Historiker für Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener | Manuskript Historiker für Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener Bericht: Frank Wolfgang Sonntag Juni 1941.Der Angriff der Deutschen trifft die Sowjetunion weitgehend unvorbereitet. Dadurch kann die Wehrmacht zu Beginn des Krieges schnell vorrücken und der Roten Armee schwere Schläge versetzen. Die überraschten sowjetischen Soldaten werden massenweise gefangen genommen. Insgesamt sind es 5,7 Millionen. Davon kommen 3,3 Millionen in deutscher Gefangenschaft um. Damit sind die sowjetischen Kriegsgefangenen die zweitgrößte Opfergruppe des nationalsozialistischen Rassewahns. Prof. Wolfgang Benz: „Sowjetische Kriegsgefangene sind vollkommen anders behandelt worden von der deutschen Wehrmacht, von der deutschen Bürokratie als alle anderen. Man hat ihnen nämlich alle Rechte, die Kriegsgefangene nach den Genfer Konventionen genießen, verweigert. Man hat sie als Untermenschen, als menschlichen Abfall behandelt und war lange Zeit froh über jeden, der unter dieser Behandlung zugrunde ging.“ Der zuständige Wehrmachtsgeneral Hermann Reinecke erließ im September 1941 einen entsprechenden Befehl. Zitat: „…der bolschewistische Soldat (hat) jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafter Soldat und nach dem Genfer Abkommen verloren.“ Normalerweise haben Kriegsgefangene kein Anrecht auf eine Entschädigung. Doch die sowjetischen Kriegsgefangenen sind deutlich schlechter als Franzosen, Engländer und andere behandelt worden. Deshalb hat der Berliner Verein „Kontakte“ eine Petition in den Deutschen Bundestag eingebracht, die darum bittet, jedem Überlebenden eine symbolische Entschädigung von 2.500 Euro zu zahlen. Der Verein betreut ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und bittet sie, ihre Erlebnisse aufzuschreiben. So ist eine Sammlung von 7.000 Einzelschicksalen in Form von Briefen entstanden, die Mehrzahl der Verfasser ist heute bereits verstorben. Eberhard Radczuweit, Verein „Kontakte“: „Wir sagen den alten Menschen, euch ist in Deutschland kein Denkmal hingestellt worden, aber eure Briefe, das ist ein Denkmal, das dauern wird, ja, denn eure Briefe, die werden wir aktiv verteilen und verbreiten.“ Was aber steht in diesen Briefen, wer sind die Menschen, die sie geschrieben haben? „FAKT“ ist in die ehemalige Sowjetunion, in das heutige Armenien gefahren, um sich die Erinnerungen der hochbetagten ehemaligen Kriegsgefangenen anzuhören. In Martuni, etwa Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 1 Historiker für Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener | Manuskript 150 Kilometer von der Hauptstadt Jerewan entfernt, wohnt Abov Chatschatrjan. Der frühere Lehrer ist inzwischen 95 Jahre alt. Vor mehr als 70 Jahren wurde er in der Nähe von Saparoshje von der Wehrmacht gefangenen genommen. Eine Woche lang bekamen damals die Gefangenen von den Deutschen keinerlei Verpflegung. Sie überlebten nur, weil ukrainische Frauen ihnen Brotstücke zuwarfen. Die deutschen Soldaten wollten das verhindern. Abov Chatschatrjan: „Ich sah, wie eine Frau, die an ihrer Brust ihr kleines Kind stillte und uns dabei Brotstücke zuwarf, von einem deutschen Soldaten in die Brust gestochen wurde. Ihre Brust blutete, und das Blut kam zusammen mit der Muttermilch in den Mund des Kindes. Ich deckte meine Augen mit der Hand zu, damit ich das nicht weiter sähe. Es war schrecklich.“ Von den 3,3 Millionen Opfern unter den Gefangenen sind 80 Prozent verhungert. Die Wehrmacht hat sie bewusst verhungern lassen. Die verzweifelten Menschen griffen zum Äußersten, um ihr Leben zu retten. Abov Chatschatrjan: „Nicht weit von mir lag ein Kasache. Die Kasachen galten wie die Mittelasier überhaupt als Menschen, die am Köper relativ viel Fleisch haben. Nicht weit von mir lag ein lebendiger Kasache, da tauchten plötzlich drei Typen auf, die mit Messern blitzschnell aus dem Gesäß des Kasachen ein etwa anderthalb Kilo großes Fleischstück schnitten. Dann legten sie das Fleisch auf ein verlöschendes Feuer und aßen das halbgebratene Fleisch.“ Der nie zu stillende Hunger ist das gemeinsame Erlebnis aller sowjetischen Kriegsgefangenen. Sargis Suljan aus Jerewan, heute 90 Jahre alt, erinnert sich, dass unter den unmenschlichen Verhältnissen täglich Gefangene an Hunger starben. Andere waren so schwach, dass sie sich nicht mehr erheben konnten. Sargis Suljan: „Das Lager bestand aus zwei Teilen. Während die Kriegsgefangenen auf der einen Seite das Essen bekamen, wurden auf der anderen Seite die Leichen gesammelt. Neben den Leichen blieben auch die schwer Kranken auf dem Boden liegen, die nicht imstande waren, aufzustehen. Wenn der betreffenden Sammler der Leichen etwas Gewissen hatte, erschoss er die Kranken und erst dann warf er sie auf die Leichen. Wenn er aber kein Gewissen hatte, warf er die noch Lebenden Menschen einfach auf die Leichen. Das hing davon ab, wer diese Leichensammler waren.“ All dieses unsagbare Leid soll nun möglicherweise mit einer symbolischen Entschädigung von 2.500 Euro anerkannt werden. Für die alten Männer in Armenien, die von 100 Euro Rente Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 2 Historiker für Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener | Manuskript leben müssen, wäre das sehr viel Geld. Und es wäre eine Geste aus Deutschland am Ende ihres Lebens, so dass sie vielleicht innerlich mit dem erlittenen Leid abschließen könnten. Doch als im letzten Jahr ein Entschädigungsantrag in den Bundestag eingebracht wird, scheitert er zunächst an der schwarz-gelben Mehrheit. Viele hatten wohl im Hinterkopf, dass es den deutschen Gefangenen in der damaligen Sowjetunion auch sehr schlecht gegangen ist. Für Cornelia Behm, ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, die sich für die Entschädigung engagiert, ist das aber kein stichhaltiges Argument. Cornelia Behm, Bündnis 90 / Die Grünen, „Kontakte“: „Diejenigen, die heute sagen, den Deutschen in russischer Gefangenschaft sei es ja auch dreckig gegangen, die vergessen, dass Deutschland den Krieg angefangen hat. Und ich bin der Meinung, man kann auch nicht Leid gegen Leid aufwiegen.“ Auch der Historiker Professor Wolfgang Benz unterstützt die Forderung, die noch lebenden 2.000- 4.000 Kriegsgefangenen zu entschädigen. Prof. Wolfgang Benz: „Als symbolische Geste, als Akt der Einsicht in verbrecherisches historisches Geschehen halte ich das für vollkommen berechtigt, ja für notwendig.“ Im Petitionsausschuss des Bundestags liegt noch ein weiterer Entschädigungsantrag. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Demnächst wird dort über die Frage entschieden werden, ob dem deutschen Volk, das bittere Schicksal aller dieser alten Männer wie Abov Chatschatrjan insgesamt weniger als zehn Millionen Euro wert ist. Das wären einmalig sechs bis zwölf Cent für jeden Deutschen. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 3
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