Redetext hier

Stephan Steinlein
Staatssekretär
MSC/FAZ: ENERGY SECURITY SUMMIT 2015
CRISES AND PRICES: ENERGY SECURITY
AMIDST MULTIPLE UNCERTAINTIES
ESMT – European School
of Management and Technology, Berlin
am 7. Mai 2015
(max. 20 min)
Lieber Wolfgang Ischinger,
Sehr geehrter Herr Kohler,
Exzellenzen,
verehrte Damen und Herren,
Energiepolitik ist Sicherheitspolitik! Und
Sicherheitspolitik hat immer auch eine
energiepolitische Dimension.
Nicht umsonst kam einer der wichtigsten
Vordenker der deutschen Energiewende,
Hermann Scheer, der vielleicht dem einen
oder anderen als der große Solarpapst noch
in Erinnerung ist, ursprünglich aus dem
Bereich der Außenpolitik!
Ich freue mich, dass die Münchner
Sicherheitspolitik und die FAZ, zwei
Institutionen, mit denen Hermann Scheer in
der Vergangenheit gewiss manchen Strauß
ausgefochten hat, mit Veranstaltungen wieder
den Link zwischen der sicherheitspolitischen
und der energiepolitischen Debatte
verstärken wollen.
Die Zeit, die mir zur Verfügung steht, ist kurz
bemessen. Ich will sie deshalb dafür nutzen,
auf die sicherheitspolitische Dimension der
deutschen Energiewende hinzuweisen und
damit einen Zusammenhang herauszustellen
zu stellen, der in der derzeitigen, sehr
binnenzentrierten Diskussion oft zu kurz zu
kommen droht.
Ja, die Energiewende ist zunächst einmal eine
deutsche Idee. Manche Kritiker würden sogar
sagen: So etwas wie ein deutscher
Sonderweg.
Wir sind das erste Industrieland, das sich für
einen dauerhaften Ausstieg aus der fossilen
Energieversorgung und der Kernenergie
entschieden hat. Bis 2022, also in nurmehr 7
Jahren, werden alle deutschen
Kernkraftwerke vom Netz gehen.
Gleichzeitig wollen wir den Anteil
Erneuerbarer Energien an der
Stromerzeugung bis 2050 auf 80 Prozent
erhöhen. Die Energieeffizienz soll soweit
gesteigert werden, dass wir bis zu 90 Prozent
weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre
ausstoßen als noch vor 25 Jahren.
Das sind ambitionierte Ziele. Und wenn ich
mich daran erinnere, wie wir vor 15 Jahren in
der damals rot-grünen Bundesregierung den
Ausstieg aus der Atomenergie in die Wege
geleitet haben, dann ist es beeindruckend zu
sehen, wie weit wir seitdem gekommen sind.
Aber eines ist klar: Eine Energiewende als
deutscher Sonderweg mag zwar das eine oder
andere grüne Gewissen beruhigen. In globaler
Perspektive aber ist eine nur deutsche
Energiewende ohne jede Relevanz. Nur wenn
Deutschland einen Weg beschreitet, der auch
von anderen nachgegangen werden kann,
haben sich die enormen Anstrengungen der
vergangenen Jahre gelohnt. Nicht nur
umweltpolitisch, auch aus der Sicht der
Außen- und Sicherheitspolitik!
Die Folgen des Klimawandels werden heute
von kaum noch einem bestritten: ein
ansteigender Meeresspiegel, häufigere,
schwerere Naturkatastrophen.
Wir wissen heute – Stichwort 2-Grad-Ziel dass wir den größten Teil der bekannten
Reserven von Kohle, Öl und Gas nicht
verbrennen dürfen, wenn wir einen
unkontrollierten Temperaturanstieg
vermeiden wollen.
Andernfalls ist die Lebensgrundlage von
Millionen von Menschen unmittelbar bedroht.
Gerade in fragilen Staaten drohen die Folgen
des Klimawandels ohnehin bestehende
Konflikte noch zu verstärken: Desertifikation,
Landflucht, steigende Lebensmittelpreise – all
das lässt ohnehin vorhandene Spannungen
weiter eskalieren und stürzt ganze
Landstriche und Länder in Chaos und
Bürgerkrieg.
Klimawandelbedingte Konflikte sind schon
jetzt in vielen Regionen der Welt Auslöser
zwischenstaatlicher Spannungen. Hinzu
kommt eine neue Dimension der
Flüchtlingsproblematik: Ende August 2014
hat Neuseeland eine vierköpfige Familie aus
dem Inselstaat Tuvalu aufgenommen –
Asylgrund: Klimawandel. Damit war
Neuseeland das erste Land der Welt, das
Flüchtlinge aufnahm, die auf Grund des
Klimawandels Asyl beantragten.
Experten sind sich einig, dass der
Klimawandel in Zukunft eine immer größere
Rolle als Fluchtgrund spielen wird. Dass wir
bis zum Jahr 2050 mit Klimaflüchtlingen in
Größenordnungen von über 100 Millionen
Menschen rechnen müssen.
Das heißt: Der Klimawandel verändert die
Konflikt- und Krisenlandschaft der Welt, die in
den letzten Jahren ohnehin schon
unübersichtlich genug geworden ist.
Das aber heißt: Alle Staaten, nicht nur
Deutschland und einige wenige Mitstreiter,
müssen aktiv werden, um den globalen
Kohlendioxidausstoß zu senken und der
weiteren Erderwärmung Einhalt zu gebieten.
Dabei gilt: Der Königsweg zu weniger
Emissionen ist ein nachhaltigeres
Energiesystem. Nur mit mehr erneuerbaren
Energien und effizienterem Energieverbrauch
haben wir eine realistische Chance, den
Klimawandel zu bremsen und das
Wirtschaftswachstum vom weiteren
Verbrauch fossiler Ressourcen abzukoppeln.
Vor diesem Hintergrund beobachten wir mit
Sorge, in welchem Maße sich viele Staaten
derzeit wieder verstärkt auf nur einen
Energieträger konzentrieren. Der Fokus auf
einzelne Energieträger kann keine Alternative
zu einer weltweiten Energiewende sein!
Das gilt auch und besonders für die
Kernenergie. Diejenigen, die jetzt auf eine
Rückkehr der Kernenergie setzen,
verschließen sich der Einsicht, dass die
Probleme der Kernenergie in keiner Weise
gelöst sind. Angefangen von den hohen
ökologischen Risiken – Stichwort Fukushima
– über Fragen der Lagerung und Entsorgung
von Brennmaterial, bis hin zu Sicherheit und
Sicherung von Kernkraftwerken sowie den mit
der Kernkraft verbundenen
Proliferationsrisiken.
All diese Probleme sind mit extrem hohen
Kosten verbunden – Kernenergie ist, wenn
man eine volkswirtschaftliche
Gesamtrechnung aufmacht, am Ende immer
die teuerste Energieform.
Wenn ein hochentwickeltes Industrieland wie
Deutschland für diese Fragen technologisch
und politisch keine wirklich befriedigenden
Lösungen gefunden hat, wenn Fukushima in
einem Land wie Japan passieren kann, muss
die Frage erlaubt sein, wie das in anderen,
technologisch weniger weit entwickelten
Ländern gelingen soll.
Das derzeit niedrige Preisniveau bei den
fossilen Energieträgern, noch beflügelt durch
die Aussicht auf eine Einigung im
Nuklearstreit mit dem Iran, stellt
vordergründig ein Hindernis für einen
schnelleren weltweiten Ausbau der
Erneuerbaren dar.
Aber der derzeit niedrige Ölpreis darf nicht
darüber hinwegtäuschen, dass wir auf lange
Sicht einen drastisch erhöhten Energiebedarf
decken müssen. Die begrenzten Ölreserven
und der erhöhte Bedarf werden den Öl- und
Gaspreis mittel- und langfristig wieder steigen
lassen. Daran ändern auch die Shale-GasReserven nichts.
Nach Schätzung der Internationalen
Energieagentur (IEA) wird im Jahr 2040 mehr
als ein Drittel mehr Energie benötigt werden
als derzeit. Die Energieversorgung der
Zukunft muss daher auf nachhaltigen
Energieträgern basieren. Wir müssen weiter
gemeinsam daran arbeiten, beim Umstieg auf
die Erneuerbaren voranzukommen. Und
deshalb brauchen wir den Erfolg der Pariser
Klimakonferenz COP 21, die wir nicht zuletzt
im Rahmen unserer laufenden G7Präsidentschaft intensiv vorbereiten helfen.
Ein Beispiel, wie Zusammenarbeit schon jetzt
funktioniert, ist die Internationale Agentur für
Erneuerbare Energien (IRENA), deren Aufbau
die Bundesregierung gemeinsam mit
internationalen Partnern angestoßen hat –
und deren geistiger Vater der vorhin erwähnte
Hermann Scheer war.
Heute, sechs Jahre nach ihrer Gründung,
zählt die Agentur 140 Mitgliedsstaaten und sie
hat wegweisende Projekte für eine stärkere
und effektivere Nutzung von erneuerbaren
Energien initiiert.
Jeder Staat muss natürlich den für sich
passenden Energiemix finden – wobei
Diversifizierung sowie die Nutzung
Erneuerbarer vor Versorgungsrisiken und
Abhängigkeiten schützen.
Versorgungssicherheit fängt bei
Energieeffizienz und dem Ausbau
erneuerbarer Energien an: Sonnenlicht,
Windkraft, Wasserkraft oder Biomasse sind
an nahezu jeder Stelle des Globus verfügbar.
Damit ermöglichen sie Ländern,
unabhängiger zu werden vom Import fossiler
Energieträger. Und helfen ihnen, wertvolle
Devisen für andere, wichtigere Aufgaben zu
sparen!
1,4 Milliarden Menschen auf der Welt haben
keinen Zugang zu Elektrizität – das entspricht
der Bevölkerung der Europäischen Union,
Nord- und Südamerikas
zusammengenommen!
Die Vereinten Nationen haben sich zum Ziel
gesetzt, auch diesen Menschen verlässlichen
Zugang zu Energie zu ermöglichen. Und auch
dabei kommt den Erneuerbaren eine zentrale
Rolle zu.
Wenn in einem afrikanischen Township oder
einem lateinamerikanischen Slum dank
kleiner Solarelemente auf jeder Hütte plötzlich
Wärme zum Kochen und Licht zum Lesen zur
Verfügung steht, entstehen Bildungschancen,
Teilhabechancen und mehr Lebensqualität.
Anrede,
die Energiewende ist ein zukunftsweisendes
und ambitioniertes Projekt – nicht nur für uns
Deutsche. Wir sind – wenn man so will – das
Experimentierfeld der Welt für die sichere,
bezahlbare, nachhaltige Energieversorgung
der Zukunft. Was bei uns gelingt, weckt
Hoffnung und Mut. Was bei uns scheitert,
wird an vielen anderen Orten gar nicht erst
versucht werden.
Dabei ist klar: Deutschland liefert keine
Blaupause für das Energiemodell anderer
Länder – jeder Staat wird seinen eigenen Weg
müssen. Aber wir sind der Pionier, auf den
alle schauen.
Die Energiewende ist, wenn man so will, das
deutsche „Man to the Moon“-Projekt!
Der Wandel zu einem nachhaltigeren,
bezahlbaren und sicheren System der
Energieversorgung ist eines der
herausforderndsten Zukunftsprojekte der
Menschheit – und sehr viele blicken auf uns.
Das erkennt man nicht zuletzt daran, dass es
im Arabischen, im Spanischen, im Englischen
und im Chinesischen für den Wandel der
Energiesysteme immer nur ein Wort gibt:
„Energiewende“.
Wenn ich daran denke, dass es sonst häufig
Worte wie „Angst“ oder „Blitzkrieg“ waren,
die aus dem Deutschen genutzt wurden, darf
es uns 70 Jahre nach Ende des zweiten
Weltkriegs durchaus mit ein wenig Stolz
erfüllen, dass die ganze Welt heute von
„Energiewende“ spricht. Jetzt muss sie nur
noch – in gemeinsamer Anstrengung – zu
einem Erfolg werden!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.