Der Historische Roman in Deutschland als

Dynamiken der Geschichtskultur – Forschungsverbund Ruhruniversität Bochum RUB / Pädagogische Hochschule FHNW
Untersuchung der Entstehung gegenwärtiger geschichtskultureller Konfigurationen
Exposé zum Dissertationsprojekt
Der Historische Roman in Deutschland als
geschichtskulturelles Phänomen zwischen 1980 und 2010
Doktorand: Mirko Manzke
Betreuer: Prof. Dr. Marko Demantowsky, PH FHNW
--Vorbemerkung
„Seit zwei Jahren weigere ich mich, auf sinnlose Fragen zu antworten. [...] Die
sinnloseste aller sinnlosen Fragen war die jener Leute, die meinen, wenn einer aus
alten Zeiten erzählt, wolle er aus seiner Gegenwart fliehen. Ob das richtig sei,
fragen sie mich.“
So dezidiert empört und durchaus polemisch äußert sich Umberto Eco, der große
Romancier, über die Grundfragen dieses Forschungsprojekts: Warum faszinieren uns
Historische Romane? Ist es tatsächlich die Möglichkeit, seiner eigenen Welt zumindest für
die Dauer des Lesens zu entfliehen? Wenn dem so wäre, stellten Historische Romane
lediglich das Vehikel für eskapistische Wunschvorstellungen dar. Wenn sie jedoch eine
Projektions- und Vorstellungsfläche für die Wünsche und Sehnsüchte von Autor und Leser
sind, von der sich Ideen und Bilder über eine längst vergangene Epoche ablesen lassen,
muss die Frage nach der Faszination, die von Historischen Romanen ausgeht, viel
umfassender gestellt werden.
Sind Historische Romane demnach Spiegel eines individuellen Geschichtsbewusstseins?
Reflektieren sie kollektive Vorstellungen eines gesellschaftlich institutionalisierten
Geschichtsbildes und sind sie somit – so könnte man meinen – umso erfolgreichen, je
eher und je mehr sie dieses Bild aufgreifen, variieren und verstärken, den Wunsch der
Rezipienten somit erfüllen?
Dynamiken der Geschichtskultur – Forschungsverbund Ruhruniversität Bochum RUB / Pädagogische Hochschule FHNW
Forschungsinteresse
Der Historische Roman als Erzählform begeistert das Publikum nicht erst seit Walter
Scotts „Waverley“ (1814), der in der öffentlichen Diskussion gerne als „erster historischer
Roman“ angeführt wird, aber sicherlich seit dem ungebrochen. In den Bestsellerlisten
erscheinen Historische Romane regelmäßig auf den vorderen Plätzen, Verfilmungen
dieser textlichen Vorgaben schaffen es immer häufiger ins Fernsehprogramm, mitunter
sogar auf die Kinoleinwand.
Wie schon Georg Lukacs anmerkt, ist es die primäre Aufgabe des Historischen Romans,
vergangene Zeiten widerzuspiegeln, oder – um noch einmal Eco zu bemühen -:
„Wer erzählen will, muss sich zunächst eine Welt erschaffen, eine möglichst reich
ausstaffierte bis hin zu den letzten Details.“
Hier stellt sich allerdings die Frage, ob dabei nicht heutige bzw. zeitgenössische
Perspektiven als Folie auf die Vergangenheit gelegt werden; der Historische Roman als
die Sui-generis-Form der Narration, die Geschichte konstruiert bzw. rekonstruiert,
unterliegt damit dem Verdacht, das Geschichtsverständnis der Gesellschaft zu
beeinflussen. Kann man daher anhand des Vorkommens Historischer Romane in den
Bücher- und Bestsellerlisten der Fachmagazine und Verlage bestimmte Trends,
Sichtweisen und vielleicht auch Desiderate ablesen?
Aus der Flut der Romane, die man „allgemein“ als Historische Romane bezeichnen kann,
sind bislang meist einzelne Werke analysiert worden, mitunter auch vergleichend, in
jüngster Zeit sogar mit dem Impetus, kulturelle Strömungen zu identifizieren und ggf. zu
untersuchen. Allerdings sind diese Ansätze meist literaturwissenschaftlich geprägt, sowohl
in Bezug auf das Forschungsdesign wie auch die dahinter stehende Fragestellung, womit
der Aussagekraft für eine geschichtsdidaktische Betrachtung Grenzen gesetzt sind.
Ein Desiderat der Geschichtsdidaktik ist daher eine genaue, auf validen Daten beruhende
Untersuchung des Historischen Romans als Medium, das in der Lage ist, Geschichtsbilder
zu formen und zu beeinflussen und Geschichtsbewusstsein zu schaffen. Der Historische
Roman muss in dieser Hinsicht für die Geschichtsdidaktik stärker in den Fokus rücken und
auf seine Wirkungsmächtigkeit als Phänomen an sich und als konkreter Gegenstand für
die Entwicklung bzw. Prägung eines individuellen Geschichtsbewusstseins und eines
kollektiven Bildes – einer bestimmten Epoche, eines bestimmten Ereignisses – analysiert
werden.
Dynamiken der Geschichtskultur – Forschungsverbund Ruhruniversität Bochum RUB / Pädagogische Hochschule FHNW
Projektdesign
Grundlage des Forschungsprojekts „Der Historische Roman in Deutschland als
geschichtskulturelles Phänomen zwischen 1980 und 2010", das im Forschungsverbund
„Dynamiken der Geschichtskultur" der Ruhruniversität Bochum und der Pädagogischen
Hochschule Nordwestschweiz FHNW entsteht, ist die Untersuchung der Bestsellerliste, die
die Zeitschrift „Der Spiegel“ seit 1961 veröffentlicht und die seit 1971 vom
Branchenmagazin „Buchreport“ ermittelt wird. Anhand dieser Liste lässt sich quantifizierbar
nicht nur der Anteil des Historischen Romans am Gesamtvolumen der Belletristik ermitteln,
auch die Entwicklung von Trends, Einflüsse und besondere Phänomene lassen sich hier
ablesen und analysieren. Das Ranking bietet zudem einen Fundus an Informationen, der
durch seine über Jahrzehnte verfolgbare Entwicklung zu einer Bestimmung
geschichtskultureller Dynamiken in besonderem Maße geeignet ist. Zur Überprüfung und
Verifikation kann zudem die Datenbank der DNB herangezogen werden, in der die
deutschen und deutschsprachigen Publikationen gesammelt sind; die Datenbanken von
Verlagen und Distributoren runden diesen Teil ab.
Im quantitativen Analyseteil werden im Forschungsprojekt zunächst alle historischen
Romane der Jahre 1980-2010, die in die Bestsellerliste des „Spiegel“ aufgenommen
wurden, gesammelt und ausgewertet. Die zeitliche Einteilung gründet sich einerseits auf
das Erscheinen von Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ im selben Jahr (auf
Deutsch erschienen 1982), der die Renaissance des Historischen Romans in der
Postmoderne einleitete, und soll mit dem 30 Jahre umfassenden Forschungsfeld eine
umfangreiche und zugleich doch überschaubare Materialbasis bieten, die bei Bedarf noch
erweitert werden kann. So sind Aussagen etwa zu besonders erfolgreichen Autoren,
umsatzstarken Verlagen, aber vor allem zu beliebten Sujets und Themen der Geschichte
und sogar zur Verwendung linguistischer Muster als Hinweis auf die Wirkungsmächtigkeit
geschichtskultureller Begriffe erwartbar.
Der Vorteil dieses Vorgehens liegt auf der Hand: Verfügbarkeit, Validität und Umfang des
zu analysierenden Materials und die Verknüpfungsmöglichkeiten der erhobenen Daten
bieten einen vielversprechenden Ansatz, das zuvor formulierte Projektziel zu erreichen.
Arbeitsstand
Auf Grundlage der erhobenen Daten erfolgt derzeit die Auswertung des Materials mit dem
Ziel, Themen und Sujets nach Vorkommen und Häufigkeit zu bestimmen, die narrativen
Strukturen offenzulegen, vermittelte Geschichtsbilder herauszufiltern, mögliche Intentionen
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zu identifizieren und so die Wechselwirkung von Geschichtsbewusstsein in der
Gesellschaft und Präsentationsweisen in Historischen Romanen zu untersuchen. Begleitet
wird dieser Untersuchungsteil durch Interviews mit den am Prozess beteiligten Akteuren.
In einem dritten Schritt soll sich ein qualitativer Analyseteil anschließen, bei dem
ausgewählte Historische Romane - fokussiert auf Narrationsmodelle, Autoren,
Verlagskonzepte, Rezeption etc. - nach noch zu bestimmenden Kriterien genauer
analysiert werden.
Arbeits- und Zeitplan
2012
Vorüberlegungen und Projektierung des Forschungsvorhabens
Quantitative Analyse:
2013
Datenerhebung
Extrapolation möglicher Aussagewerte zur Ausrichtung des weiteren Vorgehens
Formulierung von Forschungsschwerpunkten und Folgefragen
2014
Verknüpfung und Auswertung der erhobenen Daten gemäß der Vereinbarungen
Untersuchung der in Frage kommenden Romane
„Konfrontation“ der am Prozess beteiligten Akteure mit den Ergebnissen
Qualitative Analyse
2015
Analyse von ausgewählten Historischen Romanen
- zur Bestimmung geschichtlicher „Trends“
- zur Bestimmung geschichtskultureller Entwicklungen
- zur Bestimmung von Formen individuellen Geschichtsbewusstseins
2016
Zusammentragen und -führen der Ergebnisse, Beginn der Schreibphase
2017
Schreibphase und Einreichen des abgeschlossenen Projekts