Sachverhalt

Prof. Dr. Philipp Dann, LLM
Examensklausurenkurs im Sommersemester 2015
- Klausur im Öffentlichen Recht 7 –
25.4.2015
Sachverhalt
Teil I:
Nachdem die Europäische Union mit den Vereinigten Staaten einen völkerrechtlichen Vertrag über
eine „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) geschlossen hat, intensivieren
sich Einfuhren US-amerikanischer Lebensmittel nach Deutschland. Verbraucherschutzverbände
äußern daraufhin öffentlich die Besorgnis, dass unter den Importen auch sog. „Chlorhähnchen“
seien. Damit bezeichnen sie Hühner, die nach der Schlachtung in ein Chlorbad getaucht werden, um
sie zu entkeimen. Dieses Verfahren ist in den USA gängig, wird aber in Europa nicht praktiziert und
begegnet bei vielen deutschen Verbrauchern Gesundheitsbedenken.
Angesichts dieser Bedenken entschließt sich die Bundesregierung, Informationen über USGeflügelfabrikanten zu sammeln, welche die umstrittene Chlor-Methode verwenden und Hühnchen
an deutsche Gastronomiebetriebe liefern. Auf Basis dieser Informationen veröffentlicht das
Bundesministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz im Internet eine sog. „ChlorhähnchenListe“, die monatlich aktualisiert wird. Diese Liste führt all diejenigen deutschen
Gastronomiebetriebe namentlich auf, welche im Vormonat Geflügel von US-Fabrikanten bezogen
haben, die Hühnchen mit Chlor behandeln. Die „Chlorhühnchen-Liste“ wird im Internet millionenfach
abgerufen und in den Medien vielfach thematisiert. Besondere Aufmerksamkeit erregt die
Bundesgesundheitsministerin, als sie bei der öffentlichen Vorstellung des Informationsprojekts von
einer „Ekelliste“ spricht. Auf Kritik entgegnet sie, die Bundesregierung trüge im Rahmen ihrer
Aufgabe zur Staatsleitung lediglich zur Aufklärung von Verbrauchern bei, um diesen informierte und
selbstbestimmte Konsumentscheidungen zu ermöglichen.
Die auf der Liste namentlich genannten Gastronomiebetriebe verzeichnen deutliche Umsatzeinbußen
bei Geflügelprodukten; bei großen Fast-Food-Ketten bricht der Absatz von Chicken Wings um bis zu
50% ein. Dazu gehört auch die Alabama Cooked Chicken GmbH, die ihren Sitz in Berlin hat und
Schnellrestaurants in ganz Deutschland betreibt. Sie möchte sich daher gegen die Informationspolitik
der Bundesregierung wehren, die in protektionistischer Absicht in die Wettbewerbsfreiheit von aus
den USA belieferten Unternehmen eingreife. Zwar beziehe die Alabama Cooked Chicken GmbH
tatsächlich einen Großteil ihrer Hühnchen von US-Fabrikanten, welche die Chlormethode einsetzen.
Doch sei die Bundesregierung für die Veröffentlichung einer solchen Liste schon nicht zuständig und
habe dafür auch keine gesetzliche Grundlage. Zudem erwecke das Ministerium mit der Bezeichnung
„Chlorhähnchen-Liste“ den unrichtigen Eindruck, die so behandelten Hähnchen seien
gesundheitsschädlich. Dies sei aber nicht der Fall, wie – was zutrifft – das Bundesinstitut für
Risikobewertung in unabhängigen Untersuchungen bestätigt habe; deswegen sei das Chlor-Verfahren
auch lebensmittelrechtlich nicht verboten. Schließlich sei die Bezeichnung als „Ekelliste“ völlig
unsachlich und geschäftsschädigend. Die GmbH beauftragt Rechtsanwalt R zu prüfen, ob und ggf. wie
künftig die Veröffentlichung der Liste, jedenfalls aber die Bezeichnung als „Chlorhähnchen-Liste“ und
„Ekelliste“, gerichtlich verhindert werden kann.
Bitte wenden!
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Teil II:
Neben ihren rechtlichen Schritten möchte die Alabama Cooked Chicken GmbH auch auf politischem
Weg gegen die „Chlorhähnchen-Kampagne“ der Bundesregierung vorgehen. Gemeinsam mit dem
Bundesverband der Geflügelindustrie startet sie daher ihrerseits eine öffentliche Kampagne für ein
„Verbraucherfehlinformationsschutzgesetz“. Im Zuge dieser Kampagne wird auch bekannt, dass
Mitarbeiter des Geflügel-Verbandes regelmäßig in der Lobby des Paul-Löbe-Hauses bei
Bundestagsabgeordneten um Unterstützung für ihr Gesetzesvorhaben werben.
Der Verbraucherschutzverein Transparenz National e.V. ist empört darüber, dass die
„Chlorhähnchen-Lobbyisten“ offenbar privilegierten Zugang zu den Bundestagsgebäuden erhalten,
während Verbraucherschützer draußen warten müssen. Der Verein vermutet, dass die GeflügelVerbandsvertreter über Hausausweise des Bundestages verfügen. Auf Anfrage teilt das
Bundestagspräsidium aber lediglich mit, das Präsidium selbst habe an den Geflügel-Verband keine
Hausausweise für den Haupteingang ausgegeben. Allerdings gebe die Bundestagesverwaltung auch
Hausausweise für die Hintertür an Verbandsvertreter aus, wenn der Parlamentarische
Geschäftsführer einer Fraktion die Ausgabe an bestimmte Personen ausdrücklich befürworte.
Die Namen der Inhaber dieser Hintertür-Ausweise könne die Bundestagsverwaltung aber aus
datenschutzrechtlichen Gründen nicht bekannt geben. Denn mit den Inhabern sei Vertraulichkeit
vereinbart worden. Überdies diene die Zulassung sachverständiger Personen der Vorbereitung
fraktionsinterner Entscheidungen; die Freiheit dieser Willensbildungsprozesse würde durch die
namentliche Bekanntgabe und „Anprangerung“ der Ausweis-Inhaber beeinträchtigt. Schließlich
gehöre die Ausübung des Hausrechts durch den Bundestag zum Kernbereich legislativer
Eigenverantwortung, welcher der Durchsetzung von Informationsansprüchen durch die Judikative
entzogen sein.
Transparenz National e.V. meint dennoch, einen gesetzlichen Anspruch auf Zugang zu den Namen
der Inhaber von Hintertür-Ausweisen zu haben. Der Verein beauftragt daher Rechtsanwalt T zu
prüfen, ob ein solcher Anspruch besteht.
Aufgaben:
1. Erstellen Sie das Gutachten des Rechtsanwalts R. Gehen Sie dabei auf alle im Sachverhalt
aufgeworfenen Rechtsfragen, ggf. hilfsgutachtlich, ein. Unions- und Völkerrecht bleiben
außer Betracht.
2. Prüfen Sie für Rechtsanwalt T, ob der geltend gemachten Anspruch auf
Informationszugang besteht.
HINWEIS:
Klausurbearbeitungen können noch bis zum Montag, 27. April 2015, bis spätestens 11 Uhr in das
Postfach des Lehrstuhls Prof. Dann beim Wachschutz am Eingang UL 9 eingeworfen werden. Bitte
keine lose Blattsammlung einwerfen und auf die Wertmarken achten. Eine Abgabe am Lehrstuhl ist anders als bisher - nicht mehr möglich. Die Klausur wird am Montag, den 4. Mai 2015 von 12 bis 14
Uhr (c.t.) in Raum 213 (UL 9) besprochen. Korrigierte Klausuren werden bei der Besprechung
ausgegeben oder können nach der Besprechung im Sekretariat des Lehrstuhls nur zu den dort
angegebenen Sprechzeiten abgeholt werden.
Dieser Text unterliegt dem geltenden Leistungsschutz- und Urheberrecht. Unerlaubte Vervielfältigung,
Wiedergabe oder Einspeicherung in automatisierte Dateien außerhalb der engen Grenzen des UrhG
sind verboten und werden ggf. sowohl straf- als auch zivilrechtlich verfolgt.
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