Das 4-Schritte-Modell der Gewaltfreien Kommunikation Das 4-Schritte-Modell unterstützt uns dabei, uns und andere empathisch wahrzunehmen, die wertschätzende innere Haltung zu erlangen und im Alltag umzusetzen. Es besteht aus zwei Mal vier Schritten, die uns helfen, uns selbst und unserem Gegenüber verständnisvoll und mitfühlend zu begegnen. Die vier Schritte Bitte / Handlungswunsch konkret, erfüllbar, positiv Bedürfnis was ich in diesem Moment brauche Gefühl ohne Vorwürfe oder Schuldzuweisungen Beobachtung / Situation ohne Bewertung oder Interpretation Diese vier Schritte beziehen wir • auf uns selbst (Selbsteinfühlung), das heißt, wir verstehen uns erst einmal selbst und • auf die andere Person (Einfühlung in den anderen), das heißt, wir vermuten, was in der anderen Person vorgeht, was sie uns eigentlich sagen will Diese Einfühlung wird dann kommuniziert: Selbsteinfühlung Ich nenne, so aufrichtig wie ich kann, meine Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten 1. Beobachtung /Situation: „Wenn ich sehe / höre, dass…“ 2. Gefühl: „…fühle ich mich…“ 3. Bedürfnis: „…weil ich…brauche…“ 4. Bitte /Handlungswunsch: „…bist du bereit, …zu tun?“ Einfühlung geben Ich errate, so gut ich kann, deine Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten 1. Beobachtung /Situation: „Wenn du siehst /hörst, dass…“ 2. Gefühl: „…fühlst du dich dann…“ 3. Bedürfnis: „…weil du …brauchst?“ 4. Bitte /Handlungswunsch: „Hättest du gerne…?“ Die 4 Schritte im Detail 1. „Ich hab´s genau gesehen! – Oder?!“ Beobachtungen von Bewertungen trennen Wenn wir uns über das Verhalten unserer Mitmenschen oder sogar unser eigenes Handeln ärgern, vermischen wir Wahrnehmungen häufig mit einer Bewertung, Interpretation oder Mutmaßung. Das führt immer wieder dazu, dass unser Gegenüber das darin enthaltene Urteil hört und deshalb verschlossen oder angriffslustig reagiert. Im ersten Schritt werfen wir unsere Urteile, Unterstellungen und Deutungen allesamt über Bord und fragen uns stattdessen: „Was sehe ich?“ oder „Was höre ich?“. Unser Tipp: Trennen Sie Beobachtungen von Bewertungen und lassen Sie Interpretationen und eigene Gedanken über das, was der andere ist, weg. Bedienen Sie sich dabei des „Kamerablicks“ und nehmen Sie ausschließlich wahr, was eine Kamera gerade aufzeichnen würde. Nur diese sinnliche Wahrnehmung auf sachlicher Ebene wird ausgedrückt. Beispiel: Beobachtung mit Bewertung: „Die Küche sieht schon wieder aus, wie ein Saustall!“ Beobachtung: „In der Spüle liegt benutztes Geschirr und auf dem Fußboden liegen Krümel.“ 2. „Nur wegen dir geht`s mir schlecht! – Oder?!“ Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen Im zweiten Schritt erforschen und äußern wir, was hinter unserem Ärger steckt und wie wir uns gerade fühlen. Ärger und Wut tauchen nämlich selten allein auf. Sie überdecken die sog. „Primärgefühle“, wie z. B. frustriert, hilflos, angespannt, gestresst o.ä.. Primärgefühle sind dabei als Wegweiser zu unseren Bedürfnissen zu betrachten. (hilflos => z. B. Wunsch nach Unterstützung). Dabei sehen wir nicht, wie allgemein üblich, den Grund für unsere Gefühle in den Handlungen der anderen, wie z.B.: „Ich fühle mich unverstanden von dir.“ „Ich fühle mich ausgenutzt, weil du…“ „Ich bin enttäuscht, weil du…“ „Ich habe das Gefühl, du manipulierst mich.“ Diese Formulierungen nennen nicht das reine Gefühl, sondern einen Gedanken über das Verhalten und die Person unseres Gegenübers. Solche Interpretationen enthalten bereits einen versteckten Vorwurf, den der andere hört. Er verschließt die Ohren und geht in den Rückzug oder in den Gegenangriff. In der GFK sprechen wir von uns selbst. Beispiele: „Ich bin traurig, weil ich gerne Zeit mit dir verbracht hätte.“ „Ich bin ärgerlich, weil ich mir Unterstützung gewünscht hätte.“ Wir unterscheiden in der GFK zwischen dem Auslöser und der Ursache unserer Gefühle. Der Auslöser ist das Verhalten des anderen. Die Ursache sind unsere Bedürfnisse, die durch das Verhalten des anderen gerade nicht erfüllt werden. Also: Nicht das Verhalten des anderen ist verantwortlich für unsere Gefühle, sondern unsere erfüllten und unerfüllten Bedürfnisse. 3. Bedürfnisse und Strategien Was ist mir gerade wichtig? Im dritten Schritt teilen wir unser Bedürfnis mit, also das, was wir gegenwärtig brauchen und uns wichtig ist. Dabei geht es nicht um Strategien, also um vorgefasste Ideen und Wege zur Bedürfniserfüllung (z. B. „die soll jetzt endlich aufräumen“), sondern um antreibende Motive, wie z. B. Anerkennung, Kooperation, Akzeptanz, Respekt, Entwicklung, Fürsorge etc.) Alle Menschen auf der Welt haben dieselben Bedürfnisse, allerdings zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Ausprägung (Bedürfnishierarchie). Bedürfnisse sind im Gegensatz zu Strategien unabhängig von bestimmten Personen, Zeiten und Orten. 4. Bitten ist nicht schwer – Oder?! Von der Kunst des Bittens Im vierten Schritt drücken wir eine Bitte aus. Dabei geht es darum, was wir selbst oder unser Gegenüber tun können, um unser Bedürfnis zu erfüllen? Wenn wir dem anderen unsere Gefühle und Bedürfnisse dargelegt haben und dieser die Hintergründe versteht, erhöht sich seine Bereitschaft, mit uns an einem Strang zu ziehen. Die Bitte sollte konkret und positiv formuliert werden und im hier und jetzt erfüllbar sein. Bitten sind von Forderungen zu unterscheiden: eine Bitte kann erfüllt oder nicht erfüllt werden (Freiwilligkeit). Wenn Menschen selbst entscheiden können und die Möglichkeit haben, mit „nein“ zu antworten, ohne dafür beschuldigt oder bestraft zu werden, werden sie die Bitte in der Regel gern erfüllen. Eine wirkliche Bitte, in der wir ohne zu fordern unsere Gefühle und Bedürfnisse äußern, erhöht die Chance, die Bitte und damit unser Bedürfnis erfüllt zu bekommen. Trotz Ärger und Kritik konstruktiv bleiben Ärger kommt häufig dann auf, wenn Vereinbarungen und Absprachen nicht eingehalten werden oder wenn Kritik auf taube Ohren stößt. Die Ärgerfalle schnappt schnell und heftig zu, begleitet von verurteilenden Gedanken wie „Der ist ja total uneinsichtig und kritikunfähig!“ Überflutet von diesen Gedanken und Gefühlen werden Dinge gesagt, die oft alles nur noch viel schlimmer machen. Der Ball „wer hat Schuld?“ wird hin und her geworfen bis der Streit schlussendlich eskaliert. Damit Kritik auf offene Ohren stößt, sind einige wesentliche Aspekte zu beachten: 1. Erkennen Sie die wesentliche Chance, die im Ärger liegt Ärger ist gut! Betrachten Sie Ihren Ärger als etwas Nützliches, als etwas, dass Sie weiter bringt. Ärger ist ein Warnsignal, eine Art Meldesystem, um zu bemerken, dass gerade etwas ganz Wesentliches fehlt. Er zeigt Ihnen an, wenn Wünsche und Sehnsüchte, wie z.B. Verständnis, gehört werden, Respekt, Effektivität oder Kooperation unerfüllt bleiben und fordert Sie auf, Abhilfe zu schaffen. Fragen Sie sich doch einmal selbst: Wie denken Sie eigentlich über Ärger und Wut? Wozu sind diese Gefühle gut? Nutzen Sie bereits die Chance, die im Ärger liegt? Wandeln Sie schon Ärger und Wut in positive, konstruktive Energie? 2. Drücken Sie die innere Stopptaste Wenn das Warnsignal „Ärger und Wut“ angeht, braucht es anfangs etwas Übung, um überhaupt zu erkennen, was tatsächlich hinter dem Ärger steckt. Dabei ist es wichtig, den Blick von Vorwürfen und Erwartungen an den anderen wegzulenken, hin zu den eigenen Bedürfnissen. Starke Emotionen, wie Ärger und Wut, blockieren allerdings das Wahrnehmen und Ausdrücken von dem, was eigentlich wichtig ist. Das führt dazu, dass der Dialog sich ausschließlich um Vorwürfe und Schuldzuweisungen dreht und letztendlich zu nichts führt. Aus dieser Spirale gilt es auszusteigen, damit sich die Chance, wirklich gehört und verstanden zu werden, erhöht. Unser Tipp: Drücken Sie die innere Stopptaste und unterlassen Sie weitere Vorwürfe, Schuldzuweisungen und Forderungen. 3. Wechseln Sie die Perspektive und sprechen Sie von sich Sobald es gelungen ist, die innere Stopptaste zu drücken, empfehlen wir Ihnen, in den „Reflexionsmodus“ zu schalten. Hier bewegen Sie bitte die nachstehenden Fragen: a.) Was sehe ich/höre ich? Trennen Sie Beobachtungen von Bewertungen mit Hilfe des „Kamerablicks“ und nehmen Sie ausschließlich wahr, was eine Kamera gerade aufzeichnen würde. b.) Welche Gefühle stecken hinter meinem Ärger? c.) Was ist mir gerade wichtig? (Bedürfnis) d.) Was kann ich oder mein Gegenüber tun, um mein Bedürfnis zu erfüllen? Den Ärger aufrichtig und gleichzeitig wertschätzend ausdrücken Mit etwas Geduld und Übung gelingt es Ihnen nach und nach mehr, sich selbst besser zu verstehen, so dass Sie langfristig auch in schwierigen Situationen deutlich gelassener bleiben. Da Ärger und Wut richtige Energiefresser sind, hier noch einige Anregungen, wie Sie die richtigen Worte finden, wenn Ihnen der Hut hoch geht. 1. Wahrnehmung des Auslösers und der „Ärgergedanken“ Was hat jemand gesagt oder getan, das Sie stört oder aufregt? Welche Urteile haben Sie über den anderen oder sich selbst im Kopf? 2. Welches Ihrer Bedürfnisse kommt dadurch gerade zu kurz? 3. Wie fühlen Sie sich dadurch gerade? 4. Handlungsorientierte Bitte Was können Sie selbst und der andere jetzt konkret tun, um Ihr Bedürfnis zu erfüllen? Bedürfnisse (Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie dient Ihrer Inspiration und der Erweiterung des Bedürfniswortschatzes. Autonomie (Wahlfreiheit in Bezug auf eigene Ziele, Träume und Werte und deren Erfüllung) Authentizität / Echtheit Angenommenwerden Anerkennung / Respekt / Wertschätzung Austausch / Kontakt / Verbindung / Liebe Bewegung Beachtung / Gesehenwerden / Bewunderung Beitragen / Beteiligen Bildung / Verstehen / Verständnis Ehrlichkeit / Aufrichtigkeit Einfühlung / Mitgefühl / Wärme Entspannung / Schlaf / Ruhe Entwicklung / Lernen Feiern / Trauern (das Leben feiern und über den Verlust von Menschen / Träumen trauern) Freiheit Freude / Spiel / Spaß Frieden Geborgenheit / Nähe / Zärtlichkeit Gemeinschaft Harmonie / Schönheit Integrität (Übereinstimmung zwischen Handeln und den eigenen Werten) Inspiration Kreativität Selbstständigkeit / Selbstbehauptung / Selbstvertrauen Sinnhaftigkeit / Ordnung / Struktur Sicherheit / Schutz / Fürsorge Vertrauen Zugehörigkeit Zuverlässigkeit (Übereinstimmung zwischen Worten und Taten) Gefühle, die wir haben, wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind abenteuerlustig frei sorglos angenehm freudig stolz angeregt friedlich tatkräftig atemlos fröhlich übermütig aufgeregt geborgen überrascht ausgelassen gelassen überwältigt beflügelt glücklich unbekümmert begeistert heiter verblüfft belebt hingerissen vertrauensvoll belustigt hoffnungsvoll verzückt berührt interessiert wach dankbar involviert wachsam empfindsam jubelnd warm enthusiastisch lebendig weich entzückt liebevoll wertgeschätzt erfrischt lustig wissbegierig erfüllt mutig wohl erhaben neugierig wonnig erheitert offen wunderbar erleichtert optimistisch zärtlich erlöst ruhig zufrieden erregt selig zugeneigt erstaunt sicher zuversichtlich Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie dient Ihrer Inspiration und der Erweiterung des Gefühlswortschatzes. Gefühle, die wir haben, wenn unsere Bedürfnisse unerfüllt sind abwesend erschöpft niedergedrückt ängstlich erschrocken passiv angespannt gehemmt pessimistisch apathisch gelangweilt ungeduldig bekümmert gleichgültig unruhig belastet hilflos unsicher besorgt irritiert schwermütig bestürzt kalt träge bitter kribbelig traurig desinteressiert matt überlastet durcheinander mies verloren einsam müde verwirrt elend mutlos verzweifelt entsetzt neidisch wütend enttäuscht nervös Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie dient Ihrer Inspiration und der Erweiterung des Gefühlswortschatzes. Gefühle, die mit Interpretationen vermischt sind (Pseudogefühle) Häufig sagen wir: „Ich fühle mich…“ und benennen dann nicht ein wirkliches Gefühl, sondern eine Interpretation, einen Gedanken… Beispiele: „ Ich fühle mich… angegriffen ausgenutzt betrogen bevormundet eingeschüchtert erniedrigt gequält hintergangen manipuliert missverstanden nicht beachtet nicht geachtet nicht gesehen nicht respektiert nicht geliebt provoziert übergangen unterdrückt verlassen vernachlässigt verstoßen Literaturempfehlung: Marshall B. Rosenberg Gewaltfreie Kommunikation Eine Sprache des Lebens Junfermann Verlag Klaus-Dieter Gens Mit dem Herzen hört man besser Junfermann Verlag Marshall B. Rosenberg Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation Ein Gespräch mit Gabriele Seils Herder Verlag Susann Pasztor und Klaus-Dieter Gens Ich höre was, das du nicht sagst Gewaltfreie Kommunikation in Beziehungen Junfermann Verlag Ingrid Holler Trainingsbuch Gewaltfreie Kommunikation Junfermann Verlag Marshall B. Rosenberg Kinder einfühlend ins Leben begleiten Elternschaft im Licht der Gewaltfreien Kommunikation Junfermann Verlag
© Copyright 2024 ExpyDoc