Erfahrungsbericht Erasmussemester in Aberystwyth, Wales, WS 14/15

Erfahrungsbericht Erasmussemester in
Aberystwyth, Wales, WS 14/15
VON JOHANNA ROTHENBURG, 30.03.2015
Ein halbes Jahr in einen Bericht zusammenzufassen ist ziemlich schwer. Sicher ist, dass wie sich ein
Auslandssemester entwickelt viel von subjektiven Faktoren, von Erwartungen und Zufällen, abhängt.
Genau das, so finde ich, macht ein Auslandssemester so spannend; völlig aus dem gewohnten Umfeld gerissen könnt ihr noch einmal ganz neu anfangen. Ihr könnt neue Sachen ausprobieren aber
dann, und das ist denke ich auch ein großer Vorteil, wieder in euer altes Leben zurückkehren, mit
neuen Impulsen und Inspirationen.
Jetzt wieder in Deutschland bin ich genau das; inspiriert und habe neue Energie für das Studium in
Heidelberg. Ich bin sehr froh den Aufwand und die Aufregung, die mit einem Erasmussemester einhergehen nicht gescheut zu haben. Um euch etwas zu umreißen wie genau mein Auslandssemester
war und warum ihr euch gut für Aberytswtyh und Erasmus entscheiden könnt:
hier ein Bericht.
I.
Aberystwyth
Aberystwyth ist eine kleine Stadt an der Küste. Die Wellen und das Wetter sind rau. Wer sich also ein
Jahr Strandurlaub wünscht ist hier wohl eher falsch.
Aberystwyth liegt in Großbritannien. Viele kulturelle Unterschiede zu Deutschland springen einen
förmlich ins Auge wie zum Beispiel die Pubs, Schüler und Schülerinnen in Uniform und die Betonung(oder auch die Benennung) der Klassengesellschaft.
Aberystwyth liegt in Wales. Wales hat seine eigene Kultur und auch seine eigene Sprache die in
Aberystwyth recht viel gesprochen wird. Für viele Waliser ist ihre eigene Sprache ein Zeichen von
Selbstbestimmung. Nichtsdestotrotz können die meisten Waliser auch Englisch. Bei der Post und im
Supermarkt wird beides gesprochen. Nach Aberystwyth zu gehen ist daher auch eine gute Gelegenheit mehr über das Zusammenspiel von Kulturen und den Überlebenskampf von keltischen Kulturen
zu lernen. Walisisch lernen, so schien mir zumindest, sollte jedoch nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Dem Englischen ist es zumindest nicht sehr ähnlich.
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Mir hat es in Aberystwyth gut gefallen. Von fast überall ist das Meer zu sehen. Wales ist toll zum
Wandern und Reisen. Im Sommer übernachten die meisten Urlauber auf den zahlreichen Campingplätzen, im Winter sind die Hostels und B&Bs der Hauptanlaufpunkt. Es gibt Hostels und Campingplatze in den Nationalparks – mitten in der Natur. Im Winter wird es in Wales im Übrigen auch nicht
so kalt wird. Allerdings windig und nass. Daher ist das erste an was gedacht werden muss wasserfeste oder wenigstens rutschfeste Schuhe mitzunehmen und warme Regensachen.
II.
Organisation
Ein Erasmussemester anzufangen ist so wie auf eine neue Uni zu gehen. Jedoch ohne die Sprache
perfekt zu können und von der Organisation seiner Uni ausgehend. Das ist, wie schnell deutlich wird,
zwar ein guter Ausgangspunkt sich aufzuregen, wenn nichts so funktioniert wie gedacht, aber leider
wenig hilfreich. Statt keiner Anmeldepflicht und Anwesenheitspflicht gilt hier beides(Anwesenheitspflicht allerdings nur bei Seminaren). Schon im Learning Agreement wurden Kurse
ausgewählt. Viele Erasmusstudenten mussten Ihre Pläne noch einmal abändern. Das ist zum Beispiel
dann oft der Fall gewesen, wenn das Auswahlsystem für die Module noch nicht richtig verstanden
wurde oder irgendetwas anderes schief gelaufen ist. Zum Beispiel darf man, wenn man nur ein Semester da ist, nicht Kurse nehmen die zwei Semester gehen. Gerade bei den Kriminologiekursen hat
es mich etwas geärgert. Zum Beispiel durfte ich die Einführungsvorlesung nicht nehmen, weil ich nur
ein Semester da war, was zur Folge hatte, dass ich viele andere (einsemestrige) Kurse auch nicht
nehmen durfte. Hier nur als Anmerkung für alle, die gedenken Kriminologie zu machen: es lohnt
wirklich darüber nachzudenken zwei Semester zu bleiben.
Oftmals zahlt es sich aus beharrlich zu sein und zu versuchen eine Klärung für Probleme zu finden(und gut zuzuhören bei den Einführungsveranstaltungen). Ich bin recht gut damit klar gekommen
keine hohen Ansprüche zu haben und mir keinen Stress zu machen. Meiner Erfahrung nach reicht es
einmal die richtige Person um Hilfe zu bitten und dann ergibt sich alles. Es ist auch grundsätzlich
sinnvoll nicht von vornherein anzunehmen, dass alles sofort klappt.
III.
Wohnen
Ganz wichtig ist es immer die E-Mails im Universitäts E-Mail Portal zu checken. Da empfängt man
auch alle E-Mails bzgl. der von der Universität bereitgestellten Studentenwohnheime. So weit ich
weiß bekommen alle Erasmusstudenten, wenn Sie wollen eine Unterkunft in der Students Accommodation zugesichert. Ich habe dieses Angebot wahrgenommen und war in Pantycelyn unterge2
bracht, ein Wohnheim das zurecht keinen besonders guten Ruf hat. Es würde vom ersten Tag an viel
demoliert und gegrölt. Der Feueralarm wurde öfter mitten in der Nacht ausgelöst. Bibbernd standen
dann alle Hausbewohner auf einem Vorplatz, manche ohne Hose weil sie panisch aus dem Haus gerannt waren. Für mich waren viele Sachen eigentlich ganz lustig, ich hatte mich aber schon auf
„Schlimmeres“ eingestellt weil ich Freunde habe, die in UK studieren. Daher hatte ich, obwohl mache
Sachen etwas genervt haben, Spaß in Pantycelyn und habe in meinen Nachbarn und Mitbewohnerin
bald schon gute Freunde gefunden. Was ich allerdings etwas gewöhnungsbedürftig fand war, dass
wir keine richtige Küche hatten dafür aber viel Geld auf der Essenskarte. Das ist bei den sogenannten
Catered Residences so.
Wenn man keine hohen Ansprüche hat glaube ich, dass man ganz gut fährt mit der Students Accommodation. Zwar gibt es bei der Anmeldung für die Students Accomodation eine Art rating bei der
angegeben werden kann welche der Unterkünfte favorisiert werden, aber irgendwie wurde die bei
uns wenig berücksichtigt. Die gute Nachricht ist: eine Unterkunft nicht gefällt, ist es auch relativ
leicht nach ein paar Tagen oder Wochen zu wechseln. Freilich scheint die Seafront im Wintersemester nicht unbedingt die beste Wahl zu sein, da sie in den letzten (Winter-)Semestern 3 Mal überschwemmt wurde und daher öfter evakuiert werden musste. Aber dafür hat man sonst Meer Luft,
das ist ja auch etwas!
Natürlich kann man aber auch privat unterkommen. Die Uni übersendet einen dafür auch Hilfestellungen.
IV.
Social Life
Gleich in der ersten Woche gibt es in der Regel noch keine Vorlesungen, sondern eine so genannte
“Freshers Week“. Unzählige Kneipentouren und Events geben euch Möglichkeiten Leute kennenzulernen. Von der Erasmussociety etc. wird man auch ziemlich schnell sozial eingebunden. Zudem findet noch eine Sports Fair und eine Freshers Fair statt – beides Presentationen von allen existierenden
Sport Clubs und Societies. Da gibt es ungefähr alles Erdenkliche an Societies gibt – Law Society, German Society, Pink Society (eine Society in der man nur Pink trägt) Glee Society (wie in der Serie!) etc.,
ist die Freshers Fair dazu gedacht, eine Möglichkeit zur Information und zum Eintragen auf die Mailingliste zu geben. Auch gibt es sehr viele verschiedene Sport Clubs – Rudern, Bogenschießen, Triathlon, Running Club etc.
Nach dem Eintragen auf Mailinglisten auf den Fairs werden schnell E-Mail herumgeschickt durch die
zu Socials und ersten Treffen eingeladen wird. Bei den Socials(Kneipentreffen/Meistens auch Kneipentouren) ergibt sich dann alles Weitere und es wird über die Organisation informiert. Wer dann
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richtig mitmachen will muss Mitglied werden - die Mitgliedschaft kostet meistens wenig, aber um
Mitglied in Sport Clubs werden zu können muss man auch erstmal einen Beitrag an die Students Union( = die Studienvertretung) bezahlen. Es lohnt sich jedoch sehr! Ich war Mitglied im Hiking Club –
war einmal die Woche wandern und habe dort sehr nette Leute kennengelernt. Macht einfach das,
was euch Spaß macht, probiert etwas Neues aus und schaut euch mal an was für Societies es gibt!
Dadurch, dass es so viele Möglichkeiten gibt kann man sehr schnell – anders als in vielen deutschen
Unis – Menschen mit den gleichen Interessen kennenlernen. Ich finde das System richtig gut und es
hat unheimlich viel Spaß gemacht.
V.
Academic Culture
Einer der Aspekte der beim Unialltag förmlich ins Auge springt ist der Unterschied der academic culture. Ein paar Beispiele dafür sind, dass die Vorlesungen nicht von Professoren gehalten werden sondern von zumeist relativ jungen und engagierten Lecturers (die meistens auch Mitarbeiter der Uni
sind). Auch ist die Fachsprache sehr anders. Dies trifft natürlich insbesondere auf die Kriminologie zu.
Kriminologie ist sehr anders als in Heidelberg und interdisziplinär gestaltet. Die Erläuterungen in den
Vorlesungen sind persönlicher, unterhaltsamer und meistens auch mitreißender. Natürlich kommt es
darauf an welcher Lecturer die Vorlesung hält. Da man nicht Vorlesungen allein sondern Module
wählt gibt es zu den meisten Vorlesungen auch Seminare. Diese sind zum Teil recht klein (6-15 Leute)
und sind oft hilfreich. Um möglichst viel aus den Modulen mitzunehmen ist es ratsam sich viel Zeit
zum Lesen zu nehmen. Zudem hat jedes Modul ja eine Art Leistungsüberprüfung; Essays oder Exams.
Da ich eine Studienarbeit schreiben wollte habe ich das Dissertation Modul gewählt. Hier hatten wir
nur ein paar Vorlesungen zu den formalen Anforderungen einer Dissertation(das ist in dem System
eine Art Bachelorarbeit, wenn ich das richtig verstanden habe). Ansonsten kann ich das Modul Psychological Explanaitions on Criminal Behavior für alle, die sich für Kriminologie interessieren nur
wärmstens empfehlen. Grundsätzlich ist mir positiv aufgefallen, dass ein viel individuellerer Ansatz
gegenüber den Studierenden Gewählt wird.
Ich habe mich sehr gut unterstützt gefühlt an der Uni. In der ersten Wochen werden den Neuankömmlingen alle Ansprechpartner vorgestellt; Studenten- und Lecturer Tutoren. Jedoch hatte ich oft
den Eindruck das einheimische Studenten das Angebot nicht so sehr ausgenutzt haben, nicht so motiviert waren. Das schien mir auch ein Grund zu sein warum ich trotz mangelnder sozialwissenschaftlicher Kenntnisse in den Kriminologie Modulen schon ganz gute Noten bekommen habe. Bezüglich
der eigenen Leistung ist es sinnvoll sich vorher zu informieren, was man braucht um sich Sachen anrechnen zu lassen. Zudem ist es sehr sinnvoll am englischen Schreiben zu arbeiten; die Uni bietet
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Sprachkurse und Erstsemester Kurse im academic writing an, den ich auch besucht habe. Mir hat es
viel geholfen, da es doch sehr anders ist Essays zu schreiben als Hausarbeiten.
VI.
Die Zeit in Aberystwyth
Ich war ein Semester in Aberystwyth. Aber wie viel Zeit ist das eigentlich? Effektiv war ich drei Monate in Aberystwyth (abzgl. der Weihnachtsferien). Drei Monate, das ist nicht so viel Zeit. Nicht viel Zeit
um zwei Essays und eine Studienarbeit zu schreiben, Leute kennenzulernen zu Clubs und Societies zu
gehen und am Meer zu spazieren. Es ist auch nicht so viel Zeit um Englisch zu lernen und so weiter.
Ich schreibe das hier auf, weil ich euch dieses Faktum, das mir nicht ganz so klar war, deutlich machen möchte. Ich wäre auch noch gerne länger geblieben, aber aus verschiedenen Gründen habe ich
mich dagegen entschieden. Bezieht den Zeitfaktor auf jeden Fall in eure Erwägungen mit ein und
wichtig, setzt eure Erwartungen nicht zu hoch an. Denn dann, und das kann ich euch versprechen,
werden sie übertroffen. Ich habe dieses Semester genossen. Ein paar tolle Freundschaften geknüpft
und unglaublich viel gelernt. Ich habe viel mit Erasmusstudenten unternommen und erfahren, was es
für kulturelle Unterschiede gibt, aber dass das menschliche und die Freude am Lernen eben alle betrifft. Wenn ich überhaupt ein Appell an euch geben kann dann ist es ins Ausland zu gehen und auch
über den Tellerrand zu schauen – vielleicht nicht nur Juravorlesungen zu besuchen, sondern auch
andere Veranstaltungen. Natürlich ist so ein Auslandssemester nicht nur entspannend; die Organisation und das Zurechtfinden an einem anderen Ort können auch schon mal stressig sein. Trotz der
Erschwernis bei so vielen Erfahrungen und Erinnerungen einen Bericht überhaupt zu verfassen hier
ein Fazit: ich hatte in Aberystwyth das beste Semester meines Studiums und würde es jederzeit wieder machen. Ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit bekommen habe ein anderes System kennenzulernen – eine andere akademische Kultur und das Leben an einem anderen Ort. Und wer weiß;
vielleicht schaffe ich es ja noch einmal in Wales und lerne tatsächlich walisisch. Das nächste Mal werde ich dann aber wohl eher nicht wieder in Pantycelyn wohnen.
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