4. Fachseminar Optische Prüf- und Messverfahren – Vortrag 5 3D Verformungsmessung mit mehr als 2 Kameras und digitaler Bildkorrelation. Modellansatz und Anwendung. 1 Ralf LICHTENBERGER 1, Thorsten SIEBERT 2 LIMESS Messtechnik und Software GmbH, Krefeld 2 Dantec Dynamics GmbH, Ulm Kurzfassung. Herkömmliche 3D Bildkorrelationssysteme verwenden üblicherweise zwei Kameras, um Bilder von Messobjekten zu erfassen. Hierbei können nur diejenigen Objektbereiche gemessen werden, die von beiden Kameras gleichzeitig erfasst werden. Mit der Erweiterung eines 3D Bildkorrelationssystems um zusätzliche Kameras wird erreicht, dass auch bisher nicht oder nur schlecht zu messende Objekte flächenhaft untersucht werden können. Insbesondere erlaubt der neue, auf dem Cluster Prinzip basierende Ansatz, bei Zugproben die Vorder- und Rückseite simultan zu messen und zusätzlich zu den Dehnungskomponenten auf der Vorder- und Rückseite erstmals auch die Verdünnung und so Dehnung in Dickenrichtung flächenhaft zu bestimmen. Bei nicht ebenen Objekten erlaubt der Mehr-Kamera-Ansatz die Messung um Ecken bzw. auch eine vollständige 360° Messung des gesamten Objektes mit einem Messsystem. In unserer Präsentation stellen wir dieses neuartige Multi Kamera DIC System vor, erläutern die Vorteile und zeigen typische Anwendungen. Einführung Mit zwei Kameras in stereoskopischer Anordnung werden beim Bildkorrelationsverfahren das 3D Verschiebungsfeld, die 3D Bauteilverformung, die Oberflächendehnung und die Bauteilgeometrie mit hoher Genauigkeit und Ortsauflösung gemessen [1]. Aufgrund der flächenhaften Messung und der Skalierbarkeit wird das Bildkorrelationssystem Q400 für eine Vielzahl verschiedener Anwendungen eingesetzt: Das Spektrum reicht von einfachen Zugversuchen über komplexe mehrachsige Belastungstests an Bauteilen oder Komponenten in der Luftfahrt, Automobilindustrie, Forschung, Entwicklung u.v.m. Voraussetzung ist die optische Zugänglichkeit der zu messenden Bauteiloberfläche. 1.1 Stereokorrelation Durch entsprechende Probenpräparation wird ein zufälliges Punktemuster (Specklemuster), auf der Bauteiloberfläche aufgebracht. Das Muster bewegt und verformt sich mit der Bauteiloberfläche. Beim Stereo-Korrelationsverfahren muß jeder zu messende Oberflächenbereich mit beiden Kameras erfasst werden. Eine der beiden Kameras liefert 1 Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/de/ dabei das Referenzmuster (Abbildung 1) und die Pixelkoordinate des Muster im zweiten Kamerabild wird durch den Korrelationsalgorithmus entsprechend subpixelgenau zugeordnet. Aus der Pixelzuordnung der beiden Kamerabilder und dem bekannten Kameraaufbau bestimmt die Messsoftware zunächst die 3D-Koordinate jedes Oberflächenpunktes. Durch Vergleich mit einem Referenzzustand (Referenzkoordinaten) und dem Referenzmuster wird die 3D-Verschiebung und die Oberflächendehnung flächenhaft auf der Bauteiloberfläche gemessen. Abb. 1. Verformungsmessung durch Mustervergleich beim Stereo-Korrelationsverfahren. 1.2 Einschränkung mit 2 Kameras Bei einer komplexen Oberflächengeometrie oder einem ungünstigen Betrachtungswinkel der Kameras versagt eine Stereokorrelation entweder weil das Muster bei sehr schräger Betrachtung extrem verzerrt in der Kamera abgebildet wird oder weil das Muster durch hervorstehende Oberflächenbereiche überdeckt wird. In vielen Anwendungsfällen liefert ein Bildkorrelationssystem mit zwei Kameras eine lückenhafte Erfassung der Bauteiloberfläche. 2. Cluster –Ansatz 2.1 Prinzip Beim Cluster-Ansatz gibt es die klassische Musterzuordnung zwischen Referenzkamera und der zweiten Kamera nicht. Das Muster wird im Cluster-Ansatz nicht mehr in einer einzelnen Kamera referenziert sondern direkt auf der Bauteiloberfläche [2]. Ein Oberflächenbereich ist damit messbar, wenn mindestens zwei beliebige Kameras diesen Bereich erfassen. Alle Kameras die einen Oberflächenbereich erfassen tragen zur 2 Korrelation bei und erhöhen die Messgenauigkeit [3]. Tabelle 1 zeigt beispielhaft einige mittels Cluster-Ansatz realisierbare Anordnungen mit 4 Kameras und listet die jeweiligen Vorteile auf. Verbesserte Genauigkeit Einseitige Anordnung Erweiterung des Messfeldes Alle Kameras erfassen das Objekt von einer Seite Eck- Anordnung Messung um Ecken Die Kameras erfassen beide Seiten und die Ecke Verbesserte Genauigkeit an den Flächen und der Ecke Doppelseitige Anordnung Simultane Messung von Vorderseite und Rückseite Die Kameras erfassen Voderseite und Rückseite Daten in einem gemeinsamen Koordinatensystem Allseitige Anordnung Gesamtansicht des Bauteils Die Kameras erfassen alle Seiten Erfassung von unstetigen Bereichen Direkte Messung der Dickenänderung Tabelle. 1. Mögliche Kameraanordnungen beim Cluster-Ansatz Die Kameras eines Cluster-Systems lassen sich beliebig im Raum anordnen. Dadurch kann deren Sichtfeld optimal an die zu messende Bauteilgeometrie angepasst werden. Abbildung 2 zeigt eine Kameraanordnung mit 8 Kameras für die flächendeckende Messung eines zylindrischen Objektes. Die Abbildung zeigt auch die 3D Gesamtansicht und die Einzelansichten der 8 Kameras. Alternativ zum Clusteransatz können auch mehrere Stereosysteme eingesetzt werden um den Messbereich zu vergrößern. Die einzelnen Messergebnisse der Stereosysteme werden dann über entsprechende Koordinatentransformationen zusammengesetzt. Die Bestimmung der Koordinatentransformation erfolgt üblicherweise mit den Daten in den Überlappbereichen der Stereosysteme, d.h. nahe den Bildrändern. Die meist unpräzise Bestimmung der Verzeichnungsparameter in den Randbereichen führt zu Klaffungen in den zusammengesetzten Daten. 3 Abb. 2. Anordnung mit 8 Kameras zur 360°-Erfassung eines Zylinders. 2.2 Kalibrierung Die Kalibrierung eines N-Kamerasystems im Clusterverbund erfolgt vollautomatisch mit einer entsprechenden Kalibrierplatte (Abb. 3), die je nach Kameraanordnung simultan oder nacheinander von den Kameras erfasst wird. Beim Kalibrierprozess werden alle Kameras in ein gemeinsames Koordinatensystem überführt. Abb. 3. Stereoaufnahme einer Kalibrierplatte für die vollautomatische Systemkalibrierung. 4 3. Anwendungsbeispiele 3.1 Materialprüfung Der in Abbildung 4 links gezeigte Kamera-Aufbau mit jeweils 2 Kameras auf Probenvorder- und Probenrückseite liefert ortsaufgelöste Messwerte auf beiden Oberflächen sowie die Probendicke und die Dickenänderung. Aus diesen Messwerten lassen sich bei einem Zugversuch relevante Materialparameter auch bei inhomogenen bzw. strukturierten Materialien bestimmen. Durch die beidseitige Messung werden auch unerwünschte Biegemomente erfasst, die z.B. durch die Spannwerkzeuge induziert werden. Abb. 4. Links: Systemaufbau zur simultanen Messung von Vorder- und Rückseite einer Zugprobe. Rechts: : Gemessene Dehnungsverteilung auf Vorder- und Rückseite der Probe. Abbildung 4 rechts zeigt die gemessene Dehnungsverteilung bei einer Aluminiumzugprobe unmittelbar vor dem Bruch. Die Oberflächenkoordinaten beider Seiten und die Probendicke entlang der Probenmitte zeigt in Abbildung 5 die Einschnürung unmittelbar vor dem Versagen der Probe. Z Coord; Thickness / mm 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 -60 -40 -20 -0,2 0 20 40 60 S1 Z Coord S2 Z Coord Thickness -0,4 -0,6 -0,8 X Coord / mm Abb. 5. Oberflächenkoordinaten und Probendicke entlang der Probenmitte. 5 80 Beispielhaft werden hier die Messergebnisse an einer homogenen Kunststoff- und einer gewalzten Aluminium-Zugprobe verglichen. In Abbildung 6 ist die Querdehnung über der Längsdehnung aufgetragen. Die Querdehnung kann aus der Breitenänderung und aus der Dickenänderung bestimmt werden. Bei der Kunststoffprobe ist die Querdehnung in beide Raumrichtungen sehr ähnlich. Die gewalzte Aluminiumprobe besitzt dagegen eine betragsmässig um ca. 50% grössere Querdehnung in Dickenrichtung. Abb. 6. Bei einem Zugversuchen gemessene Querdehnung einer Kunststoffprobe (oben) und einer Aluminiumprobe (unten). Die Querdehnung in Dickenrichtung ist bei der gewalzten Aluminiumprobe betragsmäßig deutlich größer. 3.2 Bauteilprüfung Die Verformungsmessung an einem Querlenker (PKW) stellt wegen der komplexen Bauteilgeometrie hohe Anforderungen an das Messsystem. Ein Mehrkameraaufbau für die flächenhafte Vermessung ist in Abbildung 7 gezeigt. Die 4 Kameras liefern aus den verschiedenen Beobachtungsrichtungen unterschiedliche Perspektiven des Querlenkers. 6 Abb. 7. Mehrkameraanordnung zur Verformungsmessung an einer komplexen Oberflächengeometrie. Zwei Kameras sehen manche Bereiche des Bauteils nicht und die komplexe Oberfläche wird nur lückenhaft erfasst (Abbildung 8). Abb. 8. Lückenhafte Oberflächenerfassung bei Verwendung von 2 Kameras. Bei Verwendung von 4-Kameras wird jeder Oberflächenpunkt von mindestens zwei Kameras erfasst und eine lückenlose Verformungsmessung ist, wie in Abbildung 9 gezeigt, möglich. 7 Abb. 9. Lückenlose Oberflächenerfassung einer komplexen Oberflächengeometrie mit 4 Kameras. 4. Zusammenfassung Ein Mehrkamera-Bildkorrelationssystem liefert bei verschiedenen Konstellationen wertvolle Messdaten und erweitert damit das Anwendungsspektrum des Korrelationsverfahrens: Die Messung von Material-Kennzahlen wie z.B. E-Modul, Poissonzahl, u.s.w. ist mit einem Bildkorrelationssystem sehr einfach und präzise. Die ortsaufgelöste Dehnungsmessung liefert zusätzliche Kenntnisse über Materialeigenschaften und Probenversagen. Durch Messungen in Temperaturkammern können auch Temperaturabhängigkeiten erfasst werden. Für inhomogene und strukturierte Materialien liefert die Dehnungsmessung mit 4 Kameras zusätzliche Informationen und dient somit als wichtige Grundlage zur Verbesserung von Materialkarten und für präzise Simulationen. Bei komplexer Objektgeometrie liefert ein Mehrkamerasystem eine bessere Oberflächenabdeckung und eine höhere Messgenauigkeit. Referenzen [1] [2] [3] Sutton M.A., Orteu J-J., Schreier H.W., „Image Correlation for Shape, Motion and Deformation Measurements”, Springer Science+Business Media, LLC, ISBN 978-0-387-78746-6 (2009) [2] Orteu .-J., Bugarin F., Harvent J., Robert L., Velay V, ”Multiple-Camera Instrumentation of a Single Point Incremental Forming Process Pilot for Shape and 3D Displacement Measurements: Methodology and Results”, Experimental Mechanics (2011) 51:625–639 Siebert Th,. Crompton M.J., “An approach to Strain measurement uncertainty for DIC using the SPOTS calibration procedure”, Proceedings of the SEM International Conference & Exposition on Experimental and Applied Mechanics, June 11-12, 2012, paper 107 8
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