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Internationales
Griechenlands Recht auf Reparationen
Antrag an den ver.di-Bundeskongress
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft soll sich auf politischer Ebene und in der Öffentlichkeit
„für die Begleichung der offenen Reparationsschuld gegenüber Griechenland“ einsetzen. Das
fordert die ver.di-Bundesjugendkonferenz in einem Antrag (Nummer K 122) an den
Bundeskongress.
Die jungen Kolleginnen und Kollegen verweisen dabei
auf ein neues Buch des Historikers Karl-Heinz Roth
mit dem Titel „Griechenland am Abgrund – Die
deutsche Reparationsschuld – Eine Flugschrift“. Der
Autor beziffert die heutigen griechischen Ansprüche
an die Bundesrepublik Deutschland auf bis zu 90
Milliarden Euro. Für www.verdi.de hat sich Werner
Rügemer
detailliert
mit
dem
Thema
auseinandergesetzt.
dpa-Bildfunk 10. Juni 1944, griechische Stadt Distomo nach Nazimassaker
Von Werner Rügemer
Niemand bestreitet, dass Hitler-Deutschland im April 1941 Griechenland in verbrecherischer Weise
überfallen und bis Oktober 1944 gnadenlos ausgeplündert hat. Wehrmacht, SS und
Militärverwaltung wüteten dort grausamer als in anderen, ebenso widerrechtlich besetzten Staaten,
etwa in Frankreich, Luxemburg, Belgien oder den Niederlanden. Ganze Ernten wurden nach
Deutschland abtransportiert, hunderttausende Griechen verhungerten. Fabrikanlagen und
Rohstoffe wurden geraubt – zum Beispiel Chrom-Erz für die Rüstungsschmiede von Krupp in Essen.
Die griechische Wirtschaft lag danieder. Griechenland musste, wie auch die anderen besetzten
Staaten, sogar die Kosten der deutschen Besatzung tragen, etwa Unterbringung und Ernährung des
kriegführenden Personals – ein Ausbund von Zynismus, wenn auch durch die Haager
Landkriegsordnung juristisch gedeckt.
Juden mussten ihre Deportation selber bezahlen
Darüber hinaus aber wurde der griechische Staat von Deutschland gezwungen, die Verpflegung der
deutschen Truppen unter Panzergeneral Rommel in Nordafrika zu bezahlen. Und das war und bleibt
selbst nach Kriegs-Völkerrecht illegal. Abgewickelt wurden diese „Geschäfte“ per Zwangsanleihe der
griechischen Nationalbank an die Deutsche Reichsbank. Die Juden (oder die jüdische Gemeinde)
mussten der Deutschen Reichsbahn pro Person 39 Reichsmark für ihren Abtransport von
Thessaloniki nach Auschwitz und Treblinka selbst bezahlen – das gehörte zu den routinemäßigen
Besatzungskosten!
Die deutschen Besatzer trafen auf Widerstand – und reagierten blindwütig. Einsatzgruppen der
Sicherheitspolizei, des Sicherheitsdienstes und der Geheimen Feldpolizei richteten Partisanen hin,
erschossen Geiseln, brannten Dörfer nieder, verübten Massaker an der Zivilbevölkerung.
Griechische Schätzungen besagen: „Bei einer Gesamtbevölkerung von damals sieben Millionen
verlor Griechenland: 70.000 Personen infolge direkter kriegerischer Auseinandersetzungen; 12.000
1
Zivilisten infolge indirekter kriegerischer Auseinandersetzungen; 38.960 hingerichtete Menschen;
100.000 in Konzentrationslagern ermordete Geiseln (ein großer Teil davon griechische Juden);
600.000 Hungertote.“[1] Bei ihrem Abzug zerstörte die deutsche Wehrmacht, was ihr vor die
Kanonen kam: Straßen, Brücken, Bahngleise, Bahnhöfe, Häuser, Fabriken, Schiffe, Häfen.
Ansprüche sind heute 90 Milliarden Euro wert
Nach dem Krieg, am 25. Februar 1946, trat das „Pariser Reparationsabkommen“ zwischen den
westlichen Siegerstaaten und den wichtigsten Ländern in Kraft, die von NS-Deutschland besetzt
worden waren. Für 18 Staaten wurden Ansprüche an den Nachfolger des Deutschen Reiches
festgeschrieben. Für Griechenland sollten das 7,1 Milliarden US-Dollar sein, die in Geld, Waren,
Schiffen oder ähnlichem zu begleichen waren. Das sollte lediglich zum ersten Wiederaufbau dienen
– eine spätere vollständige Aufrechnung der Schäden und Reparationen wurde offengehalten. Die
Inter-Alliierte Reparations-Agentur IARA sollte diese ersten Ansprüche bis 1951 abwickeln. Die
damaligen griechischen Ansprüche sind heute einschließlich der Zinseszinsen ein Vielfaches wert,
Schätzungen gehen bis 90 Milliarden Euro.[2]
Doch insbesondere die USA schlugen damals eine andere Richtung ein. Sie bauten die 1949
gegründete Bundesrepublik Deutschland zu einem Bündnispartner auf, dem bei der „Londoner
Schuldenkonferenz“ 1953 schrittweise die meisten Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsschulden
erlassen wurden, der Rest bei niedrigen Zinsen auf Jahrzehnte gestundet. Reparationen wurden bis
zum Abschluss eines zukünftigen Friedensvertrags verschoben. Nicht zuletzt auf diese Weise
wurden der Wiederaufbau der Bundesrepublik und das westdeutsche „Wirtschaftswunder“ der
1950er Jahre möglich.
Griechenland bekam aus dem IARA-Fonds schrittweise einige Brosamen: 25 Millionen Dollar bis
1959, 1961 weitere 115 Millionen DM als „Globalentschädigung“ für NS-Opfer, schließlich 2001
noch 20 Millionen Euro für griechische Bürger/innen, die während des Krieges in Deutschland
Zwangsarbeit hatten leisten müssen. Alle weiteren Ansprüche griechischer Regierungen wurden
immer wieder barsch abgewiesen.
Adenauers uneinsichtige Arroganz
Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer ging dabei mit uneinsichtiger Arroganz vor. Die 115
Millionen DM wurden – natürlich öffentlich unausgesprochen – nur gezahlt, weil im gleichen Zug
ein gewisser Max Merten aus dem Gefängnis in Griechenland freigelassen wurde. Merten war 1957
während einer Reise in Griechenland verhaftet und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden: Als
Kriegsverwaltungsrat hatte er die Deportation der griechischen Juden nach Auschwitz und Treblinka
organisiert und die jüdische Gemeinde von Thessaloniki erpresst. Die Adenauer-Regierung zahlte
dem Mord-Organisator eine Haftentschädigung, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren ließ die
deutsche Justiz im Sande verlaufen.
Andere Staaten, Italien und Bulgarien, die als Verbündete Hitler-Deutschlands an der Besetzung
Griechenlands beteiligt waren, haben ihre Zahlungen geleistet. Nicht so die Bundesrepublik. Deren
Regierungen verzögerten die Leistungen ein ums andere Mal, zumal sie die Forderungen ohnehin
für unberechtigt hielten. Ihre Argumentation: Wir warten auf einen Friedensvertrag, der dann auch
die Reparationen klärt. Gleichzeitig sorgten die Bundesregierungen gemeinsam mit den USA,
Großbritannien und Frankreich dafür, dass kein Friedensvertrag zustande kam.
Im Jahre 1990 wurde der „2+4-Vertrag“ zwischen den seinerzeit noch zwei Regierungen in
Deutschland und den vier Siegermächten des Weltkrieges geschlossen. Der technische Begriff „2+4“
2
soll bezwecken, dass der Vertrag nicht als Friedensvertrag aufgefasst wird, und deshalb auch die
Reparationen nicht geregelt werden müssen. Der Begriff „Friedensvertrag“ war und ist tabu. Mit
dem „2+4-Vertrag“, der auch die deutsche Wiedervereinigung besiegelte, wurde die
Reparationsfrage stillschweigend für endgültig erledigt erklärt.
So argumentierte denn auch die damalige Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl und
Außenminister Hans-Dietrich Genscher, und die heutige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela
Merkel schließt sich dem an. Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte: „Wir sind nach wie
vor und fest der Meinung, dass alle Reparationsfragen, einschließlich von Zwangsanleihen, rechtlich
abgeschlossen geregelt sind.“[3]
Das ist nicht nur moralisch, sondern auch politisch zweifelhaft. Die Bundesregierung erklärte im Jahr
2010 auf Anfrage der Linken im Bundestag: „65 Jahre nach Kriegsende und nach Jahrzehnten
friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit
der internationalen Staatengemeinschaft einschließlich dem Nato- und EU-Partner Griechenland hat
die Reparationsfrage ihre Bedeutung verloren.“[4] War der von der Nato in Griechenland
organisierte Militärputsch 1967 gegen den wahrscheinlichen Sieg eines Wahlbündnisses Ausdruck
von „vertrauensvoller Zusammenarbeit“? Und zeugen die von der Nato den Griechen auferlegten
überproportionalen Rüstungsausgaben von friedlichen Absichten? Und die gnadenlose
Kürzungspolitik, die die EU dem kleinen Land seit 2010 auferlegt und damit dessen Verschuldung
und wirtschaftlichen Niedergang und somit auch die Verarmung großer Teile der Bevölkerung
verursacht? Die EU, die nach dem Weltkrieg in Europa Frieden stiften wollte, stiftet heute gegen
Griechenland Unfrieden und Verachtung.
Haltung der Bundesregierung zweifelhaft
Auch völkerrechtlich ist die Haltung der Bundesregierung zweifelhaft. Niemals hat Griechenland auf
Reparationen verzichtet. Griechische Regierungen haben sie wiederholt diplomatisch
angemahnt.[5] Vom „2+4-Vertrag“ war Griechenland ausgeschlossen, hat also auch da nicht
zugestimmt. Nach der „Haager Landkriegs-Ordnung“, die seit über einem Jahrhundert das KriegsVölkerrecht regelt, dürfen Besatzer kein Privateigentum enteignen, aber auch die Zerstörung von
Privateigentum stellt eine Enteignung dar. Für solche Enteignungen sind also Entschädigungen auch
rechtlich geboten. Die von Griechenland aus der Zwangsanleihe gezahlten Kosten für Rommels
Panzertruppe in Nordafrika müssen nach Völkerrecht ebenfalls erstattet werden.[6] Und überhaupt:
Staatsanleihen müssen immer zurückgezahlt werden; jedenfalls wird das derzeit gerade von
Griechenland so unumstößlich gefordert.
Das alte Völkerrecht ist ein schwieriges Gelände. Festzustellen ist: Die Reparationsfrage ist nicht
geklärt. Die Regierungen der Bundesrepublik haben alles darangesetzt, auch mit dem formalen Trick
des „2+4-Vertrags“, ihre Klärung zu verdrängen, zu verschieben und zu diskreditieren. Aber auch die
griechischen Regierungen haben bisher nie ein völkerrechtlich formelles Verfahren eingeleitet, zum
Beispiel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) der Uno in Den Haag. Das sollte die jetzige
Regierung nun schleunigst tun. Vor dem IGH können nur Staaten klagen, dafür ist er da.[7] Der vom
griechischen Parlament schon unter der abgewählten Vorgängerregierung eingesetzte ReparationsAusschuss hat in jahrelanger Arbeit hunderttausende Dokumente gesichtet. Die mussten teilweise
aus muffigen Kellern und vergammelten Säcken hervorgeholt werden, und da gibt es noch viel
Unbekanntes.[8]
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Europa demokratisch und sozial neu begründen.
Die Vorlage gerichtsfester Unterlagen sollte mit internationaler Unterstützung möglich werden. Erst
dann werden die Forderungen verbindlich, und erst dann gelangt das Reparationsproblem in das
Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Ein solches Verfahren, begleitet von europaweiter
Aufklärung, hätte mit der Diskussion über die aktuellen Schulden nichts zu tun, die dem
griechischen Staat seit dem Eintritt in die Eurozone durch einheimische Regierungen ebenso wie
durch ausländische Akteure in New York, Paris, Berlin, Frankfurt und Brüssel aufgebürdet wurden.
Die griechische Reparationsfrage ist vor allem eine politische Frage. Und sie ist eine aktuelle Frage,
und zwar eine europäische, nicht nur eine deutsche. Sie rührt an die korrekturbedürftigen
Mechanismen des Euro und der Europäischen Union. Auch deshalb heißt es: Europa demokratisch,
friedlich und sozial neu begründen.[9]
[1] Manolis Glezos: Ein Unrecht muss gesühnt werden, Die Zeit Nr. 40/1995
[2] Karl-Heinz Roth: Bis zum Sankt Nimmerleinstag. Der Umgang der bundesdeutschen Machtelite
mit der Reparationsfrage – eine Dokumentation. www.faktencheckhellas.org/Ausgabe-1
[3] Kontraste, Sendung 12.3.2015
[4] Deutscher Bundestag, Drucksache 17/709, S. 5
[5] Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags: Zu den völkerrechtlichen Grundlagen und
Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung des griechisch-deutschen
Verhältnisses, Ausarbeitung WD 2-3000-041/13
[6] Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags: Zur griechischen Zwangsanleihe von 1942,
Ausarbeitung WD 2-3000-093/13
[7] Andreas Fischer-Lescano / Carsten Gericke: Der IGH und das transnationale Recht. Zentrum für
europäische Rechtspolitik, Universität Bremen (ZERP), Arbeitspapier 2/2010
[8] Ergebnis des Athener Geheimberichtes: Deutschland schuldet Griechenland Reparationen,
Spiegel online 7.4.2013. Hier wird eine heutige Gesamtsumme der Reparationen von 162 Mrd. Euro
genannt.
[9] Griechenland retten! Europa neu gründen! www.faktencheckhellas.org/ (auch in griechischer,
englischer, französischer und italienischer Sprache)
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