Vertrauen und Vergeben Johannesevangelium Kapitel 20, Verse 19-‐29 Predigt von Pfarrerin Theresa Rieder 12. April 2015 Alte reformierte Kirche Pfarrerin Theresa Rieder Im Baurenacker 9, 8902 Urdorf, 043 540 74 94, theresa.rieder@kirche-‐urdorf.ch BILD zur Predigt Ausstellen einer Busse durch die Polizei -‐2-‐ Vertrauen und Vergeben LESUNG: Johannesevangelium Kapitel 20, Verse 19-‐29: Christi Kreuzigung ist vorbei. Das leere Grab haben die Jüngerinnen und Jünger mit Schrecken entdeckt; noch haben sie Jesu Worte nicht verstanden, dass ER von den Toten auferstehen müsse. Ich lese aus dem Johannesevangelium Kapitel 20, Verse 19-‐29: Erscheinung vor den Jüngern 19 Es war am Abend eben jenes ersten Wochentages -‐ die Jünger hatten dort, wo sie waren, die Türen aus Furcht vor den Juden verschlossen -‐, da kam Jesus und trat in ihre Mitte, und er sagt zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Und nachdem er dies gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Seite; da freuten sich die Jünger, weil sie den Herrn sahen. 21Da sagte Jesus noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und nachdem er dies gesagt hatte, hauchte er sie an, und er sagt zu ihnen: Heiligen Geist sollt ihr empfangen! 23Wem immer ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie festhaltet, dem sind sie festgehalten. Erscheinung vor Thomas 24 Thomas aber, einer der Zwölf, der auch Didymus genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sagte zu ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und nicht meinen Finger in das Mal der Nägel und meine Hand in seine Seite legen kann, werde ich nicht glauben. Vertrauen und Vergeben -‐3-‐ 26 Nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen, und Thomas war mit ihnen. Jesus kam, obwohl die Türen verschlossen waren, und er trat in ihre Mitte und sprach: Friede sei mit euch! 27 Dann sagt er zu Thomas: Leg deinen Finger hierher und schau meine Hände an, und streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Jesus sagt zu ihm: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig, die nicht mehr sehen und glauben! Wort der Heiligen Schrift. -‐4-‐ Vertrauen und Vergeben Predigt zum Thema „Vertrauen und Vergeben“ Inhalt 1. Wie Neugeboren. Erklärung zum Tag .................................................... 6 Liturgische Einbettung ................................................................................ 6 2. Auferstandener Jesus? Lesung Johannes, Kapitel 20 .......................... 7 Thomas zweifelt doppelt. ........................................................................... 7 3. Wer vergibt wem welche Sünden? Fragen .......................................... 8 Unterschiede damals und heute ................................................................. 8 4. Die Sünde, Sünden festzuhalten. Beispiel ........................................... 9 Sünde als Gefühl von uneasiness, wrongness. ............................................ 9 5. Unbehagen und die Hoffnung. Erklärung .......................................... 10 In sich hineinhorchen ................................................................................ 10 6. Thomas glaubt und Jesus vergibt. Erzählung. ................................... 11 Die Hoffnung zu vertrauen muss siegen. .................................................. 11 7. Selig, wer vertraut und vergibt. Fazit ................................................ 12 Verdeutlichung ......................................................................................... 12 Segen ........................................................................................................ 13 Vertrauen und Vergeben -‐5-‐ 1. Wie Neugeboren. Erklärung zum Tag Liturgische Einbettung Liebe Gemeinde Wir feiern heute „Quasimodogeniti“. So heisst nach dem Liturgiekalender der heutige Sonntag. Quasimodogeniti bedeutet „Gleich wie die Neugeborenen“. Die Predigt wird das Neugeborensein insofern aufnehmen, als dass die Vergebung der Sünden und unser Vertrauen in Gott thematisiert werden. Wenn wir an Gottes Liebe und Kraft glauben und dadurch anderen ihre Fehler vergeben können, dann werden auch unsere Fehler vergeben und das fühlt sich an wie Neugeboren. Zum Glauben und Vertrauen können gehört auch Zweifeln. Zweifeln Sie daran, dass Vertrauen und Zweifel zusammen gehören? Vertrauen Sie mir, die beiden gehören zusammen. Ohne ein klein bisschen Zweifel gäbe es die Gnade des Vertrauens nicht. Glauben und Vertrauen sind ein Geschenk Gottes, das einen vielleicht auch nur ganz leichten Zweifel voraussetzt. Darin liegt eine göttliche Spannung, die uns belebt. Wir können grosses Vertrauen pflegen oder wir können tiefe Zweifel hegen. Jeder und jede hat die Wahl. Nur: Wer nur zweifelt, der verzweifelt fast und wer immer allen alles glaubt, der ist naiv. Also: etwas mehr Vertrauen und Glauben denn Zweifeln ist erstrebenswert. Je tiefer unser Glaube und Vertrauen in die Liebe Gottes wird, desto eher ist es möglich, dass wir anderen Menschen ihre Untaten verzeihen und uns dadurch unsere Schuld vor Gott vergeben wird: und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Diese Erfahrung ‚Schulden vergeben‘ fühlt sich an ‚wie Neugeboren‘. -‐6-‐ Vertrauen und Vergeben 2. Auferstandener Jesus? Lesung Johannes, Kapitel 20 Thomas zweifelt doppelt. Liebe Gemeinde, in der Lesung haben wir gehört, dass Thomas seinen Freunden nicht glaubte, dass Jesus als auferstandener Christus leibhaftig unter ihnen gewesen sei und zu ihnen gesprochen hätte: Friede sei mit euch! […] Wem immer ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie festhaltet, dem sind sie festgehalten. Wer darf solch priesterliche Macht, Sünden zu vergeben, ganz normalen Leuten zusprechen? Das war eine unglaubliche Geschichte! Nicht nur vom Tod auferstanden, sogar von einem anmassenden Machtwort über die Sündenvergebung erzählten ihm seine Freunde. Das konnte Thomas nicht alles glauben. Komisch zudem, dass Jesus den Menschen die Sünden gerade eben nicht festhielt. Ganz im Gegenteil: Sogar am Kreuz vergab er dem reuigen Verbrecher, wenn er sagte „Noch heute wirst du mit mir im Himmelreich sein.“ Jesus hatte keinem Menschen die Sünden festgehalten, der Reue und Glaube zeigte. Wie damals nur Priester bevollmächtigt waren, so vergab Jesus Sünden. Liebe Glaubensgeschwister, dieses Wort vom Sünden vergeben oder festhalten, das ist mächtig. Aber aufgepasst, es kann mächtig missverstanden werden. Thomas zweifelte mit zwei guten Gründen an der Glaubwürdigkeit der Berichte: Erstens war Jesus von den Toten auferstanden und zweitens bevollmächtigte Jesus seine Jünger, also ganz gewöhnliche Menschen, mit der Sündenvergebung. Vertrauen und Vergeben -‐7-‐ Da stimmte doch etwas nicht. Worin lag das Problem? 3. Wer vergibt wem welche Sünden? Fragen Unterschiede damals und heute Priester erhielten und erhalten bis heute in unseren alten Kirchen das Priestersakrament, welches bei Laien gebeichtete Sünden festhalten oder vergeben kann. Beichte und Busse der altkirchlichen Traditionen entsprechen einem Prozess, wo gebeichtete Sünden abgearbeitet werden. ‚Busse tun‘ bedeutet durch Gebete oder Bezahlung von Spenden kleinere Sünden wieder gut zu machen – Vergebung zu bekommen. Heute sieht es etwas anders aus. Die Gewaltentrennung von Regierung, Religion und Rechtsprechung ist eine Erfindung unserer modernen Welt. So ist beispielsweise ein weltliches Gericht zuständig und kein Priester, wenn ich zum Beispiel eine Parkbusse erhalte. Ein Bussenzettel ist dann getilgt, wenn ich ihn bezahlt habe. Nach der Bezahlung ist meine Parksünde also vergeben. Kein Priester hält meine Park-‐Sünde solange fest, bis ich die Busse bezahlt habe. Das Bussgeld zieht die Staatskasse selber ein. Sündenvergebung, wie Jesus sie fordert, findet vielmehr in allen unseren zwischenmenschlichen Beziehungen statt. Auch benutzen wir das Wort Sünde kaum mehr im altkirchlichen Sinn. Wir reden heute von begangenen Fehlern oder unterlassenen Taten oder wir sprechen von Streit und Zwietracht. Wir machen Fehler oder wir unterlassen Hilfe fast jeden Tag. Ja, leider. Ich mache täglich irgendetwas fehlerhaft – sündige im biblischen Sinn. Ob ich das will oder nicht – es ist einfach so. Auch ganz ohne Absicht geschehen mir täglich Fehler. Ich hoffe, Gott vergibt mir. -‐8-‐ Vertrauen und Vergeben Doch welch grosser Schaden kann geschehen, wenn ich einem anderen Menschen seine Fehler als Sünden festhalte? – Das Festhalten von Sünde kann eine grosse Sünde sein: 4. Die Sünde, Sünden festzuhalten. Beispiel Sünde als Gefühl von uneasiness, wrongness. Ein kleines Beispiel dazu: Eine liebenswerte, fleissige, zuverlässige und freundliche Frau wurde mit zunehmendem Alter bitter und sogar grimmig. Das kam so: Die Frau hatte eine Familie gehabt, Mann und Kinder. Ihr Mann hatte sie aber immer ein wenig angelogen und betrogen. Er hatte keinen guten Charakter, aber mit ihm war das Familienleben trotzdem irgendwie einfach eine frohe Zeit gewesen. Als die Kinder gross waren kam es zur Scheidung und ein paar Jahre später starb der Mann, der seinen Charakter nicht verändert hatte. Alle wussten es, einige konnten darüber spotten und lachen. Aber unsere freundliche Frau wurde immer wütend, schon nur bei der Erinnerung an die Betrügereien des mittlerweile verstorbenen Ex-‐ Mannes. Und so kam es, dass sie immer grimmiger wurde, je länger sie an die charakterlichen Schwächen ihres Ex-‐Mannes dachte. Sie konnte nicht vergeben – selbst nach dem Tod gelang ihr das nicht. Und mit Gott redete sie nicht darüber, denn schliesslich war sie ja selber immer ehrlich und treu gewesen. Sie hielt an den Sünden fest, so fest, dass sie bei jedem Mann, den sie sah, einen Lügner und Betrüger vermutete. Sie begann, einen Hass zu entwickeln gegen Männer und so geschah es, dass der Hass zu einem Grundzustand ihres Daseins wurde. Sie wurde von Tag zu Tag bitterer und böser. Vertrauen und Vergeben -‐9-‐ Eine traurige Geschichte – eine Geschichte, wie sie passieren kann, wenn an Sünden anderer festgehalten wird anstatt auf Vergebung zu hoffen bei Gott. Anderen Menschen Sünden festhalten geht dummerweise damit mit einher, dass wir uns mit unseren eigenen Fehlern ebenfalls festhalten. Aber es gibt Hoffnung, denn: 5. Unbehagen und die Hoffnung. Erklärung In sich hineinhorchen Wenn ich in mich hinein horche, merke ich, da stimmt etwas nicht mit mir. Ein Gefühl von Unbehagen (uneasiness1) im Hinblick auf mich selbst, eine tiefe Ahnung, dass etwas mit mir nicht im Reinen ist, nicht froh, nicht leicht. So ein Unbehagen ist ein universelles Gefühl. Das kennen alle Menschen aller Weltreligionen. Um mit diesem Unbehagen klar zu kommen, erlassen Priester die gebeichteten Sünden durch Busse und daraus erwächst Hoffnung: Es kann ja doch noch gut kommen mit mir. Beim Busse tun folgt ein Perspektivenwechsel vom Unbehagen zur Hoffnung, Hoffnung auf Vergebung der Sünden. Als Reformierte haben wir uns gegen Priester entschieden, die unsere Sünden erlassen. Aber auch wir Reformierten brauchen etwas, um dieses Gefühl des Unbehagens zu verwandeln in Hoffnung auf Vergebung, verwandeln in Glaube und Liebe. Gebete und gute Taten helfen, dieses Unbehagen zu beruhigen. Aber mehr als das lebte Jesus vor, wie wir uns und einander transformieren helfen können: Jesus kritisierte barsch und direkt 1 Vgl. Artikel von Pfarrer Niklaus Peter vom Zürcher Fraumünster in der NZZ Seite 1 vom 4./5. April -‐10-‐ Vertrauen und Vergeben Falschheit, Lüge, Diebstahl und Betrug – aber er vergab jedem Menschen der an die Liebe glaubte, sogar dem reuigen Verbrecher am Kreuz. Jesus hielt die Sünden nicht fest! Wenn wir nun jemandem die Sünde festhalten, dann sind wir selber damit irgendwie mitgefesselt. Nur: Wie kommt man bei unverzeihlichen Übeltaten zu einer verzeihlichen Haltung? Das ist ein langer und kein einfacher Weg, denn es gibt Situationen, wo Menschen uns in Wut brachten, zu Frustration, Enttäuschung, Ärger, ja sogar Hass, Ekel und Abscheu. Da geschieht Vergebung nicht in einem Tag. Da kann es Jahre dauern, bis uns Gott aus dieser Fessel befreit. Doch: Wer hat die Macht, Sünden zu vergeben? Wem immer ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie festhaltet, dem sind sie festgehalten. War da Thomas nicht einfach ganz vernünftig, wenn er an dem auferstandenen Jesus zweifelte und auch daran, dass normale Menschen die Macht durch IHN haben, Sünden zu vergeben und festzuhalten? 6. Thomas glaubt und Jesus vergibt. Erzählung. Die Hoffnung zu vertrauen muss siegen. Aber Thomas ist Thomas, er muss es selber prüfen und selber herausfinden. Das müssen auch wir – ein jeder einzelne von uns -‐ selber. Also vertraut Thomas auf seinen klaren Kopf und auf seine Sinne. Er schaut, er hört, er riecht, und er berührt Jesus und er begreift, dass Jesus echt ist, er sagt: Mein Herr und mein Gott. Vertrauen und Vergeben -‐11-‐ Und Jesus vergibt ihm allen Zweifel, wenn er ihm antwortet: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig, die nicht sehen und [trotzdem] glauben. 7. Selig, wer vertraut und vergibt. Fazit Verdeutlichung Denen, die auf Christus vertrauen, an die Liebe, Versöhnung und Kraft von Gott glauben, denen spricht der Auferstandene sogar Glückseligkeit zu. Und ich frage Sie, liebe Leserin und lieber Leser: wer möchte denn nicht glückselig werden? – doch wir alle! Denn das ist wie ‚quasimodogeniti‘, neugeboren sein: Selig sind die, die nicht sehen, und [trotzdem] glauben. AMEN. -‐12-‐ Vertrauen und Vergeben Segen Gott segne und behüte dich, Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig, Gott erhebe sein Angesicht auf Dich und gebe Dir seinen Frieden. Amen. Bibeltext: Zürcher Bibel Bildnachweis: Ausstellung einer Busse durch die Polizei. Abgerufen von: http://www.zg.ch/behoerden/sicherheitsdirektion/zuger-‐polizei/organisation/ sicherheitspolizei/assistenzdienste/verkehrskontrolldienst Aufbereitung für Druck und Web: Daniel Suter Vertrauen und Vergeben -‐13-‐
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