011. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages, 27.04.2015 Reden von MdL Franz Sodann zum Antrag der Fraktion die LINKE in Drs 6/1218 „Sächsisches Forschungsprojekt zur Schicksalsklärung von sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges fortsetzen“ mit Stellungnahme der Staatsregierung ‐ Es gilt das gesprochene Wort! – Sehr verehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, im Jahr 2000 nahm das Forschungsprojekt „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte - Forschungen zum Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit“ bei der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten seine Arbeit auf. Ziel war es, Akten über sowjetische und deutsche Kriegsgefangene zu erschließen, aufzuarbeiten, zu sichern und so eine Grundlage für Auskünfte über Schicksale von vermissten Angehörigen aus Kriegs- und Nachkriegsjahren zu schaffen. Bis Ende 2014 konnten ca. 2,3 Millionen Datensätze deutscher Kriegsgefangener und Zivilisten und rund 1 Millionen sowjetischer Kriegsgefangener erfasst und aufgearbeitet werden. Unterlagen zu rund 1 Millionen weiterer Opfer liegen noch in russischen, ukrainischen, deutschen Archiven und anderer Nachfolgestaaten der UdSSR und warten auf Bearbeitung. Der Landtagspräsident Mathias Rößler hat in seiner Rede zum 70. Jahrestag zur Befreiung des Kriegsgefangenlagers Zeithain ganz klar dargelegt, „dass es sich beim Krieg gegen die Sowjetunion um einen Vernichtungsfeldzug handelte“. Mit beeindruckenden Worten schilderte er das Schicksal der 5,3 Millionen in Gefangenschaft geratenen Soldaten der Roten Armee. Ich möchte mich an dieser Stelle für die gefunden Worte und die Empathie recht herzlich bedanken. Und es war ein Vernichtungskrieg. Mit Befehlen und Weisungen wurde der Wehrmacht klar gemacht, dass jegliche Brutalität erlaubt, gar notwendig ist, und sie setzte diese Befehle um. Der Krieg vernichtete 25 Millionen sowjetische Menschen, darunter 16 Millionen Zivilisten, Frauen und Kinder. Von den Kriegsgefangenen wurden Tausende erschossen, die meisten starben durch Hunger, Kälte, Krankheiten und Seuchen. Das Giftgas Zyklon B wurde an ihnen getestet. Als Zwangsarbeiter wurden sie bis zum Tode ausgebeutet. Nach den Juden zählen die Kriegsgefangengen zur größten Opfergruppe des Krieges. Dieses sprachlos machende Verhältnis ist nur ein Hinweis darauf, wie wichtig die Aufarbeitung ist. Von 5,3 Millionen Gefangenen sahen 3 Millionen ihre Heimat nie wieder. Rund eine Million Schicksale konnten aufgearbeitet werden. Mehrere tausend individuelle Anfragen wurden beantwortet. In hunderten von Fällen konnten Angehörigen von verstorbenen Kriegsgefangenen persönlich Dokumente übergeben werden. Teilweise haben Kinder und Enkelkinder zum ersten Mal ein Foto ihres Vaters oder Großvaters erhalten. Millionenfach wurde die Online-Datenbank zur Suche von Daten von Angehörigen genutzt. In osteuropäischen Zeitungen wurden Zehntausende von Personendaten veröffentlicht. In russischen, weißrussischen und ukrainischen Massenmedien wurden ausführliche Berichte über dieses Projekt gesendet. Fast jede Familie der ehemaligen Sowjetunion hat verschollene Opfer zu beklagen. Nichtwissen und Verlust sind schmerzlich, das Bedürfnis nach Aufklärung, auch um den Preis niederschmetternder, traurigster Gewissheit, ist bei Angehörigen und der ihr nachfolgenden Generation da. Erst mit der Gewissheit entsteht die Möglichkeit, mit der eigenen Geschichte, und – mit dem Verursacher dieses unmenschlichen Vernichtungskrieges – Frieden zu schließen, um gemeinsam in eine Zukunft schauen zu können. Für die Fortführung und Wiederaufnahme des Forschungsprojektes zur Aufarbeitung der vorhandenen Datensätze werden ca. 10 Jahre gebraucht. Um in den bisherigen Strukturen arbeiten zu können, werden bis zur Beendigung 3 Mio. € benötigt, das entspricht 300.000 € pro Jahr. Ein kleiner Beitrag mit großer Wirkung für Deutschland, aber vor allem für Sachsen. Leider wurde dieses für das Ansehen Deutschlands und Sachsens so wichtige Projekt Ende 2014 der schwarzen Null untergeordnet und beendet. Zwei Anträge zum Fortbestehen und zur Fortführung stellte unsere Fraktion in den Jahren 2013 und 2015. Zunächst eine Erleichterung, dass das SMWK Mittel für die Fortführung der Auskunftserteilung einstellen würde, um diese zu sichern. Seit Dezember 2014 stehen dafür praktisch Überbrückungsgelder bereit. Warum wurden die Mittel nicht dafür verwendet? Bzw. warum wurden die Gründe, die dem entgegenstanden, nicht aus dem Weg geräumt? Ich finde den Vorgang ungeheuerlich. Mir drängt sich hier die Erkenntnis auf, dass dieses Projekt von Seiten der Stiftung nicht wirklich gewollt wird und sie kommt damit auch noch durch. Nun begrüßen wir ausdrücklich, dass die Auskunftserteilung nunmehr zum 1. Mai 2015 wieder aufgenommen werden soll. In wenigen Tagen kann also die Arbeit fortgesetzt werden. Sie von den Koalitionsfraktionen könnten also mit Recht fragen, warum dann noch diesen Antrag im Plenum behandeln? Das kann ich ihnen erklären: es macht eben nicht den Eindruck, als ob alle Hindernisse und Schwierigkeiten von der Regierung aus dem Weg geräumt worden sind. Bisher ist uns nicht bekannt, dass Personalgespräche geführt, geschweige denn Verträge mit Mitarbeitern geschlossen worden wären, um die Auskunftserteilung zu gewährleisten. Der 1. Mai ist nah. Außerdem ist auch nicht klar, welche Summen nun pro Jahr im Haushalt zur Verfügung stehen und wie viele Stellen geschaffen werden sollen. Wir beantragen also weiterhin, dass die Staatsregierung aufgefordert wird, mit der Bundesregierung schnellstmöglich Verhandlungen zu führen, damit das Forschungsprojekt wieder aufgenommen werden kann. Die sächsische Staatsregierung befände sich dabei übrigens in guter Gesellschaft, denn auch der deutsche Außenminister Frank-Walther Steinmeier, der russische Außenminister Lawrow, der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz, die deutsche Kriegsgräberfürsorge wandten sich gegen die Beendigung des Projektes 2014. Wir befinden uns im 70. Jahr der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa. Das Schicksal der Millionen Gefangenen spielte sowohl in der DDR, als auch in der BRD eine untergeordnete Rolle. In der Sowjetunion wurden die vormals unter Stalin als Landesverräter stigmatisierten Opfer erst 1995 offiziell rehabilitiert. Die Mitarbeiter des Projekts haben sich in jahrelanger Arbeit auf international höchstem Qualitätsniveau Vertrauen und Zugang zu den Archiven des FSB erarbeitet. Für diese Arbeit kann ich im Namen meiner Fraktion dem ehemaligen Leiter dieses Projektes, Herrn Dr. Müller, sowie dem Historiker Herrn Dr. Haritonow und den an diesem Projekt Beteiligten nur ganz herzlich danken. Diesen Zugang dürfen wir nicht verlieren und müssen daran anknüpfen. Wenn das Projekt nicht weitergeführt wird, ist zu befürchten, dass die Russen den Zugang zu den Archiven schließen und so wäre auch die Schicksalsklärung deutscher Kriegsgefangener gefährdet. Das in Sachsen ansässige Forschungsprojekt hatte internationale Strahlkraft der Aussöhnung mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Deswegen sollten auch mit der Bundesregierung darüber Verhandlungen geführt werden, dieses Projekt in Sachsen zu belassen und es nicht in eine Bundesdienststelle nach Berlin zu überführen. Die besondere Verantwortung Deutschlands ist nicht allein historisch bedingt. Aus eigener Kraft, aber vor allem aus alliierter Unterstützung heraus hat Deutschland eine Position als wirtschaftlich starker Partner, und durch seine geografische Lage als Diplomat. Gerade wir Deutschen verdienen unsere Glaubwürdigkeit, Krieg zu verhindern zu suchen auch dadurch, dass wir Frieden ermöglichen. Die Anerkennung und Aufarbeitung des von unserem Land ausgegangenen millionenfachen Leids gehört zu dieser Glaubwürdigkeit, zu unserer Verantwortung dazu. Die Fortführung des Projekts gebietet weiterhin schlicht die Menschlichkeit. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu. Vielen Dank. Schlusswort: Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Heute fand um 14:30 Uhr auf Einladung des russischen Botschafters in Berlin eine Besprechung mit hochrangigen Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Apparats der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, diplomatischen Vertretungen und auch unter Teilnahme der Stiftung Sächsische Gedenkstätten statt. Thema war die weitere Umsetzung des von uns heute thematisierten Forschungsprojektes. Über den Ausgang der Gespräche habe ich leider noch keine Kenntnis. Auch Herr Dr. Müller, der langjährige Leiter des Projektes, den die demokratischen Parteien in diesem Haus in den letzten Jahren immer wieder hoch geschätzt und gewürdigt haben, nahm daran teil. Mit seiner Erlaubnis zitiere ich aus seinem gehaltenen Vortrag. „Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass praktisch jeder erwachsene Einwohner in Russland, der Ukraine und Weißrussland von diesem Projekt der Bundesrepublik Deutschland (und damit von Sachsen) schon einmal gehört hat. Wir haben (bei der Übergabe von persönlichen Dokumenten) immer wieder gespürt, dass wir nicht nur als Personen oder Vertreter von Organisationen wahrgenommen wurden, sondern als symbolische Botschafter unseres Landes, oftmals neben dem offiziellen Botschafter. Wir standen und stehen für das neue Deutschland, das seine Geschichte ange- nommen hat, die Verantwortung für seine Geschichte übernimmt und im Sinne von Frieden und Aussöhnung wirkt. Für die einfachen Menschen, häufig vom Lande, sind wir Deutschland gewesen, das Land, das ihnen so viel Leid angetan hat und das heute zur Überwindung des Trennenden beiträgt, indem es konkrete, für die Menschen unmittelbar spürbare Hilfe und Informationen bietet {...}. Ich bin überzeugt, dass es keine bessere Möglichkeit der Aussöhnung geben kann. Es gibt kein sachliches Argument, die noch vorhandenen Unterlagen, die mit deutschen Friedhofsunterlagen zusammengebracht werden müssen, unbearbeitet zu lassen. Welche Begründung sollen wir deren Angehörigen geben, dass über diese Kriegsgefangenen keine Auskunft gegeben werden kann? Sind es Personen minderen Rechtes, minderen moralischen Anspruches?“ In diesem Sinne bitte ich Sie, stimmen Sie unserem Antrag zu und ermöglichen Sie damit, die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des für Sachsen so wichtigen Forschungsprojektes in seiner bisherigen funktionierenden Struktur zu schaffen. Vielen Dank.
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