Bündner Tagblatt, 20.5.2015 - Bündner Offiziersgesellschaft

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KLARTEXT
B ü n d n e r Ta g b l a tt
M i ttwo c h , 2 0. M a i 2 0 1 5
F O R U M Urs Fetz über die Weiterentwicklung der Armee
Plädoyer für eine glaubwürdigere Sicherheitspolitik der Schweiz
P
Praktisch jede in Europa lebende Generation war von Migration betroffen. Jedoch kehrte der enorme wirtschaftliche
Aufschwung im Zuge der Industrialisierung die Vorzeichen um. Die Wanderungsbilanz für das Territorium der
heutigen Schweiz in etwa war von der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis
zirka 1890 negativ. Erst seit Ende des 19.
Jahrhunderts wandern mehr Menschen bei uns ein als aus. Mit durchaus
sehr positiven Folgen: Ohne Zuwanderung beispielsweise hätte unsere nach
dem Zweiten Weltkrieg aufstrebende
Wirtschaft gar nicht über genügend
Arbeitskräfte «verfügt». Kurzum: Migration prägt unsere politische Agenda
seit Generationen. Verändert haben
sich lediglich das Ausmass und die Ursprungs- respektive die Zielgebiete.
Von der Boko Haram über den syrischen Bürgerkrieg bis hin zur Ostukrai-
ne: Kriege und Konflikte führen derzeit
ebenso zu Migration wie Hunger, Glaubenskonflikte und die Hoffnung auf
Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg. Es
wäre folglich naiv zu glauben, Migration hätte ihren Zenit überschritten.
Und sie zieht eben auch negative Folgen nach sich, etwa den Terror.
Europas globale Bedeutung schwindet zunehmend. Zumal die Schweizer Wirtschaft seit Januar 2015
stark unter der Aufhebung
des Euro-Mindestkurses leidet. Diese Entwicklungen
spürt das Eidgenössische
Departement für Verteidigung,
Bevölkerungsschutz
und Sport (VBS) genauso wie
die sechs Schwesterdepartemente.
Und: Der Spardruck wird sich noch verstärken. Denn für eine erneut positive
Entwicklung bräuchte es entweder eine
importierte Inflation oder aber einen
wirtschaftlichen Aufschwung, «Swiss
made». Beides ist derzeit nicht absehbar. Zumal die Unzufriedenheit im sich
neu orientierenden Europa zunimmt.
Theoretisch müsste der Staat in diesen
unter einem Prozent Verteidigungsausgaben liegen wir Schweizer nicht einmal bei der Hälfte von dem, was Europa
derzeit prozentual investiert.
Sicherheit ist zwar, so die neuste
Entwicklung, wieder vermehrt in unser
Bewusstsein gekehrt. Doch der Druck
auf das knappe Geld bleibt konstant
hoch. Folglich sind wir Bürger in Uniform auch in Zukunft gefordert,
uns gegen einen weiteren Abbau von Sicherheit und da«Europas
mit gegen Einschränkungen
globale Bedeutung
unserer Freiheit zu wehren.
Womit
wir wieder bei «Mischwindet
gration» wären. Europa ist
zunehmend»
der weltweit grösste Exporteur von Terroristen! Die Geschichte lehrt uns, dass Migration
spielsweise von China und Russland stets wechselseitig verlief. Dereinst
wird das globale Gefüge neu ordnen. kehren diese mit dem System unzufrieUnd wo bleibt Europa? Ein erneutes denen Menschen zurück. Wir tun also
Wettrüsten darf und soll nicht das Ziel gut daran, wieder sicherer zu werden.
sein. Doch wenn wir unsere Verteidi- Zugegeben: Die Weiterentwicklung der
gungsausgaben weiter dezimieren und Armee (WEA) ist ein Kompromiss zwinoch abhängiger werden, so werden schen Wunsch- und Wertvorstellungen
wir eben auch erpressbar. Mit, gemes- der politischen Parteien. Doch wie die
sen am Bruttoinlandprodukt, deutlich jüngsten Entscheide auf nationaler
mageren Jahren investieren Doch das
tut er nicht. Zumal das VBS im Falle von
weiteren Steuerausfällen ab einem sehr
viel tieferen Budgetstand kürzen müsste als die anderen Departemente, und
wir die Sicherheit seit dem Fall der Berliner Mauer vernachlässigt haben.
Die Welt wird sich auch in Zukunft
«bewegen». Das enorme Aufrüsten bei-
Ebene zeigen, handelt es sich hierbei
eben auch um eine möglicherweise
politisch mehrheitsfähige Lösung.
Sprichwörtlich: Lieber den Spatz in der
Hand, als die Taube auf dem Dach. Im
Zuge der WEA rüsten wir nicht nur
unsere Soldaten besser und vor allem
vollständig aus. Nein, wir kehren auch
zu besserer Ausbildung und Mobilmachung zurück. Ich bin überzeugt davon,
dass diese Lösung ehrlicher ist, als es
die vorangehenden waren. Beim Tiger
F-5 haben wir den Fehler, nicht rechtzeitig in Sicherheit reinvestieren zu
wollen, bereits begangen. Lernen wir
aus der Geschichte!
Zerstrittenheit im bürgerlichen Lager ist nicht mehrheitsfähig. Vergessen
Sie dies bitte auch im kommenden
Herbst nicht. Wählen Sie Politiker, die
für eine glaubwürdige Sicherheitspolitik einstehen, und nicht solche, die Ihre
eigenen Kinder in einen Schützenpanzer M-113 setzen, um gegen einen modern ausgerüsteten Gegner anzutreten.
URS FETZ ist Präsident der Bündner
Offiziersgesellschaft.
H I N T E R G R U N D Sebastian Kunigkeit, Paris, über die Zukunft des Satiremagazins «Charlie Hebdo»
Streit und Trauma: Satiriker ringen um den «Esprit Charlie»
D
Das Pariser Satireblatt «Charlie Hebdo»
ist durch den blutigen Anschlag zu einer
nationalen Ikone geworden. Die
schwierige Aufgabe, trotz Trauma und
Geldregen dem Esprit des Magazins
treu zu bleiben, zerreisst die Redaktion.
Und einer der bekanntesten Zeichner
geht von Bord.
Catherine Deneuve hatte die Zeichnung noch nicht gesehen, doch sie ahnte wohl, was auf sie zukam. «Falls es
boshaft ist, hoffe ich, dass es lustig ist»,
sagte die Schauspielerin in Cannes,
nachdem ein Journalist sie vergangene
Woche auf ihre Karikatur im Satiremagazin «Charlie Hebdo» angesprochen
hatte. Vorteilhaft kann man die Titelseite in der Tat nicht nennen. Sie gibt der
Star-Akteurin einen beinahe quadratischen Körper, der Slogan darüber: «Verdächtiges Paket auf der Croisette». So
ist «Charlie», rotzfrech und stets im
Schlingerkurs auf dem schmalen Grat
zwischen Schlagfertigkeit und Unverschämtheit. Seinem Ton ist das Magazin nach dem 7. Januar treu geblieben,
als zwei islamistische Attentäter die Redaktion stürmten und zwölf Menschen
erschossen.
Doch diese Konstanz und ungekannte Verkaufserfolge können nicht
verstecken, dass das Blatt in einer Krise
steckt: Die Redaktion ringt um den
künftigen Kurs und den Umgang mit
dem plötzlichen Geldregen – aber auch
mit den psychologischen Folgen der
Gewalt. Jetzt wirft einer der bekanntesten überlebenden Zeichner das Handtuch. Luz war nach dem Anschlag zum
Aushängeschild der Zeitung geworden.
Er zeichnete das Titelbild der «Ausgabe
der Überlebenden», einen weinenden
Mohammed. In einem emotionalen
Interview mit «Libération» bestätigte
der Künstler, mit bürgerlichem Namen
Renald Luzier, nun die Gerüchte über
seinen Ausstieg im September. «Jeder
Redaktionsschluss ist eine Folter, weil
die anderen nicht mehr da sind.»
Luz schildert, wie schwierig es für
ihn ist, unter dem Brennglas der Medien
zu arbeiten, für die er zu einem Symbol
geworden ist. Und dass das alltägliche
Nachrichtengeschäft ihn nicht mehr in-
«
‘Diese kleinen
unbedeutenden
Ereignisse, das geht
jetzt an mir vorbei,
weil wir etwas erlebt
haben, das nicht
unbedeutend ist’
»
teressiert. «Diese kleinen unbedeutenden Ereignisse, das geht jetzt an mir
vorbei, weil wir etwas erlebt haben, das
nicht unbedeutend ist.»
Nach dem Terroranschlag strömte
viel Geld in die Kassen des notorisch
klammen Magazins. Redaktionsleiter
Riss rechnet damit, in diesem Jahr vor
Steuern 10 bis 15 Millionen Euro Gewinn zu machen – ganz abgesehen von
mehr als 4 Millionen Euro an Spenden,
die den Angehörigen der Opfer zugutekommen sollen.
Doch dieses Geld wirft auch Fragen
auf. Ein Mitarbeiter-Kollektiv sprach
schon vor Wochen öffentlich vom «Gift
der Millionen» und forderte eine Neugründung des Magazins als Genossenschaft, um sicherzustellen, dass der
«Esprit Charlie» weiterlebt.
L E S E R B R I E F E Zur Erbschaftssteuerinitiative, zur Präimplantationsdiagnostik und zur Billag-Abstimmung
IMPRESSUM
Zeit für ein nationale
Erbschaftssteuer
Herausgeberin:
Die reichsten zwei Prozent der Steuerzahlenden besitzen gleich viel Vermögen wie alle anderen 98 Prozent. Diese
98 Prozent der Bevölkerung profitieren
unmittelbar von der Reform der Erbschaftssteuer. Arbeitseinkommen werden zulasten des Kapitals steuerlich entlastet, kantonale Erbschaftssteuern bis
zwei Millionen fallen weg und mit den
Erträgen wird primär die AHV gestärkt.
Deshalb erachte ich die Erbschaftssteuer
als das geeignete Instrument, um die für
das Funktionieren des Staates notwendigen Einnahmen zu generieren, ohne
die breite Bevölkerung zu belasten. Die
Zeit ist reif für die Reform der Erbschaftssteuer, deshalb stimme ich ihr zu.
▸ SANDRA LOCHER BENGUEREL
GROSSRÄTIN SP, CHUR
Ein gemeiner Raubzug
Was so schön daher kommt und fast allen etwas verspricht, ist ein gemeiner
Raubzug auf Familienvermögen. Hier
wird Eigentum entzogen, welches rechtmässig erworben und vollumfänglich
versteuert wurde. Der Gedanke, damit
die künftigen Probleme der AHV zu beheben, ist euphorisch. Vermutlich liegen
die angestellten Berechnungen um mindestens eine Kommastelle daneben. Die
strukturelle Problematik der AHV liegt in
der immer grösser werden der Lebenserwartung und wäre rechnerisch einfach zu lösen. Der Raubzug auf das Familienvermögen der Tüchtigen und Sparsamen ist da der falsche Ansatz.
Warum wohl haben alle Kantone die
direkte Erbschaftssteuer abgeschafft?
Waren alle Entscheidungsträger dumm
und verzichteten sie auf eine sprudelnde
Geldquelle für Kantone und Gemeinden?
Nein, sie haben gemerkt, dass in unserem Rechtsstaat das wiederholte versteuern desselben Vermögens unrechtmässig ist. Die selbsternannten Robin
Hoods sollten ihr Gerechtigkeitsempfinden nicht nur selektiv einsetzen. Sie sollten auch an erschwerte Firmenerbgänge
denken, die zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und Existenzen führen können.
Stimmen Sie Nein zu dieser unseligen
Initiative!
▸ GIAN CATRINA, MITGLIED VORSTAND
HEV MITTELBÜNDEN, PIGNIA
Wir brauchen einen
ethischen Rahmen
Früher war Kinderlosigkeit Schicksal –
heute können unfruchtbare oder genetisch vorbelastete Paare die medizinischen Möglichkeiten der künstlichen
Befruchtung in Anspruch nehmen. Jedes fünfzigste Baby wird bei uns inzwischen im Reagenzglas gezeugt. Unsere
Verfassung verbietet, dass die Embryonen vor der Übertragung in die Gebärmutter untersucht werden. Im Verlaufe
der Schwangerschaft dagegen sind
Untersuchungen auf schwere Erbkrankheiten mit der letztlichen Option einer
straffreien Abtreibung erlaubt und mit
einem höheren Risiko für Mutter und
Kind verbunden. Um die Präimplantationsdiagnostik (PID) wie in unseren
Nachbarländern zuzulassen, muss Artikel 119 der Bundesverfassung geändert
werden. Ein cirka drei Tage alter Embryo
im 8-Zell-Stadium könnte dann auf
schwere Erbkrankheiten untersucht
werden, was auch das Risiko für eine
Fehlgeburt reduziert. Neu dürften so viele Embryonen entwickelt werden, wie
zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung notwendig sind. Weil diese
nicht mehr sofort eingepflanzt werden
müssen, wird das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft verringert. Der
Schutz des Embryos und die starke Belastung der Paare sind gegeneinander
abzuwägen. Wir halten es für angemessener, eine Untersuchung des Embryos
nach strengen Kriterien zu erlauben, als
eine Schwangerschaft auf Probe einzugehen. Die Paare sollen sich eigenverantwortlich für oder gegen die PID entscheiden können. Daher empfehlen wir, den
PID-Bundesbeschluss anzunehmen.
▸ URSULA LEUTHOLD,
NATIONALRATSKANDIDATIN
GRÜNLIBERALE GRAUBÜNDEN, GRÜSCH
Die Billag-Steuer ist
KMU-feindlich
Damit überhaupt jemand von einer
Steuer befreit werden kann, muss zuallererst eine Abgabepflicht gegeben sein.
Genau das ist bei den allermeisten KMU
nach geltendem Recht nicht der Fall.
Heute zahlen viele Unternehmen keine
Billag-Abgaben, weil sie von den geltenden Möglichkeiten Gebrauch machen,
um sich befreien zu lassen. Denn in vielen Betrieben ist es aus Sicherheitsgründen schlicht nicht möglich, ja sogar verboten, am Arbeitsplatz TV zu schauen. So
geben Suva-Richtlinien auf vielen Baustellen vor, dass keine Musik gehört, geschweige denn TV geschaut werden darf.
Die Befürworter der neuen BillagMediensteuer kriminalisieren mit ihrer
Argumentation die gesamte KMU-Wirtschaft. Sie haben aber schlicht kein
Recht und keine Grundlage diese unbescholtenen Betriebe zu attackieren.
Auch wer das Internet im Geschäft nutzt,
um die E-Mails zu lesen, ist deswegen in
keiner Weise automatisch gebührenpflichtig.
Wer die Programme der SRG nutzt,
soll dafür bezahlen. Wer sie nicht nutzt,
darf deswegen nicht kriminalisiert werden. Ich stimme deshalb am 14. Juni mit
Überzeugung Nein zur Revision des
RTVG.
▸ ANDREA ENGEL, INHABER ENGEL
REISEN, CHUR
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