Erfahrungsbericht Aberystwyth

Oleksandra Valtchuk
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Erfahrungsbericht Aberystwyth
September 2014 bis Juni 2015
Bevor ich mit dem tatsächlichen Bericht anfange, möchte ich erst einmal die Frage beantworten, die
ich vielen britischen Studierenden und anderen Erasmusstudenten vor allem am Anfang oft gestellt
habe: Warum hast du dich für Aberystwyth entschieden? Von den Briten haben mir dann viele
geantwortet, dass es ihnen entweder um das Studieren an den Departments mit gutem Ruf ging
(Internationale Politik, Geographie und Biologie), um die Lage am Meer oder darum, in einem
anderen Land als England zu studieren. Das ist nämlich etwas, das man gleich am Anfang verstehen
muss – Wales und Schottland werden viel mehr als etwa die Bundesländer in Deutschland als eigene
Länder verstanden.
Ich habe mich vor einem Jahr nicht bewusst für Aberystwyth entschieden, sondern nach einer
Ablehnung für Dublin bei der englischen Abteilung des Instituts für Übersetzen und Dolmetschen, wo
ich eigentlich studiere, einfach für die Stadt mit den zu dem Zeitpunkt wenigsten Interessenten
beworben. Diese mehr oder weniger zufällige Entscheidung habe ich allerdings nicht bereut.
Die Stadt
Schon am Tag nach der Ankunft hat mich eines ziemlich umgehauen – nämlich, wie winzig klein
Aberystwyth ist, noch kleiner, als ich es mir nach dem Betrachten von Google-Maps-Karten
vorgestellt hatte. Man stellt jedoch sehr schnell fest, dass es trotz der geringen Größe und auch dem
Nichtvorhandensein vieler Standardläden alles gibt, was man braucht. Außerdem hat Aberystwyth
die größte Pubdichte pro Student in Großbritannien – etwa 50 Stück. Im ersten Semester hat mich
die Größe der Stadt noch ziemlich gestört, zumal man auch nur sehr schwer und langsam von hier
wegkommt. Auch innerhalb von Wales zu reisen ist eine ziemliche Katastrophe. Es gibt zum Beispiel
eine Busverbindung am Tag nach Cardiff, bei der ein Weg schon etwa vier Stunden dauert und deren
Zeiten auch noch ziemlich ungünstig sind (sehr früh am Morgen hin, erst nachts wieder zurück). Die
beste Verbindung gibt es noch mit dem Bus nach London oder mit dem Zug nach Birmingham, was
auch die nächsten gut zu erreichenden Flughäfen sind. Wenn man dann allerdings erstmal in
Aberystwyth ist und sich außerdem eingelebt hat, ist es eine sehr schöne Stadt, mit bunten Häusern
an der Strandpromenade, Constitution Hill und wundervollen Sonnenuntergängen.
Oleksandra Valtchuk
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Wohnen
Die Wohnsituation ist das einzige, was ich als echten Nachteil von Aberystwyth empfinde. Bis kurz
vor meiner Ankunft hier habe ich mir darum überhaupt keine Gedanken gemacht, weil ich schon vor
der offiziellen Zusage eine E-Mail erhalten hatte, in der mir versichert wurde, dass alle
Erasmusstudenten einen Wohnheimsplatz garantiert hätten. Als ich dann Ende August vereist war
und nicht jeden Tag meine E-Mails an die Uniadresse abrufen konnte, bekam ich zwar endlich ein
Angebot, allerdings handelte es sich um ein Doppelzimmer (twin room) mit Verpflegung (catered
residence) im walisischsprachigen Wohnheim Pantycelyn. Von dieser suboptimalen Unterbringung an
sich abgesehen war die Frist, in der man sich hätte zurückmelden sollen, auch schon abgelaufen; es
waren nämlich nicht einmal zwei ganze Tage. Ich habe dann ziemlich problemlos ein Zimmer in
einem house share über das Internet gefunden, aber da gibt es mehrere Nachteile: Erstens ist es vor
allem umgerechnet unheimlich teuer, vor allem für das winzige Zimmer, das ich so abbekommen
haben. Zweitens ist das Haus sehr schlecht in Stand gehalten (bröckelnde Wände, Schimmel im Bad,
Feuchtigkeit) und katastrophal isoliert. Die Nebenkosten sind sehr hoch, vor allem wegen der
mangelnden Isolierung und der Tatsache, dass man sich ziemlich umständlich Strom- und
Gasguthaben im nächsten SPAR-Supermarkt auf Karten laden muss. Die gleichen Probleme gibt es
auch im Großteil aller Häuser hier in der Stadt. Außerdem habe ich den Eindruck, dass hierzulande
deutlich weniger Wert auf Putzen und Sauberkeit und Abspülen gelegt wird als in Deutschland und
Küche und Bad meistens furchtbar aussehen. Nachdem ich am Anfang dann allein noch jede Woche
geputzt habe, sehe ich das nun nicht mehr ein und habe wenigstens mein Zimmer als Refugium.
Trotzdem würde ich allen nachfolgenden Erasmusstudierenden empfehlen, in der Stadt privat ein
Zimmer zu suchen und nicht auf dem Campus zu wohnen. Man hat viel mehr Gelegenheit, das Meer
und die Pubs und Cafés zu genießen oder einfach mal kurz bei Ambassadors ein Eis essen zu gehen.
Außerdem gibt es die meisten Supermärkte (wie Lidl, ohne den ich am Anfang verhungert wäre) nur
hier unten und nicht oben auf dem Campus. Der tägliche Weg den Hügel hoch und runter ist auch
sehr erfrischend und erlaubt es einem, die schöne Sicht auf die Stadt und das Meer zu genießen.
Uni
Wenn man nach Aberystwyth geht, sollte man sich auf jeden Fall darauf einstellen, nicht unbedingt
die beste Lehre zu bekommen, zumindest, wenn man Sprachen studiert. Ich habe Kurse aus dem
English und dem European Languages Department (Französisch, Portugiesch und
Wirtschaftsübersetzen aus dem Deutschen) gewählt, und vor allem in den Fremdsprachen ist das
Niveau deutlich geringer als in Deutschland. Bei meinen Englischmodulen ist es durchwachsen; es
gibt sehr oberflächliche, aber die Literaturkurse haben mir gut gefallen. Ansonsten ist die Uni wie
auch die Stadt einfach nicht besonders groß und durch die Societies sehr vernetzt, sodass man über
höchstens eine Person im Prinzip jeden und jede kennt und eigentlich jedes Mal, wenn man vor die
Tür geht, Leuten begegnet, die man kennt, was Vorteile und Nachteile mit sich bringt.
Der Campus an sich ist ziemlich hässlich, aber dafür ist der Ausblick umwerfend:
Oleksandra Valtchuk
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Es gibt außerdem ein Theater und ein Kino im Arts Centre, die Students Union mit vielen abendlichen
Veranstaltungen, Cafés und dem Union Shop, sowie die Hugh Owen Library, bei deren Betreten man
angenehmerweise seine Tasche nicht einschließen muss, sondern auch mit Thermosflasche am Platz
lernen darf.
Freizeit
Was mich an Aberystwyth am meisten freut und glücklich macht, sind die Leute. Meiner Meinung
nach ist es, vorausgesetzt, man hängt nicht nur mit einer Deutschenclique rum, was ich durch das
Wohnen in der Stadt und mit britischen Mitbewohnern zum Glück gut vermieden habe, hier viel
einfacher, mit Anderen ins Gespräch zu kommen und sie kennenzulernen. So bin ich zum Beispiel an
meinem ersten Tag hier nachmittags kurz ins Meer gehüpft und habe dabei schon drei Studenten
kennengelernt, die mich abends gleich mit zum Lagerfeuer und Angeln am Strand und zwei Tage
später zum Weggehen mitgenommen haben. Ein ganz großer Vorteil sind auch die Societies und
deren wöchentliche Socials. Es gibt so viele verschiedene Orientierungen und auch mehr oder
weniger trinklastige Socials, dass eigentlich für jeden etwas dabei ist. Ich bin von Anfang an treues
und überzeugtes Mitglied des Hiking Clubs, der jeden Sonntag Wanderausflüge in den Snowdoniaoder Brecon-Beacons-Nationalpark macht, was auch eine tolle Gelegenheit ist, unkompliziert mehr
von Wales zu sehen. Der Club veranstaltet auch pro Semester ein Weekend Away sowie in den
großen Ferien die Summer Tour, bei der wir dieses Jahr für zwölf Tage zum Wandern nach Schottland
fahren. Auch die Gegend direkt um Aberystwyth ist sehr schön. Man kann zum Beispiel an der Küste
entlang in die nächstgelegene Stadt, Borth, wandern, was hin und zurück etwa fünf Stunden dauert,
und dabei den Ausblick auf Aberyswyth und die Klippen und grünen Schafweiden genießen.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass sich Aberystwyth vor allem lohnt, wenn einem eher die
Freizeit, die Leute und das Verbessern der Alltagssprache als die Qualität der Uni wichtig sind.
Außerdem sollte man auch keine zu hochtrabenden Reisepläne haben, weil die Stadt so schlecht zu
erreichen ist. Die Atmosphäre und die Menschen sind aber toll, und auch das Flair des Walisischen,
dem man auf Straßenschildern, aber auch in Läden und Cafés tatsächlich als verwendeter Sprache
begegnet, ist sehr interessant.