Festvortrag - Deutsch-Französische Gesellschaft

Peter Wien
Fremersbergstr. 5
76530 Baden-Baden
Festvortrag anlässlich
1950 – 2010
60 Jahre Deutsch-Französische Gesellschaft Karlsruhe
Sind 60 Jahre nicht genug?!
Lassen Sie mich Ihnen allen zunächst ganz herzlich zum 60. Geburtstag Ihrer DFG
gratulieren und Ihnen – das macht man ja so bei runden Geburtstagen – alles
denkbare Gute wünschen für die nächsten 60 Jahre in und mit Ihrer Gesellschaft.
Danken möchte ich schon jetzt Ihrem Präsidenten, Tjard Otto, für die Ehre, die er mir
damit erweist, dass ich hier und heute die Festrede halten darf.
Und lassen Sie mich noch eine Vorbemerkung machen: Ich weiß natürlich, wo ich hier
bin und dass es in deutsch-französischen Gesellschaften gern gesehen wird, wenn
möglichst viel Französisch gesprochen wird et je vous assure, qu’en principe je suis
capable à vous parler aussi bien – ou presque aussi bien – en français, mais je tiens
beaucoup à la règle, que chacqu’un parle dans sa langue et la mienne, c’est
l’Allemand. Alors je continue en Allemand.
Ich muss sagen, dass ich Ihren Präsidenten nicht für so hintergründig listig gehalten
hätte, wie er sich z.B. schon mit der Gestaltung des heutigen Programms erwiesen
hat. Aufgegangen ist mir das, als ich die Einladung für den heutigen Festakt in den
Händen hielt. Bis dahin war ich eher überrascht, dass er meinen Vorschlag für den
etwas provokanten Titel meines Festvortrages so widerspruchslos aufnahm. Allerdings
hatte er meine Zweifel über Ziele und Aufgaben deutsch-französischer Gesellschaften
im 21. Jahrhundert, die mich und die DFG Baden-Baden, im Zusammenhang mit
deren 50. Geburtstag, vor nunmehr auch schon wieder annähernd 5 Jahren,
umgetrieben haben, ziemlich intensiv verfolgt und natürlich festgestellt, dass es die
DFG Baden-Baden trotz allem nach wie vor gibt. Ich glaube, er wollte, dass ich davon
erzähle.
Aber wie man sieht, hat er dessen ungeachtet dann sicherheitshalber aber seinen
Wunsch für die Zukunft der DFG Karlsruhe und zur Beruhigung vielleicht besorgter
Leser des heutigen Programms, doch gleich zu Beginn des Festakts mit Jules
Massenet „O, ne finis jamais!“ ausgesprochen – „Oh ende niemals!“
Dabei denke ich, dass auch etwas enden können muss, wenn es Zeit dazu ist – auch
ein Verein, auch eine Gesellschaft. Ich kann aber gleich sagen: Vereine, wenn es sie
einmal gibt, haben ein unglaublich zähes Leben. Dazu eine kurze Geschichte aus den
letzten Tagen, die zwar nichts mit den deutsch-französischen Gesellschaften zu tun
hat, aber dafür umso mehr damit, ob und wie etwas endet oder eben auch nicht
endet. Ich habe, als Vorsitzender einer Bürgerinitiative, deren einziges und
ausschließliches Ziel darin bestand, die Schließung des historischen Bertholdbades in
Baden-Baden zu verhindern, nach 100% Erreichung dieses Zieles, wie in der Satzung
vorgesehen, zur diesjährigen Mitgliederversammlung, Frist gemäß, den Antrag gestellt,
die Bürgerinitiative aufzulösen und ihr Restvermögen der DLRG zu spenden mit der
Maßgabe, davon Schwimmunterricht für Kinder zu finanzieren.
Die Diskussion über meinen Antrag, den ich für logisch und konsequent hielt, verlief
zu meiner Überraschung höchst emotional, man merkte, wie viel Herzblut die meisten
in der Sache stecken hatten und wie schwer es ihnen fallen würde, sich von ihrem lieb
gewonnenen Verein zu trennen. Dass dieser sein Ziel erreicht hatte, ließen sie einfach
nicht gelten. Gefragt, welche neuen Ziele sie denn für die BIB sähen, verwiesen sie
darauf, dass es Aufgabe des neu zu wählenden Vorstandes sei, sich darüber
Gedanken zu machen. Schließlich könne man den Verein ja auch ruhen lassen und
seine Strukturen und Rücklagen erhalten, bis irgendwann, irgendwer vielleicht doch
wieder einmal daran dächte, das Bad zu schließen. Die Ablehnung meines Antrags
war, nach dieser Debatte, wie nicht anders zu erwarten, total. Der Verein ist ja auch
erst ein paar Jahre alt.
Warum habe ich Ihnen diese Episode erzählt? Weil ich glaube, dass die deutschfranzösischen Gesellschaften ganz allgemein und die, der ich angehöre, im
Besonderen, vor ein paar Jahren auch schon einmal vor der bangen Frage standen, ob
sie die Ziele, die einst Anlass für ihre Gründung gewesen waren, nicht längst erreicht
hatten. Ob es nicht sinnvoll und ehrlicher gewesen wäre, dies klar zu erkennen und
Konsequenzen daraus zu ziehen. Ich erinnere mich gut daran, dass nicht nur ich,
sondern auch manche unserer Mitglieder, immer mal wieder, wenn die Diskussion an
einem toten Punkt angekommen war, sagten: Dann machen wir den Laden doch
dicht...
Es ist sicher unter uns unstreitig, dass, spätestens zum 40. Geburtstag des ÉlyseeVertrages, dessen wesentliche Ziele erreicht waren. Die Verständigung und die
Versöhnung zwischen den früheren „Erbfeinden“ war weitestgehend vollzogen, aus
Feinden waren Freunde geworden, politisch wurde das Couple franco-allemand zum
wichtigsten Motor einer sich immer weiter entwickelnden Europäischen Union. Die
Visionen eines de Gaulle und eines Adenauers waren irgendwann keine Visionen
mehr, sondern gelebte Wirklichkeit.
Wobei man gar nicht oft genug betonen kann, dass ganz wesentlichen Anteil an der
Verwirklichung dieser Wirklichkeit, das fast unerschöpfliche zivilgesellschaftliche
Engagement der Bürger unserer beiden Länder hatte. Die Botschaften der beiden
alten Herren waren schon sehr früh bei Franzosen und Deutschen angekommen- das
zeigt nicht zuletzt der heutige 60. Geburtstag der DFG Karlsruhe. Man gründete
damals deutsch-französische Gesellschaften mit dem Idealismus und der Zuversicht,
dass Jedermann etwas zum großen Werk der Versöhnung und der Freundschaft
beitragen könne. Geradezu euphorisch ist man daran gegangen, heraus zu finden,
was man gemeinsam hatte, was man gemeinsam tun konnte. Eine Euphorie, die, wie
ich mir habe erzählen lassen, manchen Franzosen damals fast ein bisschen
unheimlich wurde. Übrigens der Grund dafür, dass die DFG Baden-Baden erst 5
Jahre nach der von Karlsruhe gegründet wurde. Das „deuxième bureau“ hatte, als ein
paar begeisterte Baden-Badener Stürmer und Dränger mit dem Ansinnen zur
Militärverwaltung kamen, zunächst große Bedenken, ob eine solche Fraternisierung
noch kontrollierbar für es sein würde und verhinderte deshalb über einige Jahre die
Gründung einer DFG. Was dann allerdings nicht verhinderte, dass die DFG BadenBaden danach sehr schnell zu einem hochgeschätzten – und durch die Militärs auch
hochsubventionierten – Instrument der Integration für die einfachen Soldaten und
Offiziere in die Baden-Badener Gesellschaft wurde. Ansonsten aber liefen die
Verständigungsbemühungen fast überall gleich erfolgreich und ich würde sogar soweit
gehen zu behaupten, dass ohne dieses zivilgesellschaftliche Engagement für die
großen politischen Ziele, diese, so total, nie erreicht worden wären.
Wie gesagt, spätestens mit dem 40. Geburtstag des Élysee-Vertrages war aus dem
deutsch-französischen Verhältnis schlichte, nüchterne Normalität geworden. Der
politische Umgang miteinander war „duty as usual“, natürlich mit kleineren Höhen
und Tiefen, aber im Großen und Ganzen wurde aus den beiden Partnern
unangefochten „le vieux couple franco-allemand“. Und wie das bei älteren Paaren halt
so ist, man kennt sich (oder glaubt es zumindest) aus dem „eff-eff“, man hat sich nicht
mehr so furchtbar viel Neues zu erzählen und ist auch nicht mehr so wahnsinnig
neugierig aufeinander. Der Idealismus früherer Tage ist verklärte Vergangenheit, von
der man als ancien combattant gerne erzählt. Und man lebt mehr oder weniger in den
Tag und immer weniger in die Zukunft. Und das seinerzeit, in den sechziger Jahren,
so aufwändig als Flaggschiff für die deutsch-französische Zukunft ins Leben gerufene
deutsch-französische Jugendwerk verkümmert still vor sich hin.
Natürlich hat diese Normalisierung der Beziehungen auch voll auf die deutschfranzösischen Gesellschaften durchgeschlagen. Alles, was man zur Pflege der deutschfranzösischen Freundschaft organisatorisch entwickelt hatte, lief gut geschmiert und
reibungslos, manches allmählich ein bisschen langsamer, ein bisschen müder: Die
Städtepartnerschaften, die Schüleraustausche, die Reisen ins Nachbarland, usw. man
könnte da ewig weitermachen, alles war normal, nichts Besonderes mehr. Irgendwie
passte die Idee, das eigentliche Ziel, das der Gründung der DFG’s zugrunde lag, als
treibende Kraft nicht mehr so recht in unsere Zeit.
Verhängnisvoll dabei war, dass der Mangel an einer neuen, mitreißenden Idee dazu
führte, dass den deutsch-französischen Gesellschaften die Jugend abhanden
gekommen ist. Möglich, dass auch das etwas damit zu tun hat, dass sich die jungen
Leute von heute überhaupt nicht mehr gerne längerfristig an eine gesellschaftliche
Organisation, an politische Parteien oder ähnliches binden lassen wollen. Das hat
übrigens nichts zu tun mit einem Mangel an Bereitschaft, sich zu engagieren. Für
kurzfristige, zeitlich und inhaltlich möglichst klar definierte und konkrete Projekte
sind sie jederzeit zu gewinnen. Und ich bin auch sicher, dass bei ernsthafter
Gefährdung der „amitié franco-allemande“, die Jugend sofort ein Rettungsprojekt ins
Leben rufen würde.
Aber Tatsache ist, derzeit sind die meisten deutsch-französischen Gesellschaften
ziemlich alt geworden. Kann sein, dass für diese Einschätzung meine Baden-Badener
Sicht eine besondere Rolle spielt. Aber wir kommen an der Tatsache nicht vorbei, dass
in unserer DFG das Durchschnittsalter der Mitglieder ein ganzes Stück über 65 Jahre
liegt. Und das heißt, wir erreichen mit unseren Aktivitäten unsere Enkel so gut wie gar
nicht mehr und unsere Kinder auch nur noch sehr selten. Wie ich aus vielen
Gesprächen mit Vertretern anderer DFG’s weiß, ist das anderswo aber auch nicht viel
besser.
Alle diese Entwicklungen hatten wir im Blick, als wir seinerzeit, vor etwa 5 Jahren,
unser Jubiläum vorbereiteten. Fragen über Fragen stellten sich: Wie sollte man feiern?
Was z.B. schreibt man in eine Festschrift? Natürlich einen Rückblick, aber natürlich
nicht nur. Klar, berichtet man von den Aktivitäten, von den gehabten und von
geplanten. Selbstverständlich muss man die Vergangenheit personalisieren, muss
man Veteranen der ersten Stunde zu Wort kommen lassen, aber auch spätere
Gründermütter und –väter erzählen lassen. Aber wer erzählt von der Zukunft? Welche
Pläne kann man vorstellen, welche neuen Ziele? Auf welche Fragen sucht man welche
Antworten?
Wir haben damals, zunächst im Vorstand und dann in mehreren außerordentlichen
Mitgliederversammlungen, monatelang nachgedacht und diskutiert. Irgendwann ist
uns dann klar geworden, dass möglicherweise unser Denkansatz falsch war. Es
brauchte einige Zeit, bis wir merkten, dass offenbar die Zeiten vorbei waren, da die
DFG’s so etwas wie die politische Infanterie im Kampf um die Versöhnung, um die
Verständigung, um die Freundschaft mit den früheren Gegnern war. Vielleicht hatten
die DFG’s einfach an politischer Bedeutung verloren und dafür, wahrscheinlich
unbemerkt, an gesellschaftlicher – gewonnen. Wobei der politische Bedeutungsverlust
eigentlich eher auch ein Gewinn war. Weil er den Blick wieder öffnete für Qualitäten,
die es bei den DFG’s eigentlich immer gegeben hatte. Der Blick, der bis dahin verstellt
war vom Pompösen der Politik, von der Klischeehaftigkeit und Sinnentleertheit der
Sprache. Mal ehrlich, konnten Sie die ewigen Beschwörungen des Wunders der
Versöhnung unserer beider Völker in den offiziellen Reden, bei offiziellen Anlässen,
noch hören? Oder das permanente Suchen nach den Gemeinsamkeiten mit den
früheren Gegnern? Das hatte viel zu lange, viel zu einseitig, einen viel zu großen Raum
eingenommen.
Vielleicht war die Zeit ja längst angebrochen, nicht nur weiter nach Gemeinsamkeiten
zu suchen, nach kleinsten gemeinsamen Nennern, die man längst alle im Schlaf
aufsagen konnte.
Vielleicht wurde es Zeit, sich wieder mehr den Unterschieden zuzuwenden. Da konnte
Neugier neue Nahrung finden. Nicht dass es das bei den DFG’s nicht immer gegeben
hätte. Aber es stand nicht so sehr im Vordergrund. Das ist der Reiz von
Perspektivwechseln, dass man Dinge anders sieht, dass man Dinge, die man zu
kennen glaubt, neu sieht, überraschend, vieldimensionaler, dass man auf neue
Entdeckungsreisen gehen kann und dabei den Reichtum der Kulturen bewusster
wahrnimmt. Dass man Menschen ganz anders erlebt, intensiver. Man will mehr von
ihnen wissen, von ihrer Geschichte, ihrer Kunst, ihrer Musik, ihrer Literatur, ihrem
täglichen Leben, von den Landschaften, die sie prägen.
Und noch etwas hatten wir in unseren Diskussionen um zukünftige Ziele unserer DFG
lange in den Hintergrund gedrängt. Nämlich, dass Geselligkeit ein Wert an sich ist.
Dass miteinander etwas tun, reden und feiern, vielleicht kochen, Kultur erleben und,
von mir aus, auch über Politik diskutieren, eigentlich schon reicht, um einen Verein,
eine Gesellschaft mit Sinn zu erfüllen. Und wenn sich dann auch noch Menschen mit
sehr
unterschiedlichen
Lebenserfahrungen,
mit
anderen
historischen,
gesellschaftlichen kulturellen Hintergründen, zusammenfinden, weil sie gemeinsame
Vorlieben und Neigungen verbinden – etwa die Liebe zur Lebensart und Kultur ihres
Nachbarlandes – dann ist das schon Programm genug für einen Verein.
Und, um so etwas wie ein Resümee aus all diesen Überlegungen zu ziehen: Das Ziel
der Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern bleibt natürlich oberste Priorität.
Aber es ist ein derzeit erreichtes, langfristiges strategisches Ziel, das permanent auf
drohende Gefährdungen zu beobachten ist, aber nicht all zu viele Aktivitäten verlangt.
Daneben sind aber die vielschichtigen, wechselnden taktischen Ziele, Geselligkeit,
Austausch, Kennenlernen der Unterschiede, gemeinsam mit Gleichgesinnten etwas
tun etc, etc das Fundament der Veranstaltung.
Auf einen kurzen Nenner gebracht: Man muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn
man in seiner DFG schlicht Spaß haben will an dem, was man gemeinsam organisiert.
Und man muss auch nicht immer wieder gequält aufstöhnen „Ja aber die Jugend...“
Die wird von alleine älter und ich denke, man muss für Einrichtungen wie den DFG’s
etwas älter sein, man muss da hineinwachsen. Das ist keine Resignation.
Für unsere DFG in Baden-Baden haben wir am Ende der Debatte versucht zu
formulieren, was wir sein wollen. Wir haben uns schließlich darauf geeinigt, dass wir
„Ein europa-offener, deutsch-französischer Kulturverein“ sind. Damit, meine ich, kann
man leben.
Damit komme ich zurück auf die Frage, die ich im Titel gestellt hatte: Sind 60 Jahre
nicht genug?
Ganz eindeutige Antwort: Nein, noch lange nicht! Und deshalb noch einmal: Viel
Glück!