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vom 11.04.2015
„Wir hören gerne Songs in Mandarin“
UNTER EINEM DACH (2):
Yichao Cheng (China) und Sheung Lee (China/Hongkong) fühlen sich als Chinesen einer neuen Generation
eine Privatschule in Hongkong gegangen
und gibt zu bedenken: „Es ist nie eine
Struktur, ein System oder eine Institution,
die Druck aufbauen – Druck machst du dir
höchstens selber.“
Doch, findet Yichao, wenn die Lehrer
nicht das Verstehen fördern, sondern viel
mehr Wert zum Beispiel auf das Auswendiglernen legen, dann sind das Vorgaben,
die drücken. Sie konnte standhalten. Ihre
Eltern haben sie nie unter Druck gesetzt –
sondern immer darauf bestanden, dass sie
eigene andere Dinge macht, die ihr gut
tun. So haben es auch Sheungs Eltern gehandhabt – anders als Yichao aber hat er
seine Lehrer erlebt: „Das wichtigste war
ihnen, uns Lebenskompetenz auszustatten. Wir sollten bei ihnen lernen, wie wir
an unser Wissen kommen.“
Vo n u n s e r e r R e d a k t e u r i n
Julia Littmann
Als die Kronkolonie Hongkong am
1. Juli 1997 an China zurückgegeben
wurde, war Sheung Lee noch nicht einmal geboren. Das heißt, er kam gut ein
Jahr nach der Übergabe in der 7-Millionen-Stadt Hongkong – ganz offiziell – als
Chinese zur Welt. Genau so wie auch
Yichao Cheng selbstverständlich Chinesin ist, geboren rund 3000 Kilometer
nördlich von Hongkong in der 2,7-Millionen-Stadt Qinhuangdao.
Dass das Verhältnis zwischen Sheung und
Yichao entspannt ist, vermittelt sich sofort. Und doch ist klar, dass das Verhältnis
zwischen der Sonderverwaltungszone
Hongkong und der Zentralregierung keineswegs genauso entspannt ist. Im August 2014 – just nach der Ankunft der beiden jungen Chinesen im United World
College in Freiburg – gab es weltweit viel
Aufmerksamkeit für die Proteste der Demokratiebewegung in Hongkong. Da waren Yichao, 17, und Sheung, 16, jedoch
vor allem mit Ankommen beschäftigt.
Beide starteten quasi in eine neue, spannende Welt: den internationalen Campus, der gerade in Freiburg als „RobertBosch-College“ losgelegt hatte.
„Mit dieser ganzen Hongkong-Sache
kenne ich mich nicht wirklich gut aus“,
sagt Yichao, „es war irgendwie nie so ein
großes Thema.“ Für Sheung schon eher:
Er hat vor einiger Zeit einen Vortrag für
seine Mitschüler gehalten, in dem er darüber sprach, welchen Hindernissen sich
Hongkong auf dem Weg zu demokratischen Verhältnissen gegenüber sieht. Anders als die sogenannten Festlandchinesen genießen die Hongkonger einen Autonomiestatus mit marktwirtschaftlichem System. Jedoch mischt sich die Zentralregierung in Peking immer wieder in
die Innenpolitik ein – das führt zu Spannungen und Auseinandersetzungen.
Neidet man den Hongkongern ihren
Sonderstatus? Gar die Marktwirtschaft?
Yichao widerspricht: „Nein! Auf gar keinen Fall! Hongkong ist ein begehrter, guter Ort und auch ein erfolgreicher Ort,
das ist großartig!“ Und wie denkt man
„Wir tragen zu
diesem neu Entstehenden
etwas Eigenes bei.“
Sheung Lee und Yichao Cheng
quer durch China über die Demos im August? „Unser Land ist riesig und überall
kennen wir diese Situation, dass es Auseinandersetzungen zwischen den Regionen und der Zentralregierung gibt – es ist
eher so, dass man in so einer Situation
mitfühlt.“
Für Yichao und Sheung stehen diese
Themen nicht an oberster Stelle – wenn
sie denn aufkommen, betrachten sie beide sie nicht als Konflikt untereinander.
„Wir sind beide Chinesen“, sagt Sheung
fröhlich, „wir reden Mandarin miteinander, also, zumindest, wenn wir es eilig haben – und wir hören bestimmte Songs gerne in Mandarin, aber meistens sprechen
wir englisch – wie alle hier – und damit
uns die anderen auch verstehen.“ Noch
universeller ist eine andere Sprache, in
der sich beide verständigen können: die
Musik. Sheung spielt Klavier und Geige
FOTO: THOMAS KUNZ
seit er vier ist. Dass es ihn nun in das Land
verschlagen hat, in dem Beethoven geboren wurde, ist für ihn zutiefst bewegend.
Yichao spielt von klein auf die traditionelle chinesische Bambusflöte. Allerdings
ging schon gleich in den ersten Tagen in
Freiburg ein Teil kaputt und das ist tatsächlich ein bisschen Drama: Sie hat kein
Ersatzteil mitgebracht – und kann schon
seit Wochen nicht mehr musizieren.
Befragt nach Unterschiedlichkeiten,
schauen sich beide lange ratlos an. Endlich gleitet ein Strahlen über Sheungs Gesicht: „Ich spreche natürlich Chinesisch,
aber vor allem spreche ich Kantonesisch,
das kann Yichao nicht.“ Auch ihre bisherigen Schulkarrieren nennt Yichao sehr
verschieden voneinander. Sie selber hat
das chinesische Schulsystem als extrem
stressig empfunden: „Da lastet sehr viel
Druck auf den Schülern!“ Sheung ist auf
Völlig einig sind sich Yichao und Sheung darin, was sie im United World College gesucht und gefunden haben, erzählen sie: „Wir wollten beide viele Leute aus
vielen Ländern und Lebensumständen
kennenlernen – und indem wir in einem
College sind, das mit uns entsteht, nutzen
wir nicht etwas, das schon da ist, sondern
wir tragen zu diesem neu Entstehenden
etwas Eigenes bei.“ Im (Skype-) Gespräch
mit Eltern und Freunden ist davon viel die
Rede. Dass hier ein Hongkong-Chinese
und eine Chinesin in beständigem Austausch sind, ist jedoch kaum eine Randnotiz in ihren Facebook-Einträgen: „In unserer Generation ist das einfach normal!“
Zur Zeit des Kalten Krieges entstand das
Konzept der United World Colleges. Die
Idee des deutschen Gründers und Pädagogen Kurt Hahn: Menschen müssen
sich kennen, um friedlich miteinander leben zu können. Mittlerweile gibt es 14
UWCs auf fünf Kontinenten.
Viel Einblick gibt die Website:
www.uwcrobertboschcollege.de