Die Zukunft der Informationsinfrastruktur Elmar Mittler Potsdam 17.3.2015 Analoge Printwelt und Bibliotheken Buch als in sich geschlossenes physisches Objekt mit einem „eingefrorenem“ Stand der Forschung als kostenpflichtiges (kommodifiziertes) Verlagsobjekt Einbringen in dynamischen Wissenschaftsprozess durch die Bibliotheken. – Kontinuierliches Erwerben (Versionskontrolle) – Integration in Wissenschaftskontexte (Erschließung ) Traditionelle Sammlung, die Kontext bietet, nicht nur content bereitstellt Bibliotheken bieten vor allem aber (Kosten)Freie Nutzung durch Dekommodifizierung Optimierung durch Netzwerkbildung in Erwerbung und Nutzung mit EDV-Unterstützung Randbedingung: Urheberrecht mit – Erschöpfungsgrundsatz und – Schrankenregelungen (insbesondere Kopieren mit Abgabe) Bibliotheken als Garanten und Monopolisten der Information Ergebnis: Bibliotheken bieten Liefergarantie und (weitgehend auch kosten) -freien Zugang in einem flächendeckenden Netz von der Staats- und nationalen Zentral- oder Sondersammelgebietsbibliothek bis zur Öffentlichen Bibliothek im Bedarfsfall auch im kleinen Ort wie es der Bibliotheksplan 73 als strukturiertes System fordern und konkret entwerfen konnte. Als Garanten der Information hatten sie zugleich eine Art der Monopolistenposition Digitale Informationswelt im Alltag Scheinbar völlige Umkehr der Situation – Von der Bedarfsgesellschaft zur Überflussgesellschaft. (Bild Petrarca) – Für den Durchschnittsbürger (und damit auch den Politiker) alles relevante Wissen über das Internet durch die Allmende Wikipedia oder Google & Co erreichbar. Scheinbare Kostenfreiheit durch neues Businessmodell – Zunächst vor allem auf Anzeigeneinnahmen gestützt, – inzwischen zusätzlich durch heimliches Nutzen und Weitergabe verkaufsrelevanter Informationen über den Verbraucher gewinnträchtig ausgebaut. Daneben von Nutzerseite Entwicklung von Tauschbörsen, die kostenfreien Zugang zu Medien ermöglicht. Das digitale Objekt Potentielles Gegenmodell zum gedruckten Buch digital Dynamisch Multimedial Verlinkt Ubiquitär Wiedernutzbar (reusable) gedruckt Statisch Buchstaben und Bilder Isoliert Nur am jeweiligen Standort vorhanden Nicht direkt nachnutzbar Das digitale Verlagsobjekt oder der Verleger als Monopolist Statisch (DOI) Multimedial Verlinkt aber nur Limitiert nutzbar Ubiquität und freie Weiternutzung reduziert Lizenz statt Kauf Kein Erschöpfungsgrundsatz – Lizenzregelungen können ev. bestehende Schranken überschreiben Überstarke Position des Inhabers der Verwertungsrechte Eingeschränkte Rolle/Krise der Bibliotheken Dekommodifizierung für die Wissenschaft erfolgt weiter durch Bibliotheken – Es gibt keine Tauschbörsen – Bibliotheken im Prinzip weiterhin einzige Garanten der allgemeinen Information – aber unter sehr einschränkenden Randbedingungen. – Zur Überwindung der Situation Konsortien Nationallizenzen – Folgen Flächendeckende Versorgung mit digitalen Medien überschreitet Finanzierungsmöglichkeiten Umfassende Förderung des „last resort“-Systems der Sondersammelgebiete wird von DFG nicht mehr aufrecht erhalten Liefergarantie durch Bibliotheken ist nicht mehr gesichert FID Als Kernaufgabe der als System gedachten Förderlinie wird die qualifizierte Versorgung einer Fachcommunity mit gedruckten und elektronischen Ressourcen und allen relevanten Medienarten sowie mit komfortablen Nachweis- und Suchinstrumenten verstanden. Diese Aufgabe steht nicht mehr unter dem Primat der Vollständigkeit, schließt je nach individuellen Interessen der Fächer jedoch einen vorsorgenden Bestandsaufbau nicht aus. Oberstes Prinzip ist die Beachtung aktueller Bedürfnisse und Nutzerinteressen im jeweiligen Fach Künftig ist allein wesentlich, dass bei der Betreuung eine intensive Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Fachcommunities erfolgt, um ein passendes Dienstleistungsangebot zu entwickeln. Diese Zielsetzung setzt voraus, dass jeder Fachinformationsdienst einen möglichst eindeutigen – wenn auch nicht exklusiven – Bezug zu bestimmten Fächern oder Fachcommunities aufweist. Die digitale Transformation weiter gestalten – Der Beitrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu einer innovativen Informationsinfrastruktur für die Forschung.- Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn 2012, Den digitalen Wandel in qualitativ neuen Informationsangeboten antizipieren Fachportale zu fachlich fokussierten Forschungsinformationssystemen entwickeln Angebot offener bibliographischer Daten und Aufbereiten von Texten für semantisches Navigieren EconBiz: nicht mehr das Portal sondern der Service im Vordergrund - Inhalte dort zur Verfügung stellen, „wo gerade gesucht wird: mobil, international, im Social Web oder in populären Suchmaschinen“ Integration in die persönlichen und fach- oder objektspezifischen Forschungsumgebungen der Wissenschaftler.“ TIB: community-Dienste im Rahmen des Open Science Lab – Ziel, die „spezifischen Fachbedarfe in einem künftigen übergreifenden Portal zu integrieren und diese dann als maßgeschneiderte Dienste für die einzelnen .. als FID betreuten Fächer transparent zu machen.“ Forschungsportale 2014 Heft 1 Gasteditoren: Jürgen Christof – Jens Wonke-Stehle Angebote für die dauerhafte Bereitstellung von Forschungsdaten TextGrid http://webdoc.sub.gwdg.de/univerlag/201 5/TextGrid_book.pdf „Rundum-sorglos-Paket“ Wir dürfen nicht zu einem Zeitpunkt, zu dem wir die Forschungsdaten als Aufgabe neu einführen, die Nachhaltigkeit der Literaturversorgung reduzieren. ISBN 978-3-88347-283-6 Wir brauchen eine Serviceschicht der Kulturdomäne R. Altenhöner | Ab in den Himmel: Was kommt jenseits der Cloud? | 04.6.2014 | Bibliothekartag 2014 http://webdoc.sub.gwdg.de/univerlag/2013/Neuroth_Festschrift.pdf Stefan Gradmann Stefan Gradmann Stefan Gradmann Semantisches Publizieren http://e-infranet.eu/wp-content/uploads/2013/03/e-InfraNet-Open-as-the-Default-Modus-Operandi-for-Research-and-Higher-Education.pdf Open access als Notwendigkeit Radikale Umstellung auf open access muss das Ziel sein. – Keine hybriden Zeitschriften mehr untertützen (Kombination oa und Subskription) Publikationspolitik der Universitäten und Forschungsinstitute muss konsequent digitale Publikation fordern und fördern. – Lokale Repositories garantieren digitale Publikationsmöglichkeit unabhängig von finanziellen Einschränkungen – Publikationsfonds finanzieren gold open access bei kommerziellen Verlagen bis zu einem bestimmten Höchstbetrag (Branding) – Darüber liegende Kosten müssen von den Autoren selbst getragen oder über Sponsoring eingeworben werden. Umkehr der Finanzströme vom Subskriptionsmodell zum golden oa ist das Gebot der Stunde Problem extrem kommerzieller Verlage 1. Author of an article pays Wiley 3 000 USD OA publication charges 2. Libraries pay Wiley hefty subscription fee (journal is hybrid OA) 3. Elsevier pays Wiley commercial distribution rights 4. Ross Mounce pays Wiley 31,50 USD (plus tax) access fee Jeder Prozentsatz Gewinn mehr als 10-15% reduziert die wissenschaftlichen Publikationsmöglichkeiten. http://www.scoap3.de/home/ Freikauf auch von Büchern Unglue.it befreit Bücher Humanities Open Book Program Knowledge unlatched Das Portal unglue.it ist umgedrehtes Crowdfunding http://www.knowledgeunlatche d.org/ Sicherung des dauerhaften allgemeinen Zugriffs in Public-private partnership Modell jstor/ Digizeitschriften – Moving wall sichert Abonnements – Mäßige Royalties ermöglichen preiswerten Zugang Modell auch für monographienorientierte Verlage – (Wallstein) Die Crowd kauft Bücher von Rechteinhabern frei und stellt sie anschließend unter CreativeCommons-Lizenz jedem zur Verfügung. PDA Patron driven acquisition als Alternative? Positiv für Verlag: umfassenderes Angebot gelangt direkt an den Endnutzer Positiv für Bibliothek und Leser Zufriedenheitsgrad der Benutzer steigt, weil mehr von ihm benötigte Literatur bereitgestellt wird. Erweiterung durch Erstellung eines fachspezifischen Recherche-Raums (PDA-Modell für FID Medien- u. Kommunikationswissenschaften der UB Leipzig) Probleme für Bibliothek Finanzielle Abhängigkeit vom Verlag Fehlen einer Garantie für Dauerhaftigkeit des Zugriff auf das Gesamtangebot des Verlags bzw. der Titel im fachspezifischen Recherche-Raum. Aktuell nicht gebrauchte Titel stehen ev. nächster Wissenschaftler-Generation nicht zur Verfügung. Konsum statt Nachhaltigkeit Bibliothek + Sammlung - Sicht Peter Strohschneiders Strohschneider spricht vom Eigensinn der Bibliothek, der Sammlung und ihrer Gegenstände. „Wollte man sie […] nur von den aktuell manifesten Gebrauchsfunktionen und Nutzungsinteressen bestimmen, so würde man alsbald beim Gegenteil recht verstandener Nutzerfreundlichkeit anlangen: bei einer reduktionistischen Logik gänzlich von aktueller Nachfrage her induzierter Angebote, welche die Sammlung mit der Vorratshaltung verwechselt“. „Sammeln allein nach dem Maß der Nutzungsfrequenz führt über kurz oder lang dazu, dass in der Sammlung lediglich das noch sich finden lassen wird, was in ihr immer schon gesucht worden ist. Dann lenkt die Sammlung die Aufmerksamkeit gerade ab von dem, was einstweilen erst wenig Aufmerksamkeit fand. Wie die InternetSuchmaschinen bietet sie als belangvoll dann dar, was viele zuvor bereits für belangvoll hielten. So wird sie zu einem Mechanismus, der zukünftiges Neues gerade unwahrscheinlich macht, und das mag in der Unterhaltungsindustrie für einträglich gehalten werden. In der Forschung ist es entschieden systemwidrig.“ Strohschneider, Peter: Faszinationskraft der Dinge. Über Sammlung, Forschung und Universität. In: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 8 (2012) S. 9–26 und ders.: Unordnung und Eigensinn der Bibliothek. Eröffnungsvortrag auf dem 98. Deutschen Bibliothekartag. In: Hohoff, Ulrich; Schmiedeknecht, Christiane (Hg.): Ein neuer Blick auf Bibliotheken. 98. Deutscher Bibliothekartag in Erfurt 2009. Hildesheim. 2010, S. 17–25, hier S. 22 f. Forschung in den Geisteswissenschaften Der Geisteswissenschaftler nutzt Latenz, indem er immer neue Fragestellungen an die Gegenstände und Medien heranträgt. Strohschneider Die Forschungsfrage des Geisteswissenschaftlers lässt sich nicht wie die Hypothese des Naturwissenschaftlers in Versuchen im Labor verifizieren. Sie führt den Forscher vielmehr in einen nicht stringent vorhersehbaren Suchprozess, die er in seinem „Laboratorium“, der Forschungsbibliothek, am empirischen Material überprüfen können muss. „Sie muss ihn darüber hinaus in die Lage versetzen, eine Fragestellung durch die Primär- und Sekundärliteratur verfolgen zu können, gleichviel wohin der Weg ihn führt.“ Bernhard Fabian: Buch, Bibliothek und geisteswissenschaftliche Forschung 1983 Understanding the information and communication technology needs of the e-humanist Elaine G. Toms and Heather L. O’Brien Centre for Management Informatics, Dalhousie University, Halifax, Canada Journal of Documentation Vol. 64 No. 1, 2008 pp. 102-130 Scholars do not just examine one document, but entire collections. (Palmer and Neumann (2002) Unlike other disciplines, humanists do not perform literature searches to identify seminal works Goal-directed searches … are conducted primarily to assess the breadth of existing research rather than target key works. (Talja and Maula, 2003) To an outsider, this research process may seem chaotic and disorderly, but humanists are methodical; by casting a large net, they are able to reassure themselves that their coverage of the field justifies their selection of resources. Neuer Ansatz notwendig Wir brauchen ein nachhaltige Literatur- und Informationsversorung als Teil der zukunftsorientierten Informationsinfrastruktur. Diese auch von Griebel propagierte Forderung hat der Präsident der DFG durchaus unterstützt, wenn er bei dessen Verabschiedung hervorhob, dass es einen förderpolitischen, keinen inhaltilichen Dissens gebe. Wir dürfen aber nicht von den Fördermöglichkeiten der DFG ausgehen sondern sollten neue Finanzierungsformen im Bund-Landerverbund entwickeln (Strohschneider: Beispiel Forschungsschiffe) Dabei ist der Versuch informationelle Autarkiet im Zeitalter der cloud nicht sinnvoll.. Stabile internationale Zusammenarbeit sollten deshalb auf europäischer und atlantischer Ebene aufgebaut werden. Ich weiß das Herr Strohschneider genauso wie ich darauf setzt, dass der Rat für Informationsinfrastruktur hier entscheidende Weichenstellungen setzen kann. Nicht vergesssen: Flüchtige Medien brauchen stabile Institutionen. DANKE FÜR IHR INTERESSE [email protected] Ergänzende Nachweise der Literatur in: Elmar Mittler Nachhaltige Infrastruktur für die Literatur- und Informationsversorgung: im digitalen Zeitalter: ein überholtes Paradigma – oder so wichtig wie noch nie? BIBLIOTHEK Forschung und Praxis 2014; 38(3): 1–21 DOI 10.1515/bfp-2014-0059
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