WB 17 Freitag, 8. Mai 2015, Willisauer Bote, Nr. 36 BLICKPUNKT Wiggertal Dagmersellen Mit dem Mustervertrag nach Luzern WikoN Was der Profi von den Eisheiligen hält Reiden Der Gewerbeverein sorgt für Strahlen Zu viel Papierkram: Baubewilligung soll schlanker werden. Dafür setzt sich ein Dagmerseller Unternehmen ein und gelangt an den Kanton. Gemüse: Es wächst auf Markus Schildknechts Land. Ob der Wikoner die nächste Woche trotz Eisheiligen gut schlafen kann? Der Gewerbeverein prüft eine Ausweitung der Weihnachtsbeleuchtung auf die Dörfer Langnau, Richenthal und Wikon. SEITE 18 SEITE 19 SEITE 19 Kurz nachdem der letzte Mittagsgast das Gasthaus verlassen hat, posiert Maria Vogel in der Küche. Foto David Koller Irene Bättig 66, Wirtin, Pinte, Roggliswil «Beizerin» mit Leib und Seele Seit 50 Jahren gehört Irene Bättig zur Pinte wie die Wendelinskapelle ins Dorf. Mit 16 Jahren als «Mädchen für alles» angefangen, führt sie die Dorfwirtschaft seit 1995 als Wirtin. Nachgefragt Vor einer Woche feierten Sie Ihr 50-Jahr-Jubiläum in der Pinte. Mit dem Serviertablett in den Händen? Das wäre nicht gut herausgekommen. Ich hatte genug zu tun mit Händeschütteln. Zum Glück hatte ich ein tolles Helferteam, das mir sämtliche Arbeit abnahm. Rund 180 Gäste kamen an diesem Abend. Sogar die Trychler und die Erpolinger Familienkapelle Steiner spielten auf. Einfach fantastisch. Blicken wir 50 Jahre zurück. Können Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag erinnern? Maria und ihre illustren Gäste Dagmersellen Seit vier Jahrzehnten ist Maria Vogel Wirtin im «Kreuzberg». Über das Aufhören mag sie trotz erreichtem Pensionsalter noch nicht nachdenken. von David Koller Der Mai 1975 hatte es in sich. Am 7. absolvierte Maria Vogel – damals noch Herzog – die Wirteprüfung. Am 12. Mai heiratete sie ihren Walter. Am 15. schliesslich übernahm das frisch vermählte Paar das Restaurant Kreuzberg in Dagmersellen. Ohne Flitterwochen. «Die wollten wir nachholen. So wie auch die kirchliche Trauung.» Aus beidem wurde nichts. Denn der «Chrüüzer» war mehr als ein 100-Prozent-Job. Eine Passion. Bei Maria Vogel seit nun vier Jahrzehnten. «Dabei wollte ich auf keinen Fall Wirtin werden.» Nur für drei Jahre zugesagt Schon früh lernte sie, was Arbeit ist. Als eines von elf Kindern auf einem Bauernhof im Seetaler Schongau musste sie sich nach dem Tod der Mutter zusammen mit ihren Schwestern um die Familie kümmern. Nach der Schule ging sie in den Service. «Damals waren die Bedingungen furchtbar.» Arbeitszeiten von 8 bis 1 Uhr, kein fester Lohn. «Wir hatten nur Kost und Logis, konnten die Trinkgelder behalten.» Deswegen wollte sie nichts zu tun haben mit der Wirterei. Doch eben. Die Liebe. «Walter träumte davon, ein Gasthaus zu übernehmen.» Sie willigte ein. 1975 übernahm das Paar den «Kreuzberg» von Josef Egli. Der Unternehmer – später wegen seiner tiefen Autonummer als 113-Egli bekannt – hatte das Haus im selben Jahr gekauft. Walter Vogel war zuvor in Eglis Nottwiler Unternehmen tätig gewesen. Zugesagt hatte Maria Vogel nur unter einer Bedingung: «Wir wirten für drei Jahre, dann hören wir wieder auf.» Aus den drei Jahren sind 40 geworden. Saal für die «Schwarzen» Als die Vogels das Haus übernahmen, blickte dieses auf eine 84-jährige Geschichte zurück. 1891 hatte der Lehrer Anton Gräniger – von Ufhusen, wohnhaft in Dagmersellen – von Leo Staffelbach – von und zu Dagmersellen – einen Acker von 5,3 Aren erworben. Der Preis ist im Kaufbrief vom 10. Januar 1891 mit 550 Franken beziffert. Gränigers Ziel war, einen Gegenpol zum katholisch-konservativen «Löwen» zu schaffen. Das Restaurant Kreuzberg sollte liberal sein. 1925 übernahm Anton Gräniger junior den Betrieb. Nach dessen Tod ging das Haus 1956 an die drei Kinder. Bei der Übernahme im Jahr 1975 unterzog Josef Egli den «Chrüüzer» einem umfassenden Umbau. Aus heutiger Sicht wurde dabei allerhand Frevel betrieben. Maria Vogel zeigt ein Foto des alten Hauses. Damals war die Aussenfassade rosa, die Decke des Saals himmelblau. «Verziert mit Engeln.» Wegen des Wallfahrtsorts auf dem nahe gelegenen Kreuzberg. All das ging bei der Renovation verloren. Als der FCL vor Auswärtsspielen zu Gast war «Plötzlich bist du da und gehst nicht mehr», sinniert Maria Vogel. 1977 und 1981 kamen die Kinder Reto und Denise zur Welt. Das Geschäft lief, die Familie war im Trott, die Zahl der Gäste nahm zu. Zum stetig wachsenden Kundenstamm gehörte auch der FC Luzern. Während 20 Jahren legte er vor Auswärtsspielen einen Halt bei den Vogels ein. Das Menü war stets dasselbe: «Suppe, Rindsfilet, Kartoffelstock, Nudeln und Spinat.» Zudem gab die Wirtin den Kickern Sandwiches mit. «Für die Heimreise nach dem Spiel.» Heu- te kommt der FCL nicht mehr, Maria Vogels Liebe zum Verein ist geblieben. «Ich habe immer noch eine Saisonkarte.» Die Wirtin blättert in einem Dossier mit Zeitungsartikeln. Auf einem sind sie und ihr Ehemann zusammen mit dem Musiker Beny Rehmann in der Küche zu sehen. Dessen Trompete indes führt sich ein anderer an die Lippen: Ottmar Hitzfeld, damals Trainer beim FC Aarau. In der Gaststube wiederum hängt ein Foto, das Maria Vogel zusammen mit dem Fussballer Stéphane Chapuisat zeigt. Der «Kreuzberg» als Magnet der Schweizer Prominenz. «Porno Mary» und die Cordon bleus Auch für ein kleines Skandälchen sorgte der «Chrüüzer». 2007 drehten hier der Rapper Gimma und die Fun-Punkband QL einen Videoclip. «Das gab zu reden», sagt Maria Vogel und lacht. Der Grund: als Hauptdarstellerin hatten die Musiker das Pornosternchen Louisa Lamour verpflichtet. Im Dorf kam der Wirtin deswegen eine Zeitlang der Spitzname «Porno-Mary» zuteil. Sie nimmts gelassen. Schliesslich war das auch Gratiswerbung. Zu reden geben auch die Cordon bleus, für die der «Chrüüzer» weit über das Wiggertal hinaus bekannt ist. «Mit den Jahren wurden sie immer grösser.» Immer wieder kommt es deswegen vor, dass Gäste schon mit dem «Kleinen» ihre liebe Mühe haben. Bei geschätzten 80 Prozent der servierten Menüs liegt die legendäre Fleisch-Käse-Kombination auf dem Teller. «Wir verkaufen 7000 pro Jahr.» Isst sie selber heute noch Cordon bleus, nachdem ihr Abertausende durch die Hände gingen? «Manchmal. Allerdings deutlich kleinere, als jene, die wir für die Gäste zubereiten.» Der veränderte Beruf Vor elf Jahren musste sich Walter Vogel aus gesundheitlichen Gründen von der Arbeit zurückziehen. Ende Oktober 2014 verstarb er. Seit vielen Jahren führt Maria den «Chrüüzer» alleine. Eine Chrampferin ist sie, stets für ihre Gäste da. Immerhin gönnt sie sich heute zwei freie Tage pro Woche, früher war es nur der Montag. Vor 40 Jahren wollte sie den Beruf partout nicht ausüben. Würde sie ihn heute weiterempfehlen? «Der Kontakt mit den Gästen und ihre Dankbarkeit sind etwas Wunderschönes.» Allerdings sei das Geschäft härter geworden. So gebe es mittlerweile mehr Alternativen zum Restaurant, etwa Kantinen oder Vereinslokale. Überdies machen neue Gesetze wie das Rauchverbot und strengere Promillegrenzen den Wirten zu schaffen. 68 Jahre und noch nicht wirklich müde Am 14. April wurde Maria Vogel 68 Jahre alt. Man sieht es ihr nicht an – obwohl sie ihr Leben lang geschuftet hat. Trotz erreichtem AHV-Alter: Über das Schlussmachen mag sie noch nicht so recht reden. «Jedes Jahr heisst es: Jetzt hört sie auf.» Woher die Gerüchte kommen, weiss sie nicht. Wohl aber, dass nichts Wahres daran ist. Irgendwann wird sich die Frage gleichwohl stellen. Was, wenn sich Maria Vogel zum allerletzten Mal von den Gästen verabschiedet? Fest steht, dass ihre Kinder kein Interesse haben. «Sie hängen am Haus, übernehmen wollen sie es nicht.» Sie wissen wohl, wie viel Arbeit dahintersteckt. Bleiben drei Optionen: Verkaufen, Verpachten, Abreissen. «Einen Käufer für ein Restaurant findest du heute kaum.» Verpachten bringe in der Regel «nichts als Ärger». Bleibt Option drei. Doch darüber will sie sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Bis der schicksalsträchtige Tag da ist, werden Maria Vogel und ihr Team den Besuchern noch viele Cordon bleus servieren. Onkel Sepp fuhr bei uns in Altbüron auf dem Hofplatz vor, ich verstaute meine sieben Sachen im Kofferraum und los ging die Fahrt. In der Pinte hatte Tante Paula schon mein Zimmer hergerichtet. Und dann gings ab in die Gaststube. Ich hatte schon ein paar Mal ausgeholfen. Daher wusste ich als 16-jähriges «Meitschi», wie «de Charre louft». Und an den Wirtesonntagen sattelte ich mein Töffli. Mit der «Schwalbe» gings jeweils nach Hause. Ein Traumjob? Ich wollte Köchin werden. Insofern ja. Doch eigentlich war ein «Gastspiel» von einem Jahr geplant. 50 sind es nun geworden. Auf welche Abende in der Woche freuen Sie sich am meisten? Auf die freien (lacht). Im Ernst. Ich freue mich jedes Mal von Neuem, wenn ich das Schild «Wegen Ferien geschlossen» wieder entfernen kann. Die Pinte und deren Gäste sind mir ans Herz gewachsen. Gleich wie meiner Hündin Gina. Sie hasst Wirtesonntage. Schliesslich haben die Gäste immer ein Häppchen für sie parat oder gehen mit ihr auf einen Spaziergang. Ich habe die wohl bestausgeführte Hündin in der ganzen Gegend. Ob früher oder heute: Was darf in einer Dorfwirtschaft wie der Pinte keinesfalls fehlen? Der Jassteppich. Wenn ich nicht gerade in der Küche oder in der Gaststube stehe, nehme ich das Blatt gerne selbst in die Hand. Sie sind 66 Jahre, haben das Pensionsalter erreicht. Kein Grund, ans Aufhören zu denken? Solange es die Gesundheit zulässt, wirte ich weiter. Ich gönne mir aber mehr Ferien. Statt wie früher mit dem Fahrrad Gotthard, Nufenen oder Grimsel zu bezwingen, lagere ich lieber die Beine hoch. Um mich zu erholen. Für meine Gäste, die ich über alles schätze. Stefan Bossart
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