Was Hänschen nicht lernt … - Bibliomedia Schweiz

Was Hänschen nicht lernt …
Lesen ist eine Fertigkeit, die lebenslang geübt werden muss!
Vortrag in der Hauptpost in St. Gallen
6. Februar 2014
Dr. Ruth Fassbind-Eigenheer
Bibliomedia Schweiz, Solothurn
Was ist Schrift?
Eine der wichtigsten Errungenschaften der
Zivilisation: Tradierung von Wissen – unabhängig von Raum und Zeit
Entstehung der Schrift
• Ca. 5‘000 vor Christus: erste Verwendung
von Zeichen in Form von Inschriften
• Wiege(n) der Schrift: Südosteuropa, Naher
Osten, China
• Naher Osten: Mesopotamien, Ägypten,
Phönizier
• Phönizisch: Basis für Hebräisch,
Griechisch, Arabisch = Alphabete aus
Konsonanten und Vokalen!
Entwicklung der literalen Kompetenz in
Westeuropa
• Ca. 700 n. Chr.: kleine Schicht Klerus/Adel mit
Lese- und Schreibkompetenz > Verbreitung von
handschriftlichen Kopien (in Skriptorien
hergestellt, in Klosterbibliotheken aufbewahrt)
• Ca. 1500: Verbreitung von Lese- und Schreibkompetenz im erstarkenden Bürgertum (Mitte
15. Jh.: Erfindung des Buchdrucks mit
beweglichen Lettern)
• Ca. 1850: Lesen und Schreiben für alle (= Volksschule), Gründung von ersten
„Volksbibliotheken“
Individueller Schrifterwerb
• Fähigkeit zur Sprache ist angeboren >
muss individuell entwickelt werden
• Fähigkeit zur Schrift: jede/jeder muss sie
für sich selbst erwerben, entwickeln und
üben – und dies ein Leben lang!
Lesen – eine Kunst!
• Lesekompetenz = ein Bündel von
Teilfähigkeiten
• Angesiedelt auf unterschiedlichen Ebenen
• Betreffen Kognition (Verstand) und
Persönlichkeit des Individuums, sind
eingebettet in soziale Situation
Individuelle Lesekompetenz
Dimensionen der Lesekompetenz:
• Prozessebene: Wort- und Satzerkennung,
Erfassung des Inhalts und der Textstruktur
• Subjektebene: Selbstkonzept als (Nicht-)
Leser/in = Wissen, Beteiligung, Motivation,
Reflexion
• Soziale Ebene: Anschlusskommunikation =
Familie, Schule, Peers
Aspekte der Leseförderung
• Lautleseverfahren > Wort- und Satzbestimmung
und Zusammenhang
• Vielleseverfahren > Wort- und Satzbestimmung,
Selbstkonzept
• Lesestrategietraining > Textwahrnehmung in
Zusammenhang
• Leseanimation > Selbstkonzept, Anschlusskommunikation
• Literaturunterricht > Wahrnehmung von
Textstrategien, Selbstkonzept, Anschlusskommunikation
Lesemotivation
• Amotivation („ich will nicht“): Erleben von
Inkompetenz, keine Wertschätzung > Vermeiden
von Lesen
• Fremdbestimmte Motivation („ich muss, sonst“):
Fügsamkeit, Restriktionen > Lesen für
Schulnoten, Wettbewerb
• Selbstbestimmte Motivation („ich will, um zu/ich
tue es gerne“): Übereinstimmung mit dem Selbst,
Interesse, Freude, Befriedigung > soziale
Einbindung, Freude an Texten
Wie wird man zum Leser?
Viele Kinder lesen keine Bücher, weil sie nicht
(richtig) lesen können. Sie können nicht (richtig)
lesen, weil sie keine Bücher lesen.
Richard Bamberger: Erfolgreiche Leseerziehung
in Theorie und Praxis. Wien, 2000
Bibliothek und Schule
Eine gezielte schulische Leseförderung bedingt
eine grosse Buchauswahl!
Grundlage dafür bieten:
• Klassenzimmerbibliotheken
• Schulbibliotheken
• Gemeinde-/Stadtbibliotheken
Barbara Sträuli in: „Leseknick – Lesekick“, S. 54: „Jedes Kind
hat Zugang zu mindestens zwei von drei Bibliotheken“.
Öffentliche Bibliothek und Schule
• Bibliotheksbesuche: altersspezifische Einführungen, freie Medienauswahl und Animationen
(z.B. Bibliotheksralley, Geschichtenerzählen)
Öffentliche Bibliothek und Schule
• Bereitstellen von Medienkisten
(Bücher, Nonbooks)
Freihandbibliothek St. Gallen:
Medienkiste „Frösche“
• Unterstützung bei Klassenprojekten (Recherche,
Materialien, Ideen und Tipps) oder Schulhausprojekten (z.B. Lesewochen)
Nutzung Öffentlicher Bibliotheken
• 36 % der Schweizer Bevölkerung besuchen in
der Freizeit Bibliotheken
• 21 % der Schweizer Bevölkerung nutzen
Bibliotheken in Zusammenhang mit ihrer
Ausbildung oder der Arbeit
Bibliotheken gehören zu den meistgenutzten
kulturellen Institutionen der Schweiz!
Bibliothek und Leseanimation
• Frei nutzbares Angebot an Büchern,
weiteren Medien und Veranstaltungen für
Kleinkinder, Vorschul- und Schulkinder,
Jugendliche und Erwachsene
• Zusammenarbeit mit Kursen „Lesen und
Schreiben für Erwachsene“:
Bibliotheksbesuche, Bereitstellen
einfacher Texte, Sensibilisierung etc.
Was Hänschen nicht lernt …
Sprachliche Frühförderungsprojekte, die von
Bibliotheken massgebend unterstützt werden:
• Buchstart Schweiz
• Schenk mir eine Geschichte (Family literacy)
Buchstart Schweiz
(seit August 2008)
• Buchstart-Paket
(rund 200‘000 Pakete verteilt)
• Bibliotheken
• Mütter-/Väterberatungen, Ärzte
• Website mit
Materialien und
Downloads
(www.buchstart.ch)
Buchstart in Deutschschweizer
Bibliotheken
• Rund 500 Bibliotheken als
Drehscheiben in Netzwerken
(mit 600 Mütterberaterinnen,
Ärzten, Familienzentren,
MuKi-Deutsch etc.)
• Angebote für Kleinkinder und
Eltern: Pappbilderbücher,
Vers- und Liederbücher,
Elternratgeber
• Veranstaltungen für Eltern mit
Kleinkindern (über 700
Meldungen pro Jahr)
Schenk mir eine Geschichte
• Ziel: Sensibilisierung
v.a. von Eltern mit
Migrationshintergrund
• Zugang zu Büchern in
Erstsprachen
• Periodische Treffen
(6-24x pro Jahr)
• Eltern + Kinder (2-5 J.)
• Leitung: interkulturelle
Animatorinnen
• 90 Veranstaltungszyklen/Jahr
Schweizer Erzählnacht
• Konzept: gleiches
Datum, gleiches
Thema, dezentrale
Organisation
• 2013: 600 Veranstaltungen mit über
50‘000 Teilnehmer/innen
• Projektkoordination:
SIKJM, Bibliomedia
Schweiz, UNICEF
In Buchstabenwelten unterwegs!