Zunehmende Kapitalmarktorientierung mittelständischer Unternehmen als alternative Finanzierungsform Entgegen negativer Wirtschaftsnachrichten aus den europäischen Nachbarländern wie Portugal, Italien oder Frankreich sind Deutschland und Österreich weiterhin leistungsfähig und - trotz sowie wegen der exogenen Einflüsse - wachstumsstark. Beleg hierfür sind die starke Nachfrage nach deutschen Produkten aus dem Ausland und die hohe Wettbewerbsfähigkeit inländischer Unternehmen. Dabei sind es vor allem die mittelständischen, insbesondere die inhabergeführten Familienunternehmen, die mit 99 Prozent aller Unternehmen und 79 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten das Gros der unternehmerischen Landschaft und des Arbeitsmarktes in Deutschland prägen. Damit das auch so bleibt, ist es unerlässlich, dem Mittelstand ausreichende Möglichkeiten der Finanzierung zur Verfügung zu stellen und ihm die Zugangswege zu klassischen und vor allem alternativen Finanzierungslösungen zu gewährleisten. Grundsätzlich stehen mittelständischen Unternehmen alle Wege der Finanzierung offen. Die vergangenen Jahrzehnte in der Finanzierungsgestaltung der KMU waren jedoch vor allem im deutschsprachigen Raum durchweg vom klassischen Bankkredit geprägt. Mehr als 75 Prozent der befragten Unternehmer haben sich auch im Jahr 2013 über die traditionellen ‚klassischen‘ Finanzierungsmöglichkeiten Liquidität beschafft; daraus folgt, dass alternative Finanzierungsquellen Anleihen oder Genussrechte- immer noch unterrepräsentiert sind (siehe Abbildung 1). Abbildung 1: Überblick über die eingesetzten Finanzierungsformen Quelle: Wolf & Häcker Financeconsulting AG und Ebener Stolz Management Consultants GmbH, Finanzierung im Mittelstand (2014) Ursache dieses Missverhältnisses ist nicht ein Manko auf Seiten der alternativen Finanzierungsquellen, sondern die Tatsache, dass diese - und der Weg zu ihnen - aus Unternehmerperspektive vielfach eine Art „Black Box“ darstellen. Sind Unternehmern die Abläufe 1 und Inhalte eines Kredites bei der Hausbank sehr wohl vertraut und bekannt, so bewegen sie sich bei Kapitalerhöhungen, Börsengängen oder Genussrechten auf unbekanntem Terrain. Die Entwicklung des Bankenmarktes in den letzten Jahren, gestiegene und weiter steigende Anforderungen an die Belastbarkeit von Unternehmen und restriktivere Kreditbedingungen haben jedoch bewirkt, dass Unternehmer der alleinigen Finanzierung über ihre Hausbank nicht mehr vertrauen können. Ein Unternehmen muss in jeder Entwicklungsphase über geeignete Finanzierungsquellen verfügen können, und das heißt, auch bei äußeren Turbulenzen und internen Umstrukturierungen. Vor allem die jeweils passende Finanzierungsstruktur hat durch den volatilen Finanzmarkt und konjunkturelle Risiken herausragende Bedeutung für den Grad der Marktstabilität eines Unternehmens bekommen. Über Kreditinstitute bereitgestellte traditionelle Finanzierungsformen bieten dem Unternehmen nach wie vor eine Grundausstattung. Sie stellen aber regelmäßig Entwicklungsbremsen dar, wenn Wachstumspläne -organisch oder anorganisch- oder notwendige Umstrukturierungen eines Unternehmens zu finanzieren sind. Aus Unternehmersicht können sie perspektivisch zunehmend nur noch einen von mehreren Bausteinen im Finanzierungsmix darstellen. Potentielle innovative Finanzierungsquellen aber stellen mittelständische Unternehmen vor ungewohnt neue Herausforderungen. Die Bremswirkung klassischer Bankenkredite einerseits und das Zukunftspotenzial der Anlegerpapiere andererseits ließ in Deutschland mit den sog. Mittelstandsbörsen Marktplätze entstehen, die den Unternehmern von heute optimale Möglichkeiten der Finanzierung bieten. Neben dem Einwerben von Eigenkapital über Aktien, bietet dieser Weg seit dem Jahr 2010 auch die Plattform, am Kapitalmarkt Fremdkapital einzusammeln. Das speziell auf die Besonderheiten des Mittelstands zugeschnittene Segment der Mittelstandsbörsen trägt dem Spannungsverhältnis zwischen ausreichender Transparenz für die Kapitalgeber einerseits und anforderungsgerechten Voraussetzungen für die Kapitalsuchenden andererseits Rechnung. Auch was die Volumina des benötigten Kapitals angeht, wurde mit diesem Segment die Lücke zu den großen Börsen geschlossen. Dem Mittelstand steht jetzt offen, auch bereits kleinere Tranchen an Kapital - Eigenkapital ab ca. 5 Mio. Euro, Fremdkapital ab 10 Mio. Euro alternativ und individuell einzuwerben. Alternative Finanzierungsmöglichkeiten bieten die Chance unabhängiger zu werden, die Haftungsstruktur des Unternehmens zu optimieren sowie das Kapital flexibler einsetzen zu können. Insbesondere diversifizieren sie das Fremdkapitalportfolio anforderungsgerecht, was vor allem im Hinblick auf eine angemessene Risikostreuung sinnvoll ist. Ist erst einmal der Gang an den Kapitalmarkt getan, wird die neue Finanzierungsquelle für das gelistete Unternehmen zu einem sowohl stetigen als auch individuellen Vehikel seines weiteren Fortkommens. Damit verbunden profitieren viele Unternehmen durch den Gang in die Öffentlichkeit auch vom Werbe- und Marketingeffekt, was ihren Bekanntheitsgrad und damit ihre Marktpräsenz bedeutend erhöht. Neben den enormen Vorteilen einer solchen Finanzierungsmethode sind auch Nachteile zu erwähnen. So sind mit dem Gang an den Kapitalmarkt Voraussetzungen und Anforderungen verbunden, die dem Unternehmen die Fähigkeit als auch Bereitschaft zu relativer Transparenz abverlangen. Damit werden Unternehmen allerdings auch dann konfrontiert, wenn sie bei ihrer Bank vorstellig werden. Als Nachteile sind außerdem die Kosten zu nennen, die mit einem Going Public einhergehen. Auch der zeitliche Aufwand, der für ein solches Vorhaben eingeplant werden muss, ist nicht zu unterschätzen. Je nach Qualität der Datenlage und internen Strukturen des Unternehmens kann ein solcher Prozess bis zu zwölf Monate dauern. Zu welchem Zeitpunkt Kapital zur Verfügung steht, ist folglich von Faktoren abhängig, die im Unternehmen selbst liegen, aber auch von exogenen 2 Parametern abhängen. Der Unternehmer steht vor der Herausforderung, sich entsprechend frühzeitig mit der Frage auseinanderzusetzen, in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt Kapitalmarktinstrumente in den Finanzierungsmix integriert werden können und sollten. Fazit: Der Kapitalmarkt ist für Mittelständische Unternehmen eine attraktive und zunehmend notwendige Ergänzung zu traditionellen Finanzierungsformen geworden. Der Börsengang verbreitert das Portfolio der Finanzierungsquellen und erleichtert nach der ersten erfolgreichen Transaktion regelmäßig die weitere Kapitalbeschaffung. Das Segment der Mittelstandsbörsen ist verhältnismäßig jung. Es hat in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, weil es das Streben der Unternehmen nach diversifizierter Finanzierung mit der Suche nach geeigneten Investitionsmöglichkeiten in einer Niedrigzinsperiode verbindet. Beides lässt sich gut miteinander kombinieren. Voraussetzung für eine erfolgreiche Platzierung am Markt ist, dass dem Sicherheitsbedürfnis der Investoren entsprochen werden kann. Unternehmen müssen sich dazu der Bedingung beugen, im Vorfeld einer Emission einen Stresstest im Hinblick auf mögliche Risiken eines Börsengangs sowohl durchzuführen als auch zu bestehen. Solche Stresstests verfolgen das Ziel, das jeweilige Unternehmen auf seine Belastbarkeit zu untersuchen, indem realitätsgerechte mögliche Szenarien von Turbulenzen simuliert werden. Dies ist nicht nur Rating-/ Research relevant, sondern wird vom Markt gefordert. Einerseits stehen die Börsen vor der Herausforderung, Unternehmen mit Regelungen bei Mindestplatzierungsvolumina sowie Transparenz- und Publizitätspflichten nicht zu stark einzuschränken, um den KMU Chancen eines Börsenganges offen zu halten. Andererseits müssen die Anforderungen streng genug sein, um einen Missbrauch von Börsengängen durch insolvenzgefährdete Unternehmen zu verhindern. Den Börsen oblag und gelang es, hier eine Strategie des Gleichgewichts zu entwickeln. Inzwischen hat zudem eine Konsolidierung von Marktplätzen das Maß an Professionalität erhöht. Den „Kinderkrankheiten“ dieses Segments konnte entgegengewirkt werden. Der Mittelstand kann sich im Zusammenwirken mit kompetenter Beratung und Begleitung einerseits und daraus entwickelter Börsentauglichkeit andererseits eine eigene, auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Kapitalquelle erschließen, die seinem spezifischen Entwicklungsbedarf gerecht werden kann. Das bietet Anlegern wiederum die Chance, nachhaltig zu investieren. Für Familienunternehmen und Mittelständische Unternehmen ist eine Selbstbeschränkung auf traditionelle bzw. klassische Finanzierungsinstrumente nicht mehr ausreichend. Auch ein niedriges Zinsniveau wird dem unternehmerischen Bedarf nicht mehr gerecht. Die Notwendigkeit, sich von Turbulenzen im Bankenumfeld oder regulatorischen Einschränkungen unabhängiger zu machen, erfordert eine zeitgemäße Diversifikation auf der Finanzierungsseite. Tobias Eiblmeier/ Philipp Joh. Vüllers 3
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