Andacht 1

Andacht über die Karikaktur "Jesus allein zu Haus"
1. Passionsandacht 2015
Stieghorst am 30.03.2015
Liebe Andachtsgemeinde,
als Gefährten Jesu auf dem steinigen Weg der Passion haben wir als christliche Gemeinde ein
Problem. Wir wissen um Ostern. Und wir verstehen das, was Jesus in den letzten Tagen seines Daseins widerfährt, immer von Ostern her und durch die Botschaft der Auferstehung hindurch. Das ist ganz natürlich. Und das kommt uns entgegen. Hilft es uns doch, mit diesem
Happy End vor Augen, das Unerträgliche zu ertragen. Es ist alles nicht so schlimm, wenn es
am Ende doch gut ausgeht. Doch das bricht der Geschichte die Spitze ab. Und das war nicht
die Situation Jesu. Sicher hatte er sein Gottvertrauen, eins, das unseres weit überragt. Aber um
zu verstehen, wie groß sein Opfer war, müssen wir Ostern aus dem Kopf bekommen. Denn er
muss erleben, wie das, was ihm wichtig war, wofür er sein Leben einsetzte, am Ende grundsätzlich zu scheitern drohte. Und das Unfassbare ist, dass er sein Vertrauen und seine Aufrichtigkeit gerade mit dieser Aussicht bewahrheitete.
Um uns das vor Augen zu halten, möchte ich an den Abenden unserer Passionsandachten auf
drei Karikaturen zurück greifen. Das ist nicht ganz unproblematisch. Haben wir anhand der
Diskussion um die Mohammedkarikaturen erleben müssen, dass Satire, in welcher Form auch
immer, als Beleidigung des Glaubens und der Glaubenheroen missverstanden werden kann.
Aber ich habe da wenig Probleme. Ganz im Gegenteil: Unverschämte Überspitzung kann einer Wahrheit dienen, wenn sie die Wirklichkeit auf den Punkt bringt. Und die drei Karikaturen unserer Abende können das – zumindest meinem Verständnis nach.
Hier nun die erste Karikatur:
Vor fast 10 Jahren brachte der Spiegel dieses Titelbild. Es
ging in dem Leitthema der Ausgabe um die Austrittswelle aus
der Kirche. Aber man kann die Zeichnung auch weiter und
tiefgehender verstehen. Angelehnt an das Abendmahlsbild
Leonardo da Vincis hat Jesus am Vortag seines Todes seine
Jünger zu Tisch gebeten, wäscht ihnen zunächst die Füße,
Wasserkaraffe und Schüssel stehen noch da. Dann will er das
Brot austeilen, den Wein ausschenken. So weit bekannt.
Aber auf diesem Bild ist etwas anders. Denn als er zum Brot
greift, springen alle auf und verlassen fluchtartig den Ort des
Geschehens. Zwei sieht man noch links und rechts verschwinden, ein umgestoßener Stuhl
erzählt von der Hast der Flucht.
Ein ungehöriges Bild? Ganz und gar nicht. Denn es bringt die Wahrheit auf den Punkt. Wenige Stunden nach dem Abendmahl, als es zum Schwur kommt, als sich die Frage aufwirft, ob
die Jünger auch zum ohnmächtigen Meister stehen, machen sie sich aus dem Staub.
Man vermag sich gar nicht vorstellen, welche Enttäuschung das für Jesus bedeutet haben
muss. Drei Jahre ist er mit ihnen umhergezogen, hat sie gelehrt, ihnen seine Botschaft nahe
gebracht. Er hat ihr Unverständnis liebevoll ertragen, ihnen seine Sicht auf Gott und die Welt
vermittelt. Tag und Nacht waren sie beisammen. Und wenn er irgendwo so etwas wie Geborgenheit erfahren hat, Bestätigung, Zuneigung, Halt, dann in dieser Gruppe. Wenn ihn etwas
bestärkt hat, dass er tatsächlich etwas zum Guten wenden kann, dann doch der enge Kreis
seiner Anhänger. Aber als er sie und ihre Nähe und ihre Ermutigung am nötigsten brauchte,
da schlugen sie sich im Wortsinn in die Büsche.
Das wirft ein finsteres Licht auf all das vorher. Was waren all die Schwüre und all der Anschein, sie hätten etwas verstanden, wert? Und das lässt Fürchterliches ahnen für alles danach.
Denn wer soll das Projekt weiter tragen, wenn er unter die Räder der Macht geraten ist? Wenn
man bereit ist, sein Leben ein zu setzen, dann doch nur für einen höheren Zweck, ein Ziel, das
höher erscheint als der Wert des eigenen Lebens. Und dann erweist sich die Quelle des Mutes
als Illusion. Dann erscheint das Opfer, das er bereit war zu geben, plötzlich sinnlos und es tut
sich ein Abgrund auf. Es wird nichts weiter gehen. Es endet mit ihm.
Das wird noch bedrückender, wenn man sich vor Augen hält, was eigentlich das Innerste der
Botschaft Jesu war. Es ging um Beziehung, Verbundenheit. Zwischen Jesus und den Menschen um sich herum, mitten darin um die Verbundenheit von Gott und Mensch, geprägt
durch gegenseitige Wertschätzung. Aber all das kündigen die Jünger auf, als sie Jesus im
Stich lassen. Trostlos ist das, was die Karikatur vor Augen stellt. Wie trostlos sitzt Jesus da,
wie leer der Blick. Hilflos, aussichtslos hält er das Brot seines Leibes, das niemand mehr haben will. Wozu also all das, was wenige Stunden später unausweichlich kommt.
"Das kann doch nicht alles gewesen sein." Sinnloser Tod, eingereiht in die Riege von Verbrechern, einsam ertragen, und alles ohne eine Aussicht, dass es weiter geht, einem höheren Ziel
dient. Will man das Opfer Jesu verstehen, will man sich darin einfühlen, dann muss man diese
Enttäuschung teilen. Und um so unverständlicher, aber auch bewundernswerter erscheint es,
dass Jesus angesichts dieser Enttäuschung nicht auf die Bremse getreten hat, nicht abgebogen
ist, als sich noch die Chance dazu auftat. Nicht hat er den Ausweg gesucht, den er zweifelsohne noch hätte finden können.
Das einzige, was mir dafür eine Begründung sein könnte, ist Vertrauen, blindes Vertrauen
darauf, dass Gott die Fäden in der Hand behält. Erst, wenn es keine Aussicht mehr gibt, erst,
wenn ein gutes Ende völlig illusorisch erscheint, wenn nichts mehr bleibt als eben nacktes,
unbegründetes Vertrauen, dann ist der Glaube an seinem Grund angelangt. Keine Wahrscheinlichkeit stützt ihn, keine Bestätigung erleichtert ihn. Er ist tatsächlich nackt vor Gott
und nackt vor sich selbst. Insofern ist er der erste, der sich seiner eigenen Botschaft anvertraut
- in dieser Situation erschreckenderweise auch der einzige.
Will man Jesu Opfer verstehen, will man dem nahekommen, was ihn weit mehr quält als die
Schläge, die grölende Menge und die Nägel, dann ist es die Aussichtslosigkeit dessen, was auf
ihn zu kommt. Denn nur so erschließt sich das gläubige Vertrauen, das er imstande ist bis zur
bitteren Konsequenz zu leben. Und das kann man kaum besser ausdrücken, als es der Maler
dieser Karikatur getan hat. Amen.