NDR I Niedersachsen (Radio), 26. Mai 2005 Von den Nazis geraubte jüdische Bibliotheken Volkhard App schon 1933 wurden in Deutschland jüdische Bibliotheken beschlagnahmt, der Raub erreichte dann im Zuge der Pogromnacht einen Höhepunkt, schiiet3iicl-i waren es die zur~ckgelassertenBücher deportierter Bürger, die den Nazis in die Hände fielen. Im Ausland machte sich der ,,EinsatzStab Reichsleiter Rosenbergumit seinen europaweiten Raubzügen einen Namen. Millionen Bände wurden in Kisten und Waggons ins „Reichugebracht, wo verschiedene NSStellen und staatliche Bibliotheken um die üppige Beute konkurrierten. Sehr unterschiedlich sind die Schicksale all dieser geraubten Sammlungen: so wurden 1939 die Buchbestände der Großen Synagoge in Warschau nach Berfin verschleppt - von diesen 50 000 Exemplaren kehrte nur ein Bruchteil nach Polen zurück. Ganz anders die enteigneten Bücher der jüdischen Gemeinde in Hamburg: Teile dieser Bibliothek konnten nach abenteuerlichem Weg früh zurückgeholt werden. Ein Einzelfall. Viele der im In- und Ausland geraubten Bände blieben verscholfen, können in hiesigen Bibliotheken auch nur schwer identifiziert werden und der Stempel ,,Enteignet" auf dem Deckel eines Buches oder der Vermerk ,,verbotenu gibt noch keinen Aufschluß über den früheren Besitzer. Und die damaligen Täter? Bei der hannoverschen Tagung rückte auch deren Profil ins Blidcfdd: z.B. das Paul Heigls, der 1938 nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich Generaldirektor der dortigen Nationalbibliothek wwde. Gern nahm er das Raubgut entgegen: die jüdischen Büchersammlungen aus Wen selbst, aber auch 6 000 Bände eines von den Nazis verbotenen Belgrader Verlags. ,Er war Antisemit, hat sich zwar gegen gewisse, Ratfketypen' gewandt, wie er sie nannte, aber seine eigenen ElwenS.ungennicht als unrechtmäßig eingestuit. " Christina Köstner, die in einer Projektgruppe der Wiener ~ationaibibliothekmitarbeitet. Tausende der dort untersuchten Bücher sollen aus RaubzLigen stammen. Die Bibliotheken sind gefordert, wenn es um die Bestimmung und Rückführung dieser Bücher geht. Vor zweieinhalb Jahren hatte sich die 1. hannoversche Tagung mit einem entsprechenden Appell an die Einrichtungen gewandt. In manche Institution ist Bewegung gekommen: so gab die. Staatsbibliothek zu Berfin Musikalien zurück, die in Paris aus dem persönlichen Bestand des Pianisten Artur Rubinsteins entwendet wurden . - und überführt demnächst die Bibliothek des Rabbiners Leo Baeck.. '.- NDR I Niedersachsen (Radio), 26. Mai 2005 Der Deutsche Bibliotheksverband hat im letzten Sommer an 600 Mitgliedereinrichtungen Fragebogen verschickt, um zu erfahren, wieweit die ~Gcherchenach der Herkunft der eigenen Bücher gediehen ist, die sogenannte Provenienzforschung. Veronica Albrink hat diese Aktion ausgewertet: ,,Die Fragebogenaktion hat gezeigt, dass sich viele Bibliotheken um die Raubgutsuche kümmern, mehr Bibliotheken noch sich damit aber nicht beschäffigen. Etliche Bibliotheken haben ja auch gar nicht geantwortet und die, die geantwortet haben und nicht nach Raubgut suchen, geben mangelnde Personal- und Finanzressourcen als Gründe an. " In der Deutschen Bücherei in Leipzig durchforstet man nach und nach die Bestände. Bislang konnten über 500 Bücher als geraubt ermittelt werden, für gerade mal 60 fand man die Namen der früheren Besitzer heraus. Eine zeitaufwendige, teure Arbeit - das spürt man auch in Leipzig. Jörg Räuber von der Deutschen Bücherei: Wie also steht es um die Provenienzforschung an deutschen Bibliotheken und um die Rückführung einst geraubter Bestände? KlausDieter Lehmann, Präsident der ,,Stiftung Preußischer Kulturbesitz", über die Folgen des 1. hannoverschen Appells: Man muß feststellen, dieser Appell vor zweieinhalb Jahren hat erst einmal Bewusstsein geschaffen. Insofern war das ein Beginn. Man muß aber gleichzeitig sagen, dass wir nicht zufrieden sein können. Die angestoßenen Projekte sind immer noch in einer abstrakten Form, d.h. man beschäffigt sich mit dem Thema, man denkt über Aktivitäten nach, aber eine wirklche Aufarbeitung in den Magazinen, im Depot mit entsprechenden Findbüchem, die sind meines Erachtens noch zu steigern. Da muß sich ein Bewusstsein bei den Bibliotheken enhvickeln, so dass man eine echte Arbeit leistet. " I# Allerdings haben die in Regalen und Archiven mühsam aufgespürten Bände nicht immer einen großen Wert. Man darf es nicht nur an den materiellen Werten messen, das ist ein entscheidender Punkt. Darin besteht der Unterschied zu Museen, wo es oft um spektakuläre Kunstwerke geht. Es ist wichtig, dass Bibliotheken, die selber Teil des Systems waren, in diesen Fällen über ihre Vergangenheit Bescheid wissen." $$ I NDR I Niedersachsen (Radio), 26. Mai 2005 Viel Arbeit steht den Einrichtungen noch bevor; aber die Begegnung mit der Geschichte dieser Bücher Iäßt Bibliothekare nicht unbeeindruckt meint Georg Ruppelt, Direktor der hannoverschen Gottfried Wilhelrn Leibniz Bibliothek: Und ich darf Ihnen sagen, wenn Sie ein Buch in der Hand haben, von dem nachgewiesen ist, dass es einer ermordeten Kollegin gehörte, dann sehen Sie die Dinge noch mit anderen Augen und mit anderem Herzen, als wenn Sie bloß eine abstrakte Schrift darüber lesen. " I, Volkhard App ,,
© Copyright 2024 ExpyDoc