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Rede von Ministerpräsident Erwin Sellering
zu verschiedenen Tagesordnungspunkten
zum Thema „Energiewende“
in der Bundesratssitzung
vom 18.12.15
Sperrfrist: Ende der Rede.
Es gilt das gesprochene Wort!
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Anrede,
im Jahr 2011 haben Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat eine historische
Entscheidung getroffen. Deutschland steigt aus der Atomenergie aus. 2022 soll das letzte
Atomkraftwerk in Deutschland stillgelegt werden. Bis dahin soll der Ausbau der erneuerbaren
Energien entscheidend vorangebracht werden.
Wir waren uns damals im Klaren darüber, dass das keine einfache Aufgabe wird. Ich bin aber
nach wie vor davon überzeugt: Diese Entscheidung war richtig. Die Atomkraft ist keine
hundertprozentig sichere Technologie. Ein Unfall hätte in einem dicht besiedelten Staat wie
Deutschland fatale Folgen. Hinzu kommt, dass uns der auf Jahrtausende strahlende Atommüll
vor riesige Probleme stellt. Wir alle kennen die Schwierigkeiten, Zwischen- und
Endlagerstätten allein für den bis jetzt angefallenen Müll zu finden. Zugleich ist der Ausbau
der erneuerbaren Energien eine große wirtschaftliche Chance für Deutschland. Durch den
Ausbau der erneuerbaren Energien sind schon Zehntausende von Arbeitsplätzen in allen
Bundesländern entstanden – bei den Herstellern von Windkraftanlagen und Solarzellen und
ihren Zulieferern, in Planungsbüros, bei den Betreibern der Anlagen und auch in
Handwerksbetrieben, die sich auf die Montage und Wartung von Energieanlagen spezialisiert
haben.
Für uns in Mecklenburg-Vorpommern ist das eine der wichtigsten Zukunftsbranchen. Und ich
sehe auch langfristig gute Chancen. Denn ich bin zuversichtlich, dass auch andere Staaten
unseren Weg einschlagen werden, wenn die Energiewende in einem großen Industrieland wie
Deutschland gelingt. Deshalb ist es richtig, auf diesem Weg weiter voran zu gehen. Wir
müssen die Energiewende gemeinsam zum Erfolg führen.
Aber natürlich ist eine Umstellung der Energieversorgung eines Landes mit vielen schwierigen
Einzelfragen verbunden. Dazu gehört, dass wir ausreichend Kapazitäten brauchen, um
jederzeit die Stromversorgung in Deutschland sicherstellen zu können. Das ist aus zwei
Gründen nicht einfach. Denn einerseits schwankt der Verbrauch. Je nach Jahreszeit und
Tageszeit wird eine unterschiedliche Menge an Energie benötigt. Neu kommt hinzu, dass bei
zumindest einigen der erneuerbaren Energieträgern auch der Ertrag schwankt. Auf See ist die
Windkraft zwar nahezu grundlastfähig. Deshalb ist der Bau von Windparks vor unseren
Küsten, in der Nordsee und in der Ostsee, für das Gelingen der Energiewende unverzichtbar.
An Land aber unterliegt der Ertrag der Windkraft größeren Schwankungen. Das gilt auch bei
der Solarenergie. Es ist falsch, hier von „Zufallsstrom“ zu sprechen, wie dies die Gegner der
erneuerbaren Energien tun. Denn zufällig weht der Wind nicht. Er weht nur nicht gleichmäßig.
Und das muss beachtet werden, wenn es darum geht, die Stromversorgung in Deutschland
zu sichern.
Zu den großen Herausforderungen gehört auch der Umbau der Netze. Wir haben hier
verschiedentlich darüber gesprochen, dass wir große, leistungsfähige Stromtrassen brauchen,
um den an der Küste erzeugten Strom in die Ballungsgebiete im Süden und Westen
Deutschlands zu bringen. Das kostet, aber es kostet deutlich weniger als eine völlig dezentrale
Stromerzeugung in kleinen Einheiten – ohne die Verknüpfung durch die großen
Stromautobahnen, am Ende in einem Verbundnetz in Europa. Notwendig ist aber auch der
Umbau der regionalen Netze, der so genannten Verteilernetze. Bisher wurde der Strom
überwiegend in einigen großen Kraftwerken erzeugt. Künftig wird Strom an sehr vielen Orten
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produziert. Er muss dann zu Sammelpunkten transportiert und von dort über große,
leistungsfähige Stromleitungen zu den Kunden geleitet werden.
Um diese Fragen geht es unter anderem im Strommarktgesetz, das uns die Bundesregierung
zur Stellungnahme vorgelegt hat. Und mit der Neuregelung der Kraft-WärmeKopplungsgesetzes, dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende und den
vorgeschlagenen Änderungen beim Leitungsbau liegen uns drei weitere Gesetze vor, die mit
der Energiewende zusammenhängen. Das zeigt: Die Bundesregierung bringt die
Energiewende voran. Wir werden als Bundesrat sicher an der einen oder anderen Stellen noch
Änderungswünsche vorbringen. Aber insgesamt ist das ein Paket, das uns bei der
Energiewende helfen wird. Deshalb vielen Dank an dieser Stelle an die Bundesregierung und
vor allem an den Bundeswirtschaftsminister, der entgegen seinen ursprünglichen Planungen
leider heute nicht bei uns sein kann.
Ich denke, dass uns die vorliegenden Vorschläge insbesondere an drei wichtigen Punkten
voranbringen. Der erste Punkt ist die Versorgungssicherheit. Wir alle wissen, dass es im
kommenden Jahrzehnt neben den erneuerbaren Energien auch konventionelle Kraftwerke
geben muss. Hier stehen wir vor dem Problem, dass diese Kraftwerke bei einer steigenden
Menge von Strom aus erneuerbaren Energien unrentabler werden, weil der Bedarf an immer
mehr Tagen schon durch den Strom aus Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraft gedeckt ist.
Die Bundesregierung hat hier ein Modell vorgelegt, das vor allem auf den Markt und auf flexible
Lösungen setzt. Hinzu kommt eine Kapazitätsreserve für extreme Situationen. Das ist
eindeutig die bessere Lösung. Wer auf Kapazitätsmärkte setzt, schafft riesige zusätzliche
Kosten, quasi eine weitere Subventionssäule. Das Modell der Bundesregierung ist besser
geeignet, die Versorgung sicherzustellen und gleichzeitig die Kosten der Energiewende zu
begrenzen.
Der zweite wichtige Punkt, die vorgelegten Gesetzentwürfe enthalten Anreize für eine
Beschleunigung des Netzausbaus. Der ist dringend nötig. Ich finde es richtig, dass wir beim
Bau der großen Stromtrassen stärker als bisher auf Erdkabel setzen. Das ist zwar ein Punkt,
der mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Ich bin aber sicher: Wir erhöhen auf diese Weise
auch die Akzeptanz des notwendigen Leitungsbaus. Und ich füge als Ministerpräsident eines
Landes, das seine wichtigste Stromtrasse, nämlich die von Schwerin nach Hamburg, bereits
fertiggestellt hat, hinzu: Ich halte es auch für richtig, die Kosten für die Erdkabel bundesweit
zu verteilen. Denn Deutschland wird insgesamt von diesen neuen Stromtrassen profitieren.
Der dritte Punkt: Wir schaffen auch Anreize für mehr Energieeffizienz. Das ist neben dem
Ausbau der erneuerbaren Energien ein zweiter ganz wichtiger Punkt. Deshalb ist es gut, dass
mit dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz und dem Gesetz zur Digitalisierung der
Energiewende, das auf den Einbau von intelligenter Mess- und Steuerungstechnik setzt, auch
hierzu Vorschläge auf dem Tisch liegen. Vorsicht dabei aber: Bitte die kleinen Endverbraucher
nicht überfordern. Deshalb brauchen wir ein Widerspruchsrecht, so wie das der Vorschlag aus
unserem Wirtschaftsausschuss vorsieht.
Ich möchte zum Schluss noch ein Thema ansprechen, das aus Sicht von MecklenburgVorpommern besonders wichtig ist. Derzeit sind die Kosten für den Netzausbau regional
unterschiedlich verteilt. Dabei sind vor allem die Regionen besonders belastet, die schon heute
einen hohen Anteil an erneuerbaren Energien aufweisen. Dazu gehören auch die
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ostdeutschen Bundesländer, wo es schon seit 1990 keine Atomkraftwerke mehr gibt und wo
der Ausbau der erneuerbaren Energien vielerorts schon weit fortgeschritten ist. Das führt bei
uns in Mecklenburg-Vorpommern, aber natürlich auch in den anderen betroffenen
Bundesländern zu einer unverhältnismäßigen Belastung der Verbraucher – sowohl der
Wirtschaft wie auch der Bürgerinnen und Bürger.
Wir setzen uns deshalb seit vielen Jahren dafür ein, dass die Netzausbaukosten gerechter
verteilt werden. Die Energiewende ist eine große nationale Aufgabe. Und deshalb müssen
auch die Kosten von allen Regionen in Deutschland gleichermaßen getragen werden.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass die so genannten vermiedenen
Netzentgelte abgeschafft werden sollen. Das ist seit langem unsere Forderung. Das begrüßen
wir. Allerdings sieht der Entwurf der Bundesregierung die Abschaffung erst für das Jahr 2021
vor. Das ist aus unserer Sicht zu spät. Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Mecklenburg-Vorpommern haben deshalb bei den Beratungen in den Ausschüssen
gemeinsam einen Antrag eingebracht, der eine sofortige Abschaffung der vermiedenen
Netzentgelte bei Wind- und Photovoltaikeinspeisungen zum Ziel hat. Wir freuen uns, dass
dieser Vorstoß im Wirtschafts- und im Umweltausschuss von einer Mehrheit unterstützt
worden ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser Änderungsvorschlag – das ist die Ziffer
54 – auch hier im Plenum eine breite Unterstützung finden würde. Das wäre ein wichtiger
Beitrag zu einer gerechteren Verteilung der Energiekosten und damit für mehr Akzeptanz der
Energiewende.
Darüber hinaus müssen wir auch insgesamt zu einer Lösung kommen, die Netzentgelte
bundesweit fair zu verteilen. Die Vorschläge zu den Erdkabeln und den vermiedenen
Netzentgelten können da nur ein Anfang sein.
Anrede,
Bunderegierung, Bundestag und Bundesrat haben die Energiewende gemeinsam auf den
Weg gebracht – in einem parteiübergreifenden Konsens. Wir sind seit 2011 deutlich
vorangekommen. Der Anteil der erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung ist in allen
Ländern angestiegen. Einige Länder wie wir in Mecklenburg-Vorpommern können ihren
Strombedarf sogar schon jetzt vollständig aus erneuerbaren Energien decken. Es liegen aber
nach wie vor noch schwierige Aufgaben vor uns. Lassen Sie uns auch diese Aufgaben in
möglichst großer Gemeinsamkeit angehen!