IPS-1-2015 - VDI/VDE Innovation + Technik GmbH

innovation positioning system
| 1-2015
Innovationspolitische Standpunkte aus der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH
Themen der Ausgabe:
Editorial
Peter Dortans:
Unser großer Frauenanteil in
der VDI/VDE-IT ist toll, weil…
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Simone Ehrenberg-Silies:
Frauen – ein Megatrend
Annett Rettke:
„hacken“ lernen: Frauen in
der Informatik
Lena Ulbricht:
Frauen und Technik: Frühkindliche Förderung reicht nicht
ist es eine Herausforderung, das Thema „Frauen und Technik“ abseits bekannter, langweiliger und oft sehr unbedarfter Vorurteile und Klischees zu behandeln? Ja und nein. Die erste
Reaktion des Geschäftsführers der VDI/VDE-IT Peter Dortans auf unsere Bitte, einen Artikel zu
unserem (eigentlich nicht ganz ernst gemeinten) Titelvorschlag „Unser großer Frauenanteil in
der VDI/VDE-IT ist toll, weil…“ war zunächst zurückhaltend. Dennoch hat sich Herr Dortans der
Herausforderung gestellt. In seinem Beitrag zeigt er, dass die VDI/VDE-IT trotz der „männlich“
geprägten Themen und Arbeitsgebiete die unterschiedlichsten Menschen für das Unternehmen begeistern kann und damit voll im Diversity-Trend liegt – auch zum Vorteil für unsere
Kundinnen und Kunden.
Warum Simone Ehrenberg-Silies den „Megatrend Frauen“ aber trotzdem bedauert, erfahren
Sie im zweiten Artikel dieser Themenausgabe Frauen und Technik.
Dass es nicht allein genügt, Mädchen im zarten Kindergartenalter für Naturwissenschaft und
Technik zu begeistern, zeigt Lena Ulbricht in ihrem Artikel „Frauen und Technik: Frühkindliche
Förderung reicht nicht“. Vielmehr müssen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft dafür sorgen,
dass diese Begeisterung auch im Berufsleben erhalten bleibt. Warum? In manchen Studienfächern und Berufen kämpfen Frauen trotz aller MINT-Kampagnen für Mädchen und Frauen
noch immer mit den altbekannten Schwierigkeiten. Gerade in der männerdominierten Informatik haben es junge Frauen schwer, sich durchzusetzen, wie Annett Rettke aus eigener Erfahrung berichten kann. Welche Lösungsansätze möglich wären, erfahren Sie in ihrem Artikel
„Frauen in der Informatik“.
Wir wünschen Ihnen eine denkanstößige Lektüre!
Sandra Rohner und Simone Ehrenberg-Silies
innovation positioning system
ist ein Service der VDI/VDE
Innovation + Technik GmbH
Steinplatz 1
10623 Berlin
inhaltlich verantwortlich:
Simone Ehrenberg-Silies und
Sandra Rohner
+49 30 310078-111
[email protected]
www.vdivde-it.de/ips
innovation positioning system
Unser großer Frauenanteil in der VDI/VDE-IT ist toll, weil…
Peter Dortans
ist seit 1999 Geschäftsführer der
VDI/VDE-IT.
Ein ips-Artikel zum Thema Frauen und Technik in der
VDI/VDE-IT ist durchaus eine Herausforderung – der Titel war
eine Vorgabe des Redaktionsteams. Warum eine Herausforderung? Nicht etwa, weil es wenige Frauen im Unternehmen
gäbe; die Männer waren bei der Betriebsratswahl 2014 mit
42 Prozent in der Minderheit. Übrigens musste bei der Betriebsratswahl 1998 die Minderheit gelost werden, weil es
exakt gleich viele Damen und Herren gab. Das muss man erst
einmal hinbekommen!
Es ist eine Herausforderung, weil die Unterschiede in der
Belegschaft schlecht am Gegensatz „Frau-Mann“ festzumachen sind. Insgesamt hat das Unternehmen eine bunte
Vielfalt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zwischen
dem ältesten und dem jüngsten Mitglied unseres Teams liegt
mehr als ein halbes Jahrhundert und die Zahl der unterschiedlichen Ausbildungsgänge und Berufserfahrungen, die bei uns
vertreten sind, ist hoch. Daraus ergeben sich die Gegensätze,
die wir täglich erleben und die das Unternehmen im positiven
Sinne prägen.
Zum Ende der 70er Jahre war die VDI/VDE-IT, wie die meisten technischen Firmen, sehr männerdominiert. Dann folgten
Jahre eines quantitativen und qualitativen Wachstums. Noch
im Jahr 2000 war das Verhältnis mit 44 Prozent Frauen- und
56 Prozent Männeranteil fast umgekehrt zu unserer heutigen
Situation. Im Jahr 2014 gehörten – wie oben bereits erwähnt –
etwa 58 Prozent unserer Beschäftigten dem weiblichen Geschlecht an. Die Zahl der Frauen in Führungspositionen ist
derzeit mit ca. 40 Prozent nicht auf dem gleichen Niveau,
aber doch über dem Durchschnitt der deutschen Wirtschaft.
Im Jahr 2000 lag dieser noch bei unter 25 Prozent.
Man kann auch nicht feststellen, dass es besonders „weibliche“ Themen gibt. Frauen sind in allen Themenfeldern
vertreten, sei es als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, als
Projektleiterinnen, in der administrativen Betreuung und
in vielen anderen Aufgabenbereichen. Macht es also einen
Unterschied, ob Männer oder Frauen eine Aufgabe übernehmen? Klare Antwort: Nein! Ist es also wichtig, ob die
VDI/VDE-IT einen hohen oder niedrigen Frauenanteil hat?
Klare Antwort: Ja. Bei unserer Einstellungspolitik legen wir
großen Wert auf eine Kombination von sehr guten fachlichen
Kenntnissen sowie sehr guten kommunikativen Fähigkeiten.
Dabei haben in den vergangenen 15 Jahren mehr weibliche
Bewerber überzeugt. In diesem Jahr waren es sogar über
60 Prozent. Folglich ist der Anteil der Frauen im Unternehmen auch kontinuierlich gestiegen. Vielleicht holen ja die
Männer in den nächsten Jahren wieder auf.
[email protected]
Für das Team eines Unternehmens ist seine Zusammensetzung von besonderer Bedeutung. Frauen und Männer aus
allen Altersgruppen mit unterschiedlichen Erwerbs- und
Bildungsbiographien und einer Herkunft aus mehreren Kulturkreisen sind dabei besonders wichtig. Warum? Die Aufgabenstellungen in den Unternehmen sind nicht nur sehr
vielfältig, sondern unterliegen auch einer beachtlichen Dynamik. Darauf kann man nicht nur mit tradierten und einmal erlernten Vorgehensweisen reagieren, vielmehr braucht
es unterschiedliche Sichten auf ein und dieselbe Fragestellung – und die erhält man vor allem mit heterogenen Teams.
Neudeutsch wird diese Entwicklung gerne auch als Diversity
bezeichnet. Es geht also nicht nur um den Punkt Frauen und
Männer, sondern um alle Aspekte der Diversity. Und genau
deshalb freuen wir uns über ein Team von Kollegen und Kolleginnen aus mehreren Ländern und einer Altersspanne von
20 bis 70 Jahren. Der gesamte Mix macht es eben aus.
Die Fragestellungen, mit denen man heute im Umfeld von
Innovationen zu tun hat, sind immer fachthemenübergreifend und erfordern einen äußerst differenzierten Blick. Dieser
Komplexität begegnet man am besten mit einem heterogenen Team. In diesem Sinne wird die VDI/VDE-IT ihre bisherige
Einstellungspolitik auch in Zukunft weiter verfolgen, um für
ihre Kundinnen und Kunden immer ein interessantes, leistungsfähiges und „open minded“ Team zu haben.
Zum Schluss bleibt festzuhalten, dass in gemischten Teams
von Frauen und Männern nach unserer Erfahrung eine angenehme, kreative und produktive Gesprächskultur herrscht. In
Hinblick auf den Titel dieses Beitrags kann ich daher einmal
mehr betonen: Es ist toll, dass es gelungen ist so viele unterschiedliche Menschen – welchen Geschlechts auch immer –
für unser Unternehmen zu begeistern.
Herausgeber: VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Steinplatz 1, 10623 Berlin, www.vdivde-it.de
1-2015 | Seite 2
innovation positioning system
Frauen – ein Megatrend
Simone Ehrenberg-Silies
ist Seniorberaterin und leitet das
Team der VDI/VDE-IT im Büro für
Technikfolgen-Abschätzung beim
Deutschen Bundestag (TAB).
Frauen liegen im Trend. Das ist zumindest der allgemeine
Befund der Foresight-Community. Frauen werden heute als
wichtige Säule für eine prosperierende Gesellschaft gesehen.
Das war nicht immer so. Ein Blick auf die aus dem Jahr 1982
stammende Liste des Vaters der Megatrends John Naisbitt –
einem US-amerikanischen Politikwissenschaftler, Futurologen
und Regierungsberater – zeigt eindrücklich die Abwesenheit
der Hälfte der Weltbevölkerung in den „Shortlists“ der Megatrends der Zukunftsforschung. Frauen fanden hier keine
Erwähnung.
Das ändert sich ein Jahrzehnt später: Im Jahr 1992 publizierte
John Naisbitt zusammen mit Patricia Aburdene das Werk „Megatrends for Women“. Die Aussichten schienen vielversprechend. Die Autoren nahmen damals an, dass sich die Gleichberechtigung in absehbarer Zeit vollends realisieren würde:­
Beide Autoren waren davon überzeugt, dass Frauen in absehbarer Zeit wichtige Funktionen in Politik und Wirtschaft
übernähmen, ja sogar in Unternehmen dafür sorgen würden,
althergebrachte hierarchische Management- und Organisationsprinzipien zu überwinden. Außerdem würden sie mit
Männern in unterschiedlichen Sportarten konkurrieren. Auch
die Modewelt würde sich zugunsten von für Frauen tragbarerer Kleidung verändern. Nun: Rund 20 Jahre später, im
Jahr 2014, beträgt der Frauenanteil in den Vorständen der
DAX-30-Unternehmen 7 Prozent (DIW 2014), der Anteil der
weiblichen Abgeordneten im Deutschen Bundestag 36,5 Prozent, der Anteil in der Bundesregierung 40 Prozent und der
Anteil der weiblichen Führungskräfte in den Ministerien, dem
Kanzleramt und dem Bundespresseamt 32 Prozent (SPON
2014). Einige der Voraussagen scheinen sich also zumindest
schrittweise zu realisieren, wenngleich die Autoren vermutlich eine progressivere Vorstellung vom Zeithorizont hatten.
Andere der Voraussagen sind sicherlich stark vom Zeitgeist
der 1990er Jahr geprägt und scheuen demzufolge auch nicht
vor geschlechtsspezifischen Stereotypen zurück.
John Naisbitt ging in seiner ursprünglichen Definition von
Megatrends im Übrigen davon aus, dass diese unsere Gesellschaft zwischen sieben und zehn Jahren, ggf. sogar länger,
beeinflussen würden. Bei dem Megatrend „Frauen“ handelt
es sich gemessen am Realisierungsstand der mit ihm einhergehenden Voraussagen zweifelsohne (leider) um einen fortwährenden „Megatrend“. Gerade deshalb ist er in der heutigen Zukunftsforschung nach wie vor aktuell.
So identifizierte die Unternehmensberatung Frost & Sullivan
vor kurzem „Frauen in Autos“ als neuen Megatrend für die
Automobilindustrie, schließlich träfen Frauen heutzutage
80 Prozent der Kaufentscheidungen in der Partnerschaft.
Auch der Foresight-Zyklus II des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) prognostiziert einen Trend zu
[email protected]
„Frauen als Pionierinnen globaler Transformation“: Frauen in
Entwicklungs- und Schwellenländern profitieren überdurchschnittlich von der Globalisierung, nehmen Bildungsange­
bote eher wahr als Männer und haben daher ein großes
Poten­zial, als „change agents“ den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.
Auch in Frost & Sullivan's Megatrend „Frauen in Autos“ ist
Bildung ein Schlüsselfaktor: Erstmalig sei der Anteil von Frauen in den Bildungssystemen der entwickelten Länder und der
BRIC-Länder mit Ausnahme von Indien größer als der der
Männer. Ein besserer Zugang zu Bildung macht Frauen laut
Zukunftsforschung also nicht nur „mächtiger“ und lässt sie
zu zentralen Akteuren werden, sondern resultiert tendenziell
in ihrer größeren ökonomischen Potenz und Unabhängigkeit.
Grund genug, dass sie stärker als Konsumentengruppe auf
das Radar der Marketingabteilungen kommen. Ob die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht das angenommene stereotype
Konsumverhalten stärker beeinflusst als andere Faktoren, sei
einmal dahin gestellt.
Laurence C. Smith beschreibt in seiner Zukunftsanalyse „The
World in 2050“ zwar keinen singulären Megatrend „Frauen“, bringt jedoch den Megatrend „Demografischer Wandel“ deutlich mit der gesellschaftlichen Rolle der Frau in
Verbindung, und auch in diesem Zusammenhang ist Bildung
wieder der entscheidende Faktor: Die einzige Möglichkeit,
das Erwerbspersonenpotenzial in Zeiten schrumpfender und
alternder Bevölkerungen zu erhalten, besteht laut Smith im
Abbau der kulturellen, religiösen, sozialen und rechtlichen
Zugangsbarrieren für Frauen zum Arbeitsmarkt. Denn, so
Smiths Prognose, der ökonomische Druck auf Gesellschaften, den Frauen eine Teilhabe am Arbeitsmarkt und damit
einhergehend an Bildung zu ermöglichen, wächst bis 2050
kontinuierlich. Möglicherweise könnte also der Megatrend
„Demografischer Wandel“ dafür sorgen, dass der Megatrend
„Frauen“ um das Jahr 2050 von den „Shortlists“ der Megatrends verschwindet. Viele Frauen hätten sich dies sicher zu
einem früheren Zeitpunkt und aus anderen als ausschließlich
ökonomischen Gründen gewünscht, aber dennoch: den Megatrend „Frauen“ gibt es schon zu lange!
Herausgeber: VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Steinplatz 1, 10623 Berlin, www.vdivde-it.de
1-2015 | Seite 3
innovation positioning system
„hacken“ lernen: Frauen in der Informatik
Die Programmiersprache BASIC (Beginners All Symbolic In­
struction Code) und ihre Nachfolgerin Visual Basic dürfte
nicht nur Informatikern ein Begriff sein. Vor allem mit dem
Aufkommen der Heimcomputer Ende der 1970er Jahre
verbreitete sich die Verwendung von BASIC, denn die ressourcenschonende Sprache wurde so konzipiert, dass sie
auch von Anfängern leicht erlernbar ist. Kaum bekannt ist
allerdings, dass an der Entwicklung von BASIC eine Nonne
beteiligt war. Schwester Mary Kenneth Keller, die spätere
Gründerin und Direktorin des Instituts für Computer Science
am Clark College, entwickelte BASIC gemeinsam mit John G.
Kemeny und Thomas E. Kurtz am Darthmouth College. Doch
Keller war nicht nur Mitentwicklerin von BASIC: Als erste
Amerikanerin erhielt sie 1965 ihren Doktorgrad in Computer
Science. Keller glaubte an das große Potenzial von Computern für einen besseren Zugang zu Informationen und zur
Förderung von Bildung.
Seither hat sich die Informationstechnologie rasant weiterentwickelt. Die Zahl der Frauen in der IT ist jedoch zurückgegangen. Der deutsche Branchenverband BITKOM beziffert
den Frauenanteil in Unternehmen der Informationstechnologie und Telekommunikation im Jahr 2014 auf 14 Prozent, in
den Ausbildungsberufen sind es sogar nur 8 Prozent. Einzig
der Frauenanteil im Informatikstudium ist auf 22,5 Prozent
angewachsen. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Zum einen setzen viele Universitäten erste Programmierkenntnisse für das Studium voraus, die junge Frauen
zu Studienbeginn meist nicht vorweisen können. Während
der Großteil der männlichen Studenten bereits in der Jugend
mit Programmiersprachen in Kontakt kommt, erlernen Frauen das Programmieren häufig erst zu Beginn des Studiums.
Dennoch sind spezielle Kurse für Informatikerinnen bislang
die Ausnahme an deutschen Hochschulen. Hinzu kommt,
dass die Informatik nach wie vor mit einem negativen Image
kämpft – das Bild vom weltfremden „Nerd“ lässt noch immer
viele Mädchen und junge Frauen von einem Informatikstudium absehen.
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Anerkennung von
Frauen in der hochschulischen Ausbildung. Junge Studentinnen sind oftmals mit der schwierigen Situation konfrontiert,
sich gegenüber ihren männlichen Kommilitonen in Vorlesungen und Gruppenarbeiten durchsetzen zu müssen. Die von
einigen Universitäten angebotenen Maßnahmen, wie Frauentutorien, Frauensprechstunden und Programmierkurse
für Frauen haben die Probleme bislang nicht lösen können.
Strittig ist jedoch, ob derartige Angebote die Vorbehalte gegenüber Informatikerinnen überhaupt abbauen können –
oder diese nicht sogar befördern. An einigen amerikanischen
Hochschulen versucht man deshalb, den Informatikunterricht
eher geschlechterneutral zu gestalten.
Annett Rettke
ist Informatikerin und arbeitet im
Bereich Kommunikationssysteme
und Mensch-Technik-Interaktion.
Sie beschäftigt sich mit Themen
rund um Informatik und Gesellschaft.
[email protected]
Um mehr Frauen für ein IT-Studienfach zu begeistern, gehen mehrere Hochschulen in Deutschland nun einen Schritt
weiter: So bietet die Hochschule für Technik und Wirtschaft
(HTW) Berlin seit 2009 den ersten Frauenstudiengang Informatik und Wirtschaft an. Die Studentinnen werden mit den
Inhalten der Informatik vertraut gemacht und lernen, dass
diese aus mehr als nur Computern und Programmieren besteht. Auch die Politik hat dieses Problem vor einigen Jahren
erkannt: Auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung (BMBF) wurde 2008 der nationale Pakt für
mehr Frauen in MINT-Berufen geschlossen. Unter dem Motto
„Komm, mach MINT.“ verfolgen Partner aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie Sozialpartnern und Medien
das Ziel, junge Frauen für naturwissenschaftliche und technische Studiengänge – wie zum Beispiel die Informatik – zu
begeistern.
Doch Handlungsbedarf besteht nicht nur im Hochschulbereich. Die Weichen werden bereits in der Schule gestellt.
Experten bestätigen, dass die Wahl, ein Informatikstudium
zu beginnen, umso wahrscheinlicher ist, wenn bereits in der
Schule ein qualifizierter Informatikunterricht besucht wurde,
der die Schülerinnen gezielt motiviert und in ihren Fähigkeiten gestärkt hat. Dies könnte das Image der Informatik verbessern und frühzeitig die Begeisterung von Mädchen und
jungen Frauen daran wecken.
Die Informatik ist mehr als nur programmieren und Codezeilen in den Rechner zu „hacken“. Neben logischem Denken sind auch Geduld, ein Auge fürs Detail und ein gewisser Spieltrieb gefragt. Die Informatik ist eine interdisziplinäre
Wissenschaft mit vielen Einsatzmöglichkeiten, wie zum Beispiel in der Medizin, der Wirtschaft und im Rechtswesen. In
nahezu jedem Wirtschaftszweig kommen IT-Fachkräfte zum
Einsatz. Gerade die Interdisziplinarität macht die Informatik
dabei so spannend und interessant. Und genau hier liegt die
Chance, dass sich aus der bislang männlich dominierten Informatik langfristig doch eine genderneutrale Forschungsdisziplin entwickeln wird.
Herausgeber: VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Steinplatz 1, 10623 Berlin, www.vdivde-it.de
1-2015 | Seite 4
innovation positioning system
Frauen und Technik: Frühkindliche Förderung reicht nicht
Mehr Frauen in technische Berufe – diese Forderung ist heute
politischer Konsens. Vorbei die Zeiten, in denen Frauen die
Fähigkeit zum logischen Denken abgesprochen wurde und
man sie mit dem Verweis auf ihre biologische Ausstattung
oder ihre gesellschaftliche Bestimmung von technischen Berufen fernzuhalten suchte. Zur Erinnerung: Emmy Noether,
eine Begründerin der modernen Algebra, musste ihre Hochschulvorlesungen im Namen ihres Professors abhalten, weil
Frauen die Habilitation vor knapp 100 Jahren noch versagt
war.
Lena Ulbricht
ist zwar Sozialwissenschaftlerin, hegt
aber keine Technikaversion. Ihre
Kernthemen sind Bildung, Wissenschaft und Arbeitsmarktpolitik.
Die politische Strategie besteht heute in erster Linie darin,
Mädchen für Technik zu begeistern. Immer früher setzen die
Programme an, die verhindern sollen, dass Mädchen angesichts einer Formel in Schockstarre verfallen. Also lassen sich
Kitas durch das „Haus der kleinen Forscher“ zertifizieren und
wollen Mädchen (und Jungen) für Forschung in MINT-Themen erwärmen. Auch die Kita meiner anderthalbjährigen
Tochter brüstet sich mit einem „naturwissenschaftlichen
Schwerpunkt“: Hier werden Weinbergschnecken in Terra­
rien gezogen und statt Bausteinen gibt es „Stecksteine“, die
ein wenig wie Moleküle aussehen. Ich stelle mich darauf ein,
dass meine Tochter noch vor den ersten Buchstaben lernt,
wie man mit der Flex umgeht.
könnte, angesichts ihres Ausnahmestatus nicht bessere Aufstiegschancen, sondern schlechtere. Auf den Punkt gebracht:
Die Berufskultur ist männlich dominiert und es fehlt an positiven Erfahrungen und Role Models.
Prinzipiell würde es mich freuen, wenn die frühkindliche Förderung fruchtet und meine Tochter sich eines Tages zu einer
„Q“ entwickelt, die für den Nahkampf geeignete Armbanduhren und intelligente Fahrzeuge erfindet. Bekanntermaßen
sind technisch versierte Fachkräfte rar – ein gutbezahlter Job
scheint also sicher. Da Frauen mit technischen Berufs- und
Studienabschlüssen nach wie vor die Ausnahme sind, müssten sie sogar besonders gute Berufsaussichten haben – oder?
Leider nein, ganz im Gegenteil: Hochschulabsolventinnen in
technischen Studienfächern müssen deutlich länger nach einem Job suchen, der ihrer Qualifikation angemessenen ist,
und sie sind häufiger befristet beschäftigt und schlechter
bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Sie sind auch häufiger
und länger arbeitslos, sogar im Vergleich zu ihren Kolleginnen
in weniger männlich dominierten Berufen (z. B. Lehrerinnen).
Ein weiteres Problem ist, dass viele technische Berufe durch
eine vergleichsweise schlechte Vereinbarkeit von Familie und
Beruf gekennzeichnet sind: Teilzeit ist in Ingenieurberufen
z. B. noch sehr selten, Telearbeit und flexible Arbeitszeiten
ebenso; die Berufskultur ist von ständiger Einsatzbereitschaft
und langen Arbeitszeiten gekennzeichnet. Nicht zuletzt haben Frauen in technischen Berufen, anders als man hoffen
[email protected]
Was passiert mit den Frauen mit technischem Hintergrund,
die auf eine entsprechende Arbeitswelt treffen? Sie wandern
ab in andere Berufe: Man findet sie somit nur selten in der
Fertigung oder im Labor, dafür häufiger im Service und in
der Verwaltung. Dagegen ist prinzipiell nichts zu sagen; auch
fernab der Maschinen kann ein fundiertes technisches Wissen von Vorteil sein. Wer sich allerdings um den weiblichen
Nachwuchs für technische Berufe sorgt, sollte angesichts dieser Umstände beunruhigt sein.
Was ist also zu tun? Wer die „Leaky Pipeline“ der Mädchen
und Frauen in technischen Berufen flicken will, muss auch
das Ende des Rohrs im Blick haben. Man kann sich nicht allein
darauf konzentrieren, Kleinkinder für Technikthemen zu interessieren, sondern muss die entsprechenden Arbeitswelten
zu attraktiven Perspektiven machen. In diesem Sinne fordere
ich: nicht nur Flex-Maschinen, sondern auch Flex-Zeiten für
unsere Töchter.
Die Instrumente, die den Unternehmen hierfür zur Verfügung
stehen, sind bekannt: Eine kluge und gendersensible Rekrutierungspolitik, verbindliche Gleichstellungsziele, einschlägige Audits etc. Wann machen Sie Ihr Unternehmen zum
„Haus der glücklichen Technikerinnen und Techniker“?
Herausgeber: VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Steinplatz 1, 10623 Berlin, www.vdivde-it.de
1-2015 | Seite 5