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Reinhard Frankl
Vorsitzender GEW Unterfranken
1. Mai 2015, Lohr (Main)
Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen,
wir alle wurden in den letzten Tagen erneut hart auf folgende Tatsache gestoßen: Es gibt NaturKatastrophen, denen steht die Menschheit machtlos gegenüber. Ihr bleibt hinterher nur das zu
pflegen, was Che Guevara einmal die Zärtlichkeit der Völker genannt hat: Solidarität.
Sie gilt in diesen Tagen den Überlebenden in Nepal.
Internationale Solidarität - das ist unser Thema als Gewerkschaft und insbesondere am 1. Mai, den
Arbeiterinnen und Arbeiter aller Länder nun seit 125 Jahren feiern.
Hoch die internationale Solidarität!
Es gab Zeiten, da wurde der 1. Mai „Internationaler Kampftag der Arbeiterklasse“ genannt. Das ist
aus der Mode gekommen. Ich gebe zu, ich bedauere das schon. Denn damit ist verbunden, dass
uns die Gegenseite, ja, manchmal auch Leute in unseren eigenen Reihen, drei Dinge ausreden bzw.
einreden möchte:
1. z. B so: „Eine Arbeiterklasse - gibt es doch gar nicht mehr!“ Es mag ja sein, dass bei manchen
das Vermögen wächst, ohne dass sie etwas dafür arbeiten müssen. Ich wage aber zu behaupten, bei über 90 Prozent der Menschen ist das nicht so. Hier auf dem Platz gleich gar nicht. Und
auch die, die durch Spekulation ihr Geld vermehren, können letztlich nur auf die Bewegung der
Werte wetten, die durch unsere Arbeit geschaffen werden. Und wie damals die DDR-Oberen
liegen auch unsere Herrschenden voll daneben, wenn sie uns vorgaukeln, es gäbe keine Klassen
mehr. Leben wir tatsächlich in einer klassenlosen Gesellschaft, also im Kommunismus? Nein.
Bleibt also: Solange es Arbeit gibt und Klassen, gibt es auch eine Arbeiterklasse. Das sollten wir
uns viel stärker bewusst machen in unserem Kampf um unsere Interessen.
Damit bin ich bei Punkt
2. Der Kampftag. „Klassenkampf, iih pfui. Das tut man doch nicht!“ Sagen sie uns. Dann frage ich
aber, was war denn die Agenda 2010 mit der Einführung der Hartz-Gesetze vor 10 Jahren? Woher kam der Absturz der Lohnquote? Was war die Verlängerung der Lebensarbeitszeit? Kolleginnen und Kollegen, es wird Zeit, dass wir auch hier unten den Kampf für unsere Interessen
genauso scharf aufnehmen, wie sie ihn von oben herab gegen uns führen.
3. der Internationalismus. Hier fällt mir sofort Griechenland ein. Ich habe eingangs von NaturKatastrophen gesprochen, die wir nie verhindern werden. Es gibt aber auch Katastrophen, die
nicht in der Natur des Universums liegen, sondern in der Natur der von uns gewählten oder erduldeten Gesellschafts- bzw. Wirtschaftsordnung. Die aber ist natürlich auch nur durch uns
selbst zu ändern. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir einerseits die Arbeitswelt der Zukunft gestalten wollen, aber anderseits Katastrophen begegnen, wie sie unseren griechischen
Kolleginnen und Kollegen angerichtet wurde.
Kolleginnen und Kollegen, die griechischen Volksmassen haben unsere Solidarität verdient! Ich
sage das nicht nur, weil ich noch unter dem Eindruck meines Oster-Besuches in Griechenland stehe. Ich sage das auch, weil ich der festen Meinung bin, dass wir vom Mut und den Erfahrungen der
Griechen etliches lernen können.
Die Eliten und ihre Institutionen haben in Griechenland ausprobiert, wie platt man ein Volk machen kann. Das war HartzIV-hoch-fünf!
Kolleginnen und Kollegen, glaubt ja nicht, dass diese Erfahrungen aus dem neoliberalen Freilandversuch des TROIKA-Regimes irgendwo an den Südhängen der Alpen hängen bleiben.
Irgendwann werden sich diese Erfahrungen der Herrschenden wieder gegen uns wenden, wie damals, als wir die Faulen waren und angeblich in einem Freizeitpark lebten.
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Damals drückten sie die Lohnquote von über 70 auf unter 60 Prozent und schleiften die sozialen
Errungenschaften der Nachkriegsjahrzehnte, die solidarischen Vorsorge- und Versorgungssysteme.
Deshalb: lasst euch nicht von der nationalistischen Hetze gegen andere Völker anstecken!
Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sie verlaufen zwischen oben und unten!
Ich habe in den Familien meiner griechischen Freunde große Hoffnung in den Neuanfang mit SYRIZA gesehen. Aber auch tiefe Skepsis. Und ich wurde gefragt, warum die Deutschen so über die
Griechen herziehen, ob wir sie jetzt wieder als drittklassige Menschen betrachten, mit denen man
umspringen kann, wie man gerade will.
Kolleginnen und Kollegen, da musste ich ganz schön schlucken, um den Kloß im Hals runter zu
kriegen. Und wir haben uns eine Zusammenfassung der ZDF-„Anstalt“ mit griechischen Untertiteln
angeschaut, in der ein Überlebender des Distomo-Massakers die Deutschen ermahnt, hinsichtlich
Zwangskredit und Reparationsansprüchen die Regeln anzuwenden, die von den Griechen eingefordert werden: Schulden müssen bezahlt werden! Keine Tricks! Und die griechischen Freunde
haben die anschließende nachdenkliche Stille im deutschen Publikum sehr genossen.
Heute bin ich froh, auf einen Aufruf hinweisen zu können, den die Vorsitzenden von sieben Mitgliedsgewerkschaften und der DGB-Vorsitzende Hoffman als Erstunterzeichner mittragen.
Er ist überschrieben:
Griechenland nach der Wahl - Keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa! Ich zitiere daraus:
„Wir unterstreichen erneut die von Seiten der Gewerkschaften in den zurückliegenden Jahren vielfach geäußerte Kritik: Die entscheidenden Bedingungen, unter denen die finanziellen Hilfen für
Griechenland gewährt werden, hatten von Anfang an nicht die Bezeichnung »Reform« verdient.
Die Milliarden, die nach Griechenland geflossen sind, wurden vor allem für die Stabilisierung des
Finanzsektors verwendet. Gleichzeitig wurde das Land mit einer brutalen Kürzungspolitik in die
tiefste Rezession und damit zugleich in die höchste Staatsverschuldung der gesamten EU getrieben.“
In Griechenland wird uns auf dramatische Weise und überdeutlich vor Augen geführt, was mit den
Menschen in einem Land passiert, das man den neoliberalen Ideologen für ihre Freilandversuche
öffnet.
die abhängig Beschäftigten, die RentnerInnen, die kleinen handwerklichen und bäuerlichen
Betriebe werden bis an den Rand der Existenzfähigkeit geschröpft - und darüber hinaus.
die öffentlichen Vorsorge- und Versorgungssysteme werden bis zur Unkenntlichkeit gekürzt
oder gar samt und sonders privatisiert, d. h. einem ruinösen freien Markt überlassen, was wiederum die am meisten trifft, die wenig besitzen.
die rechten Ratten werden aus ihren Löchern gelockt und wieder angesetzt auf alles, was da
links oder gewerkschaftlich organisiert ist.
und zur Ablenkung von all diesen Sauereien braucht es wieder einen Sündenbock. Diesmal sind
es die Flüchtlinge, am liebsten Muslime.
Lasst mich zu den vier Punkten ein paar Erläuterungen anhängen.
Schon seit Jahrzehnten kennen wir von Bertelsmann-Stiftung und IFO-Institut das AnSinnen, die
Lohn-Einkommen um 30 Prozent zu kürzen. Das ist über HartzIV und das Aufbrechen des gesamten Lohngefüges nach unten teilweise gelungen. Aber wir haben nun einen Pflock eingeschlagen.
Auch wenn einige Kollegen ihn kritisieren, er wäre zu klein. Ich sage: Die Einführung des Mindestlohns ist ein Erfolg, der nicht klein geredet werden darf. Aber ich will auch ergänzen: ja, von 8,50
kann man nicht wirklich leben. Wir wissen, dass hier noch Hartz-IV-Aufstockung programmiert ist.
Und es muss auch klar sein: keine Ausnahmen!
Das Mindestlohngesetz ist ein Schritt nach vorne - auch für die Kampagne, der sich die GEW Bayern angeschlossen hat: Für 10 Euro Mindestlohn, und zwar lohnsteuerfrei.
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Warum lohnsteuerfrei? Weil wir nach Abzug der Lohnsteuer zu nahe an den Hartz-IV-Satz rutschen
und unseres Erachtens ein Mindesteinkommen überhaupt nicht besteuert werden soll. Das kann
man durch entsprechendes Anheben der Steuerfreibeträge regeln. Das käme auch den immer
mehr verarmten Rentnern zugute. Wer mir jetzt entgegenhält, dass da ja die Reichen wieder mit
gewinnen, dem sage ich: Das holen wir bei den Bemessungsgrenzen locker wieder rein!
Da ist viel Spielraum nach oben, da müssen wir ohnehin mehr zulangen als bisher!
Kolleginnen und Kollegen, achtfünfzig hin - 10 Euro her: die beste Art, unsere Einkommen zu sichern und unseren Anteil an der Wertschöpfung zu steigern ist immer noch, für anständige Tarife
kämpfen! Unsere Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst der Länder haben gerade wieder einen solchen Kampf durchgefochten. Wir hätten uns auch über mehr gefreut, aber nahezu 80
Prozent der betroffenen GEW-KollegInnen haben dieser Tage dem Ergebnis zugestimmt und wir
gratulieren zu 2,1 Prozent mehr rückwirkend ab 1. März und noch einmal zu 2,3 Prozent, mindestens aber 75 Euro mehr ab 1. März 2016.
Keine Einigung gibt es dagegen auch nach der fünften Verhandlungsrunde im Sozial- und Erziehungsdienst der Kommunen. Wir haben die Verhandlungen als gescheitert erklärt, die Urabstimmung ist angelaufen. Auch hier wird sich zeigen, was gewerkschaftliche Solidarität bedeutet.
Kolleginnen und Kollegen, lasst uns solidarisch an ihrer Seite stehen!
Wir sagen: gerade bei der sukzessiven Zerschlagung der Familienstrukturen durch die kapitalistische Produktionsweise - Erziehung und Bildung müssen uns mehr wert sein!
Öffentliche Bildung und Erziehung sind seit Jahrzehnten unterfinanziert. Die GEW hat vor vier Jahren ein Gutachten vorgelegt, das belegt: Wenn wir wirklich eine gute Bildung für alle wollen, wenn
wir wirklich Inklusion nicht nur als weiß-blaues Etikett auf Vorschulen, Schulen und Hochschulen
kleben wollen, sondern entsprechende Rahmenbedingungen dafür einziehen, dann brauchen wir
jährlich bundesweit ca. 50 Milliarden mehr als die bisherigen Ausgaben für öffentliche Bildung und
Erziehung. Und die Gewerkschaften haben auch verschiedene Steuermodelle vorgelegt, nach denen das Geld dafür bereit gestellt werden kann. Damit wäre auch genug in den öffentlichen Schatullen eines der reichsten Länder der Erde, um Erzieherinnen und Lehrkräften endlich anständige
Löhne und Gehälter zu zahlen.
Und weil unsere Produktivität in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen ist, zu Deutsch - die
Arbeitshetze ist gestiegen - deshalb gehört neben unsere Lohnforderungen auch die Diskussion
um Arbeitszeitverkürzung. Ob von Professor Rainer Roth aus Frankfurt oder von Professor Heinz
Bontrup von der Westfälischen Hochschule gerechnet, die Fakten liegen auf dem Tisch: Unsere
Forderung ist nicht nur realistisch, sondern ein hervorragendes Instrument, den Krisenauswirkungen und der Massenarbeitslosigkeit entgegen zu wirken. Und unsere Forderung heißt - natürlich
bei vollem Personal- und Lohnausgleich: 30 Stunden sind genug!
Nun zu den Angriffen der Kapitalseite auf internationalem Parkett. Gewerkschaften und globalisierungskritische Organisationen halten seit der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre dagegen. Und
nicht ohne Erfolg. Sie verhinderten bisher den einseitigen Investitionsschutz, kämpften für die Einhaltung der ILO-Arbeitsnormen und gegen die Marktöffnungen auf dem Gebiet der öffentlichen
Daseinsvorsorge, wie es die Freihandelsabkommen anzielen. Dass die Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO 2005 ins Stocken gerieten, ist auch unseren eisenharten Positionen zu
verdanken die da z.B. heißen:
Wasser ist keine Ware! Gesundheit ist keine Ware! Bildung ist keine Ware!
Mit den derzeit verhandelten Freihandelsabkommen TTIP, TISA und CETA droht neue Gefahr. Und
ich wiederhole hier, was ich am globalen Aktionstag gegen diese Freihandelsabkommen vor zwei
Wochen in Miltenberg gesagt habe: Diese Abkommen sind menschenfeindlich. Sie haben alle ein
Ziel: Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand zu entreißen und sie einem privaten Dienstleistungsmarkt zuzuführen, sprich, die Steuerzahler rund um den Globus ihrer Vorsorge- und Versorgungs-
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einrichtungen zu berauben - ja berauben, das ist nämlich die korrekte Übersetzung des lateinischen Wortes „privare“.
Es geht um Enteignung der Mehrheit der Menschen, die ihre Einrichtungen zur Daseinsvorsorge
über Generationen mit ihren Steuern finanziert haben. In den 70er Jahren hat das große Kapital
neue, profitablere Anlagemöglichkeiten gesucht und gefunden: auf dem Dienstleistungssektor.
Aber die Dienstleistungen waren größtenteils in öffentlicher Hand, unter demokratischer Kontrolle
oder zumindest dessen, was davon übrig geblieben ist. Dieses Handelshemmnis in den Augen der
Global Player galt es für die Investoren zu knacken. Der Londoner "Observer" schrieb damals vom
Plan, die "altmodische politische Idee der Demokratie" zu beseitigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Gründung der WTO ist genau dieser Plan - wie vom Observer
beschrieben - der Kern der Freihandelsabkommen. Das ist der Grund, warum ich sie menschenfeindlich nenne. Sie dienen der Maximierung privater Profite und der Minimierung der sonst so
hoch gelobten Risikobereitschaft des Kapitals. Der Mensch bleibt Nebensache.
Wir wissen: die neoliberalen Wohlstandsversprechen und die Erzählung von der ungeheuren Arbeitsplatzvermehrung gehören ins Märchenreich und werden auch nichts an dem Trend ändern,
den das jüngste Jahresgutachten des Paritätischen wieder aufzeigte: Die Kluft zwischen Arm und
Reich wird immer tiefer. Die Freihandelsabkommen schaden langfristig den elementarsten Interessen der übergroßen Mehrheit, die letztlich die Investitionsrisiken tragen sollen.
Wir von der GEW sagen: Stopp TTIP, TISA und CETA!
Kolleginnen und Kollegen, gelingt es uns nicht, die scharfen Angriffe der Gegenseite zu parieren,
darf es uns nicht wundern, wenn das rechte Gesockse Aufwind bekommt. Wir wissen aus der Geschichte: kommt der Kapitalismus in die Krise, dann neigt er zu Methoden, wie wir sie 1933 bis
1945 gesehen haben. Und nicht zuletzt die Verstrickungen der Staatsdienste, die im NSU-Prozess
zutage kamen, lassen uns fordern: Schluss mit der Begünstigung rechter Strukturen!
Mögen die neuen Nazis auch in diesen Tagen noch so sehr mit vordergründig antikapitalistischen
Parolen auf die Kacke hauen: Als Gewerkschafter haben wir unsere Lehren aus dem 2. Mai 1933
gezogen und wissen, was Nazis zuerst machen, wenn sie die Macht haben: Betriebsverfassung
außer Kraft setzen, Löhne und Renten drastisch senken, Arbeitszeit verlängern, Koalitionsfreiheit
abschaffen und Arbeiterführer ermorden. Alles für das private Kapital!
70 Jahre nach der Befreiung halten wir daran fest: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Es gäbe noch etliche Themen, über die ich gerne zu Euch sprechen würde, wie der Angriff auf unser Streikrecht durch das unsägliche Tarifeinheitsgesetz oder die derzeitige offene Kriegstreiberei.
Doch nur noch eines noch kurz zum Schluss:
Ich habe bereits von Katastrophenursachen gesprochen, die in der unserer Gesellschafts- bzw.
Wirtschaftsordnung liegen. Dazu zähle ich auch die größte Flüchtlings-Schiffskatastrophe in der
neueren Geschichte des Mittelmeers von der Nacht zum 19. April 2015.
Heribert Prantl schrieb dazu in der SZ:
„Solange der Norden Afrika ausplündert, wird es Flüchtlinge geben. Solange die westlichen Flotten
vor den Küsten Afrikas alles leer fischen, solange in Niger das einheimische Geflügel erheblich teurer ist als das (von der EU subventionierte) Geflügel aus Frankreich, solange die (von der EU subventionierte) europäische Butter in Marokko viel billiger ist als die einheimische, braucht man sich
über die Not in diesen Ländern nicht zu wundern.“
Wenn wir diese Missverhältnisse ändern, legen wir auch den Schleppern das mörderische Handwerk. Bis dahin aber muss es heißen: Flüchtlinge Willkommen! Dazu brauchen die Gemeinden
und die Schulen vor Ort natürlich auch mehr Unterstützung von Land und Bund.
In diesem Sinne: Hoch die internationale Solidarität!
Lang lebe die Tradition eines kämpferischen 1. Mai!
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