Patenschaft für Lehrer

OSTERN 2015
INDIEN
Patenschaft
für Lehrer
NORDIRAK
Schule für
Flüchtlingskinder
VOLUNTEERS
Einsätze in Indien
und Osttimor
ISLAM
Parolen erregen
die Gemüter
JESUITEN AKTUELL
Neue Schule in Kalimpong eingeweiht
M
02
it einer festlichen Zeremonie ist
das neue Gebäude der Gandhi
Ashram School in Kalimpong
eingeweiht worden. Bekannt wurde die
von indischen Jesuiten geleitete Einrichtung durch ihre musische Erziehung:
Schon seit vielen Jahren werden hier Kinder aus sehr armen Familien im Geigenspiel ausgebildet, neben dem normalen
Schulunterricht. Sie sollen dadurch Selbstbewusstsein «auftanken» und ihre musischen Talente entfalten.
Die alte Schule war durch einen abrutschenden Hang und ein Erdbeben nicht
mehr sicher und musste geräumt werden.
Die nur wenige hundert Meter entfernte
neue Schule mit ihren drei Gebäudeflügeln ist offen und grosszügig gestaltet, sie
passt sich architektonisch wunderschön
in die Landschaft ein. Vom terrassenartig
angelegten Schulhof geht der Blick auf die
Bergketten des Himalayas.
Bei der fröhlichen Eröffnungsfeier rief
P. Kinley Tshering SJ (Foto unten), Provinzial der nordindischen Jesuitenprovinz
Darjeeling, die rund 600 Schülerinnen und
Schüler der Gandhi Ashram School dazu
auf, das neue Gebäude für sich «in Besitz
zu nehmen» und mit Leben zu füllen. Er
dankte zugleich den zahlreichen Spendern aus Deutschland, Italien und der
Schweiz für ihre grosszügige Unterstützung beim Bau des Schulkomplexes. Sichtlich stolz auf das neue Gebäude in ihrer
Nachbarschaft zeigten sich nicht nur die
Geigenkinder, sondern auch deren Eltern
sowie zahlreiche weitere Bewohner von
Kalimpong, die zur Einweihungsfeier gekommen waren.
ENTFÜHRTER JESUIT
FREIGELASSEN
Nach achtmonatiger Geiselhaft ist der in
Afghanistan tätige Jesuitenpater Prem
Kumar SJ wieder frei. Wie der JesuitenFlüchtlingsdienst JRS mitteilte, ist der
47-Jährige wohlbehalten in seine indische Heimat zurückgekehrt. Es habe «auf
vielen Ebenen unermüdliche Versuche»
gegeben, ihn freizubekommen. «Wir sind
sehr dankbar für die Zeichen der Solidarität, die wir von zahllosen Freunden
erfahren haben», so der JRS. Pater Prem
Kumar, der als JRS-Länderdirektor die
Projektarbeit in Afghanistan verantwortet, war am 2. Juni 2014 nach dem Besuch
einer Schule für zurückgekehrte Flüchtlinge unweit der Provinzhauptstadt Herat
von Unbekannten verschleppt worden.
Editorial
Liebe Freundinnen
und Freunde
unserer Missionare
und unserer
Partner weltweit!
Die grausamen Taten von Gruppierungen, die wir heute
als Fundamentalisten bezeichnen, erschrecken zutiefst.
Was die meisten von uns als barbarisch
verurteilen, erscheint diesen Gruppierungen als sinnvolles politisches Programm mit apokalyptischer Dimension.
Ich frage mich: Fordern sie uns nicht
deshalb so stark heraus, weil sie sich nicht
an unsere aufgeklärten Werte wie Religionsfreiheit und Menschenrechte halten?
Eine klassische Antwort darauf wäre,
alles zu eliminieren, was nicht unserem
Denken entspricht. So würden Fundamentalisten handeln. Als Christen stehen wir
jedoch in der Verantwortung für andere,
zukunftsorientierte Lösungen zu arbeiten.
Wir sind herausgefordert anzuerkennen,
wie unterschiedlich oder gar gegensätzlich historische Ereignisse interpretiert
werden – und ebenso auch die Rolle der
grossen Gestalten in Religion und Weltgeschichte. Nüchtern betrachtet müssen wir
feststellen, dass Fundamentalismus im
Zusammenhang mit Mohammed genau so möglich ist wie mit Jesus. Ein
friedliches Zusammenleben mit dem
anderen, selbst wenn dieser abweichende Ideen vertritt, setzt gegenseitiges Verständnis voraus. Dabei spielt
Bildung eine entscheidende Rolle. Und
die ist manchmal wirklich Knochenarbeit, wie die von uns geförderten Schulen in Afghanistan, Indien, Südsudan
und Osttimor beispielhaft zeigen.
Wir danken Ihnen herzlich für Ihre
Unterstützung und wünschen Ihnen
frohe Ostern!
Ihr P. Toni Kurmann SJ
Missionsprokurator
SÜDSUDAN
Flüchtlingshilfe im Ordensverbund
Angehörige unterschiedlicher Orden
arbeiten im Südsudan auf neue
Weise zusammen: Sie engagieren
sich in gemeinsamen Projekten und
leben unter einem Dach.
P
apst Franziskus hat das Jahr 2015
zum «Jahr der Orden» erklärt. «Die
Gegenwart mit Leidenschaft zu
leben und die Zukunft voll Hoffnung zu
ergreifen», darauf kommt es ihm an. Trotz
Nachwuchsproblemen in vielen Ländern
sind Orden eine wichtige Säule der Weltkirche. Über 700 000 Ordensfrauen und
mehr als 180 000 Ordensmänner arbeiten
weltweit in Klöstern und Pfarreien sowie
in Bildungs- und Sozialeinrichtungen.
Eine Initiative, in der Männer und Frauen
verschiedener Orden auf neue Art und
Weise zusammenarbeiten, findet sich im
Südsudan. «Solidarity with South Sudan»
heisst die 2004 gestartete Initiative. Die
Idee ist ebenso einfach wie bestechend:
Anstatt dass jede Ordensgemeinschaft ihr
eigenes Hilfsprojekt im Südsudan aufbaut,
schliessen sich die Mitglieder unterschiedlicher Orden zusammen, sie arbeiten an
gemeinsamen Projekten und leben zusammen in ordensübergreifenden Kom-
munitäten. In Rom hält Schwester Yudith
Pereira Rico, eine zupackende Spanierin,
die Fäden dieser Initiative in der Hand.
In den fünf Kommunitäten von «Solidarity» stossen ganz verschiedene Kulturkreise und Ordenstraditionen aufeinander:
Schwestern aus Kenia, Tansania, Myanmar,
Vietnam, Kanada und Brasilien wohnen
unter einem Dach mit Ordensmännern aus
Indien, Sri Lanka und den USA. Aber sie
alle haben den gleichen Glauben und das
gleiche Ziel: Sie wollen etwas aufbauen.
Gewalt und Massenflucht
«Solidarity» betreibt im Südsudan heute
zwei Ausbildungszentren für Lehrer, ein
Gesundheitsinstitut, in dem Krankenschwestern und Hebammen ausgebildet
werden, zwei Landwirtschaftsprojekte
und ein Pastoralprogramm, das sich vor
allem auf Friedens- und Versöhnungsarbeit konzentriert. Hinzu kommt die psychologische Betreuung traumatisierter
Gewaltopfer. «Die Situation im Land ist
nach wie vor sehr instabil», berichtet
Schwester Yudith. «Die Bevölkerung leidet
unter der fehlenden Sicherheit.»
Eine im Januar ausgehandelte Waffen­
ruhe zwischen den Konfliktparteien des
Südsudan wird von Rebellengruppen im-
mer wieder gebrochen. 2011 hatte der
jüngste Staat der Welt seine Unabhängigkeit noch mit grosser Zuversicht gefeiert
– nach 22 Jahren Bürgerkrieg. Doch Ende
2013 führte ein Machtkampf zwischen
dem Präsidenten und seinem Stellvertreter zu neuen Gefechten; fast eine Million
Menschen suchten Zuflucht in Lagern.
Es sind schwierige Bedingungen, unter
denen die Ordensleute von «Solidarity»
arbeiten. Aber sie geben nicht auf. Eine
Schwester berichtete im November 2014
von ihrer Rückkehr in die Stadt Malakal:
«Unser College ist zerstört, alles wurde
mitgenommen, sogar Bücher und Möbel.
Wir besuchten auch eine Flüchtlingssiedlung aus Bambushütten und Zelten. Mitten in dieser unerträglichen Armut wurden wir herzlich begrüsst. Die Leute baten
uns, dass wir sie nicht vergessen sollten.
Wir haben viele weitere Flüchtlingslager
besucht und werden Lehrer ausbilden,
damit sie dort unterrichten können.»
In den Kommunitäten von «Solidarity»
leben derzeit 29 Ordensleute und drei Laien. Für alle ist klar, dass sie die Menschen
im Südsudan nicht alleinlassen. «Das Land
braucht unsere Solidarität», sagt Schwester Yudith. «Wir bleiben.»
Judith Behnen
links:
Helfer er­
richten Hütten für
Flüchtlinge.
r e c h t s : Sr. Felistus
aus Kenia mit Pa­
tientinnen im Ge­
sundheitszentrum
von «Solidarity» in
der Stadt Wau.
03
INDIEN
04
Lehrerin Sushma Kerketta (vorne li.) mit Schülerinnen und Schülern der St.Peter’s Primary School, nahe der Teeplantage Gayaganga.
Patenschaften für indische Lehrer
Die nordindische Jesuitenprovinz
Dar­jeeling unterhält mehrere Schulen, an denen Kinder aus Teearbeiterfamilien unterrichtet werden. Die
Einkünfte reichen nicht aus, um den
Lehrerinnen und Lehrern ein angemessenes Gehalt zu zahlen. Patenschaften für Lehrkräfte könnten
Abhilfe schaffen.
M
it sanfter Handbewegung
schiebt Sushma Kerketta ihre
Schützlinge in Reih und Glied.
Fächerförmig nehmen die Klassen der
St. Peter's Primary School vor dem Schuleingang Aufstellung, so wie an jedem
Morgen vor Unterrichtsbeginn. Die 650
Kinder sind, wie es in Indien üblich ist, in
Schuluniformen gekleidet: graue Hosen,
blaue Hemden, blaue und weinrote Pullover. Mit Inbrunst singen sie Lieder, die
von Schülern der vierten Klasse per Mikrofon angestimmt werden. Sushma Ker-
ketta, Lehrerin der Vorschulklasse, steht
mit den Vier- bis Fünfjährigen ganz vorne
an der überdachten Eingangsveranda. Lächelnd erwidert sie Blicke der ihr anvertrauten Jungen und Mädchen. Man sieht
der erfahrenen Pädagogin förmlich an, wie
sehr sie ihren Beruf, den Umgang mit den
ABC-Schützen mag.
«Ich selber habe keine Kinder, lebe mit
meinen fünf Geschwistern im Haus meiner
alten Eltern», erzählt sie später unter den
schattenspendenden Bäumen auf dem
ummauerten Schulgelände. Sushma Kerketta zählt, wie auch fast alle Schüler der
von Jesuiten geleiteten Schule, zur Schicht
der Adivasi oder Tribals («Stammesvölker»), den weitgehend besitzlosen, ausgegrenzten Ureinwohnern des Subkontinents. Und wie viele Angehörige dieser
Volksgruppe, die in der Region Darjeeling
leben, ist auch sie katholische Christin.
1.40 Franken Lohn am Tag
Einst von den Briten aus Zentralindien
nach Norden verpflanzt, arbeiten die meis-
ten Adivasi heute auf den Plantagen des
für seinen Tee weltbekannten Anbaugebiets Darjeeling. Der Lohn der Teepflückerinnen und Tagelöhner beträgt meist nicht
mehr als 90 Rupien pro Tag, das sind etwa
1.40 Franken. Von diesem Lohn müssen
ganze Familien leben – und auch noch das
Schulgeld der Kinder bestreiten. Die geringen staatlichen Zuschüsse für anerkannte Minderheiten wie die Adivasi fallen
da kaum ins Gewicht.
Masterabschluss an der Universität
Auch ihre eigenen Eltern hätten zu Niedriglöhnen tagein, tagaus in den umliegenden Teegärten arbeiten müssen, erzählt
Sushma Kerketta. Sie sei sehr glücklich
gewesen, seinerzeit ein Stipendium erhalten zu haben, sagt sie. Ohne dieses Unterstützung wäre ihr eine gute Ausbildung
wohl verwehrt geblieben. Nach dem Besuch einer von Ordensschwestern geführten Schule wechselte sie zunächst auf ein
College in der benachbarten Grossstadt
Siliguri. An der Universität von Westben-
DARJEELING
Siliguri
INDIEN
galen schloss sie ihr pädagogisches Studium mit einem Master ab. Ausgestattet mit
einem Sechsjahresvertrag unterrichtet sie
heute als Lehrerein an der St. Peter's Primarschule gleich mehrere Fächer: Hindi,
Englisch und Rechnen. Was sie an ihrer
Schule besonders schätze? Es ist die «freie,
familiäre Atmosphäre», wie die 44-Jährige
betont. «Die Kinder, die häufig unter
schwierigsten Bedingungen aufwachsen,
zum Teil auch vernachlässigt sind, fühlen
sich hier akzeptiert.» Ihren Schülern
wünscht sie, dass sie eines Tages besser
haben als ihre Eltern. «Als Lehrer ist es unsere Aufgabe, den Kindern gute Startchancen für das spätere Leben zu vermitteln
und ihre Talente zu fördern».
Abhängig von Schulgebühren
Es gehört zum guten Geist der von Jesuiten geführten Primarschule, dass man sich
umeinander kümmert – Lehrer, Schüler
und Schulleitung. Gemeinsam teile man
Freuden und auch Sorgen, betont Sushma
Kerketta. Und sie lässt durchblicken: Zu
den Dingen, die vor allem den 15 angestellten Lehrern Sorgen bereiten, gehört
das geringe Gehalt. Als Pädagogin verdient sie gerade einmal rund 60 Franken.
Im Monat. Mehr ist für die Schulleitung
nicht drin. «Wir würden gerne höhere, leistungsgerechte Löhne zahlen, um unsere
Lehrer dauerhaft zu halten. Aber wir sind
abhängig von den Schulgebühren, die wir
von den Eltern erheben,» erklärt P. Mangal
Kerketta SJ, Leiter der St. Peter's School.
«Im Monat macht das pro Kind 120 Rupien,
das sind nicht einmal 2 Franken. Doch
schon diesen Betrag müssen sich viele
Familien buchstäblich vom Munde ab­
sparen.»
Obwohl die staatlichen Schulen im Gegensatz zu den Privaten kostenfrei sind
und auch warmes Essen anbieten, schicken viele Eltern – nicht nur Christen, auch
Hindus – ihre Kinder lieber zu den Jesuiten. Denn dort findet der Unterricht regelmässig statt, und das Niveau ist deutlich
höher – ein entscheidender Vorteil im
harten indischen Wettbewerb um Jobs
und besser bezahlte Stellen.
Allerdings: An staatlichen Schulen verdienen Lehrer das Sieben- bis Achtfache
– eine stetige Verlockung. Und eine grosse
Herausforderung für hochmotivierte
kirchliche Einrichtungen wie die St. Peter’s
School, die sich konsequent für eine gute
Ausbildung der Armen einsetzen und –
trotz Zuschüssen der Jesuitenprovinz –
stets zu kämpfen haben. Die Einnahmen
Kalkutta
reichen nicht mal aus, um das stark sanierungsbedürftige, unsicher gewordene
Schulhaus rasch wieder auf Vordermann
zu bringen. Ein dringend benötigter Erweiterungsbau gleich nebenan muss ganz
aus Spendenmitteln, auch aus der Schweiz,
finanziert werden. Aus eigener Kraft wäre
eine solche Massnahme überhaupt nicht
zu stemmen. «Auch wenn es manchmal
weh tut: Wir können es niemandem übelnehmen, wenn er oder sie aus finanziellen
Gründen unsere Schule verlässt, um woanders mehr Geld zu verdienen», sagt Pater Kerketta. «Wir wissen ja: Mit dem Lehrergehalt, das wir zahlen, fällt es schwer,
eine Familie zu ernähren.»
Zeichen der Wertschätzung
Um in Zukunft gerade auch die qualifizierten Kräfte halten zu können, setzen die
Jesuiten von Darjeeling ihre Hoffnung auf
eine Lösung, die das bestehende Dilemma
nachhaltig beseitigen könnte: Lehrerpatenschaften. Mit Unterstützung zahlreicher Spender und Projektpartner, so der
Wunschtraum, wäre die Schule endlich in
der Lage, die Gehälter der 15 angestellten
Lehrer dauerhaft anzuheben. Ziel ist es,
jeder Lehrerkraft ein Monatsgehalt von
zumindest 6000 Rupien im Monat zu zah-
links:
Ganesh
Hembrom (li.) und
Sushma Kerketta
sind Lehrer aus
Leidenschaft. Wie
ihre Schüler gehö­
ren beide zur sozial
benachteiligten
Minderheit der
Adivasi.
r e c h t s : Schulleiter
P. Mangal Kerketta
SJ möchte seinen
Lehrkräften gerne
mehr Gehalt bezah­
len, aber es fehlt
schlicht das Geld.
05
INDIEN
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len, etwa 90 Franken. Später vielleicht sogar umgerechnet etwa 120 Franken. Das
wäre zwar immer noch deutlich weniger,
als an staatlichen Schulen gezahlt wird,
aber gleichwohl eine entscheidende Verbesserung – und auch ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung.
Sushma Kerketta und ihr ebenso engagierter Kollege Ganesh Hembrom wären
für eine noch so bescheidene Gehaltsaufstockung höchst dankbar. «Wir lieben diese Schule – so wie unsere Schüler, die sehr
froh sind, hier lernen zu dürfen», sagt
Hembrom. «Ich möchte gerne bleiben und
den Kindern all das weitergeben, was ich
selber von den Jesuiten gelernt und an
positiven Werten erfahren habe.» Der
41-jährige Pädagoge aus Leidenschaft ist
schon seit 14 Jahren an der School tätig.
Auch er ein Adivasi, hat sich Ganesh Hembrom aus ärmsten Verhältnissen hochgearbeitet und muss heute zusehen, wie er
seine vierköpfige Familie, die in einer der
nahegelegenen Teeplantagensiedlungen
lebt, über Wasser hält. Da zählt jede Rupie.
Initiative ergriffen
Mit dem Modell der Lehrerpatenschaft
betreten die Jesuiten von Darjeeling keineswegs Neuland: Ihr früherer Provinzial,
links:
Die Schüler
sind wissbegierig
bei der Sache. Ihre
Eltern sparen sich
das Schulgeld buch­
stäblich vom Munde
ab.
rechts:
Pater Peter
Pappu SJ zu
Besuch in der von
Jesuiten betriebe­
nen Primarschule
von Hatighisa.
P. Peter Pappu SJ, hat bereits vor fünf Jahren die Initiative ergriffen. Gemeinsam mit
dem sozial engagierten Schweizer Teehändler Hanspeter Reichmuth, Inhaber
der Firma Reichmuth von Reding, lancierte er eine Lehrerpatenschaft zugunsten
der Loyola-Schule in Kalabari, einer anderen Teeplantagensiedlung in Darjeeling.
«Bei allem Anreiz des jesuitischen Bildungssystems – viele Lehrer gehen doch
lieber in die Stadt. Jene, die bleiben, haben
hohe Ideale. Diese Menschen müssen wir
fördern», betont auch Pater Pappu. Er ist
davon überzeugt: «Wer einem Lehrer hilft,
hilft einer ganzen Klasse. Das funktioniert
besser als die häufig praktizierte Unterstützung einzelner Schüler, denn die Unterstützung wird auf diese Weise gerecht
verteilt.»
Pater Pappus Augen strahlen, wenn er
von der Schule in Kalabari erzählt. Er hat
sie selber vor 16 Jahren mit viel Herzblut
aufgebaut. Inzwischen ist P. Pappu in der
Gemeindearbeit tätig. Als Seelsorger kümmert er sich um hunderte Familien, die in
den Teeplantagen einen ständigen Existenzkampf bestehen müssen. Er erlebt
immer wieder, wie die plötzliche, von Finanzinvestoren betriebene Schliessung
von Teeanbaubetrieben ganze Dörfer in
den Ruin stürzt. In der Folge grassieren
Alkohol- und Drogenprobleme. Leidtragende sind besonders die Kinder.
In der Primary School von Hatighisa trifft
Pater Pappu viele bekannte Gesichter. Die
Schule liegt gegenüber dem Wohnhaus
der Jesuiten, inmitten eines weitläufigen,
umzäunten Areals, auf dem hier und da
Kühe und Ziegen grasen. Beim Rundgang
durch das schlichte, einstöckige Schulgebäude wird der stämmige, in ein weisses
Priestergewand gekleidete Jesuit mit grossem Hallo begrüsst. Schüler winken aus
dem Halbdunkel der Klassenzimmer.
Pater Pappu spricht mit einer erfahrenen Lehrerin in farbigem Sari, die soeben
ihre Englischstunde beendet hat. Er weiss
aus Erfahrung: «Die Lehrer an unseren
Schulen engagieren sich. Sie sind eingebunden in die weltweite Bildungsarbeit
des Jesuitenordens. Das macht sie stolz
und zu guten Pädagogen. Aber wir können sie auch hier, in Hatighisa, nur schlecht
bezahlen. Doch mit Unterstützung von
Paten aus der Schweiz lässt sich dies sicher
ändern. Das ist meine Hoffnung.»
In Kalabari hat es funktioniert. Missionsprokur P. Toni Kurmann SJ startete 2011
ein erstes Pilotprojekt: Dank Schweizer
Spenden gelang es, die ersten 25 Lehrer-
INDIEN
patenschaften auf den Weg zu bringen.
Einer der ersten Paten war Teehändler
Hanspeter Reichmuth. Mit den Patenschaftsgeldern wird seither das Gehalt der
Pädagogen bestritten. Die Eltern der Schüler zahlen weiterhin ein Schulgeld, das nun
aber für andere Massnahmen wie etwa
Weiterbildungsangebote verwendet werden kann.
Paten und Lehrer vernetzen
Ziel der Lehrerpatenschaften ist für Missionsprokurator P. Kurmann nicht nur das
Bereitsstellen finanzieller Mittel. «Wir wollen nach Möglichkeit auch Brücken bauen,
etwa zwischen Lehrern in der Schweiz und
in Indien», sagt er. Sein Mitbruder in Gayaganga, Schulleiter P. Kerketta, bietet an,
die Kommunikation zwischen Paten und
Lehrern zu koordinieren. Über «Jesuitenweltweit», das Hilfswerk der Schweizer
Jesuiten, werden die Paten dann regelmässig über die geförderten Schulen und deren Arbeit informiert. «Der Erfolg muss sich
zeigen», meint Pater Kurmann. «Wir sind
gespannt. In jedem Fall sollen die Patenschaften echte Begegnung ermöglichen,
mit klarem Blick und offenem Herzen für
den jeweils anderen.»
Elmar zur Bonsen
SPENDENBITTE FÜR LEHRERPATENSCHAFTEN
Liebe Leserin, lieber Leser!
«Ich liebe es, diese Kinder zu unterrichten», sagt Lehrer Ganesh Hembrom. «Die meisten kommen aus sehr
armen Familien. Bildung vermittelt
ihnen Werte und ein Wissen, das
ihr Leben verändert.» In den von
Jesuiten geleiteten Primarschulen in
Gayaganga und Hatighisa arbeiten
jeweils 15 festangestellte Lehrpersonen. Diese setzen sich unermüdlich
für die Ausbildung ihrer zahlreichen
Schülerinnen und Schüler ein und
vermitteln ihnen so die Hoffnung
auf eine bessere Zukunft. Ohne guten, regelmässigen Unterricht haben
diese Kinder keine Chance, aus der
Armut auszubrechen.
Die Lehrkräfte in Darjeeling verzichten auf Vieles. Sie unterrichten
meist an abgelegenen Orten, und ihr
Einkommen ist äusserst gering. Hel-
fen Sie mit, das Gehalt der Lehrerinnen und Lehrer schrittweise auf 90
Franken im Monat zu erhöhen.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre
Bereitschaft, eine Jahrespatenschaft
in Höhe von 1'080 Franken zu übernehmen oder mit einer Spende
einen Teil davon beizutragen.
P. Toni Kurmann SJ
Missionsprokurator
links:
Die meisten
Schüler stammen
aus den Siedlungen
der benachbarten
Teeplantagen. Sie
hoffen auf eine bes­
sere Zukunft.
r e c h t s : Pater Pap­
pu, ehemaliger
Provinzial der Je­
suiten von Darjee­
ling und Initiator
der Lehrerpaten­
schaften, weiss als
Seelsorger um die
Nöte der Teearbei­
terfamilien.
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NORDIRAK
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Wenn die Flüchtlinge von ihren Erlebnissen erzählen, fliessen Tränen. Ihr grösster Wunsch: Die Kinder sollen es einmal besser haben.
Eine Schule für die Zukunft
Hunderttausende Flüchtlinge haben
im Nordirak Schutz vor den Terroristen des «Islamischen Staats» gefunden. Bei Erbil baut der JesuitenFlüchtlingsdienst mit Unterstützung
aus der Schweiz eine neue Schule.
A
bouna Raed steht am Eingang
des Zeltes und begrüsst alle Gemeindemitglieder, die zur Sonntagsmesse kommen. Seine Kirche hat der
chaldäische Priester verloren. Sie liegt in
Karakosch, das bis zum vergangenen Sommer mit rund 50 000 Einwohnern die
grösste christliche Stadt im Irak war. Jetzt
gehört Karakosch zu dem Gebiet, das von
der Terrormiliz «Islamischer Staat» gewaltsam kontrolliert wird. «Am 6. August kamen die IS-Kämpfer und wir sind alle geflohen», sagt Abouna Raed. Fast seine
ganze Gemeinde lebt jetzt in Ozal City,
einem noch trostlosen, halbfertigen Neubaugebiet am Rande der kurdischen Provinzhauptstadt Erbil. Andersgläubige
Minderheiten wie Jesiden und Christen,
aber auch muslimische Schiiten hat der
«Islamische Staat» mit menschverachtender Grausamkeit vertrieben. 700 000 der
1,5 Millionen der Flüchtlinge sind in die
autonome Region Kurdistan im Nordirak
geflohen.
Das Zelt, das zur Behelfskirche umfunktioniert wurde, füllt sich schnell. Eine Jugendschola beginnt zu singen. Die Gesänge der chaldäischen Liturgie klingen
getragen und voller Trauer, als würde eine
Kirche im Exil ihrem Schmerz in der Musik
Ausdruck verleihen. Es ist zu spüren, wie
wichtig den Flüchtlingen der gemeinsame
Gottesdienst ist.
Unterricht in vier Schichten
Abouna Raed begrüsst am Ende der Messe Pater Tony Calleja SJ vom Flüchtlingsdienst der Jesuiten (JRS). Der ist aus Beirut
angereist, um gemeinsam mit dem JRSTeam vor Ort die nächsten Projektschritte
zu planen. Denn hier in Ozal City baut der
JRS mit finanzieller Unterstützung der ka-
tholischen Kirche im Kanton Zürich und
vieler weiterer Spender aus der Schweiz
eine Schule aus Containern-Modulen. Der
Bauplatz liegt direkt neben der Zeltkirche.
Zwölf Klassenzimmer, ein Computerraum
mit 20 Computerplätzen, Büro, Küche und
Toiletten sind hufeisenförmig angeordnet,
so dass der entstehende Innenhof samt
Spielplatz im Sommer mit einen Sonnenschutz ausgestattet werden kann. Vier
Schichten sind pro Tag geplant, so dass
hier mehr als tausend Kinder, Jugendliche
und Erwachsene unterrichtet werden können. Neben Kindergarten, Grund- und
Sekundarschule wird es auch Hausaufgabenhilfe und am Abend Sprach- und Computerkurse für Jugendliche und Erwachsene geben.
In Ozal City leben mehr als 6000 Flüchtlinge: Christen, Jesiden und Muslime. Die
Bildungsprojekte des JRS sind für alle offen. Über Familienbesuche und psychosoziale Begleitung hat das JRS-Team bereits
guten Kontakt zu sehr vielen Flüchtlingsfamilien in Ozal City und konnte sie über
Erbil
Bagdad
IRAK
die Nothilfe unterstützen. Solange die
Container-Schule noch nicht eröffnet ist,
hat der JRS einen Bus-Shuttle organisiert,
damit die Kinder und Jugendlichen aus
Ozal City und anderen Flüchtlingsunterkünften an den Bildungs- und Freizeitaktivitäten des JRS, die in vier gemieteten
Häusern in Erbil bereits stattfinden, teilnehmen können. Für die Kinder und Jugendlichen ist es enorm wichtig, aus der
Enge der Unterkünfte herauszukommen
und einen Raum für gemeinsames Lernen,
Spielen und Kreativsein zu haben.
Auf der Strasse geschlafen
«In Karakosch hatten wir ein grosses
Haus», erzählen Talal und Souad. Das Ehepaar lebt jetzt mit 39 weiteren Flüchtlingen in einem der halbfertigen Neubauten
in Ozal City. «Neben unserer Familie leben
hier die Familien meiner drei Brüder und
meiner Schwester. Hier in dem Wohnzimmer schlafen nachts 21 Leute», erklärt Talal
und deutet auf die ordentlich gestapelten
Matratzen an der Wand. «Wir sind zu Fuss
aus Karakosch geflohen, haben in Erbil die
erste Nacht auf der Strasse geschlafen,
sind dann in einer Schule untergekommen. Jetzt können wir hier wohnen. Die
Kirche zahlt die Miete und wir sind sehr
dankbar dafür. Es ist nicht so leicht, hier
einen Job zu finden, da wir kein Kurdisch sprechen. Mein Traum ist, dass meine Kinder eines Tages aufs College gehen
und etwas werden. Für mich selber habe
ich keine Träume mehr, aber doch für meine Kinder.»
Maryam ist in Karakosch auf College
gegangen, um Krankenschwester zu werden. Behnam war in der 8. Klasse und
spricht fliessend Englisch. Malaka ist noch
im Grundschulalter. Alle drei wollen weiter
lernen und wieder zur Schule gehen. Dank
der Bildungsprojekte des JRS und der groszügigen finanziellen Unterstützung der
Schweizer Spender wird dieser Wunsch
nun Wirklichkeit.
Von Syrien in den Irak zurück
Sarab Mikha leitet die Arbeit des JesuitenFlüchtlingsdienstes im Irak. Aufgewachsen
ist sie in Bagdad, sie hat dort Informatik
und Psychologie studiert. «Im Jahr 2006
entführten Islamisten meinen Bruder und
bedrohten unsere ganze Familie», erzählt
die 39-Jährige. «Wir haben Lösegeld bezahlt und sind dann geflohen.» Ihre Mutter
lebt mittlerweile in Kanada, eine Schwester in den USA, ein Bruder in Schweden.
Sarab floh nach Syrien. «Es war nicht leicht,
in Damaskus Fuss zu fassen. Ich habe anfangs als Putzfrau in einer Computerfirma
gearbeitet und kam eines Abends mit dem
Chef ins Gespräch. Er staunte, als ich ihm
bei einem Computerproblem helfen konnte. Über ihn kam ich in Kontakt mit den
Jesuiten in Damaskus und habe begonnen, die Hilfsprojekte der Jesuiten für irakische und später dann für syrische Flüchtlinge mit aufzubauen. Aber es war immer
mein Traum, in den Irak zurückzukehren
und dort etwas für die Menschen tun zu
können.»
Im Oktober 2014 zog Sarab Mikha von
Damaskus zurück in den Irak, um dort die
Flüchtlingshilfe der Jesuiten zu koordinieren. In der kurdischen Provinzhauptstadt
Erbil hat sie bereits ein Team mit zwanzig
Mitarbeitern aufgebaut, um über Familienbesuche, psychosoziale Begleitung und
Bildungsprojekte den vertriebenen Kindern, Frauen und Männern zu helfen. Fast
alle Mitglieder des JRS-Teams sind selbst
Flüchtlinge, viele kommen aus Karakosch
oder Mossul, andere waren wie Sarab für
einige Jahre in Syrien, bevor sie vor dem
dortigen Bürgerkrieg zurück in die ebenso
unsichere Heimat geflohen sind.
Es sind zumeist junge und gut ausgebildete Leute, die sich mit viel Einfühlungs-
links:
Pater Tony
Calleja SJ am Bau­
platz der neuen
Schule. Die Funda­
mente sind inzwi­
schen gelegt. Bald
kann der Unterricht
in den ContainerKlassenzimmern
beginnen.
r e c h t s : Die meisten
Flüchtlinge leben in
Lagern, viele auch
in Rohbauten, Con­
tainern und ande­
ren Notquartieren.
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NORDIRAK
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vermögen und grossem Elan in die Arbeit
stürzen. Abeer, der Flüchtlingsfamilien in
einer Containersiedlung in Erbil besucht,
war in Karakosch Lehrer. Rupina ist Armenierin und hat ebenfalls in Syrien schon
für den JRS gearbeitet. Sie und Sarab sind
sich in Erbil zufällig wiederbegegnet.
Mithal ist Künstlerin und hatte in Mossul
eine Keramikwerkstatt. Von ihren Kunstwerken sind ihr nur ein paar Fotos auf dem
Handy geblieben, die sie mit einer Mischung aus Stolz und Trauer zeigt. Sie betreut jetzt im psychosozialen Programm
die kreativen Aktivitäten mit den Kindern
und Jugendlichen. Zu den Mitarbeitern
des JRS in Erbil gehören mit Sr. Rajaa und
Sr. Raeda auch zwei Kleine Schwestern von
Charles de Foucauld. Die Gemeinschaft in
Mossul musste fliehen und ist bei Mitschwestern in Erbil untergekommen. Die
Hilfsangebote der christlichen Ortskirchen
haben viele Flüchtlinge aufgefangen.
Im Stall untergebracht
Die Fahrt geht weiter nach Feshkhabour,
einem Dorf direkt an der irakisch-syrischen
Grenze. Der Fluss Tigris trennt hier die beiden Länder. In einem verfallenen Bauernhof sind jesidische Grossfamilien untergekommen, erst vor kurzem wurden einige
Zelte zusätzlich aufgebaut. Es ist kalt, der
Wind peitscht über die kahle Landschaft,
auf den Bergen liegt eine dünne Schneeschicht. Kleine Kerosin-Öfen bilden die
einzige Wärmequelle für die Familien. Die
zugigen Gebäude sind notdürftig mit Planen abgedichtet. «Das hier war früher ein
Stall.» Noura, eine der jesidischen Frauen,
zeigt auf eines der Gebäude: «Hier waren
Tiere untergebracht, keine Menschen.»
Geburt im Hubschrauber
In einer Ecke des dunklen Zimmers steht
eine Wiege am Boden. Eine junge Frau
nimmt das Baby auf den Arm, winzig und
unterernährt sieht es aus. «Es ist mein erstes Kind», erklärt Hadiya, «wir waren auf
der Flucht im Sindschar-Gebirge und hatten nichts mehr zu essen. Ein Hubschrauber hat uns gerettet. Im Hubschrauber ist
unser Sohn geboren worden. Wir haben
ihn Behwar genannt, das heisst in unserer
Sprache: ohne Heimat.»
Die Heimat zu verlieren, ist für alle
Flüchtlinge schmerzhaft und schrecklich.
Und doch sieht JRS-Direktor Peter Balleis
Chancen im Nordirak: «Im Vergleich zu
anderen kriegszerrütteten Ländern mit
Flüchtlingssituationen ist Kurdistan eine
stabile Insel in einer turbulenten Region.
Die lokale Integration der Flüchtlinge, von
denen viele eine gute Ausbildung und
auch Berufserfahrung mitbringen, ist hier
möglich, wenn die Sprachbarrieren überwunden werden.» Die meisten Flüchtlinge
sprechen kein Kurdisch, sondern Arabisch.
Hier setzen die Bildungsprojekte der Jesuiten an. «Eine unserer dringendsten Aufgaben ist es, möglichst bald viele Kinder
durch das Erlernen von Kurdisch und Englisch auf die reguläre Schule vorzubereiten», sagt Pater Balleis. «Das Gleiche gilt
für die Erwachsenen. Kurdisch zu lernen
ist ein Schlüssel, um sich hier eine Zukunft
aufzubauen.»
Der Traum von Sicherheit
Afaaf, die aus Karakosch geflohen und gemeinsam mit 420 Flüchtlingsfamilien im
Rohbau eines Einkaufszentrums in Erbil
untergekommen ist, sieht ihre Zukunft
nicht in Kurdistan. Sie will mit ihrer Familie
nach Deutschland. Einer ihrer Brüder lebt
seit zwölf Jahren dort, hat Arbeit gefunden
und ein Haus gebaut. «Dort ist es sicher.
Dort ist es wie im Himmel», glaubt Afaaf.
Wie viele andere Flüchtlinge hat sie die
Hölle im eigenen Land erlebt – und ihr
Vertrauen auf Frieden im Irak verloren.
Judith Behnen
BREITE UNTERSTÜTZUNG FÜR FLÜCHTLINGSHILFE DER JESUITEN
Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in
Syrien hat der Flüchtlingsdienst der
Jesuiten (JRS) seine Arbeit im
Nahen Osten deutlich ausgeweitet.
Das Hilfswerk ist seit Oktober 2014
auch im Nordirak aktiv. Auf unsere Spendenaktion im Herbst/Winter
2014 hin sind bisher rund 1 Million
Franken für den Nordirak eingegangen. Ein Rekordergebnis, das vielen
Menschen zugute kommt! Zahlreiche
Privatpersonen, Stiftungen, kirchliche Organisationen und Gemeinschaften folgten unserem Aufruf. «Wir sind
überwältigt von der grossen Hilfsbe-
reitschaft», so Pater Toni Kurmann
SJ, Leiter von Jesuitenweltweit, dem
Hilfswerk der Jesuiten in Zürich.
«Die zahlreichen Spenderinnen und
Spender haben ein sichtbares Zeichen
der Solidarität mit den Flüchtlingen
gesetzt. Und sie tun es weiterhin.»
Namhafte Beträge spendeten – neben vielen anderen – die Lions Clubs
Zürich und Zug, der Verband der römisch-katholischen Kirchgemeinden
der Stadt Zürich und die Katholische
Kirchgemeinde Luzern. Auch Pfarrgemeinden unterstützen die Flüchtlingsarbeit. So sammelten die Sternsinger
der Pfarrei Eggersriet-Grub 10 000
Franken für die Menschen im Nordirak. Ihnen allen sei herzlich gedankt!
FERNOST
Begegnung in Taiwan: Provinzial P. Christian Rutishauser SJ (re.) und P. Toni Kurmann SJ (li.) mit Dharma-Meister Hsin Tao, Grün­
der des Wu-sheng-Klosters auf dem Ling-Jiou-Berg. Master Hsin Tao ist auch Begründer des Museums der Weltreligionen in Taipeh.
Asien ist erwacht
Missionsprokurator P. Toni Kurmann
SJ hat jüngst mehrere asiatische
Länder bereist. Seine Eindrücke
schildert er im folgenden Interview.
Was beeindruckte Sie auf Ihrer Reise?
Ich möchte es mit einem vom indischen
Autor Pankaj Mishra geprägten Wort zusammenfassen: «Asien erwacht!» In seinem Buch «Aus den Ruinen des Empires»
beschreibt er eindrücklich, was sich heute
in Asien ereignet. Gerade im kollektiven
Gedächtnis Chinas hat sich das 19. Jahrhundert unter dem Stichwort «Opiumkrieg» als Periode der Demütigungen
durch den europäischen Imperialismus
festgesetzt. Seit dieser Erfahrung war man
gemäss Mishra begierig darauf, in die «nahezu magischen Kräfte Europas eingeweiht» zu werden. Heute versucht Asien
mit aller Kraft, das Gefühl des Unterlegenseins durch den Tatbeweis zu überwinden.
Offensichtlich wird eine führenden Rolle
im globalen Wettbewerb angestrebt.
Wie äussert sich das konkret?
Zunächst möchte ich betonen, dass wir
einer unglaublichen Verschiedenheit der
Länder und Regionen begegnet sind: in
der Volksrepublik China, in Taiwan, Hongkong, Macao, Japan und auf den Philippinen. Dennoch liess sich überall beobachten: Konsum ist Trumpf. Gerade die
aufkommende Mittelklasse definiert sich
über das, was sie kaufen kann.
Was folgern Sie daraus?
Asien versucht den Westen mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Aber was passiert, wenn reiner Konsumismus sich Bahn
bricht? Die Arbeit meines in Hongkong
und Peking tätigen Mitbruders Stephan
Rothlin SJ auf dem Gebiet der Wirtschaftsethik scheint mir hier von immenser Wichtigkeit zu sein. Die Frage nach der Nachhaltigkeit und wie wir verantwortet
miteinander umgehen, muss beantwortet
werden. Es braucht Wege, wie wir gemeinsam auf dieser Erde leben können. Wesentlich ist die Frage, wie wir alle gemeinsam
einen Wandel von der Konkurrenz zum
Dialog gestalten könnnen, der die Position
des anderen ernst nimmt. Beginnen muss
es mit einem verantworteten Geschichtsverständnis. Auf unserer Reise sind wir so
vielen Versionen derselben Erreignisse
begegnet. Alle wollen an eine gloriose
Vergangenheit anknüpfen und erzählen
vereinfachend nur ihre Geschichte.
Was kann das Christentum beitragen?
Zentral ist es das Christentum so darzustellen, wie es ist: als eine globale Religion,
die nicht nur einer bestimmten Kultur oder
Gruppe verpflichtet ist, sondern das Gemeinwohl im Blick hat. Auch hat es die
prophetische Verantwortung, ein Wirtschaftswachstum um jeden Preis zu hinterfragen. Und mit seiner Spiritualität
bietet das Christentum den Menschen an,
Antworten auf ihre Fragen nach dem Sinn
zu finden. Die von der Marktwirtschaft
gemachten Sinnangebote reichen eben
doch nicht aus. Das spüren die Menschen
in den Boomregionen Asiens instinktiv.
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JESUIT VOLUNTEERS
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Auftritt mit P. Saju George SJ ( links): Volunteer Julian Lutz (rechts) aus Kilchberg ZH bei einer Tanzperformance in Indien.
Eintauchen in eine neue Kultur
Volunteers aus der Schweiz lernen
über ihren Einsatz in Indien und
Osttimor eine fremde Welt kennen.
Und erleben dies als persönlich sehr
bereichernde Erfahrung.
D
ass er einmal selbst als Jesus mit
indischen Kleidern, Schmuck,
Schminke und nacktem Oberkörper auf der Bühne stehen würde, hatte sich
Julian Lutz bei der ersten Begegnung mit
Pater Saju George SJ, dem tanzenden Jesuiten aus Kalkutta, nicht träumen lassen.
Dabei war ihm die Idee, eine Reise nach
Indien zu unternehmen, schon länger
durch den Kopf gegangen. Er hatte im
Anschluss an seinen Zivildienst ein paar
Monate frei, bis sein Studium der Sozialen
Arbeit weitergehen sollte. Warum also
nicht ein Praktikum im Ausland absolvieren? «Über einen persönlichen Kontakt zu
den Schweizer Jesuiten wusste ich bereits
um die internationale Arbeit des Ordens»,
berichtet Julian. Er informierte sich gezielt
über das Freiwilligenprogramm Jesuit Volonteers, das in der Schweiz von Andrea
Gisler betreut wird.
Besonders reizte den Studenten das
schwer zugängliche Myanmar, wo Jesuiten
schon seit Jahren im Einsatz sind. «Das war
dann aber doch zu kompliziert,» resümiert
Julian. Schnell schälte sich eine interessante Alternative heraus: Pater Sajus Sozialprojekt, ein Schul- und Tanzzentrum für
Kinder aus armen Familien in Südindien.
«Wir sehen den Volunteer-Einsatz nicht
als Wunschkonzert,» bemerkt Andrea Gisler. «Man kann als Freiwilliger zwar Vorlieben äussern, aber sich nicht auf ein konkretes Land oder Projekt bewerben.» Das
eigentliche Volunteer-Programm umfasst
einen einjährigen Aufenthalt mit Vorbereitungswochenenden, die Begleitung vor
Ort und ein Nachtreffen im Anschluss an
den Auslandseinsatz. Unter bestimmten
Bedingungen sind auch kürzere Einsätze
möglich – sofern die Projektpartner im
Ausland einwilligen. «Unser Freiwilligendienst ist aus der langjährigen Erfahrung
der Kollegen in Deutschland gewachsen»,
berichtet Andrea Gisler. «Man lässt sich auf
Lebensumstände ein, die sich von den
unsrigen in vielerlei Hinsicht unterscheiden.» Das Volunteer-Programm richtet sich
nicht nur an junge Schul­abgänger oder
Studierende. «Wir haben bewusst keine
Altersbe­schränkung nach oben festgelegt», sagt Andrea Gisler. «Es gibt immer
wieder Freiwillige, die eine Auszeit von
ihrem Beruf nehmen oder sich nach der
aktiven Berufsphase den Traum eines Auslandseinsatzes erfüllen.» Weitere Informationen: www.jesuiten-weltweit.ch
Komplizierte Tanzschritte
Doch zurück zu Julian, der im November
2014 seine Reise nach Kalkutta antrat. Zunächst beginnt er, den Kindern in Pater
Sajus Zentrum Englischunterricht zu geben. Er macht mit ihnen auch Aufwärmübungen vor den Tanzlektionen, spielt mit
den Jungen Cricket und darf sich bei
einem Workshop mit einem berühmten
Meister des indischen Tanzes um die Gäs-
JESUIT VOLUNTEERS
te kümmern, Tee servieren, aber auch den
Vorträgen lauschen und so erste Eindrücke
von der Komplexität des Tanzes gewinnen.
«Man muss ein guter Rechner sein», stellte er erstaunt fest, «Schritte, Bewegungen
– alles muss im Rhythmus sein. Das schien
für mich als Laien sehr anspruchsvoll zu
sein». Manches, wie etwa die Liebesgeschichten um Krishna, ist einfach zu verstehen für den Gast aus der Schweiz, anderes dagegen schwieriger. «Die Liedtexte
sind mehrheitlich in Hindi, das verstehen
auch nicht alle Zuschauer, aber die Geschichten, die getanzt werden, sind bekannt. Sie gehören zu ihrem Kulturgut wie
hierzulande die Tell-Erzählung. Für mich
war das sehr fremd.»
Julians eigene «Tanzkarriere» beginnt
mit einer kleinen, unscheinbaren Frage.
«Wir machen mit der Truppe eine Tournee
in den Süden», sagte Pater Saju eines Tages. «Willst Du mitkommen?» Klar wollte
Julian sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. «Doch dann», sagte P. Saju,
«musst Du auch mitmachen.» Gesagt, getan. Nach den ersten Probestunden wickelten die Tänzer Julian in den sechs Meter langen Sari, zogen seine Augen nach,
malten ihm rote Punkte auf Hände und
Füsse und legten den goldenen Arm-
schuck an. So hatte die Truppe für die von
P. Saju selbstentworfenen Choreografien
zu biblischen Motiven einen neuen JesusDarsteller hinzugewonnen. «Ich hab nicht
wirklich viel gemacht», räumt Julian ein.
«Ich musste einfach die Posen einnehmen,
die mir Pater Saju beigebracht hatte. Aber
es gab viel Beifall dafür.»
Die drei Monate in Indien sind für Julian
schnell vergangen. Seit Februar ist er wieder zurück in der Schweiz. Man spürt die
Fülle der gesammelten Eindrücke. Ein Auslandseinsatz als Volunteer ist eben etwas
anderes als eine Touristenreise.
Neue Lebensaufgabe fürs Alter
Ähnlich wie Julian Lutz hat sich auch das
Schweizer Ehepaar Caroline und Eugen
Mäder für einen zeitlich befristeten Freiwilligeneinsatz entschieden. Sie wählten
ein Projekt in Osttimor – dem Einsatz sollen in den nächsten Jahren noch weitere
folgen. Gemeinsam hatten die beiden – sie
Physiotherapeutin, er Arzt von Beruf – Ausschau nach einer neuen Aufgabe für das
dritte Lebensalter gehalten. «Auf der Suche nach einer Organisation, der wir uns
anschliessen könnten, fielen mir die Jesuiten wieder ein. Es ist Jahrzehnte her, dass
ich während meines Studiums in Basel bei
ihnen in der Herbergsgasse wohnen durfte. Und die Woche, die ich 1987 während
eines Wahlstudienjahres bei den Jesuiten
in Ägypten verbringen durfte, zählte lang
zu den eindrücklichsten Erinnerungen
meines Lebens.»
In Gesprächen mit Missionsprokurator
P. Toni Kurmann fiel die Entscheidung auf
Osttimor. «Caroline und ich legten fest,
über Weihnachten zwei Monate dort zu
verbringen. Pater Kurmann hatte uns von
dem Jesuiten Amun Bong berichtet, der
sich als Arzt mit einfachsten Mitteln um
die arme Bevölkerung kümmert.»
In Osttimor erwartete das Ehepaar eine
fremde Welt. «Wir haben gerne mitangepackt. Die Jesuitengemeinschaft verteilt
jeden Tag eine warme Mahlzeit an die Kinder. Auch Pater Amun Bongs Ambulanz
lernten wir kennen und waren erschüttert
über die bescheidenen medizinischen und
technischen Möglichkeiten. Dennoch: Mit
den Leuten zu sein, auch wenn man nicht
alles heilen kann, hat eine hohe Qualität,
die mich immer wieder von neuem berührte», so Eugen Mäder. «Es ist noch lange, bis wir wirklich ganz aufbrechen werden, aber ich freue mich auf die Jahre und
viele jesuitische Begegnungen bis dahin.»
Andrea Zwicknagl
links:
Eugen Mäder
(Mitte) in der Am­
bulanz von P. Amun
Bong SJ.
r e c h t s : Andrea
Gisler (rechts), die
Schweizer Volun­
teer-Beauftragte, in
Indien. Ihre Büro­
adresse in Zürich:
Jesuiten weltweit,
Hirschengraben 74,
8001 Zürich.
Tel. 044 266 21 34
jesuitvolunteers@
jesuitenmission.ch
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JESUITEN
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«Alle Religionen müssen sich heute ihren gewaltsamen Formulierungen und Phasen neu stellen», so P. Felix Körner SJ (2. v. rechts).
Ist das der Islam?
Für mehr Geschichtskenntnis statt
Parolen plädiert der Islamwissenschaftler Pater Felix Körner SJ. Der
Jesuit lehrt an der Päpstlichen
Universität Gregoriana in Rom und
gilt als exzellenter Islamkenner.
M
it grausamer Menschenverachtung wütet der sogenannte Islamische Staat. Wie lässt sich
das erklären? Ist das der Islam? Die Formel
«Das ist Islam» hilft nicht weiter. Genauso
wenig weiterführend ist allerdings das
Gegenschlagwort: «Das ist nicht Islam».
Denn solche Parolen erregen die Gemüter,
erklären und klären aber nichts.
Wer etwa sagt, die Untaten des «Islamischen Staates» seien nicht der Islam, kann
damit ganz Unterschiedliches meinen.
Mancher will damit das Ansehen des Islam
retten: Die Grundtexte des Islam rechtfertigen keine Gewalt, heisst es. So verhindert
man aber, dass sich Muslime heute kritisch
mit schwierigen Koranworten auseinan-
dersetzen. Andere wollen damit den
Kämpfern ins Gewissen rufen: Ihr legt den
Koran falsch aus! Wer hier gutbegründet,
kann vielleicht den einen oder anderen
noch schwankenden Gewalt-Sympathisanten zur Besinnung bringen. Wieder
andere wollen mit «ist nicht Islam» feststellen: Ein Muslim muss, wenn er seine
Religion ernstnimmt, trotz kriegerisch
klingender Grundtexte, keineswegs gewalttätig werden.
Parolen helfen nicht weiter. Hilfreicher
ist Kenntnis: Textkenntnis und Geschichtskenntnis. So lässt sich sehen, dass sich der
Koran an manchen Stellen zwar wie ein
Aufruf zur Gewalt anhört; dass Muslime
aber, wenn sie islamtreu leben wollen, gerade nicht brutal, sondern rücksichtsvoll
handeln müssen.
Begeisternder Einheitsimpuls
Muhammad hat bei seinem Tod (632 n.
Chr.) seinen Gefolgsleuten einen begeisternden Einheitsimpuls hinterlassen, aber
auch ein Problempaket. Der Einheitsim-
puls besteht in der Einfachheit der Lehre
vom einen Gott: Abkehr von der Vielgötterei und Neuausrichtung des ganzen
Lebens als «Gottesdienst»: in Gebet und
Welthandeln; Beendigung religiöser Spannungen durch Rückführung aller Prophetie auf die Verantwortung vor dem Gericht
Gottes; Überführung von Stammesstreitigkeiten in die Vereinigung aller zur Glaubensgemeinschaft.
Wer soll Kalif sein?
Doch diese gewinnend einfache EinheitsVerkündigung trägt ihre Schwierigkeiten
schon in sich. Sie stellt einen konkurrenzlosen Gott vor – und weil allein Gott beruft,
bestellt Muhammad keinen Nachfolger.
Wer soll denn nun an seine Stelle treten
– arabisch: «Kalif» sein? So alt ist der innerislamische Machtkampf. Einige wollen ‘Alī
aus dem «Hause Muhammads» als Haupt
des Gemeinwesens sehen. Sie überwerfen
sich mit der Mehrheit, die den erprobten
Abū Bakr wählt. Auch diese Mehrheit verliert schliesslich 1924 einen breit aner-
JESUITEN
kannten Kalifen. Der «Islamische Staat» will
heute also an alte Machtverhältnisse anknüpfen.
und fordert sie auf: «Wetteifert nun nach
den guten Dingen!» (Sure 5:48). Der Blick
in die Geschichte lehrt viererlei:
Neigung zur Wortwörtlichkeit
Was durch Muhammads Mund ergeht, soll
vereinheitlichen. Es soll das letzte Wort im
Streit religiöser Meinungen sein. Entscheidend ist der eindeutige Wortlaut. Zwar
weiss schon die erste Generation nach
Muhammad, dass manche Koranformu­
lierung jetzt nicht mehr so gilt wie damals,
aber eine Neigung zur geschichtslosen
Wortwörtlichkeit ist dem Islam mitge­
geben.
Alle Religionen müssen sich heute zu
ihren gewaltsamen Formulierungen und
Phasen neu stellen. Hier haben die Muslime eine besonders grosse, schwierige
Verantwortung. Denn bei ihnen tragen
Stiftungsschrift und Stifter selbst Züge von
Gewalt.
Muhammad und die Muslime waren
sich von Anfang an bewusst, dass jede
Koranstelle in einem bestimmten Zusammenhang erging, der für Verständnis und
Umsetzung entscheidend ist. Es ist also
nicht islamisch, einzelne koranische Aufforderungen aus dem damaligen Zusammenhang herauszureissen und als JetztAnweisungen zu lesen.
Der Koran wurde immer «gelesen»; dies
war aber etwas anderes als das moderne
Fragen: Was sagt mir der Text heute?
Koran wurde vielmehr auf Arabisch auswendig gelernt, rezitiert, singend interpretiert, als kalligraphischer Schriftzug genossen: als schön erlebt. Muslime rührt es an,
dass Gott sich sprachlich äussert. Aber
man musste im klassischen Islam nun
nicht die einzelnen Koranregelungen in
Kriegerisches Vorbild
Muhammad wird zum kriegerischen Vorbild. Um der noch schwachen Gemeinde
materielle Sicherheit zu geben, ruft er die
Seinen auf, verteidigend und erobernd zur
Waffe zu greifen. Solche Aufrufe, selbst
zum Töten, verkündet er auch als Gotteswort (Sure 2:191). Das ist das Problempaket. Kann man es heute so auspacken, dass
es ein Zusammenleben mit anderen in
gegenseitiger Achtung nährt? Ja, das geht.
Der Koran selbst sieht – wie später die
Ringparabel – die Verschiedenheit der Bekenntnisgemeinschaften als gottgewollt
lebenspraktische Entscheidungen, gerichtliche Urteile oder politische Weichenstellungen umsetzen. Da ging es vielmehr
darum, «das Gute» zu tun. Eine Zurückbiegung des persönlichen Alltags auf den
Koranwortlaut und des gesellschaftlichen
Lebens auf die muslimische Frühzeit: das
ist vielmehr eine moderne Reaktion. Worauf?
Moderne Falle
Den wachsenden Erfolg des Westens empfinden viele Muslime seit über 100 Jahren
als schmerzliche Niederlage ihrer Glaubensgemeinschaft. Zu neuer Bedeutung
könne man nur gelangen durch Rückkehr
zur Lebensweise der Gründer und zum
Gründungstext, meinten sie. Dass sie dabei selbst in eine moderne Falle traten,
merkten sie kaum: Identität lässt sich ja
nicht künstlich schaffen, sondern nur in
Zuversicht kreativ und konstruktiv leben.
Dazu hilft ein gesellschaftliches Umfeld, in
dem Menschen zugleich selbstbewusst
und selbstkritisch aufwachsen können. So
lassen sich die modernen Verunsicherungen auch als spannende Fragen an die
eigene Religion und Tradition verstehen
und weiterentwickeln.
P. Felix Körner SJ
LASSALLE-INSTITUT: INSPIRATION DER ORDEN FÜR DAS FÜHREN MIT WERTEN
Alle reden von Ethik, doch was ist
darunter zu verstehen? An welchen
Werten können Führungskräfte sich
orientieren? Diesen Fragen widmet
das Lassalle-Institut unter der Leitung
von P. Niklaus Brantschen SJ (Foto)
eine ganze Seminarreihe. Informationen: www.lassalle-institut.org.
Studien haben gezeigt, dass Führungskräfte von Verlautbarungen der
Kirchen wenig erwarten. Massstäbe
für ihr Handeln und spirituelle Impulse suchen sie anderswo, etwa in den
Orden. Die Seminare bieten Gelegenheit, bewährte Führungsmodelle zu
reflektieren. Veranstaltungsort ist
jeweils das aki, Hirschengraben 86,
Zürich (Central). Teilnahmegebühr
je Abend: 300 Franken, Anmeldung
erforderlich. Die nächsten Termine:
1. April 2015, Mi. 17.00–21.00 Uhr,
«Führen mit Werten: Leadership und
Benedikt von Nursia». Leitung:
P. Martin Werlen OSB, Alt-Abt Kloster
Einsiedeln; Dr. Benedikt Weibel, Honorarprofessor Universität Bern.
22. April 2015, Mi. 17.00–21.00 Uhr,
«Führen mit Werten: Leadership und
Ignatius von Loyola». Leitung: P. Dr.
Christian Rutishauser SJ, Provinzial
Schweizer Jesuiten; P. Tobias Karcher
SJ, Direktor Lassalle-Haus; P. Toni
Kurmann SJ, Missionsprokurator.
15
AZB
8001 Zürich
Adressberichtigung melden
MISSION MITMENSCH
In unserer Ausgabe O S T E R N 2015 berichten wir über die engagierte
Arbeit von Lehrerinnen und Lehrer in Darjeeling +++ Aktuelles zur Flüchtlingshilfe der Jesuiten im Nordirak +++ Schweizer Volunteers entdecken das Leben
in I­ndien und Osttimor +++ Reflexionen über den Islam von P. Felix Körner SJ
Buch zum
Ordensjahr
«Lieben heisst alles
geben», so lautet der
Titel eines ungewöhn­
lichen Taschenbuchs,
das aus Anlass des
von Papst Franziskus
ausgerufenen «Jahres
des geweihten Le­
bens» erschienen ist.
Das Magazin der
Jesuitenmission Schweiz
Erscheint viermal im Jahr
Abonnementspreis: Fr. 8.–
Abonnementsverwaltung:
Jesuitenmission, Hirschengraben 74,
8001 Zürich, Telefon 044 266 21 30
E-Mail: [email protected]
Postkonto: Zürich 80-22076-4
IBAN: CH48 0900 0000 8002 2076 4
Abonnementspreis: Fr. 8.–
Redaktion: Toni Kurmann SJ,
­LENNART Medien Consult Zürich
Gestaltung, Druck und Versand:
Cavelti AG
medien. digital und gedruckt.
9201 Gossau SG
Das mit einer Auflage von geplant fünf Millionen
Exemplaren in neun Sprachen publizierte Werk enthält die Glaubenszeugnisse von 80 Westschweizer
Ordensleuten. Jesuitenpater Albert Longchamp aus
Genf hat dazu einen einleitenden Text geschrieben.
«Das Buch richtet sich besonders an jene Menschen, die unser Ordensleben gar nicht kennen.
Es soll Interesse wecken und – nicht ohne Humor
– dazu anregen, Neues zu entdecken», so P. Longchamp. Durch Papst Franziskus, der den Erfolg des
Buchs zu seinem Anliegen gemacht hat, habe das
Projekt eine unerwartete Eigendynamik bekom-
men. Herausgeber des im Saint-Augustin-Verlag
erschienenen Buchs ist der Verein «La Vie Consacrée». In seinem Vorwort betont der Papst: «Unsere
Berufung ist es nicht, heldenhafte Taten zu vollbringen oder hochtrabende Worte zu machen, sondern
die Freude zu bezeugen.» Das Nachwort steuerte
Alt-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey bei. Sie
schreibt: «Aufgrund der verschiedenen Zeugnisse
sehe ich das religiöse Engagement gleichzeitig als
eine Lektion der Demut, eine Hingabe des Lebens
im Dienst der anderen, einen Ausdruck der Liebe,
einen Akt des Vertrauens zu seinen Nächsten.»
Bildnachweis:
zur Bonsen (Titel, S. 2, 4-7, 6),
Archiv (S. 2, 15, 16, EZ), Balleis/
JRS (S. 2), Paul Jeffrey (S. 8–10),
Kurmann (S. 11), Lutz (S. 12),
Gisler (S. 13), Mäder (S. 13),
Körner (S. 14).