Research Note 05. Mai 2015 Potentielle Auswirkungen der EZB-Anleihekäufe auf die langfristigen Zinssätze: Risiko eines Zinsanstiegs? Research Note 05.05.2015 Dr. Christian Funke Vorstand / Fondsmanager (S4A) Prof. Dr. Lutz Johanning Aufsichtsratsvorsitzender (S4A) Source For Alpha (Deutschland) AG Zum Laurenburger Hof 76 60594 Frankfurt am Main [email protected] Lehrstuhl für Empirische Kapitalmarktforschung WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar [email protected] Mirko Kohlbrecher Analyse und Research (Spiekermann) Spiekermann & CO AG Rolandstr. 10 49078 Osnabrück [email protected] Auswirkungen des QE-Programms der EZB Das Wirtschaftswachstum der Eurozone liegt jetzt schon seit Jahren am Boden. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann ihren klassischen Wachstumsstimulus – die Leitzinssenkung – nur noch bedingt einsetzen, da die Leitzinsen bereits nahe Null liegen. Daher hat sie am 9. März mit einem umfangreichen Anleihekaufprogramm einen Prozess des „Quantitative Easing“ (QE) gestartet. Im Rahmen dieses Programms kauft die EZB bis September 2016 monatlich Anleihen im Wert von 60 Mrd. Euro – dies entspricht einem Gesamtvolumen von 1,1 Billionen Euro. Ziel des Programms ist es, die langfristigen Zinsen in der Eurozone zu senken, um die entscheidenden Impulse für neues Wachstum in den europäischen Volkswirtschaften zu setzen.1 1 Grundsätzlich werden QE-Programmen verschiedene Wirkungsmechanismen mit einem Einfluss auf das langfristige Zinsniveau und die Wirtschaft zugeschrieben. Erstens, Signaleffekte – QE zeigt die Bereitschaft der Zentralbank sehr langfristig ein niedriges Zinsniveau beizubehalten. Zweitens, Portfolio-Rebelancing-Effekte – Anleger ersetzen im Rahmen von QE an die Zentralbank verkaufte Anleihen mit anderen, risikoreicheren Investments wie Aktien oder Immobilien, deren Preise ansteigen und Unternehmensinvestitionen und Verbraucherausgaben stimulieren. Drittens, Währungseffekte – eine Schwächung der Währung durch QE sorgt für eine Belebung der Exportindustrie. Vgl. bspw. Bernanke (2012): Monetary Policy Since the Onset of the Crisis, Rede auf dem Federal Reserve Bank of Kansas City Economic Symposium, Jackson Hole, Wyoming, 31. August 2012 oder D’Amico, S., English, E., Lopez-Salido, D. und E. Nelson (2012): The Federal Reserve’s Large Scale Asset Purchase Programs: Rationale and Effects, in: Finance and Economics Discussion Series, Federal Reserve, Washington. 1|5 Research Note 05. Mai 2015 Die Folgen dieser massiven geldpolitischen Liquiditätsschwemme sind an den europäischen Anleihemärkten zu sehen: Die Renditen auf die meisten Staatsanleihen der Krisenländer sind deutlich gesunken. Auch die Verzinsung der als sicher geltenden, langfristigen deutschen Bundesanleihen hat seither immer neue Tiefststände erreicht.2 Viele Kommentatoren und Investoren sind der Meinung, dass dieser Abwärtstrend aufgrund der permanenten Liquiditätszufuhr durch die Notenbanken – und den damit verbundenen Kaufdruck auf die Anleihemärkte – anhalten wird. Was passiert jedoch, wenn das Anleihekaufprogramm der Notenbank seine beabsichtigte makroökonomische Wirkung auf das europäische Wirtschaftswachstum entfalten wird? Ein deutlicher Anstieg des Wirtschaftswachstums sollte einen spürbar positiven Einfluss auf das Zinsniveau haben und die Zinsen für europäische Staatsanleihen deutlich ansteigen lassen – trotz des Handelsdrucks, welcher durch die geldpolitische Liquiditätszufuhr auf die Anleihemärkte ausgeübt wird. Für Investoren ist dies eine sehr schwierige Situation. Sollte man von weiter fallenden Zinsen ausgehen, solange die EZB ihre Anleihekäufe durchführt? Oder sollte man davon ausgehen, dass das Zinsniveau steigen wird, da die Anleihekäufe im Erfolgsfall die gesamtwirtschaftliche Situation in der Eurozone deutlich verbessern werden?3 Die QE-Programme der US-Notenbank seit der Finanzkrise 2008/09 Um diese Frage beantworten zu können, haben wir die Zinsverläufe während der amerikanischen Anleihekaufprogramme analysiert: Seit der Finanzkrise 2008/09 hat die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) im Rahmen ihres Quantitative Easing drei große Programme gestartet – QE1, QE2 und QE3. Das erste Programm startete im November 2008. Zunächst kündigte die Fed an, Anleihen im Wert von 600 Milliarden US-Dollar zu kaufen, um die US-Volkswirtschaft aus den Fängen der Finanzkrise zu befreien. Im März 2009 erweiterte die Fed den Umfang des ersten Anleihekaufprogramms deutlich: Der Gesamtumfang von QE1 betrug nun mehr als 1,7 Billionen Dollar und das Programm sollte erst im März 2010 abgeschlossen sein. Die Anleihekäufe sorgten zunächst für stark steigende Anleihekurse und einen entsprechenden Zinsrückgang an den amerikanischen Anleihemärkten, wie in der nachstehenden Abbildung zu sehen ist. Im Dezember 2008 fiel die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen auf einen Tiefstand von 2,08%. Danach stieg der 10-Jahreszinssatz jedoch stetig an und erreichte 3,61% am Ende Anleihekaufprogramms im März 2010. Grund für den Zinsanstieg war eine deutliche Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage in den USA. QE1 hatte damit sein wesentliches Ziel erreicht: Durch die Liquiditätsschwemme der Notenbank wurden starke Wachstumsimpulse gesetzt, um die US-Volkswirtschaft aus den Fängen der Finanzkrise zu befreien. 2 Das aktuelle Rekordtief der 10-jährigen Bundrendite wurde am 17. April 2015 bei 0,049% erreicht. 3 Für eine Analyse der Auswirkungen der geldpolitischen Maßnahmen auf den USD/EUR-Wechselkurs vgl. die Source For Alpha Research Note vom 30.07.2014 „Die kommende Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar? Überlegungen zur Geldpolitik“ (Link zum PDF-Dokument), für eine Analyse der Auswirkungen auf den Aktienmarkt vgl. die Research Note vom 25.03.2015 „Potentielle Auswirkungen der EZB-Anleihekäufe auf die weltweiten Aktienmärkte“ (Link zum PDF-Dokument). 2|5 Research Note 05. Mai 2015 Abbildung: Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen während der QE-Programme der Fed Quelle: Eigene Darstellung, Thomson Reuters Nach dem Auslaufen von QE1 brach die Volkswirtschaft der USA jedoch wieder ein, sodass die Fed im Laufe des Jahres 2010 ihr zweites Anleihekaufprogramm startete. Zunächst ordnete die Notenbank im August 2010 an, fällige Anleihen aus QE1 mit neuen Käufen zu ersetzen. Im November 2010 startete die Fed darüber hinaus zusätzliche Anleihekäufe – QE2 war geboren. Bis Juni 2011 wurden im Zuge dieses Programmes für monatlich 75 Milliarden US-Dollar Anleihen gekauft, der Gesamtumfang belief sich auf 600 Milliarden US-Dollar. Ein Blick auf den Zinsverlauf während des zweiten Anleihekaufprogramms zeigt eine hohe Ähnlichkeit mit der Zinsentwicklung im Zuge von QE1. Zu Beginn des Programms tendierte der amerikanische 10-Jahreszins leicht schwächer. Spätestens ab November 2010 stieg die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen jedoch deutlich an. Dieser Anstieg deutet darauf hin, dass das Anleihelaufprogramm seine wachstumsfördernde Wirkung auch im Rahmen von QE2 entfalten konnte. Nach Ablauf von QE2 verschlechterte sich das makroökonomische Umfeld in den USA jedoch wieder deutlich. Somit legte die Fed im September 2012 ihr drittes Anleihekaufprogramm QE3 auf und kaufte bis Dezember 2013 für monatlich 85 Milliarden US-Dollar Anleihen. Danach wurde das Programm in jeder Notenbanksitzung im Zuge des „Tapering-Prozesses“ schrittweise um 10 Milliarden US-Dollar gesenkt und lief im Oktober 2014 komplett aus – nachdem die Bilanz der Notenbank um insgesamt 1,6 Billionen Dollar Anleihekäufe ausgeweitet worden war. Die Entwicklung der langfristigen Zinsen folgte dem gleichen Muster wie in den vorangegangenen Kaufprogrammen: In den ersten drei Monaten des Programms tendierte der amerikanische 10-Jahreszins leicht schwächer. Die amerikanische Volkswirtschaft wurde durch die massive Liquiditätszufuhr jedoch erneut gestärkt. Daher zogen die Zinsen im weiteren Verlauf von QE3 – v.a. in der zweiten Jahreshälfte 2013 – deutlich an: Ende Dezember 2013 – kurz vor Beginn des „Tapering-Prozesses“ – lag der 10-Jahreszins bei 3,04%, während er zu Beginn von QE3 noch bei 1,57% gelegen hatte. Dies entspricht einem Anstieg des Zinsniveaus um immerhin 147 Basispunkte in 16 Monaten. 3|5 Research Note 05. Mai 2015 Hohes Zinsänderungsrisiko für Anleiheinvestoren Was bedeutet das für Anleiheinvestoren? Bei einer sicheren 10-jährigen Staatsanleihe würden über diesen Zeitraum annähernd 15 Prozent Verlust entstehen4 – ein nicht zu unterschätzendes Zinsänderungsrisiko für Investoren, die in der Suche nach Rendite in immer längerfristige Anleihepapiere investiert haben.5 Zusammenfassend ist festzuhalten: Die US-Notenbank hat seit der Finanzkrise 2008/09 drei große Anleihekaufprogramme gestartet – QE1, QE2 und QE3. Auffallend ist, dass sich die Zinsen auf 10jährige Staatsanleihen während aller drei Anleihekaufprogramme ähnlich entwickelt haben: Zu Beginn des Anleihekaufprogramms geriet der 10-Jahreszinssatz jeweils unter Druck – wahrscheinlich verursacht durch die geldpolitische Liquiditätszufuhr. Mit fortlaufender Dauer der Anleihekäufe sind die Zinsen jedoch während aller drei Programme deutlich gestiegen. Dies zeigt, welche starke Wirkung das Quantitative Easing auf die volkswirtschaftliche Entwicklung der USA hatte: Das Wachstum wurde jeweils so stark stimuliert, dass die Zinsen deutlich gestiegen sind – trotz des Handelsdrucks, welcher durch die geldpolitische Liquiditätszufuhr auf die Anleihemärkte ausgeübt wurde und anfangs für sinkende langfristige Zinsen sorgte. Ob das Anleihekaufprogramm der EZB seine gewünschte Wirkung ebenfalls ähnlich entfalten kann, ist noch nicht sicher. Nach den amerikanischen Erfahrungen ist die Wahrscheinlichkeit eines deutlichen Renditeanstiegs an den europäischen Staatsanleihemärkten jedoch nicht gering. Viele Investoren scheinen diese Gefahr derzeit zu unterschätzen und kaufen auf der Jagd nach Rendite immer langfristigere Zinsprodukte. Unsere Analysen zeigen, dass dieses Verhalten extrem gefährlich sein kann – das Zinsänderungsrisiko ist nicht zu unterschätzen. 4 Die Duration ist eine Maßzahl für die Zinssensitivität einer Anleihe und wird als 1. Ableitung der Bondpreisformel nach dem Zinssatz berechnet. Bei den aktuell niedrigen Kupons deutscher Bundesanleihen werden mögliche Kursverluste durch die hohe Duration der Anleihen und eine damit einhergehende gesteigerte Zinssensitivität verstärkt – liegt die Duration einer 10-jährigen Anleihe mit einem Kupon von 6% bspw. bei ca. 8,2, so beträgt sie bei einer 10-jährigen Anleihe ohne Kupon (Nullkuponanleihe) exakt 10. 5 Ein Anstieg des Zinsniveaus wäre natürlich auch mit Auswirkungen auf andere Anlageklassen wie Immobilien oder Aktien verbunden, die aber hier nicht das Thema sein sollen. 4|5 Research Note 05. Mai 2015 Disclaimer Diese Darstellung wurde auf der Grundlage von öffentlich zugänglichen, internen Daten sowie andere als zuverlässig eingestuften Drittquellen erstellt. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit, Zuverlässigkeit, Aktualität oder Angemessenheit der Daten zu Investorenzwecken wird keine Gewähr oder Haftung übernommen. 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