Brief an Grinin v. 23.3.15

Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms
IALANA, Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
Botschaft der Russischen Föderation
Herrn Botschafter Wladimir M. Grinin
- persönlich oder an Vertreter im Amt Unter den Linden 63 - 65
10117 Berlin
Berlin, 23. März 2015
VORSTAND:
Vorsitzender:
Otto Jäckel
Rechtsanwalt, Wiesbaden
Schatzmeister:
Dr. Peter Becker
Rechtsanwalt, Lohfelden
Wolfgang Alban
Richter i.R., Berlin
Gerhard Baisch
Rechtsanwalt, Bremen
Sehr geehrter Herr Botschafter,
IALANA setzt sich seit Jahrzehnten gegen nukleare und andere Massenvernichtungswaffen sowie gegen die Drohung mit deren Einsatz ein. Wir wenden uns auch
gegen die "Nukleare Teilhabe" Deutschlands und anderer NATO-NichtatomwaffenStaaten und fordern die Einhaltung und strikte Erfüllung des Nichtverbreitungsvertrages, insbesondere auch der in Art. VI NPT normierten Abrüstungsverpflichtungen.
Aktuell erfüllen uns Nachrichten über die Möglichkeit eines Einsatzes russischer
Atomwaffen im Ukraine-Konflikt mit großer Sorge.
Jenny Becker, Berlin
Sören Böhrnsen
Rechtsanwalt Bremen
Dr. Philipp Boos
Rechtsanwalt, Berlin
Dr. Robin Borrmann, Frankfurt/Oder
Tomislav Chagall
Rechtsreferendar, Frankfurt
Bernd Hahnfeld
Richter i. R., Köln
Prof. Dr. Hans-Joachim Heintze
Bochum
Katja Keul
Rechtsanwältin, Nienburg/ MdB
Prof. Dr. Martin Kutscha, Berlin
Prof. Dr. Manfred Mohr
Völkerrechtler, Berlin
Jonas Popal, Bremen
Karim Popal
Rechtsanwalt, Bremen
Dr. Ursel Reich, Berlin
Sabine Stachwitz
Staatssekretärin a.D., Berlin
Eckart Stevens-Bartol
Richter i. R., München
WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT:
Prof. Dr. Michael Bothe, Frankfurt
Prof. Dr. Wolfgang Däubler, Bremen
Dr. Dieter Deiseroth, Leipzig
Bundesverwaltungsrichter
Prof. Dr. Erhard Denninger, Frankfurt
Dipl.-Pol. Annegret Falter, Berlin
Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano
Völkerrechtler, Bremen
Prof. Dr. Martina Haedrich, Jena
Dr. Felix Hanschmann, Karlsruhe
Ausweislich eines in den Medien am 15. März 2015 verbreiteten TV-Interviews soll
der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin dem Interviewer gegenüber
geäußert haben, auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise habe er es nicht ausschließen können, das Nuklearwaffenarsenal der Atommacht notfalls in Bereitschaft zu
versetzen. Auf die Nachfrage des Journalisten, ob er damit meine, dass Russland
zum Atomwaffeneinsatz bereit gewesen sei, soll Präsident Putin erklärt haben: „Wir
waren bereit, sie einzusetzen. Ich habe meinen internationalen Amtskollegen ganz
klar gesagt, es sei historisches Gebiet mit einer russischen Bevölkerung. Die Menschen dort sind in Gefahr und wir werden sie niemals im Stich lassen.“
Sollten diese Meldungen zutreffen, hätte sich Präsident Wladimir Putin unseres Erachtens in Widerspruch gesetzt zum geltenden Völkerrecht, wie es der Internationale
Gerichtshof in Den-Haag (IGH) in seinem Rechtsgutachten vom 8. Juli 1996 eingehend dargelegt hat. In diesem hat das Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, das für die verbindliche Interpretation des Völkerrechts zuständig ist, entschieden, dass der Einsatz von Atomwaffen und auch bereits dessen Androhung grundsätzlich („generally“) gegen die Regeln des Völkerrechts verstößt, die für bewaffnete
Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des sog. humanitären Völkerrechts („ius in bello“).
Der erste dieser Grundsätze ist auf den Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte ausgerichtet und legt die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten fest; die Staaten dürfen Zivilisten nie zum Angriffsziel machen und dürfen demnach nie Waffen einsetzen, die – wie die Atomwaffen – unterschiedslos zivile und militärische Ziele treffen. Dem zweiten Grundsatz zufolge ist es verboten,
Kombattanten unnötiges Leiden zu bereiten. Dementsprechend ist es strikt untersagt, Waffen einzusetzen, die ihnen vermeidbare Schmerzen und Leiden zufügen.
Ein weiterer Grundsatz des humanitären Völkerrechts verbietet zudem die AnwenCo-Präsident der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms:
Prof. Dr. h.c. mult. Christopher Gregory Weeramantry
Vizepräsident des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag i. R.
Träger des UNESCO Prize for Peace Education 2006 / Träger des Right Livelihood Award 2007
Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg
Hans-Christof von Sponeck, Müllheim
Beigeordneter des Generalsekretärs
der Vereinten Nationen
apl. Prof. Dr. Carmen Thiele
Frankfurt/Oder
Prof. Dr. Herbert Wulf, Pinneberg
Geschäftsführer:
Reiner Braun, Berlin
IALANA Geschäftsstelle
Marienstraße 19-20
10117 Berlin
Tel.: (030) 20 65-48 57
Fax (030) 20 65-48 58
E-Mail: [email protected]
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Bankverbindung:
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Sparkasse Marburg-Biedenkopf
Als gemeinnützig anerkannt durch Bescheide des Finanzamtes vom 21.2.90, 8.9.93, 26.2.97, 19.07.02, 15.11.05, 2.5.08, 6.6.11 u. 18.11.14
St.-Nr. 3125006329.
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dung von Waffen, deren Wirkung sich nicht auf bestimmte Staatsgebiete begrenzen
lässt, sondern unter Verletzung des Neutralitätsprinzips auch Nachbarländer in Mitleidenschaft zieht.
Staaten haben deshalb hinsichtlich der von ihnen eingesetzten Waffen keine uneingeschränkte Wahl der Mittel. Atomwaffen können, nach allem was wir wissen, die
Anforderungen des humanitären Völkerrechts nicht erfüllen.
Soweit der IGH in seinem Rechtsgutachten vom 8. Juli 1996 erklärt hat, er könne
keine endgültige Aussage über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Einsatzes
von Atomwaffen durch einen Staat zur Selbstverteidigung in einer extremen Situation, in der es um das Überleben („the very survival“) geht, treffen, ergibt sich auch daraus kein bestehendes Recht zum Atomwaffeneinsatz. Der Gerichtshof hat diese
Aussage im Hinblick auf das nicht belegte und nicht überprüfte Vorbringen einiger
Atomwaffenmächte ihm gegenüber getroffen, das sich auf die angeblich künftig mögliche Entwicklung so genannter „sauberer“ Atomwaffen bezog. Dies hat der damalige
Präsident des Gerichtshofs, Prof. Mohammed Bedjaoui, ausdrücklich mehrfach klargestellt. Solche „sauberen“ Atomwaffen relativ geringer Sprengkraft, die angeblich
keine langanhaltenden nuklearen Verstrahlungen und keine länderübergreifenden
nuklearen Großschäden auslösen sollen, gibt es bisher nicht. Die in den Arsenalen
der Atommächte existierenden einsatzfähigen Atomwaffen haben diese Eigenschaften nicht.
Wir möchten noch hinzufügen: Das Überleben („the very survival“) der Russischen
Föderation stand und steht ohnehin weder im Krimkonflikt noch in der Ukraine-Krise
auf dem Spiel. Selbst nach der Argumentation der russischen Regierung ging und
geht es auf der Krim und in der Ukraine allein um den Schutz der russischen Bevölkerungsgruppen vor Menschenrechtsverletzungen sowie um geostrategische Sicherheitsinteressen Russlands angesichts der erfolgten und möglicherweise weiterhin
geplanten Erweiterung des NATO-Vertragsgebietes. Daran ändert auch nichts, dass
diese NATO-Osterweiterung eklatant politischen Zusagen widerspricht, die Russland
von den USA und anderen NATO-Staaten im Zusammenhang mit der deutschen
Wiedervereinigung und der Charta von Paris nach 1989/1990 gegeben worden sind.
Uns allen sollte stets bewusst sein, dass ein Einsatz von Atomwaffen durch Russland
oder einen anderen Atomwaffenstaat zu einem "Schlagabtausch" zwischen Atomwaffenmächten führen könnte, der letztlich in einer Menschheitskatastrophe enden
würde, in der es für alle kein "survival" mehr gibt.
Wir bitten Sie, geehrter Herr Botschafter Wladimir Grinin, um Aufklärung über den
Wahrheitsgehalt der Präsident Putin zugeschriebenen Äußerungen und gegebenenfalls um eine Stellungnahme zur Vereinbarkeit dieser Erklärung mit dem geltenden
Völkerrecht.
Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns Gelegenheit zu einem persönlichen
Gespräch geben könnten.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Otto Jäckel
Rechtsanwalt
Vorsitzender
Bernd Hahnfeld
Richter i.R.
Vorstand
Dr. Peter Becker
Rechtsanwalt
Co-Vorsitzender