Achim Bostedt Richter am Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtliche Praxis Veranstaltungsreihe des Verwaltungsgerichts Freiburg 5. Besprechungsfall 17.03.2015 „Ein Fernsehmuffel will nicht zahlen" (Art. 100 GG, Steuer/sonstige Abgabe, Art. 3 GG) Sachverhalt A ist Inhaber einer Wohnung in Freiburg. Er besitzt ein Radio, jedoch keinen Fernseher, sodass er bis zum 31.12.2012 Rundfunkgebühren stets nur in der Form der Grundgebühr in Höhe von zuletzt monatlich 5,76 Euro schuldete und dem Südwestrundfunk als dem Gebührengläubiger auch bezahlte. Als er mit Inkrafttreten des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (GBl. 2011, S. 477 ff) ab dem 01.01.2013 einen geräteunabhängigen Wohnungsbeitrag in Höhe von monatlich 17,98 Euro zahlen sollte, der in der Höhe der früheren Rundfunkgebühr für den Besitz eines Radios und eines Fernsehers entsprach, stellte A seine Zahlungen an Südwestrundfunk im vollen Umfang ein. Nach entsprechenden Zahlungserinnerungen setzte der SWR mit Bescheid vom 01.06.2013 gegenüber dem Kläger für den Zeitraum von Januar bis März 2013 eine Rundfunkbeitragsschuld in Höhe von 53,94 Euro sowie einen Säumniszuschlag in Höhe von 8,00 Euro fest. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 05.07.2013 zurückgewiesen. Der Kläger hat am 02.08.2013 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, der Beitragsbescheid des Beklagten sei rechtswidrig, da die Festsetzung des Beitrags auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage basiere. Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag sei formell verfassungswidrig, da es sich bei dem Rundfunkbeitrag abgabenrechtlich nicht um einen Beitrag, sondern um eine Steuer handele. Den Abgabenpflichtigen komme durch das bloße Zur-Verfügung-Stellen von Rundfunk kein unmittelbarer individualisierbarer wirtschaftlicher Nutzungsvorteil zu. Soweit ein solcher Vorteil über die Anknüpfung der Beitragspflicht an das Innehaben einer Wohnung gesetzlich mit der in jeder Wohnung vermuteten Rundfunknutzung begründet werde, sprenge dies den Rahmen der zulässigen Typisierung. Es fehle dem einzelnen Wohnungsinhaber die Möglichkeit, sich der Beitragslast zu entziehen, etwa indem er nachweise, dass er keine Rundfunkgeräte besitze und deshalb das öffentlich-rechtliche Rundfunkprogramm auch nicht empfangen könne. Sei der Rundfunkbeitrag abgabenrechtlich als Steuer zu qualifizieren, könne die Gesetzgebungskompetenz für seine Erhebung nicht aus der allgemeinen Kompetenzverteilung abgeleitet werden, sondern müsse sich aus dem Finanzverfassungsrecht der Art. 105 ff. GG ergeben. Nach diesen Regelungen lasse sich jedoch eine Steuerkompetenz für das Land nicht begründen. -2Der SWR tritt der Klage entgegen. Er hält den mit dem neuen Rundfunkbeitragsstaatsvertrag für jede Wohnung erhobenen Rundfunkbeitrag für eine nichtsteuerliche Abgabe, für deren Regelung der Landesgesetzgeber in Annex zur Rundfunkkompetenz ohne weiteres zuständig gewesen sei. Die folge schon aus der Bezeichnung der Abgabe als „Beitrag“ und nicht als „Steuer“. Hinzu komme, dass der Beitrag - anders als eine Steuer - nicht voraussetzungslos, sondern gerade für die Zugangsmöglichkeit des Zahlungspflichtigen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhoben werde. Eine andere Form der Finanzierung, etwa über Steuern, sei verfassungsrechtlich problematisch, weil aus Gründen der Sicherstellung der Programmautonomie und der Staatsferne dafür gesorgt werden müsste, dass die Beiträge den Rundfunkanstalten unmittelbar zuflössen und nicht erst - wie bei Steuern - zunächst in den allgemeinen Staatshaushalt, um dann von dort unter Berücksichtigung der Budgethoheit des Parlamentes, aber mit der Gefahr einer zumindest mittelbaren Einflussnahme an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugewiesen zu werden. Die für die Qualifizierung einer Abgabe als „nichtsteuerliche Vorzugslast“ erforderliche individualisierbare Gegenleistung der öffentlichen Hand sei in der Möglichkeit des Rundfunkempfangs zu sehen, die typischerweise in jeder Wohnung gegeben sei. Zwar sei zuzugeben, dass der Vorteil aus der Empfangsmöglichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erst dann realisiert werden könne, wenn der Abgabenpflichtige ein entsprechendes Empfangsgerät vorhalte, doch sei die gesetzliche Vermutung, dass in jeder beitragspflichtigen Raumeinheit die Möglichkeit zum Rundfunkempfang gegeben sei, dadurch gerechtfertigt, dass tatsächlich nahezu alle Haushalte über ein Rundfunkempfangsgerät verfügten, die diesen Empfang auch technisch möglich machten. So seien in 96,4% der Haushalte Fernsehgeräte verfügbar, bei Radiogeräten sei von einem Durchdringungsgrad von nahezu 100% auszugehen. Hinzu kämen in 83,5 % der Haushalte internetfähige PC und in 90,3 % der Haushalte Handys oder Smartphones mit UKWRadioempfang und/oder Internetzugang sowie schließlich noch in 96 % der Haushalte privat genutzte PKW mit eingebautem Autoradio. Sofern gefordert werde, dass ein einzelner Wohnungsinhaber trotz der bei ihm typisierend unterstellten Möglichkeit des Rundfunkempfangs geltend machen können müsse, dass er aufgrund fehlender Empfangsgeräte ausnahmsweise keine Empfangsmöglichkeit habe, stehe dem die fehlende Überprüfbarkeit einer solchen Behauptung entgegen, die bereits nach dem bisherigen Modell der gerätegebundenen Rundfunkgebühren zu einem erheblichen Missbrauch und einer faktischen Ungleichbehandlung der einzelnen Rundfunkteilnehmer geführt habe. Sofern der Empfang unabhängig vom Vorhandensein eines Empfangsgeräts objektiv unmöglich sei, trage dem der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag dadurch hinreichend Rechnung, dass bei technischer Unmöglichkeit des Empfangs ebenso wie bei körperlicher Unmöglichkeit der Aufnahme des Rundfunkprogramms Befreiungen von der Beitragspflicht erteilt werden könnten. Aufgabe: Prüfen Sie gutachterlich, wie das Gericht auf die - zulässige - Klage entscheiden wird. Beachten Sie hierbei, dass der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag über das Zustimmungsgesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl. 2011, 477) in den Rang eines formellen Landesgesetzes erhoben wurde. Die Problematik der Zuordnung des Rundfunkbeitrags zum Begriff der „Verbrauchssteuer“ ist nicht in den Blick zu nehmen. -3- Auszug aus dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag v. 17.12.2010 (GBl. 2011, 477) § 1 Zweck des Rundfunkbeitrags Der Rundfunkbeitrag dient der funktionsgerechten Finanzausstattung des öffentlichrechtlichen Rundfunks im Sinne von § 12 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrages sowie der Finanzierung der Aufgaben nach § 40 des Rundfunkstaatsvertrages. § 2 Rundfunkbeitrag im privaten Bereich (1) Im privaten Bereich ist für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. § 4 Befreiungen von der Beitragspflicht, Ermäßigung (1) Von der Beitragspflicht nach § 2 Abs. 1 werden auf Antrag folgende natürliche Personen befreit: … 9. Volljährige, die im Rahmen einer Leistungsgewährung nach dem Achten Buch des Sozialgesetzbuches in einer stationären Einrichtung nach § 45 des Achten Buches des Sozialgesetzbuches leben, und 10. taubblinde Menschen und Empfänger von Blindenhilfe nach § 72 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches. (2) Der Rundfunkbeitrag nach § 2 Abs. 1 wird auf Antrag für folgende natürliche Personen auf ein Drittel ermäßigt: 1. blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung, 2. hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und 3. behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. …. -4(6) Unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1 hat die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. … § 7 Beginn und Ende der Beitragspflicht, Zahlungsweise, Verjährung (1) Die Pflicht zur Entrichtung des Rundfunkbeitrags beginnt mit dem Ersten des Monats, in dem der Beitragsschuldner erstmals die Wohnung, die Betriebsstätte oder das Kraftfahrzeug innehat. … (2) … (3) Der Rundfunkbeitrag ist monatlich geschuldet. Er ist in der Mitte eines Dreimonatszeitraums für jeweils drei Monate zu leisten. (4) … § 10 Beitragsgläubiger, Schickschuld, Erstattung, Vollstreckung (1) Das Aufkommen aus dem Rundfunkbeitrag steht der Landesrundfunkanstalt und in dem im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag bestimmten Umfang dem zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF), dem Deutschlandradio sowie der Landesmedienanstalt zu, in deren Bereich sich die Wohnung oder die Betriebsstätte des Beitragsschuldners befindet oder das Kraftfahrzeug zugelassen ist. (2) Der Rundfunkbeitrag ist an die zuständige Landesrundfunkanstalt als Schickschuld zu entrichten. Die Landesrundfunkanstalt führt die Anteile, die dem ZDF, dem Deutschlandradio und der Landesmedienanstalt zustehen, an diese ab. … (5) Rückständige Rundfunkbeiträge werden durch die zuständige Landesrundfunkanstalt festgesetzt. Festsetzungsbescheide können stattdessen auch von der Landesrundfunkanstalt im eigenen Namen erlassen werden, in deren Anstaltsbereich sich zur Zeit des Erlasses des Bescheides die Wohnung, die Betriebsstätte oder der Sitz (§ 17 der Zivilprozessordnung) des Beitragsschuldners befindet. …
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