Berlin auf dem Weg zu einer Referenzmetropole für eine

Papier Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen basierend auf Diskussion mit Beratergruppe
Berlin auf dem Weg zu einer
Referenzmetropole für eine nachhaltige Energieversorgung
Dr. Matthias Kollatz-Ahnen
Senator für Finanzen*
I.
Ausgangslage
Berlin, Deutschland, Europa und die internationale Gemeinschaft haben sich
ehrgeizige umwelt- und klimapolitische Ziele gesetzt. Dabei ist klar: Die Zukunft der
Menschen liegt in der Stadt. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der
Weltbevölkerung in Städten und Metropolregionen. Über den Erfolg oder das
Scheitern des Klimaschutzes des Planeten Erde wird vornehmlich in den Städten
entschieden. Das zukünftige Wachstum der Weltbevölkerung wird in den Städten
stattfinden. Mehr als 70 % des Energieverbrauchs und 80 % der
Treibhausgasemissionen entfallen bereits jetzt auf die Städte – mit weiter
steigender Tendenz. Das Gelingen der Energiewende wird daher in den Städten
entschieden.
II.
Chancen und Herausforderungen für Berlin
Berlin bekennt sich zu seiner Verantwortung, einen starken Beitrag zur Energiewende
zu leisten. Der Klimaschutz ist nicht nur eine ernste Herausforderung, sondern er
bietet auch Chancen. Für Berlin heißt das: Wenn ihre Umsetzung richtig gesteuert
wird, können die notwendigen technischen Innovationen die Lebensqualität in der
Stadt für alle steigern. Mit der Ausrichtung der Energieversorgung auf den
Klimaschutz entstehen Potenziale für die regionale Wirtschaft, die gezielt gehoben
werden müssen. Dabei kann unsere Stadt zeigen, wie ein integrierter Ansatz einen
Gewinn für Klima, Menschen und Wirtschaft schafft und seine Ideen exportieren.
Darin besteht eine Chance für die gesamte Stadt.
Langfristiges Ziel ist die Verbindung von alternativen Energiequellen, smart grids,
smart metering, effizientem Planen und Bauen und intermodaler Mobilität zu einer
vernetzten und nachhaltigen smart city. Berlin hat in einer Machbarkeitsstudie ein
ambitioniertes aber auch realistisches Konzept vorgelegt, wie bis 2050 eine
Verringerung des CO2-Ausstoßes um 85 % gegenüber 1990 gelingen kann. Statt
74.4 TWh in 2010 sollen nur noch 40.2 TWh p.a. benötigt werden, wobei die Mehrheit
aus erneuerbaren Energien stammen wird. Eine große Herausforderung stellt hierzu
die energieartenübergreifende Transformation des Ist-Zustands dar. Hierbei gilt es,
die Versorgungs- und Infrastruktursicherheit zu erhalten, innovative Technologien zur
Anwendung zu bringen, den regulatorischen Rahmen zu nutzen und zugleich eine
wirtschaftliche und handlungsfähige Betriebsführung von Energieversorgungsunternehmen sicherzustellen. Dies gelingt nur durch eine aktive Einbeziehung der
Stadtgesellschaft, denn die Menschen als Verbraucher und kreative Köpfe müssen
den Wandel tragen und vorantreiben.
Berlin hat die Chance zu einer Referenzmetropole Energiewende zu werden, da hier
die maßgeblichen Ressourcen und Potenziale in einzigartiger Weise gebündelt sind:
• Hohe Bevölkerungsdynamik
• Große Forschungskapazität und Innovationskraft
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• Engagierte Stadtgesellschaft
• Vorhandener Mix aller Energiearten mit hoher Netz- und Energiedichte
• Umland mit Freiflächen und hoher Dichte an Erzeugung von erneuerbaren
Energien
• Möglichkeit zur positiven Nutzung von Größeneffekten
Die derzeit laufenden Konzessionierungsverfahren einschließlich der kritischen
erstinstanzlichen Gerichtsentscheidung in Sachen Gas bieten die Chance, jetzt die
Energieinfrastruktur der Stadt (Strom, Gas, Wärme) in Richtung einer nachhaltigen
urbanen Energieversorgung in der Hand eines integrierten Berliner Stadtwerkes neu
zu gestalten. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie als Strom- und
Wärmewende verstanden wird. Ein wichtiger Baustein kann darin bestehen, die
Energiewende mit neuen und smarten IT-Infrastrukturen und Dienstleistungen zu
verknüpfen.
III.
Verantwortung von Stadt und Kommune
Die Energiewende ist kein Selbstläufer. Sie kann nur gelingen, wenn die Menschen
in der Stadt sie akzeptieren und unterstützen. Für die Identifikation mit der Energiewende muss aktiv geworben werden. Von herausragender Bedeutung sind dabei die
Elemente Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Teilhabe.
Hier bleibt einiges zu tun. Die bisherigen Erfahrungen in Berlin zeigen, dass einige
der großen Versorgungsunternehmen sich bisher nur langsam bewegen und das
auch häufig reaktiv. Sie zeigen wenig Interesse an der sozio-kulturellen Dimension
und dem Aufbau stärker regional ausgerichteter Wertschöpfungsketten.
Insbesondere aber fehlt es an einer ganzheitlichen und energieartenübergreifenden
Betrachtung (Strom, Gas und Wärme, ggf. Wasser, in Verbindung mit Stadt-, Raumund Bauplanung, Mobilität, smart grids und smart metering). Im engen Fokus auf
Einzelthemen wird
die
Vielfalt der Stadt ausgeblendet, vorhandene
Synergiepotenziale werden nicht einbezogen.
Sowohl die ökologischen und technischen Entwicklungen als auch die rechtlichen
Rahmenbedingungen befinden sich in einer zukunftsgerichteten Dynamik, deren
finaler Zustand nicht präzise vorhergesagt werden kann. Das birgt Chancen, schafft
aber ebenso Risiken, auf die mit ständiger aktiver Auseinandersetzung und flexiblen
Antworten reagiert werden muss. Die Energiewende wird daher voraussichtlich einen
dauerhaft hohen Einsatz von planerischen, konzeptionellen und finanziellen Mitteln
erfordern. Eine kluge Ausrichtung und Ausgestaltung der Finanzierung schont
Haushaltsmittel, arbeitet schwerpunktmäßig mit Re-Investitionen von Gewinnen und
setzt Bürgschaften für Zukunftsinvestitionen in nachhaltige Daseinsvorsorge ein. Dies
gilt es neben möglichen Erträgen mit zu berücksichtigen. Gesucht sind also auch
Wege, entstehende Lasten gerecht und nachhaltig zu bewältigen.
Das Land Berlin ist gefordert, die Kohärenz zwischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zielen herzustellen. Dafür müssen seine Steuerungsmöglichkeiten
gestärkt und nachhaltig ausgerichtet werden. Ein solches umfassendes Projekt von
großer gesamtstädtischer Bedeutung bewegt sich naturgemäß in mittel- und
langfristigen Dimensionen. Es bedarf neben der regulatorischen Kompetenz daher
auch einer weitsichtigen, strategischen unternehmerischen Federführung des Landes
– idealiter in Kooperation mit einem strategischen Partnerunternehmen, das seine
Fachkompetenz einbringt. Entsprechende Anwendungsfelder einer solchen
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Kooperation mit unternehmerischer Führung durch das Land können sich sehr
schnell bei einer teilweisen Rekommunalisierung und Bündelung der (vor allem
regulierten) Energienetze, bei einem forcierten Aufbau eines dem Klimaschutz
verpflichteten Stadtwerkes ergeben. Diese sollten ergänzt werden durch die
pilotartige Entwicklung neuer Energiedienstleistungen.
IV.
Starke Partnerschaften für die Energiewende
Das Land will zusammen mit einem innovationsstarken Partnerunternehmen die
Transformation der Berliner Energielandschaft gestalten. Dabei strebt es eine winwin-Situation an: Es kommt nur ein Unternehmen in Betracht, das ebenso wie das
Land über kurzfristige Gewinninteressen hinaus zu einem langfristigen wie
zuverlässigen Engagement in der Stadt bereit ist. Das betrifft alle unternehmerischen,
technischen und finanziellen Risiken sowie den Dialog mit der Stadtgesellschaft.
Berlin gewinnt durch eine Partnerschaft aber auch technisches Wissen, Teilhabe an
technischen Innovationen und Verknüpfung zu Energiesystemen und -strukturen
jenseits des kommunalen Aktionsrahmens.
Die Energiewende gelingt nur in einem gesellschaftlichen Miteinander. Interessierte
Bürgerinnen und Bürger, Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Netzwerken
und Fachwelt sowie die regionale Wirtschaft können den Transformationsprozess mit
ihrem Wissen, ihren Ideen und ihrem Engagement in jeder Hinsicht stark machen.
Mit ihrer Unterstützung wird es gelingen, das erforderliche Momentum zu erzeugen,
das für den Erfolg der Energiewende unabdingbar ist.
An die Betreiber von Versorgungsinfrastrukturen sind folgende Anforderungen zu
stellen:
• Als Energieinfrastrukturbetreiber sollen sie Partner und Impulsgeber bei der
Entwicklung und Umsetzung von wirtschaftlich tragfähigen städtischen
Energieversorgungs-, Klimaschutz-, Stadtentwicklungskonzepten und
Leuchtturmprojekten sein.
• Wegen der zunehmend auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung müssen Netze so betrieben werden, dass Produktionsspitzen der
erneuerbaren Energien speicher- und somit nutzbar gemacht werden und
dass intelligente Infrastrukturen zur verbrauchsnahen Steuerung der
Energieerzeugung und zur Erhöhung der Energieeffizienz in den Bereichen
Erzeugung und Verbrauch erschlossen werden. Dies schließt die
Gewährleistung eines hohen Maßes an Transparenz gegenüber Kunden und
anderen Akteursgruppen ein.
• Darüber hinaus sollen erneuerbare Energien und die dezentrale
Energieversorgung aktiv durch eine entsprechende Anpassung der
Netzinfrastruktur gefördert werden.
• Die mehrheitliche gesellschaftsrechtliche Einbindung des Landes Berlin in die
Infrastrukturbetreibergesellschaften ermöglicht die langfristige
Berücksichtigung dieser Anforderungen im Unternehmen.
• Dabei wird gemäß den europarechtlichen Vorschriften des unbundling eine
strikte Trennung der energierelevanten (z.B. Stadtwerk) und netzrelevanten
(z.B. Netzbetreiber) Prozesse gewährleistet.
Die Investitionsplanung soll alle fünf Jahre überprüft und weiterentwickelt werden.
Die staatliche Seite sucht den ständigen Dialog mit dem Partnerunternehmen, wobei
der bestimmende öffentliche Einfluss in erster Linie auf die Strategie und die
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Investitionsplanung beschränkt bleibt. Die Investitionsplanung erfolgt nach der
Entscheidung über die Strategie auf Vorschlag des Unternehmensvorstands.
V.
Weiteres Vorgehen
Der Berliner Senat erarbeitet gegenwärtig begleitend zum Energiewendegesetz und
Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm ein strategisches und integriertes
Leitbild für die Energiepolitik im Land Berlin. Er hat sich zum Ziel gesetzt, stärkeren
Einfluss auf die Rahmenbedingungen der Energieversorgungsinfrastrukturen als
Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge zu nehmen. Unternehmens- und
bürgerfreundliche Gestaltung sind neben der Verwirklichung übergeordneter Ziele,
wie nachhaltiger Stadtentwicklung, Klimaschutz, Bindung von Fachkräften und
regionalem Wirtschaftswachstum die Leitmotive dieses Engagements.
In dem nun laufenden Prozess sollen Modelle zur netzübergreifenden
Zusammenführung von Strom, Gas und Wärme (ggf. Wasser, Elektromobilität,
Geothermie) für einen integrierten Betrieb und systemübergreifende Koordination
entwickelt werden. Hierfür ist der anzustrebende Energiemix für die Stadt von
zentraler Bedeutung. Diese Überlegungen können Inhalt eines kompetitiven Dialogs
mit den in Berlin aktiven international tätigen Energieunternehmen sein, darüber
ob, wie und auf welchem Pfad eine diversifizierte, sichere und mit den Klimazielen
2050 übereinstimmende Energieversorgung erreicht werden kann. Dieser Dialog
bietet die Chance, rational den bestmöglichen Partner zu identifizieren.
Ein besonderes Element der Berliner Strategie soll eine energieartenübergreifende Kopplung der Infrastrukturen unter Berücksichtigung einer
begleitenden Entwicklung des superschnellen Internets und generell einer der
Referenzmetropole entsprechenden modernen Informations- und Kommunikationslandschaft sein. Diese Kopplungsphilosophie betrifft alle Phasen der
Infrastrukturprozesse von der Bauplanung, über den effizienten Bündelungsbetrieb
bis zu einem Infrastrukturservice „aus einer Hand“ und beinhaltet optional auch
Kooperationen mit anderen Netzen, Netzbetreibern und Netznutzern, einschließlich
des Umlandes von Berlin. Dabei wird es von großem Vorteil sein, wenn der
kommunal geprägte Infrastrukturbetreiber mit einer größtmöglichen Datenoffenlegung
und Transparenz wirkt, um gesellschaftlichen Mehrwert über Partizipation und
effiziente Wachstumsprozesse zu schaffen.
Es wird ein intensivierter Austausch mit potenziellen Partnerunternehmen geführt.
Ausgangspunkt sind Gespräche mit den Eignern der Altkonzessionäre über eine
strategische Beteiligung des Landes (50% plus 1) an den Berliner
Versorgungsunternehmen. Entscheidungskriterien für die Zukunftsstrategie bei der
Netz- und Energiepolitik sind der Preis, die Investitionsplanungen mit ihrem
Zielerreichungsgrad für 2050 und die gemeinsame Zukunftsperspektive mit Blick auf
Umwelt und Stadtgesellschaft.
*Dieses Papier basiert auf der Beratung durch die ad-hoc Expertengruppe „Energie und Netze
für Berlin“ bei der Senatsverwaltung für Finanzen. Die Gruppe war gebeten worden, zu
diskutieren, welche Zielbilder für Energie und Netze in Berlin im Rahmen der Energiewende in
Frage kommen und wenn möglich einen Korridor zu beschreiben. Die Gruppe tagte drei Mal
und diskutierte eine Reihe von Papieren. Der Expertengruppe gehören an: Hans-Jürgen Cramer
– ITC- con, Silke Engler – Erste Stadträtin Baunatal, Wolfgang Neldner – Geschäftsleiter Berlin
Energie, Prof. Dr. Friedbert Pflüger – Pflüger International, Hans-Joachim Reck –
Hauptgeschäftsführer Verband der Kommunalen Unternehmen.
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