KULTUR 31 BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE MONTAG, 18. MAI 2015 Das harte Los der Künstlerin Literatur Die Protagonistin im Roman von US-Autorin Siri Hustvedt scheitert als Frau – aber als Mann startet sie durch VON SHIRIN SOJITRAWALLA Siri Hustvedt hat einen Künstlerroman geschrieben, dessen Hauptkonflikt sich darin zeigt, dass das Wort Künstlerinnenroman gar nicht existiert: Harriet Burden heisst ihre Protagonistin, eine fiktive bildende Künstlerin, die Teile ihres eigenen Werks als von Männern geschaffenes ausgibt. Der Geschlechterwechsel bringt ihren Installationen die erhoffte Aufmerksamkeit. Harriet Burden ist die Witwe eines einflussreichen New Yorker Galeristen und beginnt ihr Kunstwerk in den Siebzigerjahren. Als ihre beiden Kinder aus dem Haus sind und ihr Mann plötzlich stirbt, fängt für sie ein Leben jenseits des Üblichen an. Siri Hustvedt erzählt das Leben dieser Frau nicht plan nach, sondern tut so, als würde eine Professorin für Ästhetik nach deren Tod einen Band über Harriet Burden herausgeben, der nicht nur ihre Notizbücher wiedergibt, sondern auch Interviews, Rezensionen, Aussagen der Kinder, Berichte von Freunden und der männlichen Künstler: Lesarten eines Lebens. All das versieht die Professorin mit vielen Fussnoten, die auf wissenschaftliche Werke, weiterführende Literatur zum Thema und anderes verweisen, einmal auch auf einen Roman von Siri Hustvedt selbst, die als obskure Schriftstellerin Erwähnung findet. Intime Kennerin der Kunstszene Aus all dem ergibt sich ein wahrhaft vielstimmiger Roman, der ganz unterschiedliche Textsorten kombiniert. Man merkt ihm die Freude an, die Siri Hustvedt bei seiner Erschaffung gehabt haben dürfte. Längst gehört die Autorin, die im Februar ihren 60. Geburtstag gefeiert hat, zu den wichtigsten Stimmen der gegenwärtigen amerikanischen Literatur. In ihrem neuen Roman geht es ihr um die Rolle der Frau wie um die Kunst, um das Leben wie um die Liebe. All die grossen Themen, mit denen sie sich auch in ihren Essays immer wieder auseinandersetzt, ausdrücklich empfohlen sei an dieser Stelle ihr jüngster Essayband «Leben, Denken, Schauen». Wahrnehmung und Erinnerung sind zwei Fährten ihres Werks. In «Die gleissende Welt» schreibt sie über die Tücken der Erinnerung, die verschiedenen Versionen der Wirklichkeit generieren. Lustvoll spielt die Autorin dabei mit Realitäten und Fiktionen. Von ausgedachten Künstlern ist ebenso die Rede wie von tatsächlichen. Wie schon in ihrem grandiosen Roman «Was ich liebte» zeigt sich Hustvedt Autorin Siri Hustvedt (60) gehört zu den wichtigsten Stimmen der gegenwärtigen amerikanischen Literatur. auch in ihrem neuesten Werk als intime Kennerin der Kunstszene, ihren Mechanismen und Täuschungen. Minuziös beschreibt sie einzelne Werke, beäugt die Leute, die sich bei Vernissagen blicken lassen, und kalkuliert die Aufgeregtheiten der Kunstszene neu durch. Sexismus in der Kultur Harriet Burdens Leben als Frau steht dabei im Mittelpunkt. Nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Liebe erlebt diese eigenartige Frau ihr Ungenügen. Ihrem Mann konnte sie nicht den männlichen Liebhaber bieten, nach dem er gierte, und ihre Kunst verkauft sich erst, als sie exzentrische Männer als deren Urheber ausgibt. Dabei bewegt sich der Roman immer auf der Höhe gegenwärtiger Diskurse und entspinnt ein kunstvolles Geflecht aus Querverweisen. Die Überlegungen zur Kunstrezeption spiegeln auch ihr eigenes Werk und rufen beim Leser manche Frage hervor: Lesen wir den Roman so und nicht anders, weil wir wissen, Siri Hustvedt hat ihn geschrieben? Was würden wir darüber denken, wenn wir nicht wüssten, wer ihn geschrieben hat? Würden wie ihn anders beurteilen, wenn Paul Auster, Hustvedts Ehemann, ihn verfasst hätte? Lustigerweise operiert Hustvedt, die einen ganz anderen Stil pflegt als ihr Mann, in ihrem neuen Buch mit vielen Auster-Motiven und -Manierismen. Doch so genial und ausgefuchst die Konstruktion ihres Buches ist, so erschöpfend käut der Roman doch dieselbe, zweifellos richtige These über den Sexismus in der Kultur, besonders in der Kunstwelt wieder. Das ergibt sich freilich auch aus dem Umstand, dass sich unterschiedliche Figuren zu den gleichen Ereignissen zu Wort melden, wohlgemerkt alle in ihrem ganz eigenen Tonfall. Dabei beschreibt Hustvedt das Leben der Harriet Burden, die ihre SERGE PICARD/AGENCE VU/KEYSTONE Last schon im Nachnamen trägt, in all seiner Drastik und lotet seelische Schmerzen bis in feinste Verästelungen aus. Als Künstlerin bleibt diese Frau trotzdem merkwürdig undeutlich, als Liebende indes gerät sie zur unvergesslichen Figur. Siri Hustvedt Die gleissende Welt. Roman. Aus dem Englischen von Uli Aumüller. Rowohlt-Verlag, 490 Seiten, Fr. 32.90. Ein Buch wie ein Löchersieb Kunstpreis Die Versicherung Nationale Suisse, sprich Helvetia, feiert heuer das zehnjährige Jubiläum ihres Kunstpreises mit einer spannenden Publikation. VON SIMON BAUR Es war ziemlich genau vor zehn Jahren, als ein Brief der National-Versicherung im Briefkasten lag. Die alte Tante unter den Versicherungen, die seit Jahren mit einem verstaubten Nashorn warb, lancierte damals einen neuen Kunstpreis; und dies mit einem Design voll von leuchtend roten Punkten, mit denen Galeristen gewöhnlich ihre Verkäufe markieren; ein Design, das so gar nicht zu dieser ehrwürdigen Institution passte. Kurze Zeit später an der kleinen Schwester der Art Basel, der «Liste – the young art fair», wie sie damals noch hiess: Andreas Karcher und Nathalie Loch, teils assistiert von Verena Widmer, präsentierten müde, aber glücklich Kathrin Stengele, die erste Preisträgerin. Ein Kunstpreis auf einer Kunstmesse schien irgendwie quer in der Kulturlandschaft zu stehen. Beide waren jung, die Liste und ihr Gründer Peter Bläuer für ihre Experimente bekannt. Und die leuchtend roten Punkte, sie wirkten magisch, man konnte sich ihrer nicht entziehen. Seither erscheinen jedes Jahr die roten Punkte, und an der Liste gibt es wieder einen Kunstpreis, wieder einen jungen Künstler als Gewinner, wieder eine hochkarätige Jury, wieder eine ehrwürdige Versicherung, von der man wusste und weiss, dass sie vor allem Schweizer Kunst sammelt und dies seit Jahrzehnten auf höchstem Niveau. Innovativer Bericht Man jubelte innerlich für die zahlreichen Preisträger: für Kathrin Stengele, Swann Thommen, Annelore Schneider und Claude Piguet von «collectif_fact», Aloïs Godinat, Luc Mattenberger, Nicole Bachmann, Florian Germann, Elisa Larvego, Josse Bailly, Kathrin Affentranger, Michael Meier & Christoph Franz und Thomas Moor. In diesem Jahr feiert die Versicherung das zehnjährige Bestehen ihres Kunstpreises nicht mit einer rauschenden Party, sondern mit einer Publikation, ein Mischwesen zwischen Künstlerbuch und Jahresbericht. Natürlich sind die roten Punkte wieder mit von der Partie, dazu spannende Künstlerporträts, Fragen an die Künstler mit entsprechend witzigen Antworten, Zitate von Beteiligten und zahlreichen Bildern. Eine handliche Publikation ist entstanden, eine lesenswerte mit allen möglichen Antworten und Einblicken in ein Jahrzehnt Kunstpreis der Nationale Suisse. Neu heisst der Preis übrigens «Helvetia Kunstpreis». Nicht im regulären Verlauf Ob sich die Sankt Galler an die Charmeoffensive mit den roten Punkten gewöhnen, wird sich zeigen. Die Grafik verantwortet übrigens «Sofie’s Kommunikationsdesign». Sie haben nichts mit der «Kalten Sophie» zu tun, die war letzte Woche, sie kreierten die heissen roten Punkte. Bravo! Die Publikation kommt regulär nicht in den Verkauf. Wenige Exemplare sind exklusiv in der Buchhandlung und Galerie Stampa am Spalenberg 2 in Basel erhältlich. Das Exemplar kostet 35 Franken. Hoher Besuch in Basel Frank Stella, der amerikanische Ma- ler, Bildhauer und Objektkünstler, besuchte am Samstag die Ausstellung zu seinem Frühwerk im Museum für Gegenwartskunst des Basler Kunstmuseums. Die Ausstellung ist noch bis zum 30. August zu sehen, der Eintritt ist gratis. FOTO: ROLAND SCHMID
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