EAfA-Rundbrief Nr. 69, 4. Quartal 2015 Aktuelles Franziska Polanski

EAfA-Rundbrief Nr. 69, 4. Quartal 2015
Aktuelles
Franziska Polanski
Wanderausstellung “Das Alter in der Karikatur” –
der andere Beitrag zum gesellschaftlichen Altersdiskurs.
Die Wanderausstellung „Das Alter in der Karikatur“, die im Juli im Rahmen des 11.
Deutschen Seniorentages von der Diakonie nach Frankfurt/Main eingeladen wurde, zieht die
Menschen auch andernorts in ihren Bann. In Zürich sorgte sie ebenso für Furore wie im
Herbst 2015 im Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg in Stuttgart.
Renommierte zeitgenössischen Karikaturisten wie Gerhard Haderer, Franziska Becker,
Gerhard Glück, Greser&Lenz, Marie Marcks, Michael Sowa, Hans Traxler und viele andere
beleuchten in dieser Ausstellung das viel diskutierte Thema Alter. In ihren Karikaturen geht
es um Golden Ager, Körperoptimierung und Anti-Aging ebenso wie um Demenz, Pflege und
Gebrechlichkeit, um Generationenkonflikte und den demografischen Wandel. Das Alter in all
seinen neuen und alten Facetten wird in dieser Ausstellung ausgiebig gewürdigt.
Auswahl und Aufbau der Ausstellung beruhen u.a. auf den Erfahrungen aus einem
Forschungsprojekt über Altersbilder in Karikaturen am Marsilius-Kolleg der Universität
Heidelberg. Humor wurde dabei als ein „Tor zum Unbewussten“ begriffen, zu den
unbewussten Einstellungen und Gefühlen. Diese sind deshalb so interessant, weil sie das
menschliche Handeln maßgeblich bestimmen. Wie also sieht es „im tiefsten Inneren“ mit den
Einstellungen und Gefühlen gegenüber dem Altern aus? Zwar hat sich das bewusste Wissen
über das Phänomen „Alter“ in den letzten Jahrzehnten dank intensiver
Aufklärungsbemühungen vermehrt, Menschen in Deutschland haben einen weitgehend
differenzierten Blick auf das Alter, das belegen große Befragungen (vgl. z.B. Kruse und
Schmitt) Und dennoch, Altersabwertung und –Diskriminierung spielen weiterhin eine
bedeutende Rolle. Nicht nur an Aufstiegschancen, die sich in manch einer Firma schon ab
dem 40. Lebensjahr drastisch reduzieren, ist in diesem Zusammenhang zu denken oder an
die „Zwangsberentung“, sondern auch an die vielen kleinen verbalen Verletzungen, die
schnell einmal so daher gesagt oder geschrieben werden. Warum wird jedermann ab dem
60. Lebensjahr in der Presse als „Rentner“ tituliert? Und warum ist Alice Schwarzer ab dem
60. Lebensjahr nach eigener Aussage nur noch „Altfeministin“?
Karikaturisten lassen sich von den schönen Worten, die allenthalben um das „Aktive Alter“
und seine „Potentiale und Chancen“, gemacht werden, nicht täuschen. Sie blicken hinter die
rationale Fassade eines politisch korrekten Altersdiskurses und fördern in ihren Bildern
Einstellungen und Gefühle aus den emotionalen Hinterstuben zu Tage, die der Einzelne und
„die Gesellschaft“ zumeist gar nicht zu haben glaubt. Für Altersabwertung und Diskriminierung könnten sie jedoch die entscheidende Rolle spielen. Das macht Karikaturen
für die Forschung so interessant.
Die Ergebnisse des Forschungsprojekts am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg
bestätigten die Annahmen der Untersuchung und zeigten, dass sich Altersbilder in
Karikaturen in den letzten ca. 50 Jahren kaum „zum Positiven“ gewandelt haben. Im
Gegenteil, alte Menschen - und hierbei handelt es sich zu über 90 Prozent um Menschen der
Gruppe der sog. „jungen Alten“ zwischen 60 und 80 - werden in Karikaturen der Gegenwart
sogar signifikant häufiger durch körperliche und geistige Defizite sowie mangelnde
Attraktivität, ein ungepflegtes, vernachlässigtes Äußeres, charakterisiert als in den 60er
Jahren. Diese Ergebnisse überraschen, stehen sie doch in krassem Gegensatz zum realen
Wandel der Lebensphase Alter. 60 bis 80jährige sind heute bekanntlich „fitter“, sozial und
ökonomisch besser gestellt sind und stehen, was Bemühungen um „Mode und Styling“
betrifft, der jüngeren Generation häufig keineswegs nach. Darüber hinaus fanden sich in
zeitgenössischen Karikaturen Altersstereotype, die kulturhistorisch weit zurückreichen wie
z.B. die Figur des Senex amans, des „verliebten Alten“, den schon die antike Komödie
ausgiebig würdigt.
Die Wanderausstellung „Das Alter in der Karikatur“ führt vor dem Hintergrund dieser
Forschungsergebnisse tief hinein in die Welt der über Generationen im kollektiven
Gedächtnis verwurzelten und heute vielfach tabuisierten, aber wirkmächtigen
Altersstereotype und lädt auf höchst unterhaltsame Weise zur Auseinandersetzung mit ihnen
ein. Sie hinterfragt die schöne neue Welt des Alterns, insbesondere allzu positive
Körperbilder und stört empfindlich einen Altersdiskurs, der über weite Strecken vom Leitbild
des „Aktiven Alters“ dominiert und auf Körperoptimierung fokussiert ist. „Das Alter in der
Karikatur“ thematisiert damit auch Ängste und Sorgen vor dem Alter(n) und der
menschlichen Vergänglichkeit in einer Gesellschaft, in der sich religiöse Bindungen mehr
und mehr auflösen und sich mit dem Lebensende keinerlei Trost und Hoffnung auf ein
„Danach“ verbindet. Sie ist der andere Beitrag zum gesellschaftlichen Altersdiskurs und
gerade dadurch seine Bereicherung. Eine Auseinandersetzung mit tief im emotionalen
Untergrund verwurzelten Altersstereotypen ist die erste Voraussetzung für deren Abbau.
All diese tiefgreifenden Fragen wirft die Ausstellung „Das Alter in der Karikatur“ aber nur und
ausschließlich über den Umweg des Humors auf. Es darf, es soll und muss gelacht werden,
das ist der erste und wichtigste Sinn einer Karikaturenausstellung, auch dieser. Wer will,
kann sein eigenes Lachen hinterfragen, und er wird möglicherweise zu erstaunlichen
Erkenntnissen kommen über seine Einstellungen zum Alter und sich selbst.
„Scheinbar leichter Hand, in Wahrheit jedoch in verzweifelter Anstrengung ringt Loriot der
Welt das Komische ab“, schreibt Patrick Süskind über den großen Vico von Bülow. Dieser
Satz lässt sich auch auf die Bilder dieser Ausstellung übertragen, Meisterwerke allesamt, die
mit scheinbarer Leichtigkeit, in Wirklichkeit aber mit dem allergrößten Tiefgang die
existentielle Frage nach der menschlichen Vergänglichkeit behandeln. Was für eine große
und was für eine so häufig unterschätzte Kunst ist sie doch: die Kunst der Karikatur. In
diesem Sinne lädt die Ausstellung „Das Alter in der Karikatur“ ein zum Lachen über jenes
ungeheure Phänomen, dem wir Menschen - immer noch - ausgesetzt sind: Das Alter(n).
Stationen der Wanderausstellung und Buch „Das Alter in der Karikatur“:
Die Ausstellung „Das Alter in der Karikatur“ wurde erstmals 2014 in Heidelberg gezeigt,
Anfang 2015 nach Zürich eingeladen und war dort von Februar bis Ende Mai 2015 zu sehen.
Es folgte Frankfurt Main, wo die Ausstellung im Rahmen der 11. Deutschen Seniorentags auf
Einladung der Diakonie Hessen (Frau Jung) im Juni/Juli 2015 gezeigt wurde. Von September
bis November 2015 war „Das Alter in der Karikatur“ zu Gast im Ministerium für Arbeit und
Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren in Stuttgart. Die nächsten Stationen im Winter
2015/16 sind: Kirchheim u. Teck, Wiesbaden.
Zur Ausstellung ist das Buch „Das Alter in der Karikatur“ erschienen, herausgegeben von
Franziska Polanski, Implizit Verlag, 125 Seiten, 97 Abbildungen, 17,80€. Das Buch ist über
den Verlag zu beziehen unter mail: [email protected]
© Franziska Polanski
Weitere Informationen und Termine zur Ausstellung finden Sie unter
www.das-alter-in-der-karikatur.de