innovation positioning system | 1-2015 Innovationspolitische Standpunkte aus der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH Themen der Ausgabe: Editorial Peter Dortans: Unser großer Frauenanteil in der VDI/VDE-IT ist toll, weil… Liebe Leserinnen, liebe Leser, Simone Ehrenberg-Silies: Frauen – ein Megatrend Annett Rettke: „hacken“ lernen: Frauen in der Informatik Lena Ulbricht: Frauen und Technik: Frühkindliche Förderung reicht nicht ist es eine Herausforderung, das Thema „Frauen und Technik“ abseits bekannter, langweiliger und oft sehr unbedarfter Vorurteile und Klischees zu behandeln? Ja und nein. Die erste Reaktion des Geschäftsführers der VDI/VDE-IT Peter Dortans auf unsere Bitte, einen Artikel zu unserem (eigentlich nicht ganz ernst gemeinten) Titelvorschlag „Unser großer Frauenanteil in der VDI/VDE-IT ist toll, weil…“ war zunächst zurückhaltend. Dennoch hat sich Herr Dortans der Herausforderung gestellt. In seinem Beitrag zeigt er, dass die VDI/VDE-IT trotz der „männlich“ geprägten Themen und Arbeitsgebiete die unterschiedlichsten Menschen für das Unternehmen begeistern kann und damit voll im Diversity-Trend liegt – auch zum Vorteil für unsere Kundinnen und Kunden. Warum Simone Ehrenberg-Silies den „Megatrend Frauen“ aber trotzdem bedauert, erfahren Sie im zweiten Artikel dieser Themenausgabe Frauen und Technik. Dass es nicht allein genügt, Mädchen im zarten Kindergartenalter für Naturwissenschaft und Technik zu begeistern, zeigt Lena Ulbricht in ihrem Artikel „Frauen und Technik: Frühkindliche Förderung reicht nicht“. Vielmehr müssen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft dafür sorgen, dass diese Begeisterung auch im Berufsleben erhalten bleibt. Warum? In manchen Studienfächern und Berufen kämpfen Frauen trotz aller MINT-Kampagnen für Mädchen und Frauen noch immer mit den altbekannten Schwierigkeiten. Gerade in der männerdominierten Informatik haben es junge Frauen schwer, sich durchzusetzen, wie Annett Rettke aus eigener Erfahrung berichten kann. Welche Lösungsansätze möglich wären, erfahren Sie in ihrem Artikel „Frauen in der Informatik“. Wir wünschen Ihnen eine denkanstößige Lektüre! Sandra Rohner und Simone Ehrenberg-Silies innovation positioning system ist ein Service der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH Steinplatz 1 10623 Berlin inhaltlich verantwortlich: Simone Ehrenberg-Silies und Sandra Rohner +49 30 310078-111 [email protected] www.vdivde-it.de/ips innovation positioning system Unser großer Frauenanteil in der VDI/VDE-IT ist toll, weil… Peter Dortans ist seit 1999 Geschäftsführer der VDI/VDE-IT. Ein ips-Artikel zum Thema Frauen und Technik in der VDI/VDE-IT ist durchaus eine Herausforderung – der Titel war eine Vorgabe des Redaktionsteams. Warum eine Herausforderung? Nicht etwa, weil es wenige Frauen im Unternehmen gäbe; die Männer waren bei der Betriebsratswahl 2014 mit 42 Prozent in der Minderheit. Übrigens musste bei der Betriebsratswahl 1998 die Minderheit gelost werden, weil es exakt gleich viele Damen und Herren gab. Das muss man erst einmal hinbekommen! Es ist eine Herausforderung, weil die Unterschiede in der Belegschaft schlecht am Gegensatz „Frau-Mann“ festzumachen sind. Insgesamt hat das Unternehmen eine bunte Vielfalt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zwischen dem ältesten und dem jüngsten Mitglied unseres Teams liegt mehr als ein halbes Jahrhundert und die Zahl der unterschiedlichen Ausbildungsgänge und Berufserfahrungen, die bei uns vertreten sind, ist hoch. Daraus ergeben sich die Gegensätze, die wir täglich erleben und die das Unternehmen im positiven Sinne prägen. Zum Ende der 70er Jahre war die VDI/VDE-IT, wie die meisten technischen Firmen, sehr männerdominiert. Dann folgten Jahre eines quantitativen und qualitativen Wachstums. Noch im Jahr 2000 war das Verhältnis mit 44 Prozent Frauen- und 56 Prozent Männeranteil fast umgekehrt zu unserer heutigen Situation. Im Jahr 2014 gehörten – wie oben bereits erwähnt – etwa 58 Prozent unserer Beschäftigten dem weiblichen Geschlecht an. Die Zahl der Frauen in Führungspositionen ist derzeit mit ca. 40 Prozent nicht auf dem gleichen Niveau, aber doch über dem Durchschnitt der deutschen Wirtschaft. Im Jahr 2000 lag dieser noch bei unter 25 Prozent. Man kann auch nicht feststellen, dass es besonders „weibliche“ Themen gibt. Frauen sind in allen Themenfeldern vertreten, sei es als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, als Projektleiterinnen, in der administrativen Betreuung und in vielen anderen Aufgabenbereichen. Macht es also einen Unterschied, ob Männer oder Frauen eine Aufgabe übernehmen? Klare Antwort: Nein! Ist es also wichtig, ob die VDI/VDE-IT einen hohen oder niedrigen Frauenanteil hat? Klare Antwort: Ja. Bei unserer Einstellungspolitik legen wir großen Wert auf eine Kombination von sehr guten fachlichen Kenntnissen sowie sehr guten kommunikativen Fähigkeiten. Dabei haben in den vergangenen 15 Jahren mehr weibliche Bewerber überzeugt. In diesem Jahr waren es sogar über 60 Prozent. Folglich ist der Anteil der Frauen im Unternehmen auch kontinuierlich gestiegen. Vielleicht holen ja die Männer in den nächsten Jahren wieder auf. [email protected] Für das Team eines Unternehmens ist seine Zusammensetzung von besonderer Bedeutung. Frauen und Männer aus allen Altersgruppen mit unterschiedlichen Erwerbs- und Bildungsbiographien und einer Herkunft aus mehreren Kulturkreisen sind dabei besonders wichtig. Warum? Die Aufgabenstellungen in den Unternehmen sind nicht nur sehr vielfältig, sondern unterliegen auch einer beachtlichen Dynamik. Darauf kann man nicht nur mit tradierten und einmal erlernten Vorgehensweisen reagieren, vielmehr braucht es unterschiedliche Sichten auf ein und dieselbe Fragestellung – und die erhält man vor allem mit heterogenen Teams. Neudeutsch wird diese Entwicklung gerne auch als Diversity bezeichnet. Es geht also nicht nur um den Punkt Frauen und Männer, sondern um alle Aspekte der Diversity. Und genau deshalb freuen wir uns über ein Team von Kollegen und Kolleginnen aus mehreren Ländern und einer Altersspanne von 20 bis 70 Jahren. Der gesamte Mix macht es eben aus. Die Fragestellungen, mit denen man heute im Umfeld von Innovationen zu tun hat, sind immer fachthemenübergreifend und erfordern einen äußerst differenzierten Blick. Dieser Komplexität begegnet man am besten mit einem heterogenen Team. In diesem Sinne wird die VDI/VDE-IT ihre bisherige Einstellungspolitik auch in Zukunft weiter verfolgen, um für ihre Kundinnen und Kunden immer ein interessantes, leistungsfähiges und „open minded“ Team zu haben. Zum Schluss bleibt festzuhalten, dass in gemischten Teams von Frauen und Männern nach unserer Erfahrung eine angenehme, kreative und produktive Gesprächskultur herrscht. In Hinblick auf den Titel dieses Beitrags kann ich daher einmal mehr betonen: Es ist toll, dass es gelungen ist so viele unterschiedliche Menschen – welchen Geschlechts auch immer – für unser Unternehmen zu begeistern. Herausgeber: VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Steinplatz 1, 10623 Berlin, www.vdivde-it.de 1-2015 | Seite 2 innovation positioning system Frauen – ein Megatrend Simone Ehrenberg-Silies ist Seniorberaterin und leitet das Team der VDI/VDE-IT im Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Frauen liegen im Trend. Das ist zumindest der allgemeine Befund der Foresight-Community. Frauen werden heute als wichtige Säule für eine prosperierende Gesellschaft gesehen. Das war nicht immer so. Ein Blick auf die aus dem Jahr 1982 stammende Liste des Vaters der Megatrends John Naisbitt – einem US-amerikanischen Politikwissenschaftler, Futurologen und Regierungsberater – zeigt eindrücklich die Abwesenheit der Hälfte der Weltbevölkerung in den „Shortlists“ der Megatrends der Zukunftsforschung. Frauen fanden hier keine Erwähnung. Das ändert sich ein Jahrzehnt später: Im Jahr 1992 publizierte John Naisbitt zusammen mit Patricia Aburdene das Werk „Megatrends for Women“. Die Aussichten schienen vielversprechend. Die Autoren nahmen damals an, dass sich die Gleichberechtigung in absehbarer Zeit vollends realisieren würde: Beide Autoren waren davon überzeugt, dass Frauen in absehbarer Zeit wichtige Funktionen in Politik und Wirtschaft übernähmen, ja sogar in Unternehmen dafür sorgen würden, althergebrachte hierarchische Management- und Organisationsprinzipien zu überwinden. Außerdem würden sie mit Männern in unterschiedlichen Sportarten konkurrieren. Auch die Modewelt würde sich zugunsten von für Frauen tragbarerer Kleidung verändern. Nun: Rund 20 Jahre später, im Jahr 2014, beträgt der Frauenanteil in den Vorständen der DAX-30-Unternehmen 7 Prozent (DIW 2014), der Anteil der weiblichen Abgeordneten im Deutschen Bundestag 36,5 Prozent, der Anteil in der Bundesregierung 40 Prozent und der Anteil der weiblichen Führungskräfte in den Ministerien, dem Kanzleramt und dem Bundespresseamt 32 Prozent (SPON 2014). Einige der Voraussagen scheinen sich also zumindest schrittweise zu realisieren, wenngleich die Autoren vermutlich eine progressivere Vorstellung vom Zeithorizont hatten. Andere der Voraussagen sind sicherlich stark vom Zeitgeist der 1990er Jahr geprägt und scheuen demzufolge auch nicht vor geschlechtsspezifischen Stereotypen zurück. John Naisbitt ging in seiner ursprünglichen Definition von Megatrends im Übrigen davon aus, dass diese unsere Gesellschaft zwischen sieben und zehn Jahren, ggf. sogar länger, beeinflussen würden. Bei dem Megatrend „Frauen“ handelt es sich gemessen am Realisierungsstand der mit ihm einhergehenden Voraussagen zweifelsohne (leider) um einen fortwährenden „Megatrend“. Gerade deshalb ist er in der heutigen Zukunftsforschung nach wie vor aktuell. So identifizierte die Unternehmensberatung Frost & Sullivan vor kurzem „Frauen in Autos“ als neuen Megatrend für die Automobilindustrie, schließlich träfen Frauen heutzutage 80 Prozent der Kaufentscheidungen in der Partnerschaft. Auch der Foresight-Zyklus II des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) prognostiziert einen Trend zu [email protected] „Frauen als Pionierinnen globaler Transformation“: Frauen in Entwicklungs- und Schwellenländern profitieren überdurchschnittlich von der Globalisierung, nehmen Bildungsange bote eher wahr als Männer und haben daher ein großes Potenzial, als „change agents“ den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Auch in Frost & Sullivan's Megatrend „Frauen in Autos“ ist Bildung ein Schlüsselfaktor: Erstmalig sei der Anteil von Frauen in den Bildungssystemen der entwickelten Länder und der BRIC-Länder mit Ausnahme von Indien größer als der der Männer. Ein besserer Zugang zu Bildung macht Frauen laut Zukunftsforschung also nicht nur „mächtiger“ und lässt sie zu zentralen Akteuren werden, sondern resultiert tendenziell in ihrer größeren ökonomischen Potenz und Unabhängigkeit. Grund genug, dass sie stärker als Konsumentengruppe auf das Radar der Marketingabteilungen kommen. Ob die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht das angenommene stereotype Konsumverhalten stärker beeinflusst als andere Faktoren, sei einmal dahin gestellt. Laurence C. Smith beschreibt in seiner Zukunftsanalyse „The World in 2050“ zwar keinen singulären Megatrend „Frauen“, bringt jedoch den Megatrend „Demografischer Wandel“ deutlich mit der gesellschaftlichen Rolle der Frau in Verbindung, und auch in diesem Zusammenhang ist Bildung wieder der entscheidende Faktor: Die einzige Möglichkeit, das Erwerbspersonenpotenzial in Zeiten schrumpfender und alternder Bevölkerungen zu erhalten, besteht laut Smith im Abbau der kulturellen, religiösen, sozialen und rechtlichen Zugangsbarrieren für Frauen zum Arbeitsmarkt. Denn, so Smiths Prognose, der ökonomische Druck auf Gesellschaften, den Frauen eine Teilhabe am Arbeitsmarkt und damit einhergehend an Bildung zu ermöglichen, wächst bis 2050 kontinuierlich. Möglicherweise könnte also der Megatrend „Demografischer Wandel“ dafür sorgen, dass der Megatrend „Frauen“ um das Jahr 2050 von den „Shortlists“ der Megatrends verschwindet. Viele Frauen hätten sich dies sicher zu einem früheren Zeitpunkt und aus anderen als ausschließlich ökonomischen Gründen gewünscht, aber dennoch: den Megatrend „Frauen“ gibt es schon zu lange! Herausgeber: VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Steinplatz 1, 10623 Berlin, www.vdivde-it.de 1-2015 | Seite 3 innovation positioning system „hacken“ lernen: Frauen in der Informatik Die Programmiersprache BASIC (Beginners All Symbolic In struction Code) und ihre Nachfolgerin Visual Basic dürfte nicht nur Informatikern ein Begriff sein. Vor allem mit dem Aufkommen der Heimcomputer Ende der 1970er Jahre verbreitete sich die Verwendung von BASIC, denn die ressourcenschonende Sprache wurde so konzipiert, dass sie auch von Anfängern leicht erlernbar ist. Kaum bekannt ist allerdings, dass an der Entwicklung von BASIC eine Nonne beteiligt war. Schwester Mary Kenneth Keller, die spätere Gründerin und Direktorin des Instituts für Computer Science am Clark College, entwickelte BASIC gemeinsam mit John G. Kemeny und Thomas E. Kurtz am Darthmouth College. Doch Keller war nicht nur Mitentwicklerin von BASIC: Als erste Amerikanerin erhielt sie 1965 ihren Doktorgrad in Computer Science. Keller glaubte an das große Potenzial von Computern für einen besseren Zugang zu Informationen und zur Förderung von Bildung. Seither hat sich die Informationstechnologie rasant weiterentwickelt. Die Zahl der Frauen in der IT ist jedoch zurückgegangen. Der deutsche Branchenverband BITKOM beziffert den Frauenanteil in Unternehmen der Informationstechnologie und Telekommunikation im Jahr 2014 auf 14 Prozent, in den Ausbildungsberufen sind es sogar nur 8 Prozent. Einzig der Frauenanteil im Informatikstudium ist auf 22,5 Prozent angewachsen. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Zum einen setzen viele Universitäten erste Programmierkenntnisse für das Studium voraus, die junge Frauen zu Studienbeginn meist nicht vorweisen können. Während der Großteil der männlichen Studenten bereits in der Jugend mit Programmiersprachen in Kontakt kommt, erlernen Frauen das Programmieren häufig erst zu Beginn des Studiums. Dennoch sind spezielle Kurse für Informatikerinnen bislang die Ausnahme an deutschen Hochschulen. Hinzu kommt, dass die Informatik nach wie vor mit einem negativen Image kämpft – das Bild vom weltfremden „Nerd“ lässt noch immer viele Mädchen und junge Frauen von einem Informatikstudium absehen. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Anerkennung von Frauen in der hochschulischen Ausbildung. Junge Studentinnen sind oftmals mit der schwierigen Situation konfrontiert, sich gegenüber ihren männlichen Kommilitonen in Vorlesungen und Gruppenarbeiten durchsetzen zu müssen. Die von einigen Universitäten angebotenen Maßnahmen, wie Frauentutorien, Frauensprechstunden und Programmierkurse für Frauen haben die Probleme bislang nicht lösen können. Strittig ist jedoch, ob derartige Angebote die Vorbehalte gegenüber Informatikerinnen überhaupt abbauen können – oder diese nicht sogar befördern. An einigen amerikanischen Hochschulen versucht man deshalb, den Informatikunterricht eher geschlechterneutral zu gestalten. Annett Rettke ist Informatikerin und arbeitet im Bereich Kommunikationssysteme und Mensch-Technik-Interaktion. Sie beschäftigt sich mit Themen rund um Informatik und Gesellschaft. [email protected] Um mehr Frauen für ein IT-Studienfach zu begeistern, gehen mehrere Hochschulen in Deutschland nun einen Schritt weiter: So bietet die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin seit 2009 den ersten Frauenstudiengang Informatik und Wirtschaft an. Die Studentinnen werden mit den Inhalten der Informatik vertraut gemacht und lernen, dass diese aus mehr als nur Computern und Programmieren besteht. Auch die Politik hat dieses Problem vor einigen Jahren erkannt: Auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wurde 2008 der nationale Pakt für mehr Frauen in MINT-Berufen geschlossen. Unter dem Motto „Komm, mach MINT.“ verfolgen Partner aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie Sozialpartnern und Medien das Ziel, junge Frauen für naturwissenschaftliche und technische Studiengänge – wie zum Beispiel die Informatik – zu begeistern. Doch Handlungsbedarf besteht nicht nur im Hochschulbereich. Die Weichen werden bereits in der Schule gestellt. Experten bestätigen, dass die Wahl, ein Informatikstudium zu beginnen, umso wahrscheinlicher ist, wenn bereits in der Schule ein qualifizierter Informatikunterricht besucht wurde, der die Schülerinnen gezielt motiviert und in ihren Fähigkeiten gestärkt hat. Dies könnte das Image der Informatik verbessern und frühzeitig die Begeisterung von Mädchen und jungen Frauen daran wecken. Die Informatik ist mehr als nur programmieren und Codezeilen in den Rechner zu „hacken“. Neben logischem Denken sind auch Geduld, ein Auge fürs Detail und ein gewisser Spieltrieb gefragt. Die Informatik ist eine interdisziplinäre Wissenschaft mit vielen Einsatzmöglichkeiten, wie zum Beispiel in der Medizin, der Wirtschaft und im Rechtswesen. In nahezu jedem Wirtschaftszweig kommen IT-Fachkräfte zum Einsatz. Gerade die Interdisziplinarität macht die Informatik dabei so spannend und interessant. Und genau hier liegt die Chance, dass sich aus der bislang männlich dominierten Informatik langfristig doch eine genderneutrale Forschungsdisziplin entwickeln wird. Herausgeber: VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Steinplatz 1, 10623 Berlin, www.vdivde-it.de 1-2015 | Seite 4 innovation positioning system Frauen und Technik: Frühkindliche Förderung reicht nicht Mehr Frauen in technische Berufe – diese Forderung ist heute politischer Konsens. Vorbei die Zeiten, in denen Frauen die Fähigkeit zum logischen Denken abgesprochen wurde und man sie mit dem Verweis auf ihre biologische Ausstattung oder ihre gesellschaftliche Bestimmung von technischen Berufen fernzuhalten suchte. Zur Erinnerung: Emmy Noether, eine Begründerin der modernen Algebra, musste ihre Hochschulvorlesungen im Namen ihres Professors abhalten, weil Frauen die Habilitation vor knapp 100 Jahren noch versagt war. Lena Ulbricht ist zwar Sozialwissenschaftlerin, hegt aber keine Technikaversion. Ihre Kernthemen sind Bildung, Wissenschaft und Arbeitsmarktpolitik. Die politische Strategie besteht heute in erster Linie darin, Mädchen für Technik zu begeistern. Immer früher setzen die Programme an, die verhindern sollen, dass Mädchen angesichts einer Formel in Schockstarre verfallen. Also lassen sich Kitas durch das „Haus der kleinen Forscher“ zertifizieren und wollen Mädchen (und Jungen) für Forschung in MINT-Themen erwärmen. Auch die Kita meiner anderthalbjährigen Tochter brüstet sich mit einem „naturwissenschaftlichen Schwerpunkt“: Hier werden Weinbergschnecken in Terra rien gezogen und statt Bausteinen gibt es „Stecksteine“, die ein wenig wie Moleküle aussehen. Ich stelle mich darauf ein, dass meine Tochter noch vor den ersten Buchstaben lernt, wie man mit der Flex umgeht. könnte, angesichts ihres Ausnahmestatus nicht bessere Aufstiegschancen, sondern schlechtere. Auf den Punkt gebracht: Die Berufskultur ist männlich dominiert und es fehlt an positiven Erfahrungen und Role Models. Prinzipiell würde es mich freuen, wenn die frühkindliche Förderung fruchtet und meine Tochter sich eines Tages zu einer „Q“ entwickelt, die für den Nahkampf geeignete Armbanduhren und intelligente Fahrzeuge erfindet. Bekanntermaßen sind technisch versierte Fachkräfte rar – ein gutbezahlter Job scheint also sicher. Da Frauen mit technischen Berufs- und Studienabschlüssen nach wie vor die Ausnahme sind, müssten sie sogar besonders gute Berufsaussichten haben – oder? Leider nein, ganz im Gegenteil: Hochschulabsolventinnen in technischen Studienfächern müssen deutlich länger nach einem Job suchen, der ihrer Qualifikation angemessenen ist, und sie sind häufiger befristet beschäftigt und schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Sie sind auch häufiger und länger arbeitslos, sogar im Vergleich zu ihren Kolleginnen in weniger männlich dominierten Berufen (z. B. Lehrerinnen). Ein weiteres Problem ist, dass viele technische Berufe durch eine vergleichsweise schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf gekennzeichnet sind: Teilzeit ist in Ingenieurberufen z. B. noch sehr selten, Telearbeit und flexible Arbeitszeiten ebenso; die Berufskultur ist von ständiger Einsatzbereitschaft und langen Arbeitszeiten gekennzeichnet. Nicht zuletzt haben Frauen in technischen Berufen, anders als man hoffen [email protected] Was passiert mit den Frauen mit technischem Hintergrund, die auf eine entsprechende Arbeitswelt treffen? Sie wandern ab in andere Berufe: Man findet sie somit nur selten in der Fertigung oder im Labor, dafür häufiger im Service und in der Verwaltung. Dagegen ist prinzipiell nichts zu sagen; auch fernab der Maschinen kann ein fundiertes technisches Wissen von Vorteil sein. Wer sich allerdings um den weiblichen Nachwuchs für technische Berufe sorgt, sollte angesichts dieser Umstände beunruhigt sein. Was ist also zu tun? Wer die „Leaky Pipeline“ der Mädchen und Frauen in technischen Berufen flicken will, muss auch das Ende des Rohrs im Blick haben. Man kann sich nicht allein darauf konzentrieren, Kleinkinder für Technikthemen zu interessieren, sondern muss die entsprechenden Arbeitswelten zu attraktiven Perspektiven machen. In diesem Sinne fordere ich: nicht nur Flex-Maschinen, sondern auch Flex-Zeiten für unsere Töchter. Die Instrumente, die den Unternehmen hierfür zur Verfügung stehen, sind bekannt: Eine kluge und gendersensible Rekrutierungspolitik, verbindliche Gleichstellungsziele, einschlägige Audits etc. Wann machen Sie Ihr Unternehmen zum „Haus der glücklichen Technikerinnen und Techniker“? Herausgeber: VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Steinplatz 1, 10623 Berlin, www.vdivde-it.de 1-2015 | Seite 5
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