Lösung Fall 4

Wolfgang Albers
Vorsitzender Richter am VG
Verwaltungsgerichtliche Praxis
Veranstaltungsreihe des Verwaltungsgerichts Freiburg
4. Besprechungsfall
16.03.2015
„Die Bürgerschaft hat entschieden - aber was?"
(Kommunalrecht / Verwaltungsprozess - Mountain-Bike-Anlage, Unterlassung,
Bürgerentscheid, einstweilige Anordnung)
Lösungsskizze
Vorüberlegungen:
1. Im Mittelpunkt der Aufgabe steht die Anwendung der Vorschriften über die direkte
Demokratie in den Gemeinden. Zu diesen Vorschriften sind in den letzten Jahren
eine ganze Reihe von obergerichtlichen Entscheidungen, insbesondere auch des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, ergangen (vgl. Schoch, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid im Spiegel der Rechtsprechung, NVwZ 2014, 1473 ff.). Der
hier besprochene Fall geht auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Freiburg
zurück (Beschl. v. 07.08.2014 - 5 K 1706/2014 - juris), die der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Wesentlichen bestätigt hat (VGH Bad.-Württ., Beschl. v.
06.11.2014 - 1 S 1596/14 - VBlBW 2015, 124).
Die beiden Hauptinstrumente der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene sind
das Bürgerbegehren als Initiativrecht (21 Abs. 3 und 4 GemO) und der Bürgerentscheid als Entscheidungsrecht (§ 21 Abs. 1, 5 bis 8 GemO). Aus vielerlei Gründen
sind zahlreiche Angelegenheiten der Gemeinden vom Bürgerbegehren und Bürgerentscheid bislang ausgenommen (§ 21 Abs. 2 GemO). Auch sind beide Instrumente
mit einer Reihe von Hürden versehen; davon handeln die meisten der oben erwähnten jüngeren Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg.
Zum Abbau dieser Einschränkungen und Hürden hat die Landesregierung einen
Entwurf eines „Gesetzes zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften“ (Stand
30.01.2015, https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de) vorgelegt.
-22. Nur am Rande: Gestritten wird nicht etwa um die - im letzten Jahr wieder ins allgemeine Interesse geratene - Frage, unter welchen Einschränkungen in BadenWürttemberg das Fahrradfahren im Wald gesetzlich erlaubt ist (vgl. die 2 m- Regel in
§ 37 Abs. 3 LWaldG, die nur eine ausnahmsweise Ausweisung von schmaleren „single trails“ zulässt, und dazu LT-Drucks. 15/5806 Nr. 1 zur abgelehnten Petition auf
Streichung der Vorschrift); dieses Thema gehört nicht zur kommunalen Selbstverwaltung; es könnte allenfalls Gegenstand eines Volksbegehrens und einer Volksabstimmung auf Landesebene sein (vgl. Art. 59, 60 LV).
3. Es geht um die Errichtung von Trainings-Anlagen im Wald speziell für den MTBSport. Dafür benötigt der Verein öffentlich-rechtliche Erlaubnisse (nach Bau-, wohl
auch Wald- und vielleicht auch nach Naturschutzrecht), darüber hinaus die zivilrechtliche Gestattung durch den Eigentümer der in Anspruch genommenen Waldgrundstücke.
Für die Erteilung der öffentlich-rechtlichen Erlaubnisse ist die Gemeinde G. nicht zuständig. Baurechtsbehörde könnte sie zwar sein (vgl. § 46 Abs. 2 Nr. 1 LBO). Sie ist
es aber offensichtlich nicht; denn sie hat mit dem Landratsamt eine Vereinbarung
darüber getroffen, dass dieses (als Baurechtsbehörde) die Errichtung der Anlage im
Vorgriff auf den Bebauungsplan „duldet“. Forst- und Naturschutzbehörde kann sie
nicht sein, weil sie nicht untere Verwaltungsbehörde ist (§ 62 Nr. 3 Halbs. 1 LWaldG,
§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NatSchG, § 15 Abs. 1 LVG).
4. Solche Verwaltungsakte der zuständigen Behörden, die das Vorhaben erlauben
und welche in Bestandskraft erwachsen könnten und deshalb mit Widerspruch und
Klage fristgerecht angefochten werden müssten, liegen bisher offensichtlich (noch)
nicht vor.
5. Bauherr der geplanten MTB-Anlagen dürfte der Sportverein (und nicht die Gemeinde) sein. Deshalb kann man fragen, ob Rechtsschutz nicht im Verhältnis zum
Sportverein gesucht werden muss. Da aber wohl nur die Gemeinde an den Bürgerentscheid gebunden ist (jedenfalls nicht der Bauherr), liegt es nahe, Rechtsschutz
gegenüber der Gemeinde zu begehren. Ob ein solcher Rechtsschutz offensichtlich
ungeeignet wäre, das Vorhaben aufzuhalten (weil die Verwirklichung nur noch in der
-3Hand des Bauherrn und der zuständigen Behörden liegt), soll bei der Frage der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs näher betrachtet werden.
6. Der Bürgerinitiative geht es offensichtlich um vorläufigen Rechtsschutz, der deshalb allein zu erörtern ist; denn nur so könnte die Initiative die Schaffung vollendeter
Tatsachen (die Errichtung und anschließende Nutzung der MTB-Anlagen) vorerst
verhindern.
Ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz könnte lauten, dass der Gemeinde aufgegeben werden soll, es zu unterlassen, entweder die MTB-Anlagen selbst zu errichten
oder deren Errichtung zu fördern, indem sie etwa gemeindeeigene Grundstücke oder
sonst sächliche (Baumaschinen) oder persönliche Mittel (Bauarbeiter, Bauleitung) zur
Verfügung stellt.
7. Als Antragsteller kommen die Bürgerinitiative oder einzelne Bürger in Betracht.
A. Antrag der Bürgerinitiative
I. Verwaltungsrechtsweg und Zuständigkeit
Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Zwar kann ein Unterlassungsanspruch sowohl im
Privatrecht (§ 1004 Abs. 1 BGB) als auch im öffentlichen Recht wurzeln (als gewohnheitsrechtlich verfestigter allgemeiner öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch).
Abzugrenzen ist danach, woraus sich die behauptete Rechtsbeeinträchtigung ergeben könnte. Dies ist hier die behauptete Bindungswirkung des Bürgerentscheids. Die
einschlägige Vorschrift (§ 21 Abs. 7 Satz 2 GemO) gehört zweifellos dem öffentlichen
Recht an, weil sie die Gemeinde als Träger öffentlicher Gewalt verpflichtet und, wie
sich noch zeigen wird, auch die BürgerInnen in dieser ihrer öffentlich-rechtlichen Eigenschaft (§ 12 Abs. 1 GemO) und nicht etwa als Privatpersonen berechtigt.
Das Verwaltungsgericht Freiburg ist sachlich und örtlich zuständig (§§ 45, 52 Nr. 1
oder jedenfalls Nr. 5 Satz 1 VwGO).
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II. Zulässigkeit des Antrags
1. Gegenstand des Antrags
Gegenstand der Klage ist der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Abwehr- und
Unterlassungsanspruch (§ 79 Abs. 1 VwGO entsprechend).
2. Statthaftigkeit des Antrags
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft (§ 123
Abs. 1 VwGO); denn vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
VwGO (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO) kommt, mangels Vorliegen eines den Antragsteller
belastenden Verwaltungsakts, nicht in Betracht. Ob es sich bei der begehrten einstweiligen Anordnung um eine Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO) oder
um eine Sicherungsanordnung (das wohl eher, vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) handelt, ist für die Statthaftigkeit des Antrags unerheblich. Von Bedeutung kann es hinsichtlich der Anforderungen an den Grad an Wahrscheinlichkeit des Anordnungsanspruchs und auch hinsichtlich der Anforderungen an den Anordnungsgrund sein, dazu später.
3. Beteiligtenfähigkeit
Diese wäre nach 61 Nr. 1 VwGO gegeben, falls die Bürgerinitiative ein Verein ist.
Ansonsten kommt § 61 Nr. 2 VwGO in Betracht. Dann müsste eine Bürgerinitiative,
die ein Bürgerbegehren erfolgreich betrieben und zudem in der Sache im Bürgerentscheid Erfolg gehabt hat, eine Vereinigung sein, der aus dem Bürgerentscheid das
Recht zustehen kann, die Bindungswirkung des Bürgerentscheids geltend zu machen. Das Merkmal Vereinigung erfordert dabei ein Mindestmaß an Organisation,
davon wird man im Allgemeinen bei Bürgerinitiativen ausgehen können. Vor allem
aber müsste der Bürgerinitiative ein Recht zustehen können.
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Ein solches kann sich nicht daraus ergeben, dass die Bürgerinitiative die in ihr zusammengeschlossenen einzelnen Bürger oder das Allgemeininteresse an der Beachtung der Bindungswirkung eines Bürgerentscheids vertreten will; denn eine entsprechende Prozessstandschaft bedürfte einer gesetzlichen Regelung (vgl. etwa § 61
BNatSchG oder § 2 UmwRG).
Im Gegenteil zeigt § 21 Abs. 8 GemO i.V.m. § 41 Abs. 2 KWahlG, dass allein jeder
einzelne Unterzeichner eines Bürgerbegehrens einen Bürgerentscheid durchzusetzen kann, falls das Bürgerbegehren vom Gemeinderat als unzulässig abgelehnt wird
(VG Stuttgart, Urt. v. 31.03.2010 - 7 K 1408/08 - juris). Das gilt erst recht für die Bindungswirkung des Bürgerentscheids.
4. Antragsbefugnis
Daraus ergibt sich zugleich, dass die Bürgerinitiative keine Antragsbefugnis (§ 42
Abs. 2 VwGO entsprechend) haben kann. Es ist bei jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass ihr ein Anspruch auf Einhaltung des Bürgerentscheids zusteht.
5. Ergebnis
Ein Antrag der Bürgerinitiative wäre unzulässig.
B. Antrag eines einzelnen Bürgers
I. Zulässigkeit des Antrags
1. Gegenstand des Antrags und Statthaftigkeit
wie oben
-62. Beteiligungsfähigkeit
Auf den ersten Blick ist § 61 Nr. 1 VwGO (natürliche Person) unproblematisch gegeben. Man könnte freilich erwägen, hier eine Art Kommunalverfassungsstreit anzunehmen (was eher fernliegt, in diesem Sinn ist wohl allenfalls die Bürgerschaft als
ganzes Organ). Dort wird ja teilweise beim Streit unter Gemeindeorganen § 61 Nr. 2
VwGO (für den einzelnen Gemeinderat) entsprechend angewandt. Letztlich ist die
Frage aber müßig; denn an der Beteiligtenfähigkeit kann das Verfahren beim (möglichen) Bestehen von Rechten nicht scheitern.
3. Antragsbefugnis
Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Abwehr- und Unterlassungsanspruch ist
nur möglich, wenn dem Antragsteller ein Anspruch auf Beachtung der Bindungswirkungswirkung des Bürgerentscheids zustehen kann (§ 42 Abs. 2 VwGO entsprechend).
Ob § 21 Abs. 7 Satz 2 GemO jedem Bürger ein entsprechendes subjektivöffentliches Recht einräumt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Der Wortlaut gibt darauf keinen Hinweis. Für die Annahme einer Schutznorm könnte gesetzessystematisch sprechen, dass die Regelung im 3. Abschnitt der Gemeindeordnung steht, der
von Rechten der Bürger handele (§§ 10 ff. GemO, insbesondere § 14 GemO). Vor
allem wird in darauf abgehoben, dass ansonsten die Sperrwirkung des Bürgerentscheids von der Bürgerschaft nicht durchgesetzt werden könnte. Für eine Durchsetzbarkeit insoweit spreche auch, dass der einzelne Bürger bei einem zu Unrecht als
unzulässig zurückgewiesenen Bürgerbegehrens den Bürgerentscheid gerichtlich erzwingen könne (§ 21 Abs. 8 GemO i.V.m. 41 Abs. 2 KomWG; vgl. zum Ganzen VGH
Bad.-Württ., Urt. v. 14.11.1974 - 1 S 453/74 - ESVGH 25, 193; bestätigt durch VGH
Bad.-Württ., Beschl. v. 06.11.2014 a.a.O.; auch OVG SH, Beschl. v. 21.06.1995 - 2 L
121/94 - Gemeinde 1995, 310).
Das OVG Sachsen hat dies freilich vor nicht langer Zeit hinsichtlich der gleichlautenden Vorschrift im sächsischen Landesrecht anders gesehen (Beschl. v. 12.02.2008 4 B 16/08 - juris). Es meint: Weder das grundsätzliche Recht des Bürgers auf Mitent-
-7scheidung noch die Bindungswirkung des Bürgerentscheids erforderten, dass der
Bürger die Beachtung eines Bürgerentscheids auch durchsetzen könne; ein subjektives Recht insoweit habe der Gesetzgeber zu Recht nicht für erforderlich gehalten.
Ggf. könne die Kommunalaufsichtsbehörde die Bindungswirkung durchsetzen (vgl.
§§ 118 ff. GemO).
Beachtung hat diese Entscheidung auch deshalb gefunden, weil das Bundesverfassungsgerichts sie auf eine Verfassungsbeschwerde hin nicht beanstandet hat
(BVerfG, Beschl. v. 16.09.2010 - 2 BvR 2349/08 - juris, Rn. 39). Eine Verbindlichkeit
dieser Auslegung folgt daraus freilich nicht. Das folgt schon daraus, dass das Bundesverfassungsgericht insoweit nur ausgeführt hat, die - ausführliche - Begründung,
mit der die sächsischen Fachgerichte (Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht) der Vorschrift des § 24 Abs. 4 Sächs. GemO den Charakter einer Schutznorm
für den Beschwerdeführer abgesprochen hätten, könne verfassungsrechtlich nicht
beanstandet werden. Die Darlegungen der beiden Fachgerichte seien nachvollziehbar und vertretbar. Sie ließen keine sachfremden oder sonst willkürlichen Erwägungen erkennen.
Diese Ausführungen können nicht dahin verstanden werden, dass sich das Bundesverfassungsgericht der Auslegung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts angeschlossen und sie gar als allein verfassungsgemäß angesehen hätte. Sie machen
allein deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht den von ihm angelegten Maßstab (Art. 19 Abs. 4 GG) hinsichtlich der Auslegung von einfachem (Landes-)Recht
zurückhaltend ausübt (vgl. auch Rn. 38 der Entscheidung am Ende).
Schließlich lässt sich für die Annahme eines subjektiven Rechts nach badenwürttembergischen Recht auch anführen, dass die Rechtslage insoweit in BadenWürttemberg seit nun vierzig Jahren obergerichtlich geklärt ist und der Gesetzgeber
seither nicht etwa korrigierend eingegriffen hat.
4. Antragsfrist und Vorverfahren
sind nicht vorgeschrieben.
-85. Rechtsschutzbedürfnis
Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt u.a. dann, wenn ein Antragsteller seine Rechtsstellung mit einem stattgebenden Ausspruch des Gerichts offensichtlich nicht verbessern
kann.
Das wäre der Fall, wenn der Sportverein das Vorhaben auch ohne Mitwirkung der
Gemeinde nicht nur verwirklichen könnte, sondern tatsächlich auch verwirklichen
würde. Dafür gibt der Sachverhalt aber keine Hinweise. Schon der Umstand, dass
die Gemeinde mit dem Landratsamt (als unterer Baurechtsbehörde) einen öffentlichrechtlichen Vertrag abgeschlossen hat, dass dieses das Vorhaben im Vorgriff auf
einen Bebauungsplan „duldet“ (eine Baugenehmigung im Vorgriff auf den Bebauungsplan gestützt auf § 33 BauGB kommt offensichtlich noch nicht in Betracht, weil
die Voraussetzungen dieser Vorschrift noch nicht erfüllt sind), weist darauf hin, dass
die Gemeinde den Sportverein gleichsam „an die Hand genommen hat“, um ihm eine
schnellstmögliche Verwirklichung des Vorhabens zu ermöglichen. Auch liegt dieser
Vereinbarung ersichtlich zu Grunde, dass die Gemeinde die bauplanungsrechtlichen
Voraussetzungen schafft, also tatsächlich dafür sorgt, dass der Bebauungsplan in
absehbarer Zeit erstellt wird. Im Übrigen hat die Gemeinde nicht geltend gemacht,
dass sie das Vorhaben nicht auch sonst - in tatsächlicher Hinsicht - fördert, z.B. mit
zivilrechtlicher Gestattung der Nutzung gemeindeeigener Grundstücke, mit sonstigen
Sachmitteln und der Arbeitskraft städtischer Mitarbeiter).
6. Beiladung
Die Vorschriften über die Beiladung gelten auch im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes. In Betracht kommt eine einfache Beiladung des Sportvereins als
Träger des Vorhabens (§ 65 Abs. 1 VwGO). Ob der Sportverein durch den Ausgang
des Verfahrens in rechtlichen Interessen berührt ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls spricht wenig dafür, das insoweit bestehende gerichtliche Ermessen im Sinne
einer Beiladung auszuüben. Von einer Beiladung des Sportvereins wäre wohl kaum
zu erwarten, dass diese das Verfahren fördern könnte; denn zu den tatsächlichen
und rechtlichen Fragen des Falles kann der Sportverein voraussichtlich nichts beitragen. Auch erscheint eine Rechtskrafterstreckung (§ 121 Nr. 1 mit § 63 Nr. 3 VwGO)
nicht geboten, weil nicht zu erwarten ist, dass im Fall einer stattgebenden Entschei-
-9dung der Sportverein seinerseits noch versuchen würde, ein weiteres gerichtliches
Eilverfahren anzustrengen, etwa in Form eines Antrags auf Feststellung, dass der
Bürgerentscheid doch keine Bindungswirkung habe.
III. Begründetheit des Antrags
1. Richtiger Antragsgegner (Passivlegitimation)
ist die Gemeinde G (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entsprechend).
2. Prüfungsmaßstab
Der Antrag ist begründet, wenn der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und
einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m.
§ 920 Abs. 2 und § 294 ZPO).
3. Anordnungsgrund
Hinsichtlich der Strecke im „Bruchwald“ ist ein Anordnungsgrund zweifelsfrei gegeben; denn laut Pressemitteilungen droht der Baubeginn. Die Antragsgegnerin hat
dem nicht etwa substantiiert widersprochen.
Ein Baubeginn würde das - an dieser Stelle unterstellte - Abwehrrecht des Antragstellers wesentlich erschweren, wenn nicht gar vereiteln. Das genügt als Anordnungsgrund für eine Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn die
die Bindungswirkung des Bauvorbescheids würde gerade unterlaufen.
Nimmt man eine Regelungsanordnung an, würde die begehrte einstweiligen Anordnung aus den gleichen Gründen als nötig erscheinen (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Hinsichtlich der Strecke im „Bergwald“ ist ein naher Baubeginn nach dem Vorbringen
des Antragstellers dagegen nicht absehbar (die Gründe dafür, weshalb mit dieser
Strecke nicht auch begonnen werden soll, sind nicht bekannt; möglicherweise hat die
- 10 Gemeinde bzw. die Baurechtsbehörde hier selbst Bedenken, ob der Bürgerentscheid
insoweit nicht doch entgegen steht.
Damit ist ein Anordnungsgrund ist hinsichtlich der Errichtung der Strecke im „Bergwald“ nicht glaubhaft gemacht; insoweit ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung schon deshalb abzulehnen.
4. Anordnungsanspruch
Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn die ihn stützenden Tatsachen
im Sinn von § 294 ZPO glaubhaft gemacht werden.
Anordnungsanspruch ist der durch die einstweiligen Anordnung zu sichernde materiell-rechtliche Anspruch. Dies soll hier ein öffentlich-rechtlicher Abwehr- und Unterlassungsanspruch sein. Dieser ist gewohnheitsrechtlich verfestigt (weitere Ableitungen:
Grundrechte, Rechtsstaatsprinzip, § 1004 BGB analog, Analogien zu vereinzelten
gesetzlichen Ausgestaltungen, vgl. z.B. auch § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der einen
solchen Anspruch voraussetzt).
In der Literatur (nur gelegentlich in der Rechtsprechung) wird bei den insoweit zu
stellenden Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Anordnungsanspruchs zwischen Sicherungs- und Regelungsanordnung unterschieden (vgl. Schoch, in:
Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 123 Rnn. 69 ff.).
Für die Sicherungsanordnung (es besteht die Gefahr, dass das zu sichernde Recht
ansonsten vollständig vereitelt oder erschwert würde) soll genügen, dass bei ungewisser Erfolgsprognose der Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie sein Misserfolg, ähnlich wie - mit Ausnahmen
- im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Für die Regelungsanordnung (bei der es ja regelmäßig um eine vorläufige Erweiterung des Rechtskreises des Antragstellers aus einem bestimmten Rechtsverhältnis
geht) wird dagegen verlangt, dass überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.
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Freilich könnten sich aus dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht insoweit
auch Abweichungen vom jeweiligen Grundsatz ergeben. Darauf soll in der Folge nur
eingegangen werden, falls es darauf ankommt.
Der öffentlich-rechtliche Abwehr- und Unterlassungsanspruch setzt vor allem einen
rechtswidrigen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht des Betroffenen voraus.
Das Bestehen eines solchen Rechts überhaupt ist oben bei der Antragsbefugnis für
möglich gehalten worden und steht grundsätzlich nicht in Frage.
Der Abwehranspruch besteht, wenn der Bürgerentscheid Bindungswirkung entfaltet
und das Bauvorhaben (Trainingsstrecke im „Bruchwald“) gegen den Bürgerentscheid
verstößt.
a) Bindungswirkung allgemein
Ist ein Bürgerentscheid erfolgreich (vgl. § 21 Abs. 6 Satz 1 GemO), hat er die Wirkungen eines endgültigen Beschlusses des Gemeinderats und kann innerhalb von
drei Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid geändert werden (§ 21 Abs. 7
GemO). Hieraus ergibt sich, dass die Gemeinde an einen Bürgerentscheid gebunden
ist. Gebunden ist nicht etwa nur das Organ Gemeinderat, denn der Bürgerentscheid
steht einem Gemeinderatsbeschluss gleich und der Bürgermeister hat die Beschlüsse des Gemeinderats zu vollziehen, § 43 Abs. 1 GemO.
Der Bürgerentscheid war hier erfolgreich gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 GemO. Die dreijährige Bindungsfrist ist auch noch nicht abgelaufen.
b) Rechtswidrigkeit des Bürgerentscheids?
Man könnte fragen, ob auch ein rechtswidriger Bürgerentscheid Bindungswirkung
entfaltet; dagegen spricht allerdings schon, dass Beschlüsse des Gemeinderats, denen der Bürgerentscheid gleichgestellt ist, verbindlich sind, solange ihnen der Bürgermeister nicht widerspricht oder die Rechtsaufsichtsbehörde nicht die Aufhebung
gemäß § 123 GemO verfügt.
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Rechtswidrig wäre der Bürgerentscheid, falls es ein Bürgerentscheid über einen Bauleitplan gewesen wäre (§ 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO). Die zum Bürgerentscheid gestellte
Frage betraf aber nicht ein in Gang gesetztes Bebauungsplanverfahren (vgl. § 2 Abs.
1 BauGB), sondern die dem Aufstellungsbeschluss vorausgehende Grundsatzfrage,
ob überhaupt das Vorhaben überhaupt ermöglicht werden soll; das verstößt nach
neuerer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht gegen § 21 Abs. 2 Nr. 6 VwGO (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.06.2011, VBlBW 2011,
471; vgl. auch Verwaltungsgerichtliche Praxis, 13. Folge, 2012, Fall 1).
c) Umfang der Bindungswirkung im konkreten Fall
Der Umfang der Bindungswirkung ergibt sich aus der zum Bürgerentscheid gestellten
Frage. Diese lautet: „Soll am Schönberg/Schafsmatten eine Trainings- und Wettkampfsportstätte für MTB errichtet werden?".
Insoweit ist zunächst festzuhalten, dass die im Bürgerbegehren für den Bürgerentscheid formulierte Frage sich nicht auf die damals bekannten geplanten Strecken
beschränkt. Ziel des Bürgerbegehrens war ersichtlich, das Gebiet „Schönberg/Schafmatten“ an jeder Stelle von MTB-Trainingsstrecken freizuhalten.
Der Gebietsbezeichnung kommt allerdings eine gewisse Unschärfe zu; denn solche
geographischen Bezeichnungen, wie sie etwa in Wanderkarten und in der örtlichen
Überlieferung gefunden werden können, haben im Allgemeinen keine rechtlich vorgegebenen Grenzen (solche klaren Grenzen finden sich etwa in Forstkarten für mit
geographischen Bezeichnungen versehenen Forstbezirken, die aber in der Bevölkerung im Allgemeinen nicht bekannt sind).
Solche Gebietsbezeichnungen haben oft auch keine klare Begrenzung in der Natur,
insbesondere nicht im Wald. Auch können sich die geographischen Bezeichnungen
überschneiden. Weiter gibt es Gebiete, die nur Teilgebiete eines größeren Gebiets
sind.
- 13 Für den hier noch allein zu betrachtenden „Bruchwald“ scheint wegen der Entfernung
zum „Schönberg“, wie er in der Karte eingetragen ist, ein selbständiges, nicht dem
„Schönberg“ untergeordnetes Gebiet vorzuliegen.
Für eine Zuordnung des „Bruchwalds“ zu den „Schafsmatten“ spricht ebenfalls wenig.
Die nunmehr geplante Strecke verläuft nicht mehr in den Schafsmatten, sondern nur
an ihnen entlang am Waldrand.
Danach spricht wenig dafür, dass die im „Bruchwald“ geplante Strecke noch vom
Bürgerentscheid erfasst wird. Selbst wenn es hierfür Argumente gäbe, würde eine
Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs aber zumindest eine hohe Gewissheit
erfordern; die ist kaum gegeben.
Allerdings könnte die Gemeinde durch ihre amtliche Information zum Bürgerentscheid (vgl. § 21 Abs. 5 GemO) bei nicht wenigen Bürgern den unzutreffenden Eindruck erweckt haben, dass die beim Bürgerentscheid gestellte Frage sich über das
Gebiet „Schönberg/Schafsmatten“ hinaus auch auf die am Runden Tisch erwogenen,
südlich gelegenen weiteren Standorte für Alternativstrecken erstrecken solle („tatsächlich wird über die am Runden Tisch erörterte Alternativplanung abgestimmt“).
Diese amtlich suggerierte Fortentwicklung der zum Bürgerentscheid gestellten Frage
kann aber nicht maßgebend für die Auslegung des Bürgerentscheids sein (VGH
Bad.-Württ., Beschl. v. 06.11.2014 a.a.O.; zu Grunde gelegt hatte eines solche Fortentwicklung der im Bürgerbegehren festgelegten Frage durch die weitere Entwicklung und durch die Interpretation in der amtlichen Information der Gemeinde zum
Bürgerentscheid noch VG Freiburg, Beschl. v. 07.08.2014 a.a.O.).
Zum Bürgerbegehren hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg schon
früher ausgeführt, dass maßgebend für die Auslegung (eines Bürgerbegehrens) der
objektive Erklärungsinhalt sei, wie er in der Formulierung und Begründung des Antrags zum Ausdruck gebracht und von den Unterzeichnern verstanden werden konnte und musste (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.04.1992, DÖV 1992, 839 m.w.N.).
- 14 Auch beim Bürgerentscheid kommt es auf den objektivierten Gehalt der Frage an,
wie sie im Bürgerbegehren formuliert worden ist; mit der Abgabe des Bürgerbegehrens steht die Fragestellung fest. Der Gemeinderat oder gar die Gemeindeverwaltung
sind nicht befugt, sie zu ändern. Auch der Fortgang der Ereignisse kann dies nicht.
Somit sieht nach Abgabe des Bürgerbegehrens eingetretene Entwicklungen grundsätzlich unerheblich für die Auslegung des auf eine Bürgerbegehren hin erfolgreichen
Bürgerentscheids (ähnlich dürfte es für die Auslegung eines vom Gemeinderat veranlassten Bürgerentscheid gelten, maßgeblich dürfte die Auslegung sein, die im Zeitpunkt des Gemeinderatsbeschlusses objektivierbar ist).
Ergibt sich, wie hier durch die (unzulässige) Verzögerung des Bürgerbegehrens und
die Einrichtung eines Runden Tischs, die Gefahr, dass der Inhalt der zum Bürgerentscheid gestellten Frage von der Bürgerschaft verkannt wird, hilft nur eine zutreffende
amtliche Information oder aber ein weiterer (ggf. zusätzlicher) Bürgerentscheid, den
die Bürgerschaft oder aber der Gemeinderat veranlassen kann.
Ob Fehlinformationen einer Gemeinde darüber hinaus auch zur Unwirksamkeit eines
Bürgerentscheids führen können, braucht hier nicht weiter untersucht zu werden, anfechtbar sind Bürgerentscheide jedenfalls nicht (§ 41 Abs. 3 KomWG).
V. Ergebnis
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird voraussichtlich keinen Erfolg haben.