Interview

„WIR WOLLEN FÜR
DAS KONZEPT BEGEISTERN“
Magnetkrankenhäuser. Was in den USA schon vor 30 Jahren startete,
kommt jetzt auch in Deutschland ins Rollen. Wir sprachen mit Pflegedirektorin
Helene Maucher über die Vorteile von Magnetkrankenhäusern und über
Möglichkeiten, das erfolgreiche Konzept hierzulande voranzutreiben.
Frau Maucher, Sie haben vier Wochen in einem Magnetkrankenhaus
in Jacksonville hospitiert. Was hat
Sie besonders überzeugt?
Es ist ein ganz anderer Geist spürbar, wenn man ein Magnetkrankenhaus betritt. Das zeigt sich besonders
in dem Selbstverständnis der Pflegenden, die klar signalisieren: „Ich
bin stolz, eine Krankenschwester zu
sein“ und „Ja, wir können etwas bewirken“. Das wird auch daran deutlich, wie Pflegende mit Ärzten und
anderen Berufsgruppen kommunizieren. Hier herrscht ein Klima des
Miteinanders: „Wir haben ein Ziel,
und das ist das Beste für den Patienten.“ Pflegende bringen eine
sehr hohe Fachkompetenz mit
und eine hohe Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. Das zeigt
sich zum Beispiel darin, wie sie sich
in Klinikprojekte einbringen, für die
sie dann auch die Verantwortung
übernehmen.
ziplinär angelegt, laufen aber unter
Federführung der Pflege. Oft ist es
auch so, dass Promotionsarbeiten,
zum Beispiel der Pflegedirektorin,
mit einem Projekt verbunden werden.
Was sind das für Projekte?
Dazu gehören beispielsweise der
Aufbau von Ethikkommissionen
oder Projekte zum Notfallmanagement. Viele Projekte sind interdis-
Welche Qualifikation bringen die
Pflegenden in den Magnetkliniken
mit?
Das ist eine Besonderheit der Magnetkrankenhäuser: Mindestens 80
Prozent der Mitarbeiter in der direkten Pflege müssen einen Bachelorabschluss vorweisen; Pflegedirektoren benötigen mindestens einen Masterabschluss, viele
haben auch promoviert.
Davon sind wir in der
Deutschland
natürlich
noch weit entfernt.
Wie sieht generell die personelle Ausstattung in der
Pflege aus?
Sie liegt auf jeden Fall über
deutschen Verhältnissen. Grundsätzlich gilt: Die Stationen erhalten
so viel Personal, wie sie benötigen.
Dazu gehören auch Hilfskräfte, sogenannte Liftboys oder Sitter, die je
nach Bedarf auf den Stationen eingesetzt werden. Sitter betreuen zum
Beispiel Demenzpatienten direkt am
Patientenbett. Zusätzlich treffen sich
die Stationsleitungen, Leiter der
Notaufnahmen sowie die Pflegedirektion täglich zum internen Bele-
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Die Schwester Der Pfleger 54. Jahrg. 3|15
Foto: Fotolia
Interview mit Helene Maucher
Führen + Entscheiden
gungsmanagement, um gemeinsam
zu schauen, wie viele Patienten haben wir, sind die Stationen ausreichend belegt, wie können wir Personalengpässe auf einzelnen Stationen
kompensieren.
Spiegelt sich diese Pflegekultur der
Magnetkliniken auch in belastbaren
Zahlen wider?
Auf jeden Fall. Die Pflegeoutcomes
sind nachweislich besser als in anderen Kliniken. Magnetkrankenhäuser
weisen nicht nur eine sehr hohe
Patientenzufriedenheit auf, sondern
haben auch deutlich weniger Komplikationen. Das bedeutet eine geringere Rate an Stürzen und Druckgeschwüren, weniger Infektionen
durch Venenkatheter oder auch weniger Rückverlegungen auf die Intensivstation. Dazu trägt sicherlich
auch das Konzept der Rounding
Nurses bei, die regelmäßig über die
Normalstationen gehen und Patienten mit zentralen Venenkathetern
oder Tracheostoma besuchen. Diese
pflegerischen Experten sind rund
um die Uhr für die Pflegenden da
und unterstützen bei Fragen oder geben praktische Hilfestellung.
Weltweit gibt es derzeit 406 Magnetkliniken – in Europa allerdings
keine einzige. Woran liegt das?
Das hat unterschiedliche Gründe.
Zum einen sind die Anforderungen
sehr hoch – in Deutschland würden
wir allein an der 80-Prozent-Bachelor-Hürde scheitern -, zum anderen
ist das Prüfverfahren sehr teuer und
aufwendig. Zudem hat das American
Nurses Credentialing Center – das
ANCC – erst vor wenigen Jahren
begonnen, das Konzept international
aktiv zu vertreten. In einigen Punkten sind die USA auch deutlich weiter als wir, das betrifft vor allem pflegesensitive Outcomes, Qualifikationen, aber auch Patienten- und Mitarbeiter-Befragungen.
Spätestens
wenn es demnächst Zu- und Abschläge bei der Vergütung der Krankenhausleistungen abhängig von der
erbrachten Qualität geben wird, wird
sich das rasch ändern.
Gibt es Möglichkeiten, nur Teilelemente des Konzepts umzusetzen?
Die Schwester Der Pfleger 54. Jahrg. 3|15
„MAGNETKRANKENHÄUSER
WEISEN EINE SEHR HOHE
PATIENTENZUFRIEDENHEIT UND
ÜBERDURCHSCHNITTLICH
GUTE ERGEBNISSE AUF.“
Helene Maucher ist Pflegedirektorin der
Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm.
Kontakt: [email protected]
Ja, die gibt es, und viele Kliniken setzen auch schon einzelne Elemente
des Konzepts um. Ein Zwischenschritt ist das Programm MagnetPathway – ein abgespecktes Programm, das Kliniken auf dem Weg
zum Magnetkrankenhaus durchlaufen können. Das kann sehr hilfreich
sein, um einen Anfang zu bekommen und einzelne Bausteine des
Magnetkonzeptes schon mal anzugehen. Für die Kliniken lohnt das auf
jeden Fall, denn Magnetkliniken haben äußerst zufriedene Mitarbeiter
und eine durchweg sehr geringe
Fluktuation. Genau hieran hakt es ja
in Deutschland.
Haben Sie nach Ihrer Hospitation
auch Bausteine des Konzepts umgesetzt?
Ja, ich habe mich nach meiner Hospitation mit unserem Geschäftsführer zusammengesetzt und wir haben
gemeinsam überlegt, was wir in unserem Haus umsetzen können. Wir
sind dann beispielsweise mit dem
Konzept der Rounding Nurses gestartet, die mit Atmungstherapeuten
der Intensivstationen besetzt sind.
Zunächst gab es etwas Widerstand
von den Pflegenden auf den Normalstationen, mittlerweile ist die
Rückmeldung sehr positiv. Überhaupt bilden wir gezielt Experten
WAS IST EIN MAGNETKRANKENHAUS?
In den 1980er Jahren herrschte in den USA ein nationaler Pflegenotstand. Dabei
wurde festgestellt, dass manche Kliniken sowohl Pflegepersonal als auch Patienten
„wie Magneten“ anzogen haben, und dabei wirtschaftlich erfolgreich waren. Im
Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung wurden daraufhin fünf Stärken dieser „Magnetkrankenhäuser“ herausgearbeitet: transformationale Führung, strukturelles Empowerment, beispielhafte professionelle Praxis, neues Wissen und Innovationen sowie messbare Versorgungsergebnisse (ANCC 2008). Diese sind heute die
Grundlage für die Anerkennung als Magnetkrankenhaus durch die Zertifizierungsorganisation ANCC (American Nurses Credentialing Center). Die meisten TopKliniken in den USA haben auch die Magnetkrankenhaus-Anerkennung.
Die zentralen Themen in Magnetkrankenhäusern sind Führung sowie der Mut
zur Transformation des aktuellen Systems. Es geht dabei um Verantwortungsübernahme, um Beharrlichkeit und letztendlich auch um das Vertrauen in die Disziplin
Pflege. Es geht um Kulturentwicklung und die Gestaltung eines Klimas, in dem
der Patient im Mittelpunkt steht und die Berufsgruppen stolz sind auf das, was sie
leisten. Es geht um eine Führung, die Verantwortung teilt und die Menschen
begeistert, selbst Verantwortung zu übernehmen.
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1. ULMER PFLEGEMANAGEMENTKONGRESS
AM 9. UND 10. JULI 2015
Von den Besten lernen – Erfolgsprojekt in den USA
als eine (neue) Chance für Deutschland?
Auf dem 1. Ulmer Pflegemanagementkongress werden die Stärken eines Magnetkrankenhaus vorgestellt, die Erfahrungen von Magnetkrankenhäusern in den
USA diskutiert und innovative Konzepte in deutschen Kliniken und der deutschen
Kliniklandschaft vorgestellt. Bereits umgesetzte Projekte werden dargestellt und
in Verbindung zum Modell des Magnetkrankenhauses gesetzt.
Zu den Referenten gehören Pflegedirektoren, Pflegewissenschaftler, Vertreter
der Berufspolitik und Pflegende. Aus den USA kommt eine Pflegedirektorin der
Klinik Shands-Jacksonville, Florida, die dort für die Themen Magnetkrankenhaus
und Weiterentwicklung verantwortlich ist.
Veranstaltungsort: RKU – Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm gGmbH
Oberer Eselsberg 45, 89081 Ulm
Anmeldung: RKU IBF – Stephan Schwarz, [email protected]
weiter und bezahlen diese nun
auch besser. Dann versuchen wir,
die Pflegenden stärker in Projekte einzubinden und ihnen wenn
möglich auch die Verantwortung
zu übertragen. Ziel bei allen
Maßnahmen ist, die Berufsgruppe der Pflege zu stärken und sie
in Entscheidungen einzubinden.
3
Sie planen für Juli 2015 zusammen
mit dem DBfK eine Konferenz zum
Thema Magnetkliniken. Was ist das
Ziel dieser Veranstaltung?
Wir wollen für das Konzept begeistern und für die Bedeutsamkeit des
Themas sensibilisieren. Und wir
wollen zeigen: In vielen Kliniken
werden durchaus schon Bausteine
des Programms umgesetzt. Einer der
Referenten ist Franz Wagner, Bundesgeschäftsführer des DBfK, der sich sehr
für das Thema engagiert und selbst
Commissioner ist, also mit darüber entscheidet, ob ein Magnet-Status verliehen wird oder nicht. Er wird einen Blick
über den Tellerrand werfen und das Programm „Vom Pathway to Excellence“
vorstellen. Dann wird Roberta Christopher, Direktorin für Magnet and Nursing Research am Shands Hospital in
Jacksonville, aus den USA einfliegen,
um über ihre Erfahrungen mit dem
Magnetprogramm zu berichten. Daneben gibt es viele weitere spannende Vorträge und Aktionsinseln mit Speakers
Corner. Wir hoffen, den Magnetgedanken in Deutschland mit dem Symposium voranzutreiben und eine Plattform
zu bieten, wo sich Interessierte austauschen können.
Viel Erfolg und herzlichen Dank für
das Gespräch, Frau Maucher.
Das Interview führte Brigitte Teigeler.
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