Monatsfrage Dezember 2012

SWISSFOUNDATIONS FRAGE DES MONATS 12/2012
WESHALB SOLLEN STIFTUNGEN EIN EWIGES LEBEN HABEN?
Prof. Georg von Schnurbein, Centre for Philanthropy Studies – CEPS, Universität Basel
Die Idee einer unendlichen Existenz trägt viel zur Faszination Stiftung bei und macht diese
Rechtsform einzigartig. Gerade deshalb ist es tragisch, wenn viele Stiftungen in ein
Dilemma zwischen Gegenwart und Ewigkeit geraten, da ihre Mittel zu gering sind, um
wirklich aktiv zu fördern und zu hoch, um ein würdevolles Ende zu finden. Von Georg von
Schnurbein
Ewigkeit kann man in zweierlei Hinsicht verstehen. Zunächst einmal bezeichnet Ewigkeit die
Zeit- und Endlosigkeit. Das ewige Leben, die ewige Stadt, die ewige Liebe – was nie ein Ende
haben soll, wird ewig genannt. Zum anderen wird Ewigkeit aber auch im Zusammenhang mit
sich unendlich wiederholenden Ereignissen verwendet. Der ewige Wechsel von Ebbe und
Flut oder eben auch die ewige Arbeit des Sisyphos. Für Stifterinnen und Stifter spielt der
erste Aspekt, den eigenen Willen zu verewigen, eine zentrale Rolle bei der Entscheidung für
eine Stiftungsgründung. Wenn das Vermögen aber zu gering, der Zweck zu spezifisch ist oder
widrige Umstände eintreten, dann kommt oftmals der zweite Aspekt hinzu, nämlich ein
ewiges Siechtum der Organisation.
Die Erinnerung als Kern der Stiftung
Blickt man zurück in die Entwicklungsgeschichte, dann waren die ersten Stiftungen in der
Antike tatsächlich nicht viel mehr als symbolische Gedenktafeln, die auf ewig die Erinnerung
an den Stifter gewährleisten sollten. Erst später kam der karitative Bezug hinzu, dass dem
Stifter durch gute Taten und daraus erwachsender Dankbarkeit gedacht werden sollte.
Bestes Beispiel hierfür ist die Fuggerei, die 1521 von Jakob Fugger und seinen Brüdern
errichtet wurde. Die erste Sozialsiedlung der Welt nahm – und nimmt bis heute – bedürftige
katholische Augsburger Bürger mit gutem Leumund auf und gibt ihnen eine voll
ausgestattete Wohnung für die Jahresmiete von 1 rheinischen Gulden (0.88 Euro). Dafür
müssen die Begünstigten täglich drei Gebete für die Stifter sprechen. Hier wird der Bezug zur
Ewigkeit dadurch deutlich, dass die Stifter auch an ihr eigenes Seelenheil gedacht haben.
Zudem ist die Stiftung mit einer Existenz von fast 500 Jahren der Ewigkeit schon ziemlich
nahe! Ein späteres Beispiel sind Christoph und Margarete Merian, die kinderlos ihr
Vermögen nicht der Verwandtschaft hinterliessen, sondern zum Wohl der Heimatstadt Basel
veräusserten. Die Wahl, wie und was mit dem Vermögen genau gemacht wird, überliessen
sie weitgehend der Begünstigten selbst. Und so wird der Pietist Christoph Merian so
manches, was die Stiftung heute macht, nicht im Sinn gehabt haben, aber die Stiftung
floriert und mit ihr die Stadt Basel. Schliesslich wäre da noch Andrew Carnegie zu erwähnen.
Sein berühmter Satz „The man who dies rich, dies disgraced“ steht im Zusammenhang mit
einem reziproken Verständnis, dass der Stifter der Gesellschaft etwas zurückgeben will für
das Fortune und die Entfaltungsmöglichkeiten, die ihm gewährt wurden. Es war also gerade
das Wissen um die eigene Endlichkeit, dass zur Stiftungsgründung führte.
Die Kluft zwischen Mythos und Wirklichkeit
Allen drei Beispielen ist gemeinsam, dass die Stifter ihre Stiftungen mit ausreichend
Ressourcen ausstatteten, um damit die Unwägbarkeiten der Jahrhunderte und Jahrzehnte zu
überstehen. Denn sonst gerät die ewige Stiftung schnell zum Mythos. So sind beispielsweise
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in München nach der Währungsreform 1948 mehr als 90% der Stiftungen in den Folgejahren
liquidiert worden, da ihre Vermögen zu einem Bruchteil zusammengeschmolzen waren.
Auch ohne solche extremen externen Einflüsse ist die Ewigkeit von Stiftungen nicht die
Regel. Abgesehen von ein paar Ausnahmen wie das Inselspital in Bern oder das FreyGrynäische Institut in Basel haben kaum Stiftungen aus früheren Jahrhunderten überlebt.
Überhaupt wurde mehr als die Hälfte der bestehenden gemeinnützigen Stiftungen in den
letzten zwanzig Jahren gegründet. Mit der steigenden Zahl an Stiftungsgründungen haben
gleichzeitig auch die Liquidationen zugenommen. Im Jahr 2011 wurden insgesamt 188
gemeinnützige Stiftungen wieder aufgelöst und damit der Ewigkeit entzogen. 41 % dieser
Stiftungen existierten weniger als zehn Jahre.
In der Wirklichkeit verblasst die „ewige Stiftung“ also oftmals zu einem trügerischen
Scheinbild, das vor lauter Ewigkeit die Gegenwart verpasst. Dies gilt insbesondere für jene
Stiftungen, die Vermögen von unter 1 Mio. CHF haben. Da das Vermögen oftmals erhalten
werden muss, fällt für die operative Stiftungsarbeit nur ein mickriger Ertrag ab, der in der
aktuellen Situation volatiler und zinsschwacher Märkte noch magerer wird. Schliesslich
bleiben für den Stiftungszweck nur die Brosamen übrig. Denn die „natürliche“
Versorgungskette in einer Stiftung fängt meist bei der Bank an, die ihre Spesen direkt
abzieht, anschliessend folgen die obligatorischen Aufwände für Revision und Aufsicht, dann
kommen die sonstigen administrativen Aufwände für Homepage, Briefschaften u.ä. und erst
an vierter Stelle steht die Zweckerfüllung. Und die ehrenamtlichen Stiftungsräte, die die
Hauptarbeit leisten und die Verantwortung tragen, müssen zusätzlich zur Zeitspende noch
ihre eigenen Kosten selbst tragen. Als Kollateralschäden nicht lebensfähiger Stiftungen fallen
viel ehrenamtliches Engagement der Stiftungsräte für wenig Wirkung und der Zeitaufwand
für unberücksichtigte Gesuche an. Dies entspricht sicherlich nicht der Vorstellung, die der
Stifter von seinem ewigen Andenken hatte!
Die Ewigkeit überwinden
Verschärft durch die Folgen der Finanzkrise sind viele Stiftungen zu Scheintoten und
Wiederkehrern geworden, denen man das Sterben verbietet. Die Unveränderlichkeit der
Stiftungsurkunde wird in vielen Fällen über eine pragmatische Beurteilung der realen
Gegebenheiten gestellt. Tragische Berühmtheit erlangte das Beispiel einer Stiftung aus
Deutschland, das Rupert Graf Strachwitz einmal erwähnte: Eine Stiftung hatte zum Zweck,
Seemannswitwen mit Wollsocken zu versorgen. Der Antrag auf Zweckänderung wurde mit
der Begründung abgewissen, dass es heutzutage nachwievor sowohl Wollsocken, als auch
Seemannswitwen gibt. Es stellt sich die Frage, ob es dem Ruf der Rechtsform Stiftung so sehr
schaden würde, wenn der Staat in seiner Aufsichtsfunktion mehr an die Bedürfnisse der
lebenden Gesellschaft, als an die (vermuteten) Intentionen eines verstorbenen Stifters
denken würde. Schliesslich erfüllen Stiftungen, die über mehrere Jahre keine
Ausschüttungen mehr tätigen, den Stifterwillen auch nicht mehr, wenn nach Abzug aller
Kosten nichts mehr für den Zweck bleibt. Bei vielen Stiftungen würde es schon eine
Veränderung bewirken, wenn die Unantastbarkeit des Vermögens aufgehoben werden
würde. So bekämen die Stiftungsräte die Möglichkeit, die Stiftung geplant und aktiv
innerhalb einiger Jahre einem würdevollen Ende entgegenzuführen.
Neben der Aufsicht sind aber auch all jene in die Pflicht zu nehmen, die Stifterinnen und
Stifter bei der Gründung der Stiftung beraten. Neben Anwälten, Treuhändern und
Bankmitarbeitenden und Beratern zählen dazu insbesondere auch die Notare. Jede
Stiftungsgründung muss von einem Notar beglaubigt werden. Hierbei sollte der Notar den
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Stifter gerade bei einem kleinen Stiftungsvermögen über die langfristigen Konsequenzen der
Handlung aufklären. Auch sollten Berater Alternativen wie Verbrauchsstiftung, Dachstiftung,
oder auch die klassische Spende an eine bestehende Organisation aufzeigen.
Zuletzt verbleibt die Hauptverantwortung aber bei den Stiftern selbst. Wer eine Stiftung
gründet, sollte sich diesen Schritt gut überlegen und mit dem hohen Gut „Stifterfreiheit“
verantwortungsvoll umgehen. Macht sich ein Stifter vorab grundsätzlich Gedanken zum
Zusammenwirken von Vermögen, Zweck und Wirkungsweisen, dann wird er rasch
feststellen, ob die Stiftung lebensfähig ist oder nicht. Schliesslich fördert eine Stiftung das
Andenken an den Stifter nur dann, wenn sie auch wirklich etwas tut. Sonst verkommt der
Kategorie Stiftungen im Handelsregister zum Gruselkabinett des guten Willens, in dem viele
Skurilitäten, aber nur wenig gesellschaftliches Engagement zu finden ist. Schliesslich sei all
jenen, die sich ein Denkmal setzen wollen, noch gesagt, dass es dafür weitaus einfachere
und günstigere Möglichkeiten gibt, wie beispielsweise einen Eintrag in Wikipedia.