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22. Jahrgang
Entscheiderbrief
Informations-Schnelldienst
4/2015
Entscheiderbrief 4/2015
2
. Erläuterungen zum Prüfungsumfang, insbeson-
Inhalt
4
.
.
.
.
Aktuelle Rechtsfragen
Aus der Rechtsprechung4
.
Was sonst?/Literatur
Informationsrecht der Presse (Nachtrag)
6
Literaturhinweis: Grenzbereiche 7
der Supervision – Verwaltung
in Bewegung
IZ Asyl und Migration weist hin auf
7
.
Verfahren
Auskunftserteilung in Asylverfahren
Verbesserungen für Asylsuchende
und Geduldete
Migration/Integration
Kosovo: Rückkehrhilfe eingeschränkt
2
3
Auskunftserteilung in
Asylverfahren
Entsprechend der Vorgaben der Art. 19 und 21 der
Richtlinie 2013/32/EU,1 die bis zum 20.07.2015
in nationales Recht umzusetzen ist, müssen die
Mitgliedsstaaten unentgeltlich rechts- und verfahrenstechnische Auskünfte im erstinstanzlichen
(Verwaltungs-)Verfahren erteilen. Dazu gehören
mindestens Auskünfte zum Verwaltungsverfahren
unter Berücksichtigung der besonderen Umstände
des Ausländers. Das BMI hat das Bundesamt mit der
Umsetzung dieser Pflichtaufgabe betraut. Ziel der
Auskunftserteilung ist eine möglichst einzelfallbezogene, vertrauliche, unentgeltliche und neutrale
Informationsvermittlung im Asylverfahren beim
Bundesamt.
dere Möglichkeiten der Schutzgewährung sowie
Hinweise zum Ablauf des Asylverfahrens,
Erläuterungen zu Maßnahmen des Asylverfahrens, z.B. der Anhörung und ihrer Bedeutung,
Informationen über die beteiligten Akteure, deren Funktionen und Entscheidungsbefugnisse,
Hinweise zu den individuellen Rechten und
Pflichten im Asylverfahren,
Hinweise auf (Verfahrens-)Beratungsstellen und
die Möglichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts,
Erläuterungen zum Inhalt des Bescheides und
der Rechtsbehelfsbelehrung im Falle einer ablehnenden Entscheidung
nur für unbegleitete Minderjährige und deren
Vertreter: Erteilung von Auskünften im Rahmen
des Widerrufs- und Rücknahmeverfahrens
Bei der Auskunftserteilung handelt es sich nicht um
eine Rechtsberatung oder eine vorweggenommene
Anhörung.
Eine neutrale, vertrauliche Auskunftserteilung bedeutet, dass der Auskunftserteilende gewonnene Erkenntnisse und Informationen nicht an den zuständigen Entscheider oder zur Akte gibt. Ebenso nehmen Mitarbeiter keine Einschätzungen der Erfolgsaussichten des Asylantrags oder des Rechtsbehelfs
vor. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
erprobt seit dem 01.02.2015 die Auskunftserteilung
durch ein Pilotprojekt in der Außenstelle Bielefeld.
Dadurch können Erkenntnisse im Hinblick auf eine
bestmögliche Umsetzung gewonnen werden. Im
Pilotprojekt „Erprobung der Auskunftserteilung im
Asylverfahren“ sind zwei Mitarbeiter des Bundesamtes eingesetzt. Eine Evaluierung des Pilotprojekts soll
auch zeigen, inwieweit das Angebot von der Zielgruppe angenommen wird. Es ist geplant, die Auskunftserteilung ab dem 01.08.2015 flächendeckend
einzusetzen.
Konkret können Antragssteller zu ihren Verfahren
folgende Auskünfte erhalten:
1 Novellierte Verfahrensrichtlinie v. 26.06.2013.
Ann-Kristin Erdem-Weigel, 410
Entscheiderbrief 4/2015
Verbesserungen für Asylsuchende und Geduldete
Bereits am 11.11.2014 trat eine Rechtsverordnung in
Kraft, mit der die Vorrangprüfung für den Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber und Geduldete bei
Fachkräften generell und ansonsten nach einem
Inlandsaufenthalt von 15 Monaten entfallen ist.1 Das
Rechtsstellungsverbesserungsgesetz brachte zum
01.01. bzw. 01.03.2015 zusätzliche Änderungen zugunsten von Asylbewerbern und Geduldeten:2
3
Wohnsitzauflage
Ausländer, die der Residenzpflicht nicht (mehr)
unterliegen und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, sind bei der Wahl ihres Wohnsitzes
frei; sie dürfen sich somit im gesamten Bundesgebiet
niederlassen. Ist ihr Lebensunterhalt nicht gesichert, unterliegen sie der Wohnsitzauflage. Sie sind
dadurch verpflichtet, an dem Ort, der in der Verteilbzw. Zuweisungsentscheidung genannt ist, ihren
gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (§ 60 I
AsylVfG). Die Wohnsitzauflage schränkt die Möglichkeit, sich im Bundesgebiet im Übrigen frei zu
bewegen und aufzuhalten, nicht ein.
Residenzpflicht
Die Änderung des AsylVfG modifiziert die räumliche
Aufenthaltsbeschränkung für Ausländer, die sog. Residenzpflicht. Sie entfällt, „wenn sich der Ausländer
seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet
oder gestattet im Bundesgebiet aufhält“ (§ 59a I
AsylVfG). Der Aufenthaltsbereich wird damit vom
Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde auf das
Bundesgebiet erweitert.
Die räumliche Beschränkung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer wird durch Änderungen des
AufenthG nach 3 Monaten vom Bundesland auf das
Bundesgebiet ausgeweitet (§ 61 Ib AufenthG).
Allerdings kann gemäß § 59b AsylVfG bzw. § 61 Ic
Nr. 1-3 AufenthG eine räumliche Beschränkung sowohl für Asylbewerber als auch für Geduldete angeordnet werden bei
. Verurteilung wegen einer (nicht ausländerrechtlichen) Straftat,
. Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und
. Bevorstehen von konkreten Maßnahmen zur
Aufenthaltsbeendigung.
1 Den Hintergrund bildete die Zustimmung des Bundesrates zum Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als
sichere Herkunftsstaaten (vgl. Entscheiderbrief 11/2014,
S. 4).
2 Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtstellung von
asylsuchenden und geduldeten Ausländern wurde am
31.12.2014 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Art. 1
(Änderung AufenthG) sowie Art. 2 (Änderung AsylVfG)
sind zum 01.01.2015 und Art. 3 (Änderung AsylbLG)
zum 01.03.2015 in Kraft treten (vgl. Entscheiderbrief
12/2014, S. 6 f.).
Wohnsitzauflagen zielen auf eine gerechte Verteilung der Sozialkosten innerhalb Deutschlands,
indem Sozialleistungen lediglich am festgelegten
Wohnort erbracht werden. An diesem Ort ist der
Einzug in eine private Wohnung in der Regel möglich. Da eine dezentrale Unterbringung bei Personen,
bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen konkret bevorstehen, erhebliche praktische Probleme
nach sich ziehen kann, ist es nach § 60 II AsylVfG
möglich, diese Ausländer zu einer Wohnsitznahme
„in einer bestimmten Gemeinde, in einer bestimmten Wohnung oder Unterkunft“ zu verpflichten.
Bei Geduldeten kommen die wohnsitzbeschränkenden Auflagen ebenso zur Anwendung, wenn sie Leistungen der sozialen Sicherung beziehen (§ 61 I d
AufenthG). Gewöhnlich hat ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer seinen Wohnsitz an dem
Ort zu nehmen, an dem er zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung der
Abschiebung gewohnt hat.
Asylbewerberleistungsgesetz
Die Anpassungen im AsylbLG sehen vor, dass nach
dem Ende der Pflicht zum Aufenthalt in einer Erstaufnahmeeinrichtung vorrangig Geld- statt Sachleistungen zu gewähren sind. Dies gilt insbesondere
bei Unterbringung außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung. Sachleistungen bleiben aber möglich, „soweit es nach den Umständen erforderlich ist“ (§ 3 II
3 AsylbLG).
Doris Hilber, 410
Entscheiderbrief 4/2015
4
Kosovo: Rückkehrhilfe
eingeschränkt
Über das REAG/GARP-Programm1 erhielten auch
Kosovaren insbesondere bei freiwilliger Rückkehr
ins Heimatland eine Unterstützung. Meist wurden
Transportkosten sowie Reise- und Starthilfen gewährt. Nach Übereinkunft von Bund und Ländern
werden nunmehr bei kosovarischen Staatsangehörigen, die nach dem 31.12.2014 eingereist sind
und Rückkehrhilfe beantragt haben, nur noch die
Transportkosten übernommen. Die Reisebeihilfe
(200 Euro/Person) und die Starthilfe (400 Euro bzw.
750 Euro/Person) entfallen. Damit werden KosovoRückkehrer den Staatsangehörigen aus anderen
(West)-Balkanländern (z.B. Albanien, Serbien, Mazedonien) gleichgestellt, für deren Bürger seit Längerem eine visumfreie Einreise nach Deutschland
möglich ist.
Die Redaktion
1 Das „Reintegration and Emigration Programme for
Asylum Seekers in Germany“ (REAG) gewährt Hilfe
durch Übernahme der Beförderungskosten (Flugzeug,
Bahn, Bus, Benzin) sowie Reisebeihilfen. Das „Government Assisted Repatriation Programme“ (GARP)
unterstützt mit Starthilfen einen Neuanfang in migrationspolitsch bedeutsamen Ländern (Drittstaaten).
Aus der Rechtsprechung
Syrien
Militärdienstverweigerung/Desertion
BVerwG (Schweiz): Eine drohende Strafe wegen
Wehrdienstverweigerung und Desertion ist weiterhin flüchtlingsrechtlich grundsätzlich irrelevant,
wenn sie allein der Sicherstellung der Wehrpflicht
dient. Anderes gilt aber, wenn eine drohende Strafe
entweder aus politischen
Gründen (Art. 3 CH-AsylG1) diskriminierend schärfer ausfällt oder derart unverhältnismäßig hoch
ist, dass auf ein flüchtlingsrechtlich erhebliches
Verfolgungsmotiv geschlossen werden muss. Im
entschiedenen Einzelfall erachtet das Gericht es
als überwiegend wahrscheinlich, dass die syrische
Regierung die Dienstverweigerung als Ausdruck
einer regimefeindlichen Gesinnung sieht und deshalb eine unverhältnismäßig schwere Strafe und
menschenrechtswidrige Behandlung droht, zumal
der Beschwerdeführer bereits als Gegner des Regimes aufgefallen war. Schließlich sind Personen, die
sich dem Armeedienst entzogen haben, seit dem
Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 in großer Zahl
nicht nur inhaftiert, sondern auch gefoltert und
ohne Gerichtsverfahren hingerichtet worden.
Eine inländische Fluchtalternative besteht trotz
kurdischer Volkszugehörigkeit und Herkunft aus
Gebieten, die die syrisch-kurdische PYD beherrscht,
nicht. Adäquater Schutz kann nur von einer stabilen
und organisierten Autorität gewährt werden, welche
ein Gebiet uneingeschränkt kontrolliert. Daran fehlt
es angesichts der gegenwärtigen Instabilität dieser
nordsyrischen Region (U.v. 18.02.2015 - D - 5553/
2013).
Folgeantrag/Lageänderung vor 2013
VG Kassel: Die dreimonatige Frist für einen Folgeantrag beginnt mit dem Tag, an dem der Betroffene
vom Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis
erhalten hat (§ 71 AsylVfG i.V.m. § 51 III VwVfG).
Bei Dauersachverhalten ist für den Fristbeginn die
erstmalige Kenntnisnahme von den Umständen
maßgeblich, die in ihrer Gesamtheit eine für die Ablehnung des Asylantrags relevante Veränderung der
Sachlage bewirken. Hierfür kann auf eine laienhafte
Vorstellung von einer für die Verfahrenssituation
veränderten relevanten Gesamtsituation abgestellt
werden. Die Dreimonatsfrist beginnt ab dem Zeitpunkt, zu dem von einer Kenntnis des betroffenen
Personenkreises vernünftigerweise ausgegangen
1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat
oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen
ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu
einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer
politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen
ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen
Nachteilen ausgesetzt zu werden (so auch Art. 1 A 2.
GFK).
Entscheiderbrief 4/2015
werden kann. Dies ist bei Syrien hinsichtlich der
allgemeinen Lage vor dem Jahr 2013 der Fall.2 Die
Situation dort ist schon seit der zweiten Jahreshälfte
2011 von zunehmender Gewalt gegen die Zivilbevölkerung geprägt gewesen. Rückführungen wurden
bereits im April 2011 aus humanitären Gründen
gestoppt. Seit Januar 2012 eskalierte die Lage weiter.
Kämpfe der Freien Syrischen Armee und anderer
bewaffneter oppositioneller Gruppen gegen die
Regierungstruppen trugen seit Frühjahr 2012 zur
Verschärfung der Situation bei (U.v. 24.11.2015 VG 5 K 1323/14.KS.A <5762629>).
Vietnam
Hepatitis B
VG Ansbach: In Vietnam sind die meisten Krankheiten behandelbar. Das Ausbildungsniveau der
Ärzte dort ist recht hoch. Zudem erfordert eine
Erkrankung an Hepatitis B in der Regel allenfalls
eine medikamentöse Behandlung; die gängigen Medikamente sind als Importprodukte erhältlich (U.v.
05.02.2015 - AN 6 K 14.30606 <5765497>).
Rechtsfragen
Asylantrag/Deutscher
VG Ansbach: Das Begehren festzustellen, dass ein
Deutscher in der Bundesrepublik Asyl beantragen
kann, ist unzulässig. Es handelt sich um eine abstrakte Rechtsfrage. Eine Feststellungsklage kann
aber nur auf die Klärung eines konkretes Rechtsverhältnisses gerichtet sein (§ 43 I VwGO). Abgesehen
davon fehlt es an einem Feststellungsinteresse. Da
ein Asylanspruch nach Art. 16a GG für Deutsche offensichtlich ausscheidet, ist nicht erkennbar, welches
schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher
oder auch ideeller Art ein Bundesbürger an einer
solchen Feststellung besitzt (GB v. 03.03.2015 AN 10 K 14.02024).
Entscheidungsdauer/Mitteilung des
Bundesamtes
VG Stuttgart: § 24 IV AsylVfG sieht vor, dass das
Bundesamt einem Antragsteller mitteilt, bis wann
es voraussichtlich entscheiden wird, wenn binnen
sechs Monaten nicht entschieden wurde. Eine Klage
2 Eine weitere Eingrenzung war für das Gericht entbehrlich, da der Folgeantrag im September 2013 gestellt
wurde.
5
auf Mitteilung ist mangels rechtlich geschützten
Interesses aber auch dann unzulässig, wenn diese sechs Monate verstrichen sind. Ausreichender
Rechtsschutz wird dadurch gewährt, dass gegen die
abschließende Entscheidung des Bundesamtes geklagt werden kann. Rechtsbehelfe gegen behördliche
Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit
den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden (§ 44 a VwGO).
Eine solche Verfahrenshandlung ist die Mitteilung
des § 24 IV AsylVfG. Sie zielt darauf, das Asylverfahren möglichst rasch abzuschließen (vgl. Art. 23 II
VerfRL) und dient als verfahrensbegleitende Zwischenmitteilung ohne Regelungswirkung der Vorbereitung der endgültigen Einzelfallentscheidung (U.v.
03.02.2015 - A 6 K 3840/14 <5643817>; vergleichbar
Hailbronner [Bell], AuslR Stand Okt. 2014, § 24
AsylVfG Rn. 62 ff.).
Vulnerabilitätsprüfung/Rücküberstellungsmodalitäten/Italien
VG Potsdam: Nach der QualfRL haben die Mitgliedstaaten eine spezielle Schutzbedürftigkeit bei der
Prüfung internationalen Schutzes zu berücksichtigen; dies erfordert eine Betrachtung der Situation
des Einzelfalls (Art. 20 III, IV QualfRL3). In der Sache
einer Somalierin, die in Italien den Flüchtlingsstatus
erhalten und danach in Deutschland Asylantrag
gestellt hatte, verneinte das VG im Rahmen des
vorläufigen Rechtsschutzes eine Vulnerabilität mit
Gründen, die auch in anderen Fällen von Belang sein
können: „Die Antragstellerin hat sich augenscheinlich als ‚forum shopper‘4 quer durch Europa bewegt,
bevor sie nach Deutschland gelangte. Über ihren
Reiseweg und den ihr bereits zuerkannten Flüchtlingsstatus hat sie ersichtlich hinwegzutäuschen
gesucht, ohne hierzu auch nur ansatzweise nachvollziehbare Erklärungen abzugeben. Es war ihr jedenfalls möglich, trotz der angeblich unzulänglichen
Verhältnisse in Italien die Mittel für ihre Weiterreise
durch Europa zu beschaffen. Dies belegt nicht nur
entsprechende intellektuelle, sondern auch wirtschaftliche Fertigkeiten der Antragstellerin, die es
3 RL 2004/83/EG v. 29.04.2004 bzw. deren Neufassung
RL 2011/95/EU v. 13. 12.2011.
4 „Forum shopping“ steht für systematisches Ausnutzen
von Zuständigkeiten zwecks Erlangung rechtlicher
oder tatsächlicher Vorteile.
Entscheiderbrief 4/2015
6
als lebensfremd erscheinen lassen, dass sie eine vulnerable Person i.S.d. Unionsrechts sein könnte, worauf sie aber nunmehr offenbar abheben will.“ Die
wegen des offensichtlich unzulässigen Asylantrages
erlassene Abschiebungsanordnung (§ 34a I AsylVfG)
wurde bestätigt. Es begegnet keinen Bedenken, dass
die konkreten Rücküberstellungsmodalitäten für
die Antragstellerin zwischen den deutschen und den
italienischen Stellen bisher nicht geregelt sind. Zwar
nehmen andere Gerichte in solchen Fällen an, die
Möglichkeit der Abschiebung stehe nicht i.S.v. § 34a
I 1 AsylVfG fest.5 Doch übersehen sie dabei, dass es
ohne Abschiebungsanordnung gar kein Bedürfnis
für eine Regelung der Abschiebungsmodalitäten
gibt. Außerdem räumen die einschlägigen zwischenstaatlichen Abkommen einem Ausländer kein subjektiv-öffentliches Recht (§ 42 II VwGO) ein. Diese
Übereinkommen außerhalb des Unionsrechts regeln
ausschließlich öffentliche Interessen. Wer rücküberstellt werden soll, kann sich allein nach Maßgabe des
jeweiligen innerstaatlichen Rechts auf ein Aufenthaltsrecht nach innerstaatlichem bzw. Unionsrecht
zu berufen. Für ein solches Aufenthaltsrecht der
Antragstellerin ist nichts ersichtlich. Abgesehen
davon wäre dies nicht vom Bundesamt in asylrechtlicher Zuständigkeit zu prüfen (B.v. 03.11.2014 - VG 6
L 1047/14.A <5779149>).
Dr. Roland Bell
5 Etwa VG Trier, B.v. 16.04.2014 - 5 L 569/14.TR
<5712091>.
Informationsrecht der Presse
(Nachtrag)
Der VGH BW1 hatte entschieden, dass die Presse
zwar grundsätzlich einen Anspruch auf die Namensnennung von Richtern in Strafverfahren, jedoch
nicht auf die von Pflichtverteidigern, Staatsanwälten
und Protokollführern habe (vgl. Entscheiderbrief
1/2014 m. Anmerkung zum Asylverfahren).1Deren
1 U.v. 11.09.2013 - 1 S 509/13.
Namensnennung sei für das Verständnis eines Falles
nicht gleichermaßen wesentlich. Sie verantworteten
eine Entscheidung nicht unmittelbar.
Das BVerwG lehnte diese Einschränkung für Verteidiger und Staatsanwälte grundsätzlich ab.2 Auch
wenn diese für Verlauf und Ausgang des gerichtlichen Verfahrens nicht dieselbe Verantwortung
hätten wie Mitglieder des Spruchkörpers, so verfügten beide aber durch eigene Verfahrensrechte über
substanziellen Einfluss auf die Entscheidungsfindung. Insbesondere sei die Informations- und Kontrollfunktion der Presse zu berücksichtigen. Diese
erstrecke sich bei Gerichtsverfahren auch auf Personen, die in amtlicher Funktion oder als Organ der
Rechtspflege an einem solchen Verfahren mitwirkten. Sie erschöpfe sich nicht in der Berichterstattung
zu sachlichen Verfahrensinhalten. In Abwägung mit
dem grundrechtlich geschützten Berichterstattungsinteresse hätten die Persönlichkeitsrechte eines
Verteidigers und eines Staatsanwalts zurückzutreten.
Dabei müsse beachtet werden, dass deren Persönlichkeitsrechte in ihrem verfassungsrechtlichen Gewicht infolge des Grundsatzes der Öffentlichkeit von
Gerichtsverhandlungen gemindert seien. Die Presse
dürfe selbst beurteilen, welche Informationen sie
brauche, um ein Thema hinsichtlich einer Berichterstattung zu recherchieren.3
Die Presse dürfe allerdings keine personenbezogenen Informationen verlangen, denen selbst bei
einem großzügigen, den besonderen Funktionsbedürfnissen und Arbeitsweisen genügenden Maßstab
jede erkennbare materielle Bedeutung mit dem Thema der Recherche abgehe. Das Auskunftsinteresse
genieße keinen Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsrecht eines mitwirkenden nichtrichterlichen
Funktionsträgers, wenn das Auskunftsinteresse hinsichtlich dessen im Dunkeln bleibe, sozusagen ohne
ernsthaften sachlichen Hintergrund sei bzw. „ins
Blaue“ hinein erfolge. Diesen Ausnahmefall bejahte
das BVerwG im Falle der Protokollführerin.
2 U.v. 01.10.2014 - 6 C 35.13. Sofern erhebliche Belästigungen oder eine Sicherheitsgefährdung durch Dritte
drohen, könne etwas anderes gelten.
3 Zur Einschränkung dieses Grundsatzes vgl. OVG TH,
B.v. 13.03.2015 - 1 EO 128/15. Das Gericht sah eine
nicht hinzunehmende Gefährdung einer sachgemäßen Durchführung eines Strafverfahrens durch Herausgabe einer anonymisierten Kopie eines verkündeten, aber nicht rechtskräftigen Urteils.
Entscheiderbrief 4/2015
7
Diese Grundsätze lassen sich nicht ohne weiteres auf
weisungsgebundenes Verwaltungshandeln übertragen,
wie bereits im Entscheiderbrief 1/2014, S. 3 dargelegt.
weist hin auf
Dr. Roland Bell
Veröffentlichungen des Bundesamtes
Literaturhinweis: Grenzbereiche der Supervision –
Verwaltung in Bewegung
Informationen des Bundesamtes
ƒƒ Todesstrafe im Iran: Hintergründe zur Hinrichtung der Iranerin Reyhane Jabbari
Stand: März 2015
Hrsg.: Bundesamt, 225
Elise Bittenbinder/Silvia Schriefers/Jenny Baron (Hrsg.), Göttingen 2015, 160 S.
Um die Mitarbeiter des Asylbereichs, nicht zuletzt
die Entscheider, bei ihrer anspruchsvollen Arbeit zu
unterstützen, startete das Bundesamt im Jahr 2010
das mehrjährige Pilotprojekt „Supervision sowie
Training und Coaching für Entscheider“. In Zusammenarbeit mit der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge
und Folteropfer (BAfF e.V.) und der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv) wurde persönliche
Unterstützung bei Stressprävention und Lösung von
Krisensituationen durch Schulungen, Coaching und
Supervision angeboten. 130 Beschäftigte des Asylbereichs nutzten dies.
Mehrere Autoren schildern die Ergebnisse und
das Umfeld des Projektes. Beispielsweise referiert
Edmund Görtler, Politologe mit Schwerpunkt empirische Sozialforschung, über die Ergebnisse der
Evaluation und die Herausgeberinnen (Fachgebiete
Psychologie/Psychotherapie) berichten von der
„gewagten Kooperation“ zwischen Bundesamt und
der BAfF. Detlef Bröker, Referatsleiter des Bundesamtes im Bereich Asyl und früher selbst Entscheider, behandelt den schwierigen Spagat zwischen
Schutzauftrag und Ausweisung, der bei der Asylverfahrensbearbeitung zu leisten ist. Prägnant legt er
insbesondere die herausfordernden Aufgaben der
Entscheider dar und schildert anschaulich, was diese
zu deren Bewältigung wissen und leisten müssen.
Dr. Roland Bell
Veröffentlichungen anderer
Johann Bader, Sichere Herkunftsstaaten? InfAuslR
Heft 2/2015, S. 69 ff.
Ursula Bertels (Hrsg.), Einwanderungsland Deutschland. Wie kann Integration aus ethnologischer Sicht
gelingen? Münster/New York 2014, 210 S., 24,90 €
BReg
ƒƒ Abschiebungen im Jahr 2014, BT-Drs. 18/4025
ƒƒ Bewertung des Gesetzentwurfs zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BT-Drs. 18/4262
ƒƒ Lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle Flüchtlinge und Resettlement,
BT-Drs. 18/4094
ƒƒ Stand der Abschiebungen in den Kosovo Ende
2014, BT-Drs. 18/4398
ƒƒ Todesopfer unter Flüchtlingen in die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union im
Jahr 2014, BT-Drs. 18/4032
ƒƒ Wirkung des Anerkennungsgesetzes,
BT-Drs. 18/4075
Birgit Glorius, Fachkräfte und Armutsflüchtlinge.
Die neue EU-Mobilität nach Deutschland und ihre
diskursive Verortung, Geographische Rundschau
Heft 4/2015, S. 34 ff.
Entscheiderbrief 4/2015
8
Stephan Hocks, Dublin-Überstellungen nach Italien
in neuem Licht. Zu den Auswirkungen der jüngsten
Entscheidungen des EGMR und des BVerfG,
Asylmagazin Heft 1-2/2015, S. 5 ff.
Tim W. Kliebe/Susanne Giesler, »Flüchtig« in
Deutschland? Zur Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO,
Asylmagazin Heft 1-2/2015, S. 12 ff.
Mediendienst Integration (Hrsg.), Braucht Deutschland ein „Einwanderungsgesetz“? Positionen von
Parteien und Experten, 25.03.2015
Michael Krautzberger, BauGB-Novelle 2014 II: Erleichterte Unterbringung von Flüchtlingen, DVBl
Heft 2/2015, S. 73 ff.
Informationen hierzu über
IVS-Telefon:0911/943-7188
IVS-Fax:
0911/943-7198
E-Mail:
[email protected]
Demnächst lesen Sie:
ƒƒ Verfolgung in Anknüpfung an das Merkmal
Religion
ƒƒ EuGH: Europarechtliche Vorgaben zum
Flüchtlingsschutz bei Desertion
ƒƒ Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes _
Familienangehörige suchen, verbinden und
vereinen
Impressum
Adela Schmidt, Das Rückübernahmeabkommen der
EU mit der Türkei, Asylmagazin Heft 3/2015, S. 67 ff.
Entscheiderbrief 4/2015 - 08.04.2015
Auflage: 1250 Exemplare
Robert Schuman Centre for Advanced Studies
(Hrsg.), Migration and Asylum Challenges in Eastern
Africa: Mixed Migration Flows Require Dual Policy
Approaches, San Domenico di Fiesole März 2015
Herausgeber:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
ISSN 1869-1803
Redaktion Entscheiderbrief
Frankenstraße 210, 90461 Nürnberg
www.bamf.de
[email protected]
Stefan Schürer, Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte als Tatsacheninstanz. Zur Bedeutung divergierender Sachverhaltsfeststellungen
durch den EGMR am Beispiel einiger Schweizer
Fälle, EuGRZ Heft 17-19/2014, S. 512 ff.
Bezugsquelle:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Doris Tanadi, 223
90343 Nürnberg
[email protected]
www.bamf.de
Tel.: +49 (0) 911/943-7100
Fax: +49 (0) 911/943-7198
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bern
ƒƒ Iran: Khawari/Barbari – Diskriminierung und Frage der Staatsbürgerschaft, 11.02.2015,
ƒƒ Russland: Ziviler Ersatzdienst, 11.02.2015
ƒƒ Serbien: Ausreisebeschränkungen für Roma und
Ashkali, 26.03.2015 (Korrektur der Version v.
15.03.2015)
ƒƒ Serbien: Übergriffe gegen Roma und Ashkali,
15.03.2015
ƒƒ Serbien: Zugang zu Sozialleistungen für Roma und
Ashkali, 15.03.2015
Paul Tiedemann, Flüchtlingsrecht. Die materiellen
und verfahrensrechtlichen Grundlagen, Heidelberg
2015, 186 S., 29,99 €
Erscheinungsweise:
monatlich; Redaktionsschluss jeweils der 15. eines Monats
(Änderungen nach Bedarf)
Druck:
Bonifatius GmbH, Paderborn
Druck-Buch-Verlag
Gestaltung:
Petra Schiller, 223
Bildnachweis:
Wolfgang Heindel, 414
Text:
Dr. Roland Bell, RL 224 (verantw. Leiter)
Bernd Emtmann, 410
Wolfgang Heindel, 414
Maria Schäfer, 225a
Martina Todt-Arnold, 225a
Marlies Wick, 412
Josef Wiesend, 413
Nachdruck und Nutzung nur nach Zustimmung des Herausgebers mit Quellenangabe und Belegexemplar. Kein Anspruch auf
Veröffentlichung oder Manuskriptrückgabe.