denkmal selbst zu errichten – keine Freundschaft, keine Liebe, kein privates, kein gesellschaftliches Anliegen. Mit vierzig hatte er es in knappen Worten zu sammengefasst: „Wenn ich wirklich arbeite, bin ich glücklich, fühle ich mich stark. Ich sehe viele Möglichkeiten für die Zukunft. Es ist das Einzige, was das Leben erträglich macht.“ Wenn Henry James auf ein Klopfzeichen hin die mystische Tür seiner Phantasie öffnete, glaubte er manchmal, er gewähre hilfreichen Geistern Einlass. Manchmal erschien hinter der Schwelle auch das feiste Gesicht seines Doppelgängers, eines geldgierigen Geschöpfs, das die Künste bestenfalls als Zeitvertreib für Tölpel und Müßiggänger wahrnahm und lie ber in die Fußstapfen des mächtigen Großva ters Bill James von Albany treten würde. Meistens jedoch war der Geist, den er herauf beschwor, das Abbild seines brennenden Ehr geizes: „Ich werde ein Versager sein, wenn ich nicht etwas Großes vollbringe.“ Die GeisterhausTrilogie von Carl Denning Drei Häuser, in denen es umgeht. Exklusiv als eBook. "Spannung bis zum Ende." amazon Nur eines ist sicher: Sie werden sich fürchten! Alessandra Reß Zu schön, um von dieser Welt zu sein Zur Verbindung von Magie und Musik in der phantastischen Literatur Musik ist ein zentraler Bestandteil visueller Medien. Besonders Filme kommen ohne musikalische Untermalung der einzelnen Szenen nicht aus. Erst durch sie vollendet sich die Dramatik der Darstellung. Doch wie sieht es mit Musik in einem rein literarischen Kontext aus? Wel che Rolle kommt ihr dabei zu? Filmsoundtracks gelten nicht unbedingt als die Chartbreaker schlechthin. Selten werden sie im Radio gespielt, ihre Kompo nisten sind nur den Kennern geläufig und überhaupt stehen sie außerhalb von Mu sicals und Disneyfilmen kaum im Fokus. Und doch schaffte es im Dezember 2014 mit „The Hanging Tree“ aus „Mockingjay 1“ von James Newton Howard ein Lied in die Charts, das zwar mit Jennifer La wrence‘ Gesang aufwarten konnte, davon abgesehen aber doch ein ziemlich klassi sches FilmmusikExemplar darstellt. Der ungewöhnliche Erfolg setzt sich ge wiss aus mehreren Faktoren zusammen – Lawrence‘ Popularität und die des Films sollten nicht unterschätzt werden. Was aber auch hineinspielt, ist das mobilisie rende, packende Moment des Lieds. Man fühlt sich angesprochen, mitgerissen. Es ist eine einkalkulierte Ironie, dass gerade diesem Aspekt in Film und Buchvorlage eine ambivalente Rolle zukommt: Zu nächst nur ein harmloser Vers, wird „The Hanging Tree“ von mehreren Seiten politi siert und zur Propaganda missbraucht, dient schließlich als eine Art Hymne der Rebellen. Eine Funktion, die natürlich alles andere als neu ist. Ihr zugrunde liegt das Wissen um das emotionale, verführende Potenzial der Musik. Dem wurde sich in der politi schen Propaganda der Gegenwart ebenso bedient wie auf schottischen Schlachtfel dern, römischen Galeeren oder in Werbe filmen von Biermarken. Auch in den Mythologien und Sagen zahl reicher Kulturen spielt die mobilisierende Funktion von Musik eine bedeutende Rol le. Oft ist es die verführerische Seite, die in Gestalt von weiblichen, häufig mit dem Element Wasser in Verbindung gebrach ten Wesen ihre Personifikation findet. Man denke da beispielsweise an die Sire nen der griechischen Antike, deren Ge sang Odysseus fast ins Unglück stürzt oder an die osteuropäischen Rusalki, die ähnlich wie die rheinische Loreley Männer durch ihren Gesang anlocken und in ein nasses Grab führen. Stets schwingt hier als auch ein Moment der Gefahr mit. Mu sik wird als schön charakterisiert, ja, als wunderschön. Aber eben auch als gefähr lich, zerstörerisch. Und so wird Musik auch als eine Form der Waffe verstanden, sogar als Prophet des Todes. Wer etwa der keltischen Aoibhell beim Musizieren 14 lauscht, soll ebenso zwangläufig dem To de geweiht sein wie jener, der das Weh klagen der Banshees vernimmt, der irischen Todesfeen. Dabei verkörpert Musik gleichzeitig auch das Fremde. Sie ist gewissermaßen zu schön, um von dieser Welt zu sein. Fremde Welten und befremdliche Fas zination Natürlich haben auch die phantastischen Medien, insbesondere die FantasyLitera tur, diesen Aspekt für sich entdeckt. Und das nicht nur in der ohnehin mythenver liebten, pseudomittelalterlichen High Fantasy: Gerade die Dark Fantasy und der Young AdultBereich sind dankbare Abnehmer des Motivs. Musik steht hier in direkter Verbindung zur anderen, verbor genen Welt. In den Vampirchroniken von Anne Rice stellt die RockBand des Vam pirs Lestat die auditive Seite seiner Ver führungskraft dar. Die Menschen können im Prinzip nicht anders, als verzaubert zu sein. Gleichzeitig bedeutet Lestats Musik aber auch die mediale Veröffentlichung des untoten Daseins, was ihm den Ärger seiner Artgenossen einbringt. Zum mobili sierenden, verführerischen Aspekt kommt hier der soziale hinzu: Eine bestimmte Musik zu hören oder zu spielen, bedeutet auch, Zugehörigkeit zu demonstrieren. Dabei ist es egal, ob eine Nationalhymne gespielt, ein Szenekonzert besucht oder die Musik der VampirSubkultur gehört wird. Außenseiter werden hier wie da skeptisch betrachtet. Die Verbindung von Rock beziehungswei se Metal und Vampirdasein findet sich auch in Hans „Hanzo“ Steinbachs Manga „A Midnight Opera“. In dieser synästhe tisch aufgeladenen Hommage an den Me tal und die dunkle Romantik ist es der Vampir Einblick, der sich nicht darum schert, wen seine hypnotische, anders weltliche Musik anlockt. Jedenfalls, bis sein Werwolfbruder, die Blutgräfin und die Inquisition bei ihm auftauchen. Victoria Frances‘ Untotenschar aus der Graphic Novel „Favole“ fühlt sich eher zu klassischer Musik hingezogen. Hier ver bindet sich der Vampirmythos mit Nym phenmotiven, wenn die Melodie der ophelienhaften Fee Lavernne Tausende Mädchen in die todbringenden Sumpfge wässer treibt. Was sich in diesen Fällen aber auch zeigt, ist die beidseitige Faszination an der Mu sik: Die Untoten nutzen sie, um ihre Op fer zu verzaubern. Gleichzeitig stellt sie 15 für Frances‘ Figuren aber auch eine Ver bindung zur emotionsgeladeneren, wär meren Menschenwelt dar. Und zunächst ist es auch Anne Rices Lestat, der sich von der Rockmusik der Menschen angezo gen fühlt – ins Gegenteil verkehrt sich das erst später. Eine sehr düsterte, eng am irischbriti schen Volksglauben orientierte Variante dieser gegenseitigen Faszination findet sich in Maggie Stiefvaters Jugendbüchern „Lamento“ und „Ballade“. In „Lamento“ weckt Deirdres Talent an der Harfe das Interesse der Feen. Sie wird damit zu ei nem eindeutigen Beispiel des beliebten Motivs des Musikers als (in diesem Falle unfreiwilligen) Vermittlers zwischen den Welten. In der Fortsetzung „Ballade“ macht gleich ein ganzes Internat musikbegabter Teena ger die Feenwelt auf sich aufmerksam. In beiden Büchern steht die Musik als Aus gangspunkt einer gefährlichen Faszinati on. Deirdre droht sie in den Wahnsinn zu stürzen, bis sie nicht mehr fähig ist, Rea lität und Feenillusion zu unterscheiden, und in „Ballade“ kostet sie manch einen sogar das Leben. Weniger tragisch wird das Verhältnis in einer weiteren Jugendbuchreihe bedacht, die sich ebenfalls Motiven des irischbriti schen Volksglaubens und der keltischen Mythologie bedient: In Jenna Blacks „Fae riewalker“ zeigen sich Feen und Men schen gleichermaßen fasziniert vom Gesang der jungen Dana, die, halb Fee, halb Mensch, die stimmlichen Vorteile beider Völker für sich zu nutzen weiß. Musik als magische Waffe Durch die auch in diesen Beispielen mit schwingende Gefahr wird bereits impli ziert, dass diese als Waffe dienen kann. Ist dieser Aspekt in manchen Fällen aber eher eine zwangsläufige Begleiterschei nung, wird er in anderen aktiv herbeige führt. Nicht umsonst schließen beispielsweise AD&DRollenspielgruppen gerne einen Barden mit ein. Gerade in der High Fantasy wird Musik nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch für Attacken rege genutzt. Wer etwa in der „Drachen lanze“Saga einen Zauber wirken möchte – egal, ob es nur um einen Licht oder einen Angriffszauber geht – muss dazu normalerweise einen Singsang anstim men. Ähnlich funktioniert die Elbenmagie in Thilo Corzilius‘ „Dorn“ oder auch die (deutlich weniger mystisch angehauchte) des MöchtegernRockstars JonTom aus Alan Dean Fosters „Bannsänger“Zyklus. In der „Elfenritter“Trilogie von Bernhard Hennen ist es ein Markenzeichen der Elfe Yulivee, mit ihrer Flöte ganzen Schiffsar maden den Tod bringen zu können und auch die Saiten der Harfner aus Patricia A. McKillips „Erdzauber“Trilogie dienen längst nicht nur der Unterhaltung. Aber nicht nur die High Fantasy wird so explizit. Selbst Danas Stimmgewalt aus „Faeriewalker“ stellt sich letztlich nicht nur als schön, sondern auch als tödlich heraus: In ihr liegt die Macht, Feenwesen sterblich zu machen, was in deren Welten ihren sofortigen Tod bedeutet. Um den Gefahren und überhaupt der Macht von Gesang und Melodien entge genzuwirken, ist es eine beliebte Vorge hensweise seitens der Antagonisten, anderen ihre Stimmen zu stehlen. Wohl wissend, wie wehrlos sie ohne ihre ge sangsabhängige Magie sind, verbannt daher auch der Elb Linus aus „Dorn“ die Stimmen seiner Artgenossen in ein Arte fakt. In anderen Fällen dient der Stim menraub der Übertragung von Macht auf den Dieb. Entsprechend erklärt sich das Motiv des Herrn der Lieder, der in „Sylvie und die verlorenen Stimmen“ die kom plette Tierwelt zum Schweigen bringt. Ein prominentes Beispiel ist außerdem die Meerhexe Ursula aus Disneys „Arielle, die kleine Meerjungfrau“, welche die verfüh rerische Macht in der Gesangsstimme Arielles für sich selbst nutzen will. 16 Zurück in die gesellschaftliche Gegenwart In unserer Gesellschaft mögen der Musik keine magischen Eigenschaften im enge ren Sinne mehr zugeschrieben werden. Ihre Macht zur Manipulation bleibt aber bestehen. „Die Tribute von Panem“ be dient sich diesem Verhältnis in direkter Analogie zum Hier und Jetzt. Auf einer allgemeineren, medienunabhängigen Ebene betrachtet das Joy Chant in ihrem weitestgehend ohne magische Elemente auskommenden „Vandarei“Zyklus. In der dazu gehörigen RomantasyNovelle „Wenn Voiha erwacht“ erschüttert ein verliebter Musiker durch sein Können die Grundfes ten eines matriarchalisch organisierten Staats. Was in „Wenn Voiha erwacht“ geschildert wird, ist eine Utopie beziehungsweise so gar nur das wertungsfreie Konstrukt einer Möglichkeit. Unsere Gesellschaft ist zu komplex, als dass erwartet werden könn te, ein einzelner Musiker sei fähig, viel zu verändern. Doch Musik bleibt ein wichti ger Bestandteil im Leben der meisten Menschen und ihre Macht sollte nicht un terschätzt werden. 17 Nominert für den Deutschen PhantastikPreis Alessandra Reß Vor meiner Ewigkeit „Ich warf mich der neuen Welt in die Arme und sie lachte mit mir, und in meinem Unwissen merkte ich nicht, wie falsch dieses Lachen klang.“ Ohne Erinnerung erwacht der Student Simon ei nes Nachts in einer Stadt, in der selbst die Farben ein Eigenleben zu führen scheinen. Von einem Geistermädchen erfährt er mehr: In ihm ist die Gabe des Schläfers erwacht, und seine Aufgabe ist es, die Vampire zu jagen, welche die Stadt be völkern und das empfindliche Gleichgewicht von Licht und Dunkelheit stören. Erst, wenn er diese Aufgabe erfüllt hat, darf er in sein altes Leben zurückkehren. Trunken von den dunkelbunten Wundern der Stadt Dew Linae, fügt sich Simon in sein Schick sal. Doch bald schon muss er erkennen, dass er mehr und mehr seine Identität verliert. An seine Stelle tritt der Schläfer, eine seelenlose Kreatur, die nur im Tod ihrer Gegner Erfüllung findet. Verzweifelt sucht Simon nach einem Weg, sein zweites Ich zu bannen – doch trauen kann er niemandem, nicht einmal sich selbst.m, nicht ein "(...) bildgewaltig, nachdenklich und anders." Litertopia "Die Autorin und das Buch sind ein erfrischender Neugewinn (...)." fantasybuch.net "Ich kann nur sagen, dass ich begeistert war von diesem Werk (...)." Kathrinsbooklove "Das Buch macht sprachlos (...)." Lovelybook Alessandra Reß: Vor meiner Ewigkeit. Art Skript Phantastik, 200 Seiten, als print: ISBN: 97833981509267 als eBook (Amrun Verlag): ASIN: B00Q70CZ1Y 15 Sabine Schwientek M A L U R T S ON Die Glanzzeit der GruselGroschenromane In den 70er Jahren begann eine neue Romanform die phan tastische Literatur in Deutschland aufzumischen: Heftroma ne, die sich voll und ganz dem Unheimlichen verschrieben hatten. Gleich mehrere Serien gingen an den Start, von de nen manche nur noch Sammlern und PhantastikExperten bekannt sind. „Drohend schwebte der Geist, in einen grünlichen Nebel eingehüllt, auf Jack Cal lum zu. »Sei verflucht, Irdischer! Schauen sollst du die Welt der Geister, ertrinken wirst du im Grauen!“ 1974, in dem Jahr als Abba ihre Weltkar riere mit dem Hit Waterloo startete, die USPräsidentschaft von Richard Nixon mit der WatergateAffäre endete und un ter dem Titel Waldweg die erste Folge der TVKrimiserie Derrick lief, begann für Jack Callum der Kampf gegen die Welt der Geister und Dämonen. Konkret am 2. September 1974 traf ihn Der Fluch des Geistes so hieß auch die erste Ausgabe der Groschenromanreihe Monstrula, er schienen im KelterVerlag. Von nun an hieß es alle vierzehn Tage: „Holen Sie sich Monstrula – So was haben Sie noch nicht gelesen!“ ein „unwahrscheinlicher Gänse hautmacher“(2). Wie viele seiner Geister jägerkollegen verdankte auch Jack Callum sein Entstehen dem boomenden Markt der HorrorHeftchen, die verstärkt ab 1973 die Auslagen der Kioske und Bahnhofsbuchhandlungen eroberten. Der GespensterKrimi, Macabros, Dämonenkil ler, Professor Zamorra und andere Roman reihen bzw. Serien erweiterten das Angebot des Genres, das bis vor kurzem nur einen ‚Geisterjäger’ kannte: Larry Brent. Mit ihm hatte der Trend 1968 be gonnen. Im SilberKrimi Nr. 747 mit dem Titel Das Grauen schleicht durch Bonnards Haus schickte Autor Dan Shocker (3) sei nen Helden, den FBIAgenten Larry Brent, auf Spurensuche und Leserfang. Erster Einsatzort war Maurs in Frankreich wo angeblich Vampire ihr Unwesen trieben. Bei seinen Ermittlungen stieß Larry Brent nicht nur auf Leichen, Riesenfledermäuse und blutige Experimente, er lernte auch die geheimnisvolle Psychoanalytische Spezialabteilung kennen, kurz PSA. Im weiteren Verlauf der Romanserie wurde Brent unter dem Codenamen XRay3 selbst ein Spezialagent der PSA. Charak teristisches Merkmal der SilberGrusel Krimis sind die modernen, teils futuristi schen wissenschaftlichen und technologischen Methoden, mit denen Brent und Co. die übernatürlichen Fälle lösen. Stilistisch orientieren sich die Ge schichten mehr an den damals aktuellen AgentenThriller und Science Fiction Romanen als am klassischen Horrorgen re. Die Veröffentlichung von Deutschlands erstem GruselGroschenroman war eine Reaktion auf die Erfolgswelle der Horror filme, die in den Swinging Sixties für ge füllte Kinosäle sorgten. Viele dieser Filme 20 waren schnell produzierte BMovies, ba sierend auf einer attraktiven Mischung aus Sex, Splatter und Schockeffekten. Mit diesem Erfolgskonzept förderten Grusel großlieferanten wie Kultregisseur Roger Corman und die legendären Hammer Stu dios eine stetig wachsende Horrorfange meinde. Davon wollte auch der ZauberkreisVerlag profitieren und erwei terte sein Angebot an HeftromanHelden um Spezialagent Larry Brent. Werbewirk sam warnte der Untertitel: Ein Roman für starke Nerven. 1972 wurde aus der Sub Serie des SilberKrimis die eigenständige RomanSerie des SilberGruselKrimis. Markenzeichen war die Skeletthand auf dem Cover. Das Produkt Larry Brent hat te sich erfolgreich auf dem Markt eta bliert, doch trotz dieses Erfolges zögerten andere Verlage Ähnliches zu publizieren. Bis 1973 blieb Spezialagent XRay3 un umstrittener Serienheld an der Dämonen front. Doch seine Konkurrenten ließen nicht mehr lange auf sich warten. Mit dem Vampir HorrorRoman legte der Pa belVerlag 1972 die Basis für eine der po pulärsten SubSerien des Genres: Der Dämonenkiller von Autor Ernst Vlcek. „John Sinclair dürfte zwar weltweit be kannter sein, jedoch für den deutschspra chigen Raum ist die Faszination der Story um den Dämonenkiller Dorian Hunter und der Kultstatus dieser Serie wohl kaum zu schlagen.“(4) Unter dem Titel Im Zeichen des Bösen löste der Dämonenkil ler im Juli 1973 seinen ersten Fall. Da mals boomte die Branche der Gruselgroschenhefte und es drängten im mer mehr Geisterjäger auf den deutschen Markt, darunter auch der GespensterKri mi aus dem BasteiVerlag. Mit ihm be gann die Erfolgsgeschichte von John Sinclair, dem späteren Superstar unter den HorrorHeftromanHelden. Sinclair debütierte mit der Folge Die Nacht des He xers von Autor Jason Dark (5): „Das typi sche Layout mit dem violetten Rahmen, dem ‚tropfenden’ Reihentitelschriftzug so wie dem Werbeslogan („Zur Spannung noch die Gänsehaut“) blieb während fast der gesamten Erscheinungsdauer unver ändert.“(6) Der GespensterKrimiReihe entstammen einige Erfolgsserien, darun ter Toni Ballard und Frank Connnors. Ebenfalls 1973 brachte Larry BrentAutor Dan Shocker unter dem Titel Macabros eine weitere Serie auf den Markt: Björn Hellmark, Sohn aus gutem Hause, ist der Held dieser Gruselgeschichten, die mit der Folge Der MonsterMacher starteten. Anders als der SilberGruselKrimi war Macabros ein HorrorRoman, der sich ganz auf fantastisches Terrain wagte und als FantasySerie beworben wurde. Die Welle der Neuerscheinungen im Grusel GroschenheftFomat setzte sich 1974 mit dem GeisterKrimi, Monstrula (beide er schienen im KelterVerlag) sowie Professor Zomorra (7) und Dr. Morton (8) fort. Letz terer war genau genommen keine Grusel Serie, „der Horror (trat) vielmehr durch den Härtefaktor der Romane auf.“(9) In kurzer Zeit war es eng geworden auf dem Markt der GruselHeftromane und so kämpften die Geisterjäger nicht nur gegen ihre dämonischen Feinde, sondern auch gegen die Konkurrenz, während über ih nen allen drohend das Schwert der Indi zierung schwebte – allzeit zum zensierenden Schlag bereit. Nichtsdesto trotz ging es in einigen HorrorSerien, darunter Monstrula, ungeschönt grausam zur Sache. Hier ein Beispiel aus Zwei Schritte zum Abgrund: „Moodys Hände schossen vor, umkrallten Hals und Haare der Frau. Mit unwiderstehlicher Gewalt drängte der Mörder sein Opfer an den Kes sel mit dem heißen Öl heran. Mit einem harten Ruck drückte er den Kopf der Un glücklichen hinein. Der Dämon in James Moddy war stärker gewesen.“(10) Die zum Teil drastische Ausführung der Mordszenen verdient den Titel „Schauer Schocker“, mit dem der KelterVerlag die neue Gruselserie ankündigte. Die Titel seite zeigte den monumentalen Schriftzug Monstrula mit einem blutigen Augapfel als Logo. Das Layout war eines der besten im Bereich des HorrorHeftromans und hatte durchaus Kultpotential. Bis auf wenige Ausnahmen, darunter eine Fotografie (Nr. 37), stammten die Titelbilder von Illustra tor Olof Feindt, Künstlername: Van Vindt. Autor der MonstrulaRomane (mit Aus nahme von Nr. 2)(11) war der Österrei cher Richard Wunderer, „(e)iner der fleißigsten, jedoch auch unbekanntesten Autoren, da er unter den verschiedensten Verlagspseudonymen wie Frederic Collins, Brian Elliot oder Frank de Lorca publi zierte.“(12) Als Fremdautor schrieb Wun derer für die erste Auflage von John Sinclair, darüber hinaus verfasste er u. a. Arzt, Berg und Erotikromane. Das Pseudonym M. R. Richards, unter dem die MonstrulaRomane erschienen, setzt sich aus Wunderes Vornamen und dem seines Kollegen M. R. Heinze zusammen. Letzte rer verfasste das Exposé. Für den Kelter Verlag schuf Wunderer neben Geisterjäger Jack Callum auch GeisterDetektiv Rick Masters, dessen Abenteuer als SubSerie des GeisterKrimis erschienen. Obwohl sozusagen Söhne eines Vaters, entwickel te sich Masters zu einem erfolgreichen SubSerienHelden während Callum über raschend schnell wieder in der Versen kung verschwand. Ein Grund dafür mag die Figur selbst gewesen sein: Jack Cal lum war nicht der Typ eines charismati schen Van Helsing, er war auch kein schlagkräftiger Superagent oder wagemu tiger Abenteuer, er war viel mehr ein Je dermann, den ein düsteres Schicksal zum Außenseiter machte: Der Fluch eines Geistes verlieh Jack die Fähigkeit überna türliche Phänomene wahrzunehmen. Es war die Strafe für seine Weigerung, wäh rend einer Seance an das Erscheinen sei ner toten Freundin Dorothy zu glauben. Zwei Jahre zuvor war Dorothy auf myste riöse Weise verschwunden. Niemand ahn te, dass sie ein Opfer von Dämonen geworden war. Stattdessen geriet Jack in Verdacht sie ermordet zu haben. Der ers te Fall der MonstrulaReihe konfrontierte Jack mit den grausigen Ereignissen der Vergangenheit und der bitteren Erkennt nis, dass sich sein Leben durch die Se hergabe für immer verändert hatte. Autor M. R. Richards beschrieb den Geis terseher als jungen Reporter, der für die angesehene Zeitung NEWS arbeitet und in einer Atelierwohnung im Londoner Stadtteil Chelsea wohnt. Mitte der 70er Jahre war Chelsea ein Künstlerviertel (mit bezahlbaren Mieten). Dieses Umfeld passt zum Helden, der selbst „wie ein Künstler (wirkt) durch seine wirren schwarzen Haare, den Bart, die abgewetzte Cordja cke und die Jeans.“(13) Braun, ist sie, die Cordjacke, und wie der Leser des Öf teren erfährt Jacks Lieblingskleidungs stück. Sein Zuhause teilt sich der Geisterjäger mit zwei Katzen, „die er in Königstreue Philipp und Elisabeth ge nannt hatte.“(14) Dieser Hinweis fehlte in kaum einer Folge, ebenso wie die viel zi tierte Eigenart Jacks, seinen Vollbart in 22 nervösem Zustand stereotyp zu kraulen. Ein weiteres Markenzeichen Jacks ist sein alter, verbeulter MGSportwagen. Das Au to mit der ‚undefinierbaren’ Farbe – von seinem Besitzer liebevoll ‚Goldstück’ ge nannt – ist ein echter Hingucker: „eine Kombination aus Rost, Beulen, fehlendem Lack und hochgezüchtetem Motor.“(15) Typisch für einen 70erJahreHelden raucht Jack bei jeder sich bietenden Gele genheit (auch in Kneipen und öffentlichen Gebäuden) bevorzugt schwarze, französi sche Zigaretten. Sein Allheilmittel gegen Stress, Schmerzen oder den Blues ist hochprozentiger Alkohol, meist in Form von Whisky. Den genehmigt sich Jack auch beim Entspannen; dazu hört er Schallplatten seiner Lieblingssängerin Barbara Streisand. Solche und ähnliche Momenten haben inzwischen nostalgi schen Charme, grundsätzlich aber wür den die meisten MonstrulaAbenteuer auch heute noch funktionieren (so fern es in bestimmten Momenten Stromausfall oder ein Funkloch gibt!). Jack Callum als tragischer Held elegi scher Geschichten – dieses Konzept war ohnehin seiner Zeit voraus. Es setzte sich in der Medienlandschaft erst etwa eine Dekade später durch, im Rahmen der Rückbesinnung auf das Genre des Film Noir. In den 70er Jahren aber galt neben Coolness, Unschlagbarkeit als wesentli ches Merkmal eines Helden – an dieser Maxime orientierten sich auch die Auto ren der HorrorHeftromane. Der Sieg des Guten über das Böse war somit in den meisten Gruselgeschichten Programm, mit Ausnahme von Dämonenkiller. Die Geisterjäger dieser Serie waren „im Ge gensatz zu den sonstigen Helden anderer Serien gewiss keine Übermenschen und müssen oft Niederlagen einstecken.“(16) Dies gilt auch für Jack Callum. Der MonstrulaHeld verbuchte im Verlauf sei nes kurzen SerienLebens etliche Fehl schläge: „In den gelungensten Heften ist er am Ende umgeben von zerstörten Exis tenzen und ermordeten Opfern; trotz sei ner unermüdlichen Anstrengungen steht er vor Trümmern und das Böse hat sich ausgetobt.“(17) Angesichts der hohen Pannenstatistik überrascht es nicht, dass Jack oftmals mit pessimistischer Grund stimmung in den Kampf zieht: „Wenn ihr alle wüsstet, dachte Jack Callum bitter, wie gering die Kräfte eines einzelnen Men schen wiegen im Kampf gegen das Schat tenreich. Ich muss es ja immer wieder erleben.“(18) Der Autor hatte es seinem Helden wahrlich nicht leicht gemacht; er stellte ihm keine SpezialAbteilung zur Seite wie Larry Brent oder einen Polizei apparat wie John Sinclair. Jack wurde quasi über Nacht zum ‚Geisterjäger’ und 23 blieb als solcher etliche Folgen lang sich selbst überlassen. Seine einzige Waffe im Kampf gegen Geister und Dämonen war ein Ring aus Platin mit einem fünfeckigen Lavastein und einem eingravierten magi schen Zeichen. Stein und Symbol waren unter einem Deckel verborgen, so sahen Uneingeweihte in dem Ring lediglich „ein dezentes, wenn auch ungewöhnliches Schmuckstück.“(19) Verglichen mit ande ren Geisterjägern wie z.B. MacabrosHeld Björn Hellmark, die über ein ganzes Arse nal magischer und fantastischer Requisi ten verfügten, war Jacks ‚Ausstattung’ maximal notdürftig: Der Ring war mehr Talisman als Waffe, er konnte das Über natürliche zwar bannen, aber nicht ver nichten. Manchmal versagte das Hilfsmittel gleich ganz, dann zum Bei spiel, wenn ein traumatisiertes Opfer sich an Jacks Hand klammerte und so den Deckel des Rings blockierte (Die Grotte des Entsetzens). Schließlich blieb Jack nicht einmal dieses wankelmütige Hilfs mittel vergönnt. In MonstrulaFolge Nr. 19 büßte er seinen Talisman überra schend früh bei Lady Ashers Todesfest ein. Der Autor stand ihm keinen adäqua ten Ersatz zu, lediglich einen Kampfge fährten, Harry Parker, seines Zeichens NEWSReporter und „immer tadellos ge kleidet mit Anzug und Krawatte“(20). Zwar war Parker Laie in Sachen Dämono logie, „doch er leistete eine große Hilfe in diesem unerbittlichen Ringen mit den Ge walten des Bösen.“(21) Gleich bei ihrem nächsten Einsatz, gegen den Götzen des ewigen Schreckens, machten Jack und Harry Bekanntschaft mit Sin Tao. Sie ist die Tochter eines Reporters, der dem blutrünstigen GötzenKult zum Opfer ge fallen war. Das prädestinierte die „rassi ge“ Chinesin nach Ansicht des Autors für den fortdauernden Einsatz an der Geis terfront. Ab Folge 25 wurde Sin Tao Mit glied in Jacks GeisterjägerTeam. Daneben gab es noch sporadische Helfer, die in der Serie unregelmäßige Auftritte hatten: In einigen Folgen, darunter Im Taumel des Irrsinns, war es Inspektor Hobson von Scottland Yard, der Jack un terstützte. Mehrfach half auch Whitey Dyson, Reporter im Ruhestand. Whitey, der über eine umfassende Bibliothek zu den Themen Spiritismus und Okkultis mus verfügt, machte mit Jack u. a. Jagd auf den Todesfalter. Gegen Ende der Serie schloss sich dann noch Chefredakteur John Miles dem Team an. Die Figur wur de bereits in der ersten Folge eingeführt, blieb aber auf bescheidene Auftritte be schränkt. Im Wesentlichen erfuhr der Le 24 ser über Miles bislang nur, dass er pau senlos Pfeife raucht und Jack bei seinen außerdienstlichen Recherchen viel zeitli chen Spielraum lässt (der Wunschtraum eines jeden Journalisten und Heftroman Autoren). In Folge 34, bei der Konfronta tion mit dem unheimlichen Pagen, ent deckte Miles schließlich das düstere Geheimnis seines Mitarbeiters. Neben dem Hauptschauplatz London, wo die meisten MonstrulaFälle angesiedelt waren, ermittelte Jack in u. a. Irland, Frankreich, Indien und Afrika. Seine Geg ner waren vorrangig Geister und Dämo nen, die ihre zerstörerische Macht auf Personen und/oder Dinge übertrugen. Andere Gruselgestalten, beispielsweise die Vampire in der Folge Die Grotte des Ent setzens, tauchten selten auf. Diese einge schränkte Auswahl an Gegenspielern tat der Spannung allerdings keinen Abbruch. Die Geschichten entwickelten sich oft wie Krimis mit fesselnder Spurensuche. Grundsätzlich erwies sich M.R. Richards als ein Meister der Horroratmosphäre, an gereicht mit haarsträubenden SchockSe quenzen: „Im Mittelgang des riesigen Archivraums lag genau unter einer grellen Neonröhre John Wolfes Leiche. Es war nicht mehr festzustellen, wie der Mann ge storben war, weil der Mörder die Leiche in einzelne Teile zerstückelt hatte. Sie waren wieder so auf den Fliesen angeordnet wor den, dass sie die Form eines auf dem Rücken liegenden Mannes bildeten. Aller dings hatte der Mörder zwischen den ein zelnen Gliedmaßen an den Schnittstellen einen Zwischenraum gelassen. Der Boden war mit einem Blutfilm bedeckt, so dass es aussah, als läge die Leiche in einem See von dunkelroter Farbe. Die gebrochenen Augen in dem vom Rumpf getrennten Kopf starrten dem Inspektor anklagend entge gen.“(22) Derart blutrünstig wie in Mons trula ging es im deutschen GruselHeftroman extrem selten zu, aus genommen der Dämonenkiller und Dr. Morton. Die Serie Dr. Morton wartete „mit sadistischen AntiHelden auf, die alle bis her gängigen Heftromankonventionen über Bord warfen.“(23) Folge war eine Dauerindizierung für den Zeitraum eines Jahres (von März 1975 bis März 1976), die vorerst zur Einstellung der Serie führ te (24). Ähnlich sah auch das ‚Ende’ des Dämonenkillers aus auch diese Serie verschwand wegen Dauerindizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendge fährdende Schriften (kurz BPjS) 1977 (vorübergehend) vom Markt. Es erwies sich in dem Zusammenhang als weise, dass SinclairAutor Rellegerd nicht dem Wunsch einiger seiner Leser nach mehr Gemetzel Folge leistete und es stattdessen bei unblutigem Horror beließ. Seiner An sicht, dass „gute Unterhaltung oder span 25 nende Gruselromane weder übermäßige Brutalität noch literweise Blut oder detail lierte Tötungsbeschreibungen benöti gen“(25), gibt die anhaltende Popularität der SinclairRomane Recht. Ob Jack Cal lum an der Zensur scheiterte, ist aller dings fraglich. Das endgültige Aus für Monstrula nach überraschend kurzer Laufzeit der Serie war lediglich Gerüchten zufolge die Reaktion des Verlages auf eine drohende Indizierung. Autor Richard Wunderer hat diese Darstellung stets be stritten. Er nannte als Grund den man gelnden wirtschaftlichen Erfolg (26). Die Angst vor einer Indizierung führte aber wohl dazu, dass die MonstrulaFolgen im letzten Drittel der Serie gezähmter wirken und deutlich weniger blutrünstige Details enthalten. Dafür steigerte sich Jacks Er folgsquote im Kampf gegen das Schatten reich. Offenbar versuchte der KelterVerlag Monstrula mehr nach dem Publikumsge schmack auszurichten. Maßstäbe hierfür setzte der zeitgenössische HorrorFilm: die dortige Gruselwelt war primär real fantastisch, kultverdächtig trashig und bizarr wie in Amando de Ossorios Film Reihe der Reitenden Leichen. Mitte der 70er Jahre boomte auch das ScienceFic tionHorrorGenre, technisierte, futuristi sche Welten faszinierten vor allem die junge Generation. Seit der Ausstrahlung der Fernsehserie Raumschiff Enterprise im deutschen Fernsehen hatten junge Leute hierzulande eine feste Vorstellung von dem, was moderne Helden ausmacht: HighTechWaffen, wissenschaftliches KnowHow, Superfähigkeiten und saloppe Sprüche. Auf solche Trends baute auch die Erfolgsformel des HorrorHeftroman Genres. Was den Lesern gefiel, sieht man an verkaufsstarken Serien wie u. a. Larry Brent und John Sinclair. Grundsätzlich schienen GeisterJäger Teams populärer zu sein als Einzelkämpfer, also erhielt Jack Verbündete – was hingegen nicht so recht funktionierte bzw. nicht funktionie ren konnte. Die Figur des Jack Callum war als die des einsamen Jägers konzi piert. Mit Harry Parker als Freund an sei ner Seite überzeugte Jack gerade noch als Duo, doch mit der Einführung weiterer Hauptfiguren verlor Jack den Charme des tragischen Helden. Er wurde zu einem von vielen erfolgreichen Geisterjäger, er folgreich im Kampf gegen Dämonen nur nicht im Kampf um die Gunst des Publi kums. Das anfangs innovative Monstrula Konzept erwies sich als ungünstig für eine langfristig geplante Serie. Im Mittelpunkt stand ein Held, der keiner sein wollte. Daran änderte auch sein athletisches Aussehen und die vielen amourösen Abenteuer nichts. Jack war kein Action held, kein James Bond. Seine Fälle be schrieben Einzelschicksale und 26 beschränkten sich auf die Länge einer Folge. Deren gängiges Muster: Ein sympa thischer Ermittler, quasi ohne Privatle ben, löst bizarre Mordfälle in unterschiedlichen Milieus. Konzepte die ser Art waren die Basis erfolgreicher deut scher TVKrimiserien wie Tatort, kamen jedoch bei der Leserschaft der HorrorHef tromane nicht so gut an. Sie verlangten nach mehr Fantasy und Figuren im Stil des SuperheldenComic. In Monstrula gab es keine Superschurken wie Dr. Tod, kei ne Mordliga, wenig Humor, keine Konti nuität in Form von Fehden, keine fantastischen Charaktere. Während bei spielsweise Dämonenkiller Dorian Hunter so illustere Gestalten wie Hexe Coco Za mis und den Hermaphroditen Philip um sich scharte, war Jacks Team noch prosa ischer als er selbst. Keiner außer ihm be saß übernatürliche Fähigkeiten, daher blieb er in direkten Auseinandersetzun gen mit dem Schattenreich weiterhin al lein. Es gab überdies wenig Action in Monstrula die Darstellung Jacks als groß, breitschultrig und durchtrainiert diente allein dem Sexappeal des Helden, denn zu aktiven Kampfszenen kam es kaum. Wenn Jack an seine physischen Grenzen stieß, dann in Trance, wenn er sich mental den Mächten der Schatten welt stellte. Diese Momente wurden span nend und phantasievoll beschrieben, nur bot sich keine Möglichkeit der Steigerung bzw. Entwicklung, was für eine Serie sinnvoll gewesen wäre. Ab einem gewissen Moment kreiste Monstrula um sich selbst und die Macher waren gezwungen einzu greifen. Im Rahmen dieser Frischzellen kur änderte sich der Untertitel: Statt Jack Callum im Kampf gegen Geister und Dämo nen hieß es ab Folge 25 schlicht Geister, Gespenster, Dämonen. Eine Folge zuvor wurde bereits das Layout der ersten Seite geändert. Bislang tauchte dort immer die selbe Zeichnung auf: ein Mann, der mit einem Beil bewaffnet gegen einen Geist kämpft. Neben der Abbildung stand ein Zitat der ersten Folge: der Fluch, der Jack zum Geisterseher machte. Ab Folge 24 war dann auf der ersten Seite ein Aus schnitt des Titelbildes zu sehen sowie ein kurzer Hinweis auf die kommende Hand lung. Durch diese Veränderungen wurde Jack als zentrale Figur aus dem Fokus genommen und der MysteryKrimicha rakter der Geschichten betont. Solchen marktstrategischen Reformen und der überdurchschnittlichen Qualität vieler MonstrulaFolgen zum Trotz ging die Se rie fast spurlos an den Fans der Grusel Groschenhefte vorbei. Hierzu Jochen Bärtle: „Erstaunlich ist es, dass viele Hef tromanLeser die Serie nicht einmal ken nen […]. Daher sei an dieser Stelle einmal eine Lanze gebrochen: Die Serie ist eine der besseren Serien des KelterVerlages und flüssig zu lesen. Die Figur des Jack Callum ist sehr menschlich dargestellt und in keiner Weise einer der typischen ÜberGeisterjäger.“(27) Monstrula war nicht die einzige Serie, die schwächelte. Auch der GeisterWestern (BasteiVerlag) und der GruselWestern (WolfgangMarkenVerlag) fanden keinen großen Anklang beim Publikum. Beide hielten sich nur ein Jahr auf dem Markt (197576). Ein kurzes Intermezzo gab ebenso Erber’s GruselKrimiDoppelband. Die unpopuläre Spreu trennte sich all mählich vom erfolgreichen Weizen. Und so hieß es auch für Jack Callum Lebe wohl: 1976 wurde die MonstrulaSerie nach 46 Folgen eingestellt. Jacks Kampf endete in Der Gruft der bleichen Gebeine ohne große Abschiedszene. Auf der letzten Seite erfuhr der Leser lediglich, „dass sich Jack Callum in diesem Roman auf dem Höhepunkt seiner seherischen Fähigkeiten befindet und die Reihe daher hier abgebro chen werden soll, da keine neuen Erleb nisse und Ereignisse geboten werden können.“(28) Die Umstrukturierung des Konzepts vom Einzelhelden zum Spezia listenteam hatte wohl nicht den ge wünschten kommerziellen Erfolg gebracht. Zum Ende hin ließ die Qualität der Geschichten auch spürbar nach; in sofern gönnte der bislang treue Leser Jack das abrupte Ende in Würde statt ei nes Siechtums in Schimpf und Schund. 27 Das hätte der MonstrulaHeld nicht ver dient, schließlich hatte er als Geisterjäger stets sein Bestes gegeben. Vielleicht war Jack nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Anfang der 80er Jahre plante Kelter ein Wiederaufleben von Monstrula – ein Plan, der nie zur Umsetzung kam und so mit die Frage offen lässt, ob der tragische Held in dieser Ära eher einen Treffer ge landet hätte. „Jack Callum hatte den Kampf gegen die Geister und Dämonen gewonnen. Ein lei ses schmerzliches Stöhnen entrann seinem Mund, als er die Verbindung zu den Geis tern löschte. Nein, er wollte nicht mehr den ungleichen Rachekampf miterleben. Sollte er sich dort abspielen, wo kein Mensch – auch er nicht – eindringen konnte; in der unendlichen Weite des Schattenrei ches.“(29) 1) u.a. in Monstrula Nr. 1 – Der Fluch des Geistes, S. 3 2) Vorankündigung in u.a. Monstrula Nr. 4 – Die Todeskugel des Magiers, S. 65 3) Pseudonym von Autor Jürgen Grasmück 4)Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte, Groschenhefte, Books on Demand GmbH, Norderstedt, S. 127 5)Pseudonym von Autor Helmut Rellegerd 6) Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte, Groschenhefte, Books on Demand GmbH, Norderstedt, S. 151 7) BasteiVerlag 8) Anne ErberVerlag 9)Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte, Groschenhefte, Books on Demand GmbH, Norderstedt, S. 59 10) Monstrula Nr. 13 – Zwei Schritte zum Abgrund 11) Autor: Friedrich Tenkrat 12) www.zauberspiegel online.de/.../22300monstrulakelters schauershockereinekritischebilanz 13) Monstrula Nr. 2 – Grotte des Entsetzens, S. 4 14) Monstrula Nr. 1 – Der Fluch des Geistes, S. 6 15) Monstrula Nr. 4 – Die Todeskugel des Magiers, S. 4 16) Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte, Groschenhefte, Books on Demand GmbH, Norderstedt, S. 137 17)www.zauberspiegel online.de/.../22300monstrulakelters schauershockereinekritischebilanz 18)Monstrula Nr. 30 Terror der Dämonen, S. 56 19)Monstrula Nr. 1 – Der Fluch des Geistes, S. 48 20)Monstrula Nr. 20 – Götze des ewigen Schreckens, S. 9 21)Monstrula Nr. 25 – Die Geisterfalle, S. 8 22)Monstrula Nr. 16 Der Hexer mit den roten Augen, S. 5 23)Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte, Groschenhefte, Books on Demand GmbH, Norderstedt, S. 264 24)Ebd. S. 264 25)Ebd S. 167 26)Ebd. S. 237238 27)Jochen Bärtle, Grusel, Grüfte, Groschenhefte, Books on Demand GmbH, Norderstedt, S. 274 28)Ebd. S. 273 29)Monstrula Nr. 3 – Das Schloss der tausend Augen, S. 64 28 Herr Feindt, in den 70er Jahren, haben Sie als Illustrator für u. a. den KelterVerlag (Monstrula, Gemini Science Fiction, Perry Rhodan) und die Europa Hörspiele (z. B. von Karl May) die Fantasy und Science FictionBildwelt in Deutschland maßgeb lich mit geprägt. Das machte Sie zu einem Vorbild für die nächste Generation der Il lustratoren. Welche künstlerischen Vorbil der hatten Sie? Es gibt keine speziellen Künstler, die mich bevorzugt inspiriert haben. Von vie len Künstlern gibt es gute und schlechte re Arbeiten/Illustrationen. Was mir gefiel hat mich zu eigenen Bildern inspiriert. Als zunächst Angestellter Grafiker im Kel terVerlag übernahm ich die grafische Ab teilung und war zuständig für die Grundgestaltung verschiedener Romane, Heftromane, Taschenbücher und einiger Rätselhefte, die auch Kurzgeschichten enthielten. Zunächst wurden Bilder aus verschiedenen Ländern angekauft und als Titelbilder verwendet. Nur kurze Zeit spä ter legte ich dem Verlag erste von mir er stellte MusterIllustrationen für eine neue HeftromanSerie vor und traf auf ein großes Interesse der Geschäftsführung. Im Rahmen ihrer Ausbildung zum Illustra tor waren Sie Ende der 60er Jahre auch in New York. Würden Sie sagen, die Kunst szene dort hat Ihr Werk stilistisch beein flusst? Wenn ja, wie? Nur teilweise. Meine Reise dorthin war in erster Linie gedacht um die Techniken der AirbruschIllustration zu erlernen. Der Kontakt wurde durch einen Freund ge knüpft, der mich dort mit einem Spezia listen zusammenführte. Ein echter Kontakt zur Kunstszene war in dem kurz en Zeitraum meines Aufenthalts leider nicht möglich. Hauptsächlich wollte ich meine AirbrushTechnik erweitern. Wie kamen Sie auf das Pseudonym Van Vindt? Vorbedingung der damaligen Geschäfts leitung des KelterVerlags war, dass ich in meiner Freizeit und als Selbständiger un ter einem Pseudonym arbeiten sollte, da mit Leser keinen Zusammenhang zwischen angestelltem Grafiker und dem Illustrator der Titelbilder hergestellt wer den konnte. Als Pseudonym wählte ich einen uralten Namen der Familie „Van Vindt“. 29 Die Titelbilder der HorrorHeftromanSerie Monstrula stammen hauptsächlich von Ih nen. Welche Eindrücke bzw. Erinnerungen verbinden Sie mit den Geschichten um Geisterjäger Jack Callum? Die Geschichten haben mich nur am Ran de interessiert. Ich war nie ein Freund von Horrorstories. Meist waren es nur kurze Szenen in damaligen VampirFil men die mich nur wegen der Optik in teressierten. Mancher Schauer war hierbei unvermeidlich, jedoch interessant. Anfang der 70er waren beim KelterVerlag allerdings auch viele Fotos verwendet worden und als dann die Romanserien „GeisterKrimi“ und „Monstrula“ entstan den, waren zunächst nur dafür Illustra tionen von mir gewünscht. Auch für „Liebesromane“ wurden einige Titelbilder angefertigt. Stammt auch der MonstrulaSchriftzug von Ihnen? Ja, den habe ich im Rahmen meiner Tä tigkeit als Grafiker des KelterVerlags ge staltet. Die MonstrulaFolgen erschienen im 14Ta ge Rhythmus. Da blieb wahrscheinlich nicht immer Zeit, um die Romane zu lesen. Wie eng war die Zusammenarbeit zwi schen Ihnen und Autor Richard Wunderer? Kam es z.B. zu einem gegenseitigen Aus tausch von Ideen? Leider nicht. Es gab nur kurze Gespräche mit dem Redaktionsleiter der Romanab teilung über die groben Inhalte. Dann war Phantasie gefragt um etwas gestalten zu können... Einen Kontakt mit den Autoren gab es leider nicht, obwohl ich mir das ge wünscht hatte. Mussten Sie als Illustrator bestimmte ver lagsbedingte Kriterien berücksichtigen, z.B. im Hinblick auf den Jugendschutz? Hierfür gab es keinerlei Anordnung der Redaktion. Es war – so meine ich zu erin nern – nur ein einzigesmal problematisch, da ich eine Nadeln in einem Auge platziert hatte. Das war die Illustration zu dem Ro man „Der Puppenmörder im Blutrausch“ (Monstrula Nr.10) Bei Monstrula Nr. 37 (Teuflische Drohung) kam es zu einem radikalen Bruch mit der Titelbildtradition: Das Cover zeigt ein Foto! Wissen Sie, wie es zu diesem Stilbruch kam? Inzwischen hatte ich mich selbständig ge macht und den KelterVerlag verlassen. Nach meinen Informationen sollte die Se rie mit Bildern anderer Illustratoren be stückt werden. Als Übergang wurde dann wohl ein Foto genommen. Die Suche nach Vorlagen für bestimmte Motive ist im Zeitalter des Internets ein Kinderspiel. In den 70er dürfte dies erheb lich schwieriger gewesen sein. Was waren in dem Zusammenhang ihre Quellen? Als damals fleißiger Leser diverser Comics wie Mandra, Phantom, Tarzan, Illustrierte Klassiker usw. wurde meine Phantasie angeregt. Da die Romane der Monstrula Reihe allerdings nicht mit ComicZeich nungen bestückt werden durften habe ich meinen eigenen Stil entwickelt. Komplett auf eine bestimmte Stilrichtung wollte ich mich allerdings nicht festlegen lassen, wie kurze Zeit später bei vielen LPCovern und diversen Romanillustrationen zu se hen ist. Auf meiner Homepage sind Bei spiele zu sehen: www.oloffeindt.de Dank der GrafikProgramme haben es Il lustratoren heute leichter FantasyBildwel ten zu erstellen. Fehlt Ihnen als Künstler bei aktuellen Aufträgen manchmal die handwerkliche Herausforderung? Das kann ich so für mich nicht bestäti gen, da ich nach wie vor Illustrationen ausnahmslos mit Pinsel und/oder Air brush male. Klar, es ist heute deutlich einfacher geworden, Dinge die per Com puter erstellt wurden, zu verändern, zu korrigieren, bis es „passt“. Malen und Zeichnen erfordert weit mehr Planung und handwerkliche Arbeit. Wichtig für mich ist aber: Es liegt am Ende ein kom plettes Original vor. Eine Zeichnung zu korrigieren, zu verändern bedeutet meist viel Arbeit um Teile neu zu schaffen. 30 Da damals von mir nur die Druckrechte der Illustrationen verkauft wurden befin den sich auch heute noch fast alle von mir erstellten Originale der Monstrula Reihe in meinem Besitz. Monstrula wurde nach nur 46 Folgen ein gestellt. Wissen Sie warum? Darüber habe ich leider keinerlei Informa tionen durch den Verlag erhalten. 31 Max Pechmann Spaß am Grauen Der USHorrorfilm in den 80er Jahren In den 80er Jahren wandelte sich der USHorrorfilm radikal. Die vom Schrecken des Vietnamkrieges und sozialen Bewegungen beeinfluss ten Filme der 70er Jahre standen nun nicht mehr auf der Seite der Protestbewegungen, sondern machten sich über das Leben der einsti gen Hippies als neue Spießbürger während der ReagenÄra lustig. Jedes Genre unterliegt einem Wandel. So auch der USamerikanische Horrorfilm, der sich En de der 70er Jahre von seinem Protestimage lös te und stattdessen mit einer bonbonfarbenen Heiterkeitswelle aufwartete. Das Horrorgenre legte in den 80er Jahren seine Ernsthaftigkeit ab und offenbarte sich als eine Form der Sati re, die mit böser Ironie und schwarzem Hu mor u. a. die Gesellschaft der Post70er durch den Kakao zog. Regisseure und Drehbuchau toren stellten sich die Frage, was eigentlich aus den Hippies des vergangenen Jahrzehnts ge worden war. Hatten sie es geschafft, eine neue Gesellschaft zu kreieren? Und was war mit ih ren Kindern? Die Antwort schien schnell ge funden. Sie lautete, dass diejenigen, welche in den 70ern nach alternativen Lebensformen ge sucht und die konservative Gesellschaft ver dammt hatten, nun selbst zu konservativen Bürgern geworden waren, welche es sich in den gepflegt wirkenden Vorstädten gut gehen ließen. Sie arbeiteten als Ärzte oder Anwälte oder Immobilienmakler. Ihre Freizeit ver brachten sie mit Fernsehschauen, Essen oder Shoppen. Ihre Kinder gerieten nicht in die Verlegenheit, ein neues Weltbild kreieren zu müssen. Sie verbrachten daher ihre schulfreie Zeit in Ferienlager, auf Partys oder wie ihre El tern vor dem Fernseher. Das Horrorgenre hatte somit seine neuen Op fer gefunden. Es setzte sich in den Vororten und Feriencamps fest und machte sich einen Spaß daraus, bizarre Serienmörder auf Teenies loszulassen. Das Subgenre des Slasherfilms wurde dadurch ins Leben gerufen. Doch auch Filme wie „Poltergeist“ oder „Ghostbusters“ begeisterten damals die Massen. Nicht wenige Horrorfilme kamen im Gewand einer Komö die daher, eine Neuerung, die es in dieser Menge an Produktionen zuvor noch nicht ge geben hatte. Während Horror in den 70er Jah ren verstörte, machte Horror in den 80er Jahren hauptsächlich wieder Spaß. Ärger in der Vorstadt Einer der wohl bekanntesten „Vorstadtfilme“ ist „Poltergeist“ (1982). Steven Spielberg und Tobe Hooper machen sich darin lustig über alt gewordene Hippies, die in einem hübschen Haus wohnen und das Leben genießen. Beina he der gesamte Alltag ist vom Fernsehen be stimmt. Im Wohnzimmer, im Schlafzimmer und sogar in der Küche stehen TVApparate, die ständig am laufen sind. Was die Freelings als ehemalige Hippies entlarvt, ist zum einen natürlich ihr Name, der für das sich in pure Luft aufgelöste Programm der Protestbewe gungen der 70er Jahre steht. Zum anderen drehen Mann und Frau am Abend heimlich ihre Joints. Steve Freeling beschäftigt sich nicht mehr mit politischen Alternativen und Freiheitsliebe, sondern interessiert sich für die Politik des Republikaners Ronald Reagan. Die vergangene Protestbewegung, die u. a. auch mehr Toleranz gefordert hatte, erweist sich in der Figur von Steve Freeling als rücksichtslos und verschlagen. Der Ort Cuesta Verde, in dem das Haus der Freelings steht, wurde auf einem alten Friedhof errichtet. Obwohl die Immobilienfirma, für die Steve arbeitet, ver sprochen hat, die Gräber umzubetten, wurde dies nie vollzogen. Ein anderer Aspekt betrifft den der Spiritualität, der sich in „Poltergeist“ im Hinblick auf die ehemaligen Protestler als reine Farce entpuppt. Schlossen die Hippies in ihre Handlungen eine spirituelle Weltsicht mit ein, so erweisen sich Mr. und Mrs. Freeling als extrem überfordert, wenn es um Fragen zu re ligiösen Vorstellungen wie etwa dem Jenseits geht. Dass beide ein rein diesseitiges und ma terialistisches Weltbild pflegen, beweisen nicht nur die vielen Fernseher, sondern zugleich das Kinderzimmer, das eine Ansammlung unter schiedlichster Filmfiguren ist. Statt zu klassi schem Spielzeug, greifen beide zur Erziehung ihrer Kinder lieber auf MerchandizingPro dukte zurück, Dinge also, die sie selbst durch das Fernsehen wahrnehmen. All diese Ein zelaspekte erhalten durch den berühmten An fang des Filmes ein Bild der Einheit. „Poltergeist“ beginnt mit der Großaufnahme eines flimmernden Fernsehbildschirms. Gleichzeitig dröhnt die amerikanische Natio nalhymne in voller Lautstärke. Spielberg und Hooper verweisen hier auf die gesamte ameri kanische Gesellschaft, die anscheinend am Anfang der 80er Jahre zur Ruhe gekommen ist. Eine ganze Generation aber hat dadurch ihre eigenen Ziele und Vorstellungen für eine 33 bessere Welt beiseite gestellt. In den Mikrokosmos der Vorstadt bringt uns ebenfalls Sean S. Cunninghams Komödie „House“ (1986). Hier geht es um neugierige Nachbarn, Scheinheiligkeit und die Verarbei tung des Vietnamtraumas. Der Horrorschrift steller Roger Cobb zieht in das Haus seiner verstorbenen Tante, nur um nach kurzer Zeit festzustellen, dass es darin spukt. Es kommt noch schlimmer, als ein Kamerad, den er wäh rend eines Gefechts in Vietnam im Stich gelas sen hat, plötzlich als Zombie vor der Tür steht, um es Cobb heimzuzahlen. Das Verhalten der Nachbarn, die ohne anzuklopfen unerwartet durchs Haus schleichen oder sich anbiedern, sowie die offenen und versteckten Meinungen über Cobbs Tante veranschaulichen ähnlich wie in „Poltergeist“ das Spießbürgertum, das sich in den Vorstädten entwickelt hat. Cun ningham zeigt dies allerdings nicht aus der Perspektive früherer Hippies, sondern aus derjenigen von Menschen, welche den Viet namkrieg am eigenen Leib erfahren mussten. Der Figur Roger Cobb kommt somit eine Op ferrolle zu. Er sucht verzweifelt einen Platz in der Gesellschaft. Seine Familie ist kaputt, so dass er auf sich allein gestellt ist. Seine Viet namerlebnisse versucht er, in Horrorromanen zu verarbeiten. Es zeigt sich, dass Cobb durch die Teilnahme an dem Krieg stigmatisiert ist. Dies gibt ihm von Anfang an die Charakteris tik eines sozialen Außenseiters. Während die Kritiker des Krieges sich nun als Neureiche etablieren, müssen sich die Opfer des Krieges ihren Platz in der Gesellschaft noch erkämp fen. Somit entwirft „House“, ähnlich wie „Pol tergeist“, ein demaskierendes Bild der Post70er Jahre. Ein weiteres Beispiel für die satirische Aus richtung des Horrorgenres in den 80er Jahren liefert der Film „Stepfather“ (1987), der auch unter dem Alternativtitel „Kill Daddy Kill“ bekannt ist. Der Film handelt von einem Psy chopathen namens Jerry Blake, der auf der Su che nach der perfekten Familie ist. Dabei trifft er auf Susan Maine, die zusammen mit ihrer Tochter Stephanie in einem Vorort wohnt. Be reits nach kurzer Zeit heiraten Jerry und Su san. Ihr neuer Ehemann gilt geradezu als vorbildlich. Stephanie kann ihn von Anfang an nicht leiden, was Jerry natürlich zuneh mend in Rage bringt, da dies seinem anvisier ten Familienglück ziemlich im Weg steht. Dies hat zur Folge, dass er Mutter und Tochter um bringen will, um sich woanders ein neues Fa milienglück zu suchen. „The Stepfather“ macht sich lustig über das suburbane Leben der amerikanischen Mittelschicht, indem er ausgerechnet einen völlig gestörten Serien mörder als jemanden auftreten lässt, der nach dem perfekten Familienglück strebt. Alles, was nicht in sein Schema einer vorbildlichen 34 Familie passt, treibt ihn sofort in den Wahn sinn. Mit Stephanie, einer pubertierenden Ju gendlichen, stößt er hierbei an seine Grenzen. Denn diese ist ständig am Nörgeln und möch te nichts lieber, als dass Jerry endlich wieder verschwindet. Hinter der glücklichen Fassade offenbart sich dadurch ein Drama, das aus Er folgszwang auf beruflicher wie familiärer Ebe ne besteht. Diese durch Werbung und andere visuelle Medien vermittelte Pflicht zum Glück scheitert an der Realität, was Blake und seine Leidgenossen recht schnell erfahren. Eine der bösartigsten VorstadtSatiren liefert letztendlich das surreale Werk „Society“ (1989). Hierbei geht es um den Jugendlichen Bill Whitney, der eigentlich in einer vorbildli chen Familie lebt und alles hat, was er braucht. Doch, um erwachsen zu werden, müssen er und seine Schwester an einer Art Initiationsritus teilnehmen. Erst dann sind sie vollwertige Mitglieder der Gesellschaft (Socie ty). Brian Yuzna demaskiert mit diesem Film das Spießertum der Vorstadt. Nicht nur das Filmplakat weist auf Masken hin, hinter denen sich die wahren Gesichter verbergen. Auf die Frage, welches Mittel für ein erfolgreiches Le ben in der Gesellschaft notwendig ist, liefert Yuzna die bitterböse Antwort: Schleimen. Die ser „Strategie“ für den sicheren Erfolg wird durch ein absurdgroteskes Finale gehuldigt, indem Bill sich einer Orgie gallertartiger We sen gegenübersieht, welche sich – nun gegen seitig anschleimen. Wir machen bloß Spaß Die 80er Jahre brachten so unterschiedliche Filme wie „ReAnimator“ (1985), „Waxwork“ (1988), „Elmer“ (1988) oder schließlich „Ghostbusters“ (1984) hervor. Ihnen gemein sam ist, dass sie im Grunde genommen Komö dien sind. Die Kritik an Horrorfilmen war aufgrund des aufkommenden Videomarkts und der damit einhergehenden DirecttoVi deoProductions, welche für eine wahre TrashWelle sorgten, besonders groß. Die Be hauptung, dass dies alles bloß Spaß ist, woll ten und wollen die wenigsten glauben. Betrachtet man die Filme genauer, so erkennt man, dass „ReAnimator“ sicherlich ein her vorragender Splatterfilm ist, dass er zugleich aber auch als Slapstickkomödie überzeugt. Nicht anders verhält es sich bei dem Episo denfilm „Waxwork“, der äußerst blutig er scheint, in Wahrheit jedoch einen überragenden Humor beweist. Die unge schnittene Fassung von Frank Henenlotters „Elmer“ ist noch immer indiziert, auch wenn niemand so recht weiß, warum, handelt es sich bei diesem Kultwerk schließlich ebenfalls um eine überaus witzigen Film über unsere Spaßgesellschaft. Einer der wenigen Produk tionen, die auch beim breiten Publikum als Komödie durchging, ist „Ghostbusters“. Inter essanterweise hat dieser Film keinerlei morali sche Kritik geerntet, teilt er doch selbst mächtig aus. Regisseur Ivan Reitman siedelt seine Story nicht in der Vorstadt an und macht sich auch nicht über ehemalige Hippies lustig. 35 Vielmehr steht bei ihm die amerikanische Kul tur als Ganzes auf dem Servierteller und hier bei speziell die Esskultur. Auf der ersten Ebene erzählt „Ghostbusters“ die Geschichte dreier Akademiker, die von der Universität geschmissen werden und nun versuchen müs sen, sich in der freien Wirtschaft zu behaup ten. Auf der zweiten Ebene lässt Reitman keinen satirischen Seitenhieb aus. Angefangen vom Universitätswesen bis hin zur Stadtpoli tik und Behördenwahnsinn lässt es der Film nicht an Spott und Hohn fehlen. Doch inter essanterweise zielt der Film immer wieder auf das Essenverhalten ab. Der Dämon Suhl, der aus einer anderen Dimension kommt, um die Welt in Besitz zu nehmen, taucht als erstes in einem Kühlschrank auf, in dem sich vor allem Fertigprodukte sowie Coladosen befinden. Ei ner der Hauptszenen spielt in einem Hotel, wo die Geisterjäger ein ganzes Buffet demolieren, während sie versuchen, einen herumschlei menden Geist zu fangen. Dieser stopft sich voll mit fettigem Essen, bevor er schließlich doch noch in die Falle geht. Im Finale, in dem die Gestalt gewählt werden soll, in welcher der Dämon die Welt vernichtet, erscheint die ser schließlich in Form des „allseits beliebten MarschmallowManns“. Die Geisterjäger ma chen somit nicht nur Jagd auf echte Gespens ter, sondern zugleich auf die USamerikanische Kultur und entpuppen sich dadurch als wahrer Bürgerschreck, da ihnen so gut wie nichts heilig ist oder Ehrerbietung einflößt. Unter das Siegel Bürgerschreck lassen sich ebenso oben erwähnte Horrorfilme einordnen. Herbert Wests bis ins Groteske ausartende Ex perimente in „ReAnimator“ machen sich (für manche auf geschmacklose Weise) lustig über nach außen hin kompetent erscheinende Wis senschaftler und ziehen dadurch das Ansehen der Wissenschaft als solche durch den Kakao. Brian Yuzna präsentiert keine verantwor tungsbewusste Wissenselite, sondern vielmehr Chaoten, die im Grunde genommen gar nicht wissen, was sie tun. Für die Beteiligten bedeu tete dies natürlich nichts Gutes. nenlotter mit seinem Parasiten Elmer auf die in den 80er Jahren aufgekommene Spaßgesell schaft. Brian ist ein Hedonist, dem nichts Bes seres passieren kann, als von einem Parasiten befallen zu werden, der ihm Glückshormone liefert. Allerdings muss er dafür morden, um seine Belohnung zu erhalten. Zwar versucht Brian, von seiner Sucht nach Glück loszukom men, was dem Film eigentlich einen recht mo ralischen Anstrich gibt. Doch Elmer erweist sich jedes Mal als stärker. Für Brian wird da durch der Spaß zur Qual. Henenlotter sieht im Vergnügen eine Sucht, die durch immer neue Anreize befriedigt werden muss. Die Spaßge sellschaft liefert sich somit dem Stress aus, nach Innovationen zu suchen, die allein dazu dienen sollen, Freude zu bringen. Nicht zu letzt führt dieses Verhalten zu Dekadenz und psychischem Verfall. Der Originaltitel „Brian Damage“ erhält in diesem Sinne eine doppelte Bedeutung. Die Lust auf Spaß und Vergnügung ist auch das Grundthema von „Waxwork“, in dem ein Wachsfigurenkabinett in einer Vorstadt eröff net wird. Die einzelnen Ausstellungsstücke zeigen die berühmtesten Psychopathen und Ungeheuer aus Legende und Wirklichkeit. Ei ne Gruppe Jugendlicher, die nichts mit sich anzufangen weiß, sieht darin eine lang ersehn te Abwechslung. Der Unterhaltungswert schlägt jedoch rasch um in tödliche Gefahr, da die Figuren alles andere als leblos sind. Die Fassaden der Vorstadt zeigen keine helle Freundlichkeit, sondern wirken leer und kalt, was den allgemeinen Vorstellungen einer Sub urbia widerspricht. Die Kleinstadtidylle ver kommt zu etwas Leblosem. In dem Wachsfigurenkabinett ist alles im gewissen Sinne spiegelverkehrt, denn hier ist das Leblo se durchaus etwas Lebendiges. Dies bedeutet keinesfalls einen Vorteil. Denn auch das Ver gnügen wird hier zu etwas wenig Wünschens wertem. Spaßgesellschaft und Vorstadt geraten hier auf den Prüfstand. Das Ergebnis ist ähnlich wie bei „Elmer“: eine Zunahme von Dekadenz, die im Chaos endet. So gesehen erscheinen die Aussagen dieser Filme, trotz ihres spaßigen Charakters, über aus kritisch, um nicht zu sagen pessimistisch. Nicht weniger amüsant verweist Frank He 36 Slasherfilme und Folklore Parallel zu den oben skizzierten Filmen entwi ckelte sich zu Beginn der 80er Jahre das Sub genre des SlasherMovies. Bereits davor gab es Horrorfilme, in denen vor allem Messer und Beile zum Einsatz kamen. Man denke z.B. an „Dementia 13“ (1963), eines der ersten Filme von Francis Ford Coppola. Gehäuft traten die se Filme jedoch erst ab ca. 1980 auf. Die grundlegende Story eines SlasherFilms kann als dramaturgische Umsetzung urbaner Legenden betrachtet werden. Den Zusammen hang zwischen Slasher und postmoderner Folklore fasste Regisseur Bernhard Rose noch mals in seinem Film „Candyman“ auf drama turgischästhetische Weise zusammen. Zwar stammt die Produktion von 1992 und ist alles andere als ein Slasher, dennoch weist der Re gisseur im Prolog auf diese Verbindung hin, indem eine unter Jugendlichen verbreitete Le gende und brutale Rasierklingenmorde in einen Zusammenhang gebracht werden. Nach dem amerikanischen Volkskundler Jan Brun vand, der den Begriff der urban legend in Um lauf gebracht hat, handelt es sich bei diesen Geschichten um eine Form der mündlichen Überlieferung, welche die Kultur der Indus triestaaten prägt. Urbane Legenden beinhalten merkwürdige, unheimliche und bizarre Situa tionen, die – wie jede Legende – angeblich auf Ereignisse zurückzuführen sind, die sich tat sächlich einmal zugetragen haben sollen. Als berühmteste Figuren gelten das Krokodil im Abwassersystem sowie der verschwundene Anhalter. Die Anhaltergeschichten existieren in unterschiedlichen Variationen und reichen von Geistergeschichten bis zu Erzählungen über einen wahnsinnigen Mörder, der statt seiner rechten Hand einen Haken besitzt, mit dem er seinen Opfern die Kehle aufschlitzt. Ei ne weitere Berühmtheit ist der Babysitter. Hier existieren ebenfalls mehrere Variationen, die von grotesken Situationen, wie etwa dem Ba cken des Babys, bis zu unheimlichen Mördern im Kinderzimmer reichen. Als Knotenpunkte dieser Legenden kristallisieren sich nach Brunvand Schulen, Universitäten und Ferien lager heraus. So taucht z.B. in „Halloween“ (1979) die Baby sitterVersion „Mörder im Kinderzimmer“ auf. Mithilfe der Kategorisierung urbaner Le genden in Angst und Rachegeschichten sowie merkwürdiger Anekdoten kann dieser Film als Angstgeschichte eingestuft werden. Ein wahnsinniger Mörder, der aus der Irrenanstalt geflohen ist, dezimiert Jugendliche, die sich zu einer heimlichen Party in einem Haus getrof fen haben, in dem eine junge Frau eigentlich auf ein Kind aufpassen sollte. Die Frau ist als so genanntes Final Girl die einzige Person, welche die Mordserie überlebt und sich im Fi nale dem weiß maskierten Michael Myers stellt. Auch das offene Ende weist auf die Um setzung urbaner Legenden hin, die in der Re gel damit enden, dass ein wahnsinniger Mörder nach seiner Tat weiterhin die Gegend unsicher macht. Aus Perspektive urbaner Legenden kann z.B. „Freitag der 13.“ (1980) als Rachegeschichte eingestuft werden. Die Handlung spielt in ei 37 nem Ferienlager, in dem sich vor einigen Jah ren ein schreckliches Unglück ereignet haben soll. Ein Junge, der von allen geärgert wurde, fand im See seinen Tod. Als in diesem Som mer das Ferienlager geöffnet wird, ereignen sich unheimliche Morde. Dem Zuschauer wird suggeriert, dass es sich bei dem Mörder um den damals ertrunkenen Jungen Jason Voor hees handelt, der sich an den Lebenden rächen will. Ähnlich wie Michael Myers verdeckt Ja sons Gesicht eine weiße Maske. Auch hier ma chen sich die Aspekte urbaner Legenden bemerkbar, wobei der Ort des Geschehens (ein Feriencamp) direkt darauf hinweist. Eine weitere berühmte Figur des SlasherGen res ist Freddy Krüger. Der Traumdämon mit Schlapphut und Ringelpullover, der statt eines Baseballhandschuhs einen Lederhandschuh mit Stahlklingen besitzt, entwickelte sich par allel zu den Figuren Michael Myers und Jason Voorhees zu einer Kultfigur der amerikani schen Popkultur. In „Nightmare on Elmstreet“ (1984) werden Jugendliche in ihren Träumen von Freddy Krüger heimgesucht. Das Ende bleibt offen. Im Gegensatz zu den oben ge nannten Filmen, verbindet Craven seine Story mit nicht verkennbarer Sozialkritik. Die als Angstgeschichte kategorisierte Handlung lie fert keine Aspekte von Sicherheit mehr. Selbst das eigene Bett oder die Badewanne verkom men zu Orten, die für eine paranoide Stim mung sorgen. Wes Craven lässt die Anonymität und Sprachlosigkeit seiner beiden Vorgänger beiseite. Er nutzt Freddy Krüger dazu, um der amerikanischen SuburbSociety einen satirischen Spiegel vorzuhalten. Ihm geht es nicht wirklich um die Demaskierung der HippieGeneration, wie dies in „Polter geist“ oder „House“ der Fall ist. Ihm geht es viel eher darum, ähnlich wie in „Stepfather“, der Vorstadtkultur als solcher einen Denkzet tel zu verpassen. Während Michael Myers und Jason als stumme Täter durch ihre Filme spu ken, kontert Freddy Krüger mit Sprüchen, welche Übergewicht, Fitnesswahn und TV Sucht durch den Kakao ziehen. Wes Craven zeigt zunächst saubere, niedlich wirkende Hausfassaden, nur um später alkoholkranke Ehepartner und zerrüttete Familien zu präsen tieren. Dabei ist „Nightmare“ geprägt von ei nem Surrealismus, der Wahn und Wirklichkeit miteinander vermischt. Es sind postmoderne Elemente, die veranschaulichen, dass unser Weltbild nicht gewiss ist. Die sozialen Ängste reichen bis in Cravens Verballhornung der Traumdeutung und Psychoanalyse und damit zugleich in esoterische Modetrends, die allein dazu dienen sollen, ein erfolgreiches Leben zu führen. Das Ergebnis von sozialen Ängsten, die aus Gruppen und Erfolgszwang resultie ren, ist eine ständige Panik und Ungewissheit, die letzten Endes auch zu schlechten Träumen führt. Der als verzerrtes Bild eines Sports freunds karikierte Freddy Krüger wird somit zu einem satirischen Symbol der gestressten amerikanischen Mittelklasse. Schluss Die 80er Jahre bildeten den Höhepunkt und zugleich das Ende des USamerikanischen Horrorfilms. Das bedeutet nicht, dass dieses Genre vollkommen brach lag. Es wurden wei terhin Filme produziert, doch riefen diese kei nen so genannten Hype hervor. Schuld daran war zum einen die Horrorbranche selbst. So führten die immer skurriler werdenden Death Scenes sowie die zunehmende Sinnlosigkeit der Handlungen von Slashern dazu, dass das stets mit großer Skepsis betrachtete Subgenre sein eigenes Grab schaufelte. Ein anderer Grund lag in der in den 90er Jahren aufge kommenen Krise in Hollywood. Es mangelte an Ideen und guten Drehbüchern, Produzen ten scheuten das Risiko, neue, originelle Filme zu finanzieren. Die Besucherzahlen gingen zu rück und damit auch der Umsatz. Trotz dieser Misere belichtete das Slasher Genre nach einer längeren Pause wieder die Kinoleinwände. Wes Craven hatte ihm durch seinen Film „Scream“ (1996) zur Wiedergeburt verholfen. Seitdem wird der Markt von Filmen dieser Art regelrecht überflutet. Auch andere Subgenres werden wieder mit größerer Inten sität bedient. Es kommt dabei zu einer Sym biose zwischen Horrorelementen der 70er und 80er Jahre. Aufgrund der Globalisierung schleichen sich zudem asiatische Merkmale in heutige Produktionen ein. Wann und ob es zu einer nächsten „Horrorpause“ kommen wird, bleibt abzuwarten. 38
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