Mitteilungen 2/2015 - Integration Handicap

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HANDI
CAP
Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz Faîtière Suisse des organisations de personnes handicapées
Mitteilungen 2/15
Internes
Neue Büros, neue Strategie
Nun ist es soweit: Der Umzug von Integration Handicap
ist abgeschlossen und die Büros am neuen Hauptsitz an
der Mühlemattstrasse 14a in Bern wurden bezogen. Nach
vielen organisatorischen, technischen und handwerklichen Arbeiten liegt der Fokus nun wieder auf inhaltlichen Aufgaben. Die bisherigen Büros in Bern sowie
dasjenige der BÖV in Olten sind nicht mehr in Betrieb.
Impressum
Vierteljährliches Mitteilungsblatt von
Integration Handicap
Mühlemattstrasse 14a, 3007 Bern
Tel. 031 370 08 30 / Fax 031 370 08 51
[email protected]
PC-Konto 80-311-4
Das Mitteilungsblatt ist auch verfügbar auf
www.integrationhandicap.ch (Publikationen)
In den Mitteilungen von Integration Handicap finden Sie Informationen zu allen wichtigen Themengebiete und Aktivitäten von
Integration Handicap. Die Publikationen und Mitteilungen von Integration Handicap werden im Verlauf von 2015 ausgebaut oder durch
elektronische Kommunikationen ergänzt oder ersetzt. Bis zu diesem
Zeitpunkt erscheinen die Mitteilungen wie bisher quartalsweise.
Auf Hochtouren läuft aktuell das Ausarbeiten der neuen
Strategie von Integration Handicap. Neben der Geschäftsleitung ist zudem die Arbeitsgruppe Strategie und
der Vorstand stark in den Prozess involviert. Am 19. Juni
wird ein Strategieentwurf der Delegiertenversammlung
zur Diskussion vorgelegt. Läuft alles nach Plan, wird der
Vorstand im August die neue Strategie absegnen.
Beratung der ÖV-Unternehmen
Im Zuge der Neuorganisation wurde die Fachstelle BÖV
(Schweizerische Fachstelle barrierefreier öffentlicher
Verkehr) in die Abteilung Gleichstellung von Integration
Handicap integriert. Das politische und juristische Engagement für einen barrierefreien öffentlichen Verkehr
wird ausgebaut. Transportunternehmen werden wie bis
anhin in technischen Angelegenheiten beraten.
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Ein aktuelles Beispiel aus der technischen Beratung:
Ein Bushersteller plant die Markteinführung neuer
Fahrzeuge. Vor der Einführung der Busse liess die Unternehmung die Pläne der Fahrzeuge Integration Handicap
zukommen. Diese werden nun von der Fachkommission
RÖV auf barrierefreien Zugang durchleuchtet. Ein wiederkehrendes Problem dabei sind die oft unbefriedigenden Befestigungsmöglichkeiten für Rollstuhlfahrende.
Arbeitsmarktintegration
Integration Handicap fordert
nationale Konferenz
Pascale Bruderer, Präsidentin von Integration Handicap
und Ständerätin, hat in der Frühjahrssession ein überparteiliches Postulat eingereicht, mit dem der Bundesrat
die Schaffung einer nationalen Konferenz zur Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderung prüfen
soll. Der Vorstoss wird voraussichtlich in der kommenden
Sommersession im Ständerat behandelt.
Hintergrund des Postulats ist die 2011 vom Bund ins
Leben gerufene Fachkräfteinitiative, welche das Potenzial
inländischer Arbeitskräfte besser ausschöpfen soll. Die
Initiative war ursprünglich eine Massnahme, um auf den
demographischen Wandel zu reagieren, weil Überalterung der Gesellschaft nicht bloss durch Einwanderung
ausgeglichen werden soll. Das Potenzial einheimischer
Arbeitskräfte geriet durch die Frankenstärke und die
Annahme der Masseneinwanderungsinitiative verschärft
in den öffentlichen Fokus.
Menschen mit Behinderung fanden im Massnahmepaket der Fachkräfteinitiative keine Berücksichtigung,
im Gegensatz z.B. zu den älteren Arbeitnehmenden, Jugendlichen oder Frauen. Dies ist erstaunlich, da die
berufliche Integration von Menschen mit Behinderung
in den letzten Jahren immer wieder Zielsetzung der
IV-Reformen war, diese gemäss Bundesamt für Statistik
jedoch nicht erreicht wurden. Dies unterstreicht die nach
wie vor bestehenden Hindernisse für Menschen mit einer
Behinderung beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Mit der
geforderten nationalen Konferenz sollen Massnahmen
zum Abbau dieser Hindernisse koordiniert, erweitert und
vorangetrieben werden.
Invalidenversicherung
IV-Sanierung weiterhin auf Kurs
Auch wenn die Zahlen noch nicht in allen Details publiziert worden sind, so steht doch fest, dass die IV ihr
Sanierungsziel im Jahr 2014 wie in den Vorjahren erneut
übertroffen hat: Die Rechnung schliesst mit einem Einnahmenüberschuss von über 900 Mio Franken ab, prognostiziert waren rund 750 Mio Überschuss. Das angestrebte Ziel eines positiven Rechnungsabschlusses nach
Ablauf der auf 7 Jahre begrenzten Zusatzfinanzierung im
Jahre 2018 dürfte damit ohne Weiteres erreicht werden.
Diese Entwicklung ist einerseits erfreulich: Sie entzieht
reinen Sparmassnahmen die Legitimation und erlaubt es,
die weitere Diskussion um die Zukunft der IV ohne finanziellen Druck nach sachlichen Kriterien anzugehen. Die
Wiederaufnahme der im Rahmen der IVG-Revision 6b
zurückgestellten Sparmassnahmen ist offenbar kein Thema mehr – zumindest bis zu den Eidg. Wahlen im Herbst
2015. Auf der anderen Seite kann nicht darüber hinweg
gesehen werden, dass die Zeche für diese rasche Sanierung allein von den Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen bezahlt wird. Sie erhalten heute auch
bei schweren körperlichen, geistigen und psychischen
Einschränkungen oft keine Invalidenrente mehr oder
nur eine höchst bescheidene Teilrente. Die Verschärfung
der Rentenpraxis hat eine Dynamik entwickelt, welche die
Frage aufwirft, ob die IV heute ihre Schutzfunktion für
Menschen mit einer Behinderung überhaupt noch wahrnimmt. Integration Handicap wird sich in nächster Zeit
mit dieser Frage vermehrt auseinandersetzen müssen.
Nächste IVG-Revision angekündigt
Bundesrat Berset hat an einer Medienkonferenz vom
25.2.2015 eine nächste IVG-Revision angekündigt. Hierfür sind vom Bundesrat eine Reihe von Leitlinien fest
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gelegt worden, welche in den nächsten Monaten vom
BSV weiterentwickelt und konkretisiert werden müssen.
Noch Ende 2015 soll eine entsprechende Vorlage in eine
Vernehmlassung geschickt werden.
Hauptziel der angekündigten Revision ist es, Kinder, Jugendliche und psychisch kranke Menschen frühzeitiger,
effizienter und koordinierter zu unterstützen und damit ihre Eingliederung zu verstärken. Dies insbesondere
durch eine Optimierung der Übergänge von der Schule zur
erstmaligen beruflichen Ausbildung sowie von der Berufsbildung in den ersten Arbeitsmarkt. Jugendliche und
junge Erwachsene sollen bedarfsorientiert und langfristig
beraten und begleitet werden. Mit welchen gesetzlichen
Massnahmen diese Optimierung genau erreicht werden
soll und wie die Kantone und Ausbildungsstätten verbindlich in einen solchen Eingliederungsprozess eingebunden werden können, ist allerdings noch nicht klar.
Man darf auf die entsprechenden Vorschläge gespannt
sein.
Der bundesrätlichen Ankündigung lässt sich entnehmen,
dass nicht nur Anpassungen bei den beruflichen Eingliederungsmassnahmen im engeren Sinn vorgesehen sind,
sondern dass auch weitere Massnahmen ins Auge gefasst
werden, welche die Integration in den Arbeitsmarkt fördern sollen. So sind verschiedene Anpassungen bei den
medizinischen Eingliederungsmassnahmen vorgesehen.
Auch ist die Rede davon, dass durch eine Anpassung der
Taggelder die Anreize für die Auszubildenden und die
Lehrbetriebe gestärkt werden sollen. In welchem Sinn
dies geschehen soll, darüber lässt sich nur spekulieren.
Weiter ist die Rede davon, dass Lücken im Ersatzeinkommen von Versicherten in bestimmten Situationen geschlossen werden sollen. Auch hier ist nicht klar, ob dies
durch einen Ausbau des Anspruchs auf Wartezeit-Taggelder geschehen soll oder anderswie. Und schliesslich
will der Bundesrat zur allgemeinen Überraschung wieder
die Einführung eines stufenlosen Rentensystems aufnehmen, welches in der Debatte um die IVG-Revision 6b
höchst kontrovers diskutiert worden war.
Alle diese Gesetzesänderungen sollen insgesamt kostenneutral sein, indem Einsparungen in gewissen Bereichen
die Mehrausgaben in anderen Bereichen aufwiegen. Das
ist aus Sicht von Integration Handicap grundsätzlich ein
positiver Aspekt. Mittelfristig – dies die Hoffnung des
Bundesrates – soll die Eingliederung durch die Massnahmen der angekündigten Revision gestärkt und die
IV zusätzlich entlastet werden.
Altersreform 2020
Ständeratskommission beschliesst Eintreten
Nachdem die SGK des Ständerats zu Beginn des Jahres
umfangreiche Anhörungen durchgeführt hatte, hat sie
an ihrer Sitzung vom 26. März 2015 einstimmig beschlossen, auf die Vorlage einzutreten und sie nicht an
den Bundesrat zurückzuweisen. Dieser Beschluss zeigt,
dass die Notwendigkeit zu einem Handeln mittlerweile
allseits anerkannt ist. In Anbetracht der Tatsache, dass
das Umlageergebnis der AHV im Jahre 2014 erstmals negativ ausgefallen ist, kann dieser Entscheid nicht überraschen. Auch Integration Handicap hat im Hearing vor der
SGK für ein rasches Eintreten plädiert.
Mit dem Eintretensbeschluss ist allerdings noch nicht
entschieden, wie es bei der Beratung der Altersreform
2020 weitergehen soll. Der Bundesrat will alle Massnahmen in einem Gesamtpaket behandeln lassen, damit der
Grundsatz der Ausgewogenheit gewahrt bleibt. Bürgerliche Politiker tendieren demgegenüber dazu, die Altersreform 2020 in verschiedene Teilvorlagen aufzusplitten und
mit unterschiedlicher zeitlicher Priorität an die Hand zu
nehmen. Gewisse Sparmassnahmen wie die Anhebung
des Rentenalters für die Frauen sowie die Reduktion des
Rentenumwandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge
sollen dabei wenn möglich vorgezogen werden.
Integration Handicap ist ebenfalls der Ansicht, dass gewisse Elemente der Reform wie die Leistungskürzungen
bei den Witwenrenten zurückgestellt werden sollten,
erachtet aber ein einseitiges Vorziehen von Anpassungen
insbesondere im Bereich der beruflichen Vorsorge für
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verfehlt. Die SGK wird die Beratungen zu diesem sozialpolitischen Grossprojekt an ihrer Sitzung vom 23./24. April
fortsetzen.
Bei allen Differenzen scheint immerhin ein Konsens zu
bestehen, dass die Altersrenten (und damit auch die
Invalidenrenten) der 1. Säule trotz schwieriger Finanzierung nicht gesenkt werden sollen. Umgekehrt dürfte
das Anliegen um eine Erhöhung der Renten im Moment
ebenfalls aussichtslos sein. Die SGK des Ständerates beantragt denn auch dem Ständerat mit 9:4 Stimmen, die
Volksinitiative AHV plus der Gewerkschaften, mit welcher
die Erhöhung der AHV-Renten um 10 Prozent gefordert
wird, abzulehnen.
Ergänzungsleistungen
Anpassung der anrechenbaren
Mietzinsmaxima
Die bundesrätlichen Vorschläge für eine Anpassung der
anrechenbaren Mietzinsmaxima bei den Ergänzungsleistungen werden bedauerlicherweise in der SGK des Nationalrates, welcher die Vorlage als Erstrat zu behandeln
hat, nicht mit oberster Priorität behandelt. Die Beratung
soll erst nach der Sommersession aufgenommen werden.
Integration Handicap als Dachverband der Behindertenorganisationen wird deshalb zusammen mit den Dachverbänden der Seniorenorganisationen bei der Kommission intervenieren und auf die Dringlichkeit dieser
Anpassung hinweisen. Nachdem die Anpassung während
Jahren verschleppt worden ist, muss sie allerspätestens
auf den 1. Januar 2017 in Kraft gesetzt werden.
Besteuerung von Ergänzungsleistungen
Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) des
Ständerates hat am 4. November 2014 eine Motion mit
dem Titel „Steuerbarkeit von Unterstützungsleistungen
und steuerliche Entlastung des Existenzminimums“
(Nr. 14.4004) eingereicht. Mit dieser Motion wird der
Bundesrat beauftragt, die Bundesgesetzgebung dahingehend zu revidieren, dass Unterstützungsleistungen
aus öffentlichen und privaten Mitteln (Sozialhilfe) sowie
die Ergänzungsleistungen im Sinne der Gleichbehandlung der Einkommenssteuer unterstellt werden und dass
gleichzeitig das Existenzminimum steuerlich entlastet
wird. Der Ständerat hat dieser Motion zugestimmt.
Die Besteuerung von Ergänzungsleistungen kann zu einer erheblichen Reduktion des EL-rechtlich geschützten
Existenzminimums führen, wenn sie nicht von entsprechenden flankierenden Massnahmen begleitet wird. Problematisch ist die Motion deshalb, weil die flankierenden
Massnahmen (steuerliche Entlastung des Existenzminimums) nicht vom Bund, sondern von den Kantonen umgesetzt werden müsste. Dass alle Kantone hierzu bereit
sind, darf aufgrund der politischen Verhältnisse nicht
erwartet werden. Bei den Ergänzungsleistungen kommt
noch hinzu, dass der grössere Teil dieser Leistungen
heute der Heimfinanzierung dient. Heimbewohner und
Heimbewohnerinnen verfügen erfahrungsgemäss nur
über einen höchst bescheidenen monatlichen Betrag
für die persönlichen Auslagen, mit welchem sie keine
Steuern bezahlen können; sie müssten in aller Regel ein
Erlassgesuch stellen, womit einzig ein grosser Administrativaufwand resultieren würde. Integration Handicap
hat einzelne Mitglieder der WAK des Nationalrates auf
diese Problematik hingewiesen. Die WAK fand für diese
Bedenken erfreulicherweise Gehör und lehnte an ihrer
Sitzung vom 14. April 2015 die gesamte Motion mit
17:5 Stimmen ab. Es ist anzunehmen, dass der Nationalrat seiner Kommission folgen wird.
Pflegefinanzierung
Nachbesserung nötig
Die Finanzierung der Pflege durch Spitex-Organisationen
und Pflegeheime ist seit dem 1.Januar 2011 neu geregelt:
Mit dieser Reform ist definiert worden, welchen Beitrag
die Krankenkassen an die Kosten der Pflegeleistungen
zu übernehmen haben, wie viel die pflegebedürftigen
Personen selber zahlen müssen und wieviel die Kantone
und Gemeinden zu übernehmen haben. Über 3 Jahre
nach Inkrafttreten der Revision zeigen sich nun aber
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diverse Schwachstellen im System: Einerseits sind die
Ansätze des Beitrags der Krankenkassen trotz Lohnteuerung nicht angepasst worden und es ist unklar geblieben,
inwiefern die Kassen zusätzlich zu ihrem Beitrag an die
Pflegekosten auch die Kosten von Pflegematerial berappen müssen; andererseits hat sich in den Kantonen ein
bunter Flickenteppich von sehr unterschiedlichen Regelungen bezüglich des von den Versicherten zu übernehmenden Anteils an den Kosten der ambulanten Pflege
entwickelt; schliesslich versuchen etliche Kantone und
Gemeinden ihren Anteil an den Kosten im Pflegeheim zu
reduzieren, indem sie eigentliche Pflegeleistungen neu
als „Betreuungsleistungen“ definieren und die entsprechenden Kosten auf die Pflegeheimbewohner abwälzen;
grosse Finanzierungslücken ergeben sich zudem bei der
Finanzierung von Pflegeleistungen für ausserkantonale
Patientinnen und Patienten. Aus all diesen Gründen hat
Ständerätin Egerszegi eine parlamentarische Initiative
zur Nachbesserung der Pflegefinanzierung (14.417) eingereicht, welche im Grundsatz sowohl von der SGK des
Ständerates wie auch von jener des Nationalrates unterstützt worden ist. Eine Subkommission des Ständerates
ist beauftragt worden, konkrete Revisionsvorschläge zu
entwickeln.
Im Hinblick auf die Konkretisierung der parlamentarischen Initiative haben die Organisationen der
Leistungserbringer zusammen mit den Alters- und
Behindertenorganisationen im Rahmen der „IG Pflegefinanzierung“ einen Katalog von Forderungen zusammengestellt
und diesen nun bei der Subkommission der SGK des Ständerates deponiert. Auch Integration Handicap hat sich in
dieser IG engagiert und hofft, dass wenigstens der eine
oder andere offene Punkt einer befriedigenden Lösung
zugeführt werden kann.
Präimplantationsdiagnostik
Integration Handicap sagt JA zur Verfassungsänderung und NEIN zum neuen Gesetz
Der Vorstand von Integration Handicap hat nach engagierter Diskussion mit deutlicher Mehrheit beschlossen,
die Verfassungsänderung zur Fortpflanzungsmedizin und
Gentechnologie im Humanbereich (Präimplantationsdiagnostik) zu unterstützen. Diese kommt am 14. Juni
vor Volk. Die JA-Parole wird damit begründet, dass es
künftig Paaren mit schweren erblichen Veranlagungen
ermöglicht werden soll, die im Rahmen einer künstlichen
Befruchtung erzeugten Eizellen mittels Präimplantationsdiagnostik (PID) zu untersuchen, bevor sie in die
Gebärmutter eingesetzt werden. Heute ist dies in der
Schweiz nicht gestattet.
Hingegen stellt der Vorstand von Integration Handicap
mit ebenso deutlicher Mehrheit klar, dass er die vom
Parlament verabschiedete Revision des Fortpflanzungsgesetzes ablehnt. Mit dieser Revision will das Parlament
ein systematisches Screening von Embryonen (unter
anderem auch nach allfälligen Chromosonenanomalien)
vor der Einpflanzung in den Mutterleib generell ermöglichen. Damit wird einer weitgehenden Selektion von
lebenswertem und lebensunwertem Leben Vorschub geleistet, was aus Sicht von Integration so nicht akzeptiert
werden kann. Falls die Verfassungsrevision angenommen
und darauf das Referendum gegen das Gesetz mit Erfolg
ergriffen wird, wird Integration Handicap für ein NEIN
zur Gesetzesrevision einstehen.
Mit dieser differenzierten Haltung zur Präimplantationsdiagnostik bleibt Integration Handicap auf der Linie,
die der Bundesrat im Parlament vertreten hatte und
die dazumal von der DOK in mehreren Eingaben an das
Parlament unterstützt worden ist. Der Text der entsprechenden Medienmitteilung kann auf der Website von
Integration Handicap eingesehen werden.
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Bedingungsloses Grundeinkommen
Integration Handicap lehnt die
Volksinitiative ab
Die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen wird zurzeit im Parlament beraten. Sie wird
voraussichtlich anfangs 2016 zur Abstimmung gelangen.
Integration Handicap wird diese Initiative nicht unterstützen, wie der Vorstand vor kurzem entschieden hat.
Er erachtet das Anliegen nicht nur als politisch aussichtslos, sondern beurteilt es aus sozialpolitischer Sicht auch
als falschen Ansatz.
Nach Ansicht von Integration Handicap müssen staatliche Unterstützungsleistungen jenen Menschen zugute
kommen, welche aus besonderen Gründen wie einer
gesundheitlichen Beeinträchtigung darauf angewiesen
sind, und nicht der gesamten Bevölkerung gleichmässig
verteilt werden. Die Initiative würde zudem mit grosser
Wahrscheinlichkeit die finanzielle Situation von Menschen mit Behinderung nicht verbessern, sondern könnte
sie tendenziell verschlechtern. Die einzelnen Gründe
für die ablehnende Haltung finden sich in einem Papier,
welches auf der Website von Integration Handicap aufgeschaltet ist.
Statistik
Erschwerte Wohnverhältnisse wegen
Behinderung
Zwei Drittel der Wohnungen gar nicht oder nur schwer
zugänglich, überdurchschnittliche finanzielle Belastung,
schlechtere Qualität der Wohnobjekte – die Wohnsituation für Haushalte mit Menschen mit Behinderung ist
durchschnittlich unbefriedigender als bei anderen Haushalten. Dies geht aus einem Ende März veröffentlichten
Bericht des Bundesamts für Statistik hervor.
mit Behinderungen, die in spezialisierten Institutionen
wohnen, wurden nicht berücksichtigt. Die Probleme
fangen bereits bei der Wohnungssuche oder bei einem
geplanten Besuch von Bekannten oder Freunden an: Fast
jede zweite Wohnung in der Schweiz ist nicht oder nur
sehr schwer zugänglich (44 Prozent), ein weiterer Viertel
nur „schwer zugänglich“. Somit kann nur rund ein Drittel
der Schweizer Haushalte als barrierefrei bezeichnet
werden.
Auch wer eine barrierefreie Wohnung gefunden hat,
kämpft mit erschwerten finanziellen Verhältnissen. Haushalte mit einer behinderten Person geben gemessen an
ihrem Einkommen deutlich mehr für ihre Miete aus als
andere Haushalte. Ein Viertel der betroffenen Haushalte
ist durch die Wohnkosten überbelastet, d.h. sie geben
über 40 Prozent ihres Gesamteinkommens für die Miete
aus. Besonders gravierend fällt dies bei Einpersonenhaushalten ins Gewicht, von denen fast die Hälfte (46 Prozent)
finanziell überbelastet ist. Zum Vergleich: Bei Einpersonenhaushalten ohne Behinderung liegt dieser Anteil um
17 Prozent tiefer. Ein Grund dafür ist das häufig deutlich
niedrigere Einkommen bei Haushalten mit einer Person
mit Behinderung.
Dies hat auch Folgen für die Wohnqualität. Haushalte
mit behinderten Personen sind häufiger Problemen wie
Vandalismus, Lärm oder mangelnder Isolation ausgesetzt,
was für günstigere Wohnobjekte typisch ist. Bedeutend
für die Wohnqualität sind zudem die Qualität, die Erreichbarkeit oder der Zugang zu den sich im Umfeld der
Wohnung befindenden öffentlichen Dienstleistungen
wie Einkaufsmöglichkeiten, Bushaltestelle oder Arztpraxen. Der Zugang zu solchen Angeboten ist für bis zu
einem Viertel der Personen mit Behinderung «schwer»
oder „sehr schwer“. Im Alter steigt der Anteil noch einmal
deutlich an.
Im Rahmen der repräsentativen Befragung „Einkommen
und Lebensbedingung in der Schweiz (SILC)“ wurden
unter anderem spezifische Daten über die Wohnsituation
von Menschen mit Behinderungen erhoben. Menschen
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Tagungen
Wege zur Umsetzung der UNO-BRK in
diversen Ländern
Die österreichische Stiftung Zero Project organisierte im
Februar 2015 eine internationale Tagung gemäss ihrem
Jahresschwerpunkthema „Unabhängiges Leben und
politische Partizipation für Menschen mit Behinderung“.
Zero Project überwacht und forscht über die weltweite
Implementierung der UNO-BRK. Für Integration Handicap
reiste die zukünftige Mitarbeiterin der Abteilung Gleichstellung, Andrea Aeschlimann, nach Wien.
In diversen Workshops wurden die Ist-Situation in
verschiedenen Ländern sowie ausgewählte Projekte zur
gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Sinne der UNO-BRK vorgestellt. Behandelte
Themen waren zum Beispiel das selbstständige Wohnen,
der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt oder die Förderung
der politischen Teilnahme.
Ein Themenschwerpunkt behandelte die Rolle der Dienstleister, deren Angebot flexibler gestaltet werden muss,
damit die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit
Behinderung besser befriedigt werden können. Dieser
sogenannte „Mainstream approach“ soll auf Kosten der
separierenden Institutionen gestärkt werden. Die Erfahrung zeigt, dass so die Selbstständigkeit gefördert wird,
welche für die gesellschaftliche und berufliche Integration zentral ist. Oft scheitert ein Ausbau dieser Angebote an
den vermeintlich höheren Kosten, obwohl es Studien gibt,
welche zu einem gegenteiligen Schluss gelangen.
Ein Fokus wurde zudem auf Personen mit psychosozialen Beeinträchtigungen gelegt, welche gemäss WHO
marginalisiert werden – auch in Programmen der UNO.
Es wurde auf die Gefahr hingewiesen, dass Massnahmen
zur De-Institutionalisierung lediglich dazu führen können, dass die Betreiber der Institutionen wechselten und
diese kleiner würden – aber die Betroffenen nicht aus der
Isolation finden. Es wurden Projekte aus verschiedenen
Ländern vorgestellt, welche den Betroffenen ermöglichen, im gewohnten Umfeld wohnen zu bleiben, und sie
gleichzeitig selbstbestimmt Zugang zu diversen Angeboten oder Unterstützungsleistungen von Gemeinden oder
NGO erhalten. Wichtig ist die Offenheit der Gesellschaft
gegenüber solchen Projekten, wobei die Erfahrungen
weit auseinandergehen. Während einige von Förderung
des Verständnisses berichteten, erfuhren andere deutliche Ablehnung.
Eine grosse Problematik auf dem Weg zu einer Verbesserung der Situation ist die Datenlage, welche es erlauben
würde, Massnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.
Einerseits ist die Datenlage dünn, andererseits ist die
internationale Vergleichbarkeit der vorhandenen Erhebungen sehr schwierig. So variiert je nach Nation bereits
die Definition von „Behinderung“. Statistiken im Behindertenwesen wurde von der UNO weitgehend vernachlässigt, Bestrebungen zu einer Verbesserung der Situation
sind jedoch im Gang.
Die Stiftung Cerebral wagt einen Blick in die
Zukunft
Die Stiftung Cerebral hat in enger Zusammenarbeit mit
dem Gottlieb-Duttweiler-Institut eine Studie mit dem
Titel „Menschen mit Behinderung in der Welt 2035 – wie
technologische und gesellschaftliche Trends den Alltag
verändern“ verfasst. Grundlage dieser Studie bildeten viele
Interviews mit Betroffenen und Vertretern von Behindertenorganisationen und Institutionen. An einer gut besuchten Tagung im GDI-Institut wurden am 26.02.2015
die Ergebnisse vorgestellt und im Rahmen von Referaten
Utopien entwickelt, aber auch Grenzen aufgezeigt. In
der Folge kam es zu einem regen Austausch unter den
Tagungsteilnehmern. Die Tagung hat gezeigt, wie wertvoll hin und wieder ein Blick über die unmittelbaren
Probleme hinaus in die weitere Zukunft ist.
Beilage
Behinderung und Recht