Page 1 Page 2 226 Stifter unter Ber繭CkSiChtung der beiden Werke

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Autobiographie als Nachahmung
und Selbstreflexion in Stifters
Di〔?」Mα1∼¢)θ〃Zθines Urgroソ3va ters
Yusuke IDENAWA
1. Einleitung
In Adalbert Stifters(1805−1868)FrUhwerken Die Narrenburg und
l)ieル勉鯉)θmeines Urgroβvαters ist die Autobiographie das Hauptthe−
ma. In diesen beiden Werken spielt die Autobiographie verschiedene,
Rollen:einerseits als Autobiographie fUr die Nachkommenschaft(1)ie
Narrenburg), anderseits als Autobiographie fUr sich selbst(1)ieルlaPl)θ
〃zθ勿¢sUrgroβva彪rs). In dieser Abhandlung soll die Funktion der
Autobiographie in beiden Werken, besonders in der Mappe meines乙lr−
groβvaters, klar gemacht werden. Adalbert Stifter stellt neben den
fiktiven Biographien auch sein eigenes Leben autobiographisch dar:in
dem kleinen Fragment Mein Leben und in zwei Briefen an Herausgeber
(die Redaktion des Brockhaus und Leo Tepe1). In meine〃z五eben
beschreibt Stifter sein eigenes Leben in literarischer Form. Vor seinem
Tod erinnert er sich an seine Kindheit bzw. an seine Mutter und
GroBmutter, sowie an ein besonderes Ereignis2. In den beiden Briefen
beschreibt er sein Leben detailliert. Diese beide Briefe wurden fUr die
Ver6ffentlichung des Werkes geschrieben, infolgedessen haben sie eine
andere Funktion,
In dieser Abhandlung soll geklart werden, welche Rolle die Auto−
biographie in Stifters 1>tZrrenburg und in seiner 1レTapl)e meines
Urgroβvaters spielt, sowie welche Funktion die Autobiographie bei
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Stifter unter BerUcksichtung der beiden Werke grundsatzlich hat. Die
Autobiographie hat in beiden Werken die wichtige Funktion,
Selbsterkenntnis zu begrUnden. Beim Schreiben und Lesen der
Autobiographie k6nnen die Menschen ihre Handlungen m6glichst
objektiv wiedererkennen, so daB sie ihr(zukUnftiges)Handeln verbe−
ssern k6nnen.
Das folgende zweite Kapitel behandelt die Funktion der Autobio−
graphie in derハlarrenburg und das dritte Kapitel die Funktion in der
Map1)e meines Urgroβvαters. AbschlieBend wird im letzten Kapitel die
Funktion der Autobiographie bei Stifter dargestellt.
2. ハ「arl°enburg
2.1. Entstehung und Geschichte der Narrenburg
1)ieハfarrenburg wurde erstmals 1842 in der Zeitschrift lris3 fUr das
Jahr 1843 ver6ffentlicht. Es geht in dieser Erzahlung。um die
Genealogie der adligen Familie von Scharnast, ihren Untergang und ihr
WiederaufblUhen, um Schrift und LektUre sowie die Torheit und den
Irrtum(bei Stifter meist,Narrheit‘)der Menschen.“4
Diese Erzahlung verlauft wie folgt:Heinrich, ein junger Maler und
Naturforscher, ist auf einer wissenschaftlichen Wanderung im Gebiet
der Fichtau, um dieses Gebiet geologisch, mineralogisch und botanisch
zu erforschen, indem er。Walder und Bl6cke“5 abzeichnet und。Eisen
und Gestein“6 sammelt. Er findet eine auf der H6he gelegene Burg.
Spaterfindet er heraus, daB er der einzige lebende Nachkomme der
Familie, die diese Burg schon immer besitzt, und damit ihr Erbe ist. Er
besucht die Burg mit seinem Freund Robert, dem Stadtschreiber in
Priglitz, und wird von dem Kastellan Ruprecht durch die Burg gefUhrt.
Warend seines Aufenthaltes in der Fichtau verliebt er sich in Anna, die
Tochter des Wirts der grifnen Fichtau. Nach seinem Besuch auf der
Burg bekommt er einen Brief von seiner Mutter. Dieser Brief macht
klar, daB er ein Nachkomme der Familie Scharnast ist und das gesetz一
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maBige Erbrecht hat. SchlieBlich kann er Anna heiraten und als Graf
Heinrich mit ihr auf die Burg ziehen.
1)ie Narrenburg stellt nach MUIIer−Tamm。das Thelna der Schrift
und des autobiographischen Schreiberls ins Zentrum.“7 Die These von
MUIIer−Tamm ist einerseits zwar richtig, aber andererseits unzu−
reichend, um die 1>tlrrenburg zu interpretieren, da das Kommunikations−
problem zwischen der Familie Scharnast und dem Volk (den
Fichtauern)in der Narrenburg unter Ber廿cksichtigung der Genealogie
eine wichtige Rolle spielt.8 Die Familie Scharnast wird nach und nach
narrisch, denn sie muB das FideikommiB des Stifters Hanns durch
Lesen und Schreiben der autobiographischen Schriften der Vorfahren
genau einhalten. Die SchloBbesitzer dUrfen nur in der geschlossenen
Archivkammer lesen und schreiben:so isolieren sie sich von der Welt.
Dadurch werden die Beziehungen und die Kommunikation zwischen
der Gegend der Fichtau und dem SchloB Rothenstein unterbrochen,
und die Narrheit wachst von Generation zu Generation langsam in der
Fichtau und im SchloB. Das Schreiben und die LektUre der Auto−
biographie f{ihren in der ノ〉とarrenburg nach und nach zu starkerer
AbschheBung von der Welt. Durch diese AbschlieBung verlieren
sowohl die Fichtauer als auch die Scharnasts ihre richtige Position in
der Gesellschaft und werden immer narrischer.
2.2.Zur Funktion der Autobiographie in der Narrenburg
In derハ[arrenburg m廿ssen die Scharnasts, die die Burg erben
m6chten, einem。lacherlichen FideikommiB“9 gemaB ihre Autobio−
graphie schreiben. Die Regel des Fideikommisses lautet:。[_]erstens
muBte er[jeder Erbe〕schw6ren, daB er getreu und ohne geringsten
Abbruch der Wahrheit seine Lebensgeschichte aufschreiben wolle, und
zwar von der Zeit seiner ersten Erinnerung ab bis zu jener, da er nur
noch die Feder zu halten im Stande war.[...]zweitens muBte er
schw6ren, daB er samtliche bereits in dem roten Steine befindlichen
Lebensbeschreibungen lesen wolle, wobei es ihm aber nicht gestattet
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ist, irgendeirle von dem Gemache ihrer Aufbewahrung wegzut−
ragen.“10 Die St6rung der Kommunikation mit der Fichtau(mit der
Umwelt)und die AbschlieBung von der Welt fUhren zur Narrheit der
Scharnasts, weil Hanns’Nachkommen immer nur die。Narrheiten und
Ubereilungen“11 der Vorfahren nachahrnen.
Jodok, dessen Autobiographie dem Leser der Erzahlung mitgeteilt
wird,i2 ist seinen Vorfahren keineswegs fUr ihre Autobiographien
dankbar. Er meint, daB ihm die Schriften, die er lesen muB, nichts
nUtzen:。Und darum kann ich euch keinen Dank haben[_];denn der
Damon der Taten steht jederzeit in einer neuen Gestalt vor uns, und wir
erkennen ihn nicht, daB er einer sei, der auch schon euch erschienen
war−und eure Schriften sind mir unnUtzt.“13 Jodok wollte aus den
autobiographischen Schriften der Vorfahren lernen, wie richtig zu leben
sei. Das ist aber schwer unm6glich, weil ihre Schriften nur die
AuBenseite ihrer Handlungen zeigen, die zwar nachgeahmt, aber ohne
eigene Erfahrungen nicht verstanden werden k6nnen. Daher kann er
die Narrheit der Familie nicht Uberwinden, und sein Versuch, ver−
nUnftig, also selbstbewul3t, selbstreflexiert zu leben, scheitert. Anhand
der LektUre der Schriften der Vorfahren versucht Jodok auch, Uber sich
selbst zu reflektieren. Auch diese Selbstreflexion scheitert jedoch oder
ist in eine falsche Richtung gegangen, weil er sein Handeln nicht mittels
eigener Erfahrungen reflektiert, sondern mittels der Handlungen der
Vorfahren, die nur die Aufl3enseite ihrer Handlungen zeigen.
Infolgedessen kann er sich nicht selbst von auBen erkennen. Auch der
Protagonist Heinrich liest die Autobiographien der Vorfahren, nachem
er sein Erbe angetreten hat. Seine Lebenssituation ist aber ganz anders
als diejenige Jodoks. Bevor er die Burg erbt, wurde er nicht von
Scharnasts erzogen, sondern in Priglitz vermutlich wissenschaftlich
erzogen, deswegen hat er vernUnftige Meinungen und Ansichten. Er
erkennt vernUnftig seine eigenen und die Handlungen der Vorfahren, so
daB er die Narrheit der Familie endlich Uberwinden kann.
Die Scharnasts schreiben ihre Autobiographien dem FideikommiB
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gemaB und ahmen ihre Vorfahren nach. Jodok versucht zwar, sein
Handeln zu reflektieren, scheitert aber, weil die Selbstreflexion Uber die
autobiographischen Schriften der Vorfahren lauft. Daher wirkt sein
Handeln(LektUre und Schreiben)nicht auf ihn zurUck, er kann sein
Leben nicht ,verfremdeh‘, d. h. von auBen betrachten. Heinrich erkennt
sich dagegen von einem vernUnftigen Ausgangspunkt sowohl anhand
eigener Erfahrungen als auch anhand der Darstellungen der Vorfahren
und kann seine Erfahrung sinnvoll reflektieren, Vermutlich(denn
Stifter stellt nicht dar, wie Heinrich seine Autobiographie schreibt)
kann er eine m6glichst wahrhafte Autobiographie schreiben, statt wie
seine Vorfahren bloB nachzuahmen.
3. 1)ie Mappe〃zeinesこかgroりBvaters
3.1.Entstehung und Geschichte der Maρpe配θεπθsこfrgroJevaters
Die Journalfassung derルfappe meines UrgroBvaters wurde 1840/42
in der 1ル”iener Zeitschrift 〆撹7 、Kunst, 五iteratur, Theαter z〃1(i Mode
ver6ffentlicht. Stifter hat diese aber Erzahlung mehrmals umgear−
beitet. An der letzten, unvollendeten Fassung hat er noch vor seinem
Tod gearbeitet.
Diese Erzahlung ist eine Rahmenerzahlung(in drei Zeitraumen)
und verlauft wie folgt:Im Elternhaus findet der Urenkel Augustinu die
handschriftliche Fassung des Tagebuches des Doktor Augustinus. Der
Urenkel erinnert sich noch an das Tagebuch, weil sein verstorbener
Vater der Familie es in seiner Kindheit haufig vorgelesen hat(erster
Zeitraum:Gegenwart). Der junge Doktor Augustinus hat frUh seine
Familie verloren, nachdem er sein Studium in Prag abgeschlossen und
sich dazu entschlossen hat, sein Wissen f廿r seine Heimat, ein kleines
Dorf, zu benutzen, bzw. in seiner Heimat als Arzt zu arbeiten.
Augustinus lernt nach dem Tod seiner Eltern und Geschwister einen
alten aufgeklarten Obristen und dessen Tochter Margarita kennen, die
ihm eine ideale Frau zu sein scheint. Er verliebt sich in Margarita, und
sie versichern sich im Wald ihrer Liebe.
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In einem Sommer wird Margarita von ihrem Cousin besucht. Au−
gustinus missversteht die Beziehung zwischen den beiden. Durch
dieses Missverstandnis veranlaBt, versucht der verzweifelte junge
Doktor einen Selbstmold im Wald. In diesem Augenblick folgt der a}te
Obrist dem Doktor und verhindert den Selbstmold. Wenige Tage spater
besucht Augustinus den Obristen. Dieser schlagt vor, daB Augustinus
sein Leben in Form eines Tagebuches m6glichst wahrhaft beschreibt
(zweiter Zeitraum:Zeit des UrgroBvaters). Der Obrist erztihlt Augusti−
nus sein Leben und zeigt ihm dadurch, daB es sinnvoll ist, ein wahr−
haftes Tagebuch zu schreiben(Dritter Zeitraum:Vergangenheit des
Obristen). Am Ende der Erzahlung begegnet Augustinus Margarita
wieder, vers6hnt sich mit ihr, und sie verloben sich(zweiter Zeitraum:
Zeit des UrgroBvaters), bevor der Urenkel die Erzahlung mit einem
kurzen Nachwort schlieBt(erster Zeitraum:Gegenwart).
3.2.Zur Funktion der Autobiographie in der Mappe meines
σ}「grqβoα‘θrs
Der junge Doktor beschreibt sein Leben innerhalb der Erzahlung in
seinem Tagebuch. Er ahmt damit den alten Obristen nach, der sein
Leben ebenfalls wahrhaftig beschrieben hatte:
。Was der Obrist sagte und tat, habe ich bisher nicht nach
meinem Gedachtnisse allein aufgeschrieben, sondern nach der
Handschrift, die er mir gelassen, und die er Uber diese Dinge
aus seinen versiegelten Packen genommen hat, wie ich ihn ja
selber in diesem meinem Buche nachzuahmen versuche.“i4
Auch der Obrist beginnt seine Lebensbeschreibung mit Nachah・
mung. Er folgt dem Vorbild eines alten Soldaten:
Es besteht darin, daB einer sein gegenwartiges Leben, das ist,
alie Gedanken und Begebnisse, wie sie eben kommen, aufsch−
reibt, dann aber einen Umschlag darum siegelt und das
Gel6bnis macht, die Schrift erst in drei bis vier Jahren auf−
zubrechen und zu Iesen. Ein alter Kriegsmann riet es in meiner
Gegenwart lachend einer Jungfrau an, die gerade in Liebe一
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skumlner befangen war, und sagte, daB es in diesen Fallen eine
gute Wirkung tue. Ich lachte mit und dachte gleich in meinem
Inrlern, daB ich das Ding auch versuchen wUrde−und wie oft
habe ich seitdem den toten Mann gesegnet, daB er es sagte, und
den Zufall der es ihn im rechten Augenblicke sagen lieB.‘‘15
Nach dieser Erzahlung des Obristen gelobt Augustinus sich selbst:
。Vor Gotte und meiner Seele verspreche ich hier einsam und allein,
daB ich nicht falsch sein will in diesen Schriften, und Dinge machen, die
nicht sind, sondern dal3 ich es lauter sch6pfe, wie es gewesen ist, oder
wie es mir Inein Sinn, wenn er irrig war, gezeigt hat. Wenn ein Hauptst
Uck zusammengekommen, dann schneide ich mit einem feinen Messer
einen Spalt in die Pergamentblatter, oben und unten, und ziehe ich ein
blaues oder rotes Seidenbandlein durch, mit selbem die Schrift zu
sperren, und siegle ich die Enden zusammen, Wenn aber von dem Tage
an drei ganze Jahre vergangen sind, dann darf ich das B巨ndlein wieder
abschneiden und die Worte wie Sparpfennige lesen.“161n der Mappe
〃zeinesこfrgroβvaters spielt das autobiographische Schreiben und Lesen
wie in.derハrarrenburg eine wichtige Rolle. Diese LektUre und dieses
Schreiben in der Mapl)e meines Urgr(∼βvaters zielt aber nicht auf andere
(wie in derハrarrenburg), sondern auf den Schreiber selbst.
Der Beweggrund zum Schreiben der Autobiographie ist in beiden
Fallen die Nachahmung. Es gibt aber noch einen anderen Grund,
warum Augustinus und der alte Orbist ihr Leben aufschreiben wollen.
Der Obrist war in der Vergangenheit der。berUchtige[_]Casimir Uhl−
dom“, der auch。Spieler, Raufer“und。Verschwender“17 war. Weil er bei
der Erbteilung ungerecht behandelt wurde, verlieB der Obrist seine
Heimat und ging nach Frankreich. Diese Szene deutet auf eine
Geschichte der Familie Scharnast in der Narrenburg (der Zwist
zwischen Julianus und Julius Uber ihr Erbe). Nachdem er von.seinem
Bruder(und der Welt insgesamt)enttauscht wurde und seine Liebe
scheiterte, wurde der Obrist ein verderbter Mensch. Aus diesem Grund.
bzw. enttauschter Liebe, versuchte er, sich zu t6ten, aber auch dieser
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Selbstmord scheiterte. In einem solchen Zustand h6rte er die oben
erwahnte Rede eines alten Soldaten. Er nutzte dessen Idee, um sich
selbst m6glichst objektiv zu betrachten und sein verfehltes Leben
wieder zu andern. Die Folge des,objektiven Blicks‘auf das eigene
Leben ist die Erkenntnis der Relativitat der eigenen Handlungen, weil
man nach einigen Jahren die Ereignisse und Handlungen ganz anders
sieht. Das schafft die M691ichkeit, zu lernen, also,vernUnftiger‘und
aufgeklarter zu werden. Durch Schreiben und nachheriges Lesen(im
Falle des Obristen erst nach fUnf Jahren)kann er sich selbst erkennen
und sein vergangenes Leben erneut beurteilen. Augustinus schreibt
seine Autobiographie aus ahnlichen GrUnden wie der Obrist. Nach dem
durch das MiBverstandnis verursachten Scheitern der Liebe zu Marga−
rita, der Tochter des Obristen, will auch Augustinus sich t6ten, der
Selbstmord wird aber vom Obristen verhindert. Das Gesprach mit dem
Obristen wird danach zum AnlaB, wie dieser ein autobiographisches
Tagebuch zu schreiben. Beide ahmen also autobiographische Schriften
nach, weil sie in der Liebe scheiterten。
Christian Begemann zieht dagegen aus Sicht der Genealogie eine
andere Konsequenz.18 Nach Begemann schreibt der Obrist in demselben
Sinne wie die Scharnarst nach dem FideikommiB, Tatsachlich gibt es
in der Mappe meines Urgroβvαters einen Zusammenhang mit der
Genealogie der Narrenburg. Einerseits kann man seinen Folgerungen
zustimmen, weil Stifter zunachst eine genealogische Reihe zwischen der
ハ4αpl)θmeines乙「rgroβvα旋?r und derハ[arrenburg plante. Dieser Sachver・
halt ist bekannt und ist anhand eines Vergleichs der Journalfassung der
Mappe leicht erkennbar. Stifter hat aber diese Erzahlung umgearbeitet
und die genealogische Reihe geandert.
Das Verhaltnis zwischen Autobiographie und Genealogie wird
daher im vorliegenden Aufsatz nicht weiter behandelt, obwohl es
wichtig ist und eigens behandelt werden k6nnte.
’Der alte Obri’st ist Auプleldirer Beim Schreiben sieht er sein eigenes
Leben von der Innenseite(ggf. auch von der AuBenseite), und beim
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Lesen von der AuBenseite(ggf. auch von der Innenseite). Somit sind
Innen−bzw, AuBensicht nicht auf die eigene bzw. auf andere Personen
beschrankt, wie es bei den Erben der Narrenburg der Fall ist, sondern
der Obrist kann beide Seiten auf sich selbst beziehen und von dieser
neuen Ansicht her die eigene Unvernunft Uberwinden und gegenUber
anderen toleranter werden. Er versteht die Tiefe der Vergangenheit
und die eigene sowie seine gegenwartige Lage in der Welt durch das
Schreiben und Lesen seiner Autobiographie, Da er eine Technik
entwickelt hat, seine Erfahrungen sinnvoll zu verarbeiten, versteht er
auch das Missverstandnis zwischen seiner Tochter Magarita und
Augustinus, sieht den Selbstmordversuch des jungen Augustinus
voraus und kann ihn verhindern, sowie ihm einen neuen Weg ins Leben
zelgen.
Da die Verbindung von Aul3en・und Innenperspektive in der Mappe
meines Urgroβvaters in derselben Person verbunden werden, k6nnen sie
zu einem LernprozeB ftihren. Dagegen erkennen Jodok und die die
SchloBbesitzer in der Narrenburg weder ihre eigenen noch die
Handlungen von anderen, weil sie nicht ihre eigenen Autobiographien,
sondern diejenigen ihrer Vorfahren lesen. Sie reflektieren beim Lesen
ihre Handlungen gar nicht, sondern schreiben allenfalls ihre Auto・
biographie als Nachahmung der Autobiographien ihrer Vorfahren.
Augustinus beschreibt(und liest)sein Leben in der Form, die ihm
der Obrist vorgeschlagen hat. Daraus erwachst auch nach dem
Scheitern der Liebe zu Margarita neue Hoffnung. Durch die Selb−
stbeobachtung schlagt seine Verzweiflung in aufgekltirtes Handeln um.
Dies erweist sein Tun:er kUmmert sich um einen fremden Jungen,1aBt
die StraBe im Dorf pflastern und eine neue BrUcke bauen. Er handelt
jetzt mit anderen und fUr andere in seinem Dorf, also in der offenen
Welt. Auch dadurch kann er sein Leben von auBen erkennen. Dieses
aufgeklarte Handeln steht im Gegensatz zur Naγrenburg, deren Besitzer
nicht fUr das Volk in der Fichtau, sondern f{ir sich selbst in der
geschlossenen Welt der Burg handeln. Durch die Selbstobjektivierung
seines Handelns erkennt Augustinus seine Schuld(Selbstmordversuch)
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und das Missverstandnis zwischen ihm und Margarita。 Er wird
toleranter, so daB er das Missversttindnis auf16sen und sich schlieBlich
glUcklich mit ihr verloben kann(wie Heinrich in der Narrenburg).
Durch die vernUnftige Selbstreflexion, die mit dem Tagebuch beginnt
und sich schlieBlich im verantwortlichen, gesellschaftlichen Handeln
objektiviert, wird Augustinus schlieBlich ein.4πノ児薦㎎先
In der Mappe meines Urgroβvaters spielt die Wechselwirkung
zwischen Person und Ereignissen eine wichtige Rolle. Diese Wechsel−
wirkung soll sich innerhalb der Welt ergeben. Daraus, daB Augustinus
und der Obrist ihr eigenes Leben in der Welt,verfremden‘, entstehen
Vernunft und Toleranz und breiten sich von den Personen in die
Umgebung aus. Stifter stellt diese erfolgreiche Art der Selbstreflexion
in der Mapl)e〃zeines Urgrc∼βvaters der Selbstreflexion in der Narrenburg
(wie im letzen Kapitel erw註hnt)gegenUber.
4.SchluB:die Funktion der Autobiographie bei Stifter
In der Naγ?’enburg und der 1レ1αPl)θmeinesこJrgroβvaters stellt Stifter
verschiedene Funktionen der Autobiographie dar. In beiden Werken
spielen das Lesen und Schreiben von Autobiographien eine wichtige
Rolle. In der八「arrenburg lesen die Scharnasts die autobiographischen
Schriften ihrer Vorfahren und schreiben ihre Autobiographie nach dem
Prinzip der Nachahmung. Sie schreiben fUr ihre Nachkommenschaft,
lesen ihre eigenen Autobiographien aber spater nicht. Sie lesen und
schreiben nur in der geschlossenen Archivkammer. Dadurch werden
die Beziehungen zwischen den Scharnasts und ihrem Volk, den
Fichtauern, zerst6rt. So entsteht das Kommunikationsproblem in der
Fichtau, das sie von Generation zu Generation narrischer werden laBt.
Jodok und die anderen Scharnasts handeln nur fUr sich selbst und
werden vermittels der Autobiographien ihrer Vorfahren erzogen. Sie
k6nnen ihre Handlungen daher nicht objektiv betrachten und,ver−
fremden‘. Dagegen wird Heinrich. auBerhalb der Fichtau erzogen und
225
hat eine andere Perspektive. Er betrachtet seine Handlungen und
die seiner Vorfahren unter dem Gesichtspunkt einer allgemein
zuganglichen Vernunft, Er l6st daher das Kommunikationsproblem
zwischen den Scharnasts und den Fichtauern und kann ihre Narrheit
Uberwinden.
In deroMappe meines Urgroβvαters funktioniert die Autobiographie
ganz anders. Der Obrist und Augustinus schreiben ihre Auto−
biographien fUr sich selbst und lesen sie spater auch selbst, Durch diese
Ubung in Selbstobjektivierung veranlaBt, handeln sie mit und fUr
andere in einer offenen Welt. Dadurch k6nnen sie ihr Leben objektivie−
ren und ihr zukUnftiges Leben vernUnftig fUhren. In diesem Werk
spielt die Wechselwirkung zwischen Person und Ereignis eine groBe
Rolle, Wie Augustinus und der Obrist ihr eigenes Leben in der offenen
Welt objektiv betrachten, so entwickelt sich in ihnen die Vernunft.
Anmerkungen
1
Leo Tepe van Heemstede(1842−1928)war Redakteur und Schriftsteller in
Aachen. Stifter hat in der von Leo Tepe herausgegebenen Zeitschrift Die
katholiscん¢PVelt nach seinem Tod seine letzte Erzahlung.4us dem
bairi’schen臓alde ver6ffentlicht.
2
Stifter erinnert sich an das Zerbrechen eines Fensters:。Ich fand mich
einmal wieder in dem Entsetzlichen, Zugrunderichtenden, von dem ich
oben gesagt habe. Dann war Klingen, Verwirrung, Schmerz in meinen
Handen und Blut dran, die Mutter verband mich, und dann war ein Bild,
das so klar vor mir jetzt dasteht, als ware es in reinlichen Farben auf
Porzellan gemacht.“Adalbert Stifter:Mein Leben. In:Adalbert Stifter:
Werke. Hrsg. und mit Nachworten versehen v. Uwe Japp und Hans J.
Piechotta. Bd,4. Frankfurt a. M.:Insel l978, S.9.
3
Iris(deutscher Almanach)war eine Zeitschrift, Diese Zeitschrift wurde
von l840 bis 1848 ver6ffentlicht.
4
Yusuke IDENAWA:Narrheit und Vernunft. Zur Genealogie in Stifters
Narrenburg, In:Studies in Arts and Letters, No.37. Tokyo:Meiji Univer−
sity 2012, S.23.
5
Adalbert Stifter:Die Narrenburg. In:Werke. Hrsg. v. Uwe Japp und Hans
Joachim Piechotta, Bd.1. Frankfurt a. M.:Insel l978, S.150.
瓜∪7
Stifter(wie Anm.5),S.149.
Jutta MUller−Tamm:Alles nicht zu Ende, alles falsch_ Allegorie und
226
Erzahlstruktur in Stifters Narrenburg. In:Zeitschrift fUr Germanistik l7
8 01
σ1
01
12
(2003),S.561.
Vgl. Yusuke IDENAWA(wie Anm,4).
Stifter(wie Anm,5), S.147.
Stifter(wie Anm.5), S.147.
Stifter(wie Anm.5), S.148.
Jodok ist der GroBvater von Pia, die zum SchluB der Erzahlung von
Heinrich als Tochter angenommen wird. Er reist in seiner Jugend durch
die Welt, heiratet die Inderin Chelion und bringt sie in die Fichtau mit.
Jodok versucht zuerst, durch seine Ehe mit Chelion die Narrheit zu
Uberwinden. Den Ausbruchsversuch Jodoks kann man als Versuch
ansehen, exogam und auBerhalb des eigenen Standes zu heiraten. Diese
exogame Heirat erm6glicht aber nicht den Ausbruch aus dem Schicksal
der Familie, weil sie das Kommunikationsproblem zwischen den
54
71
8
01
04 1
1
1U1
Fichtauern und seiner Familie nicht 16st,
Stifter(wie Anm.5), S.220.
Adalbert Stifter:Die Mappe meines UrgroBvaters. In:Werke. Hrsg. v.
Uwe Japp und Hans Joachim Piechotta, Bd.1. Frankfurt a. M.:Inse11978,
S.287.
Stifter(wie Anm.14), S. 275.
Stifter(wie Anm.14), S.259f.
Stifter(wie Anm.14), S.270.
Vgl. Christian Begemann:Die Welt der Zeichen. Stuttgart:Metzler 1995,
S.242ff.
Literatur
Begemann, Christian:Die Welt der Zeichen. Stuttgart:Metzler l995.
Idenawa, Yusuke:Narrheit und Vernunft. Zur Genealogie in Stifters Narren−
burg. In:Studies in Arts and Letters, No.37. Tokyo:Meiji University 2012,
S.23−38.
Mifller−Tamm, Jutta:Alles nicht zu Ende, alles falsch_ Allegorie und
Erzahlstruktur in Stifters Narrenburg. In:Zeitschrift fUr Gewrmanistik 17
(2003),S.561−574.
Adalbert Stifter:Werke. Hrsg. und mit Nachworten versehen v. Uwe Japp und
Hans J. Piechotta. Bd. l und 4. Frankfurt a. M.:Inse11978.
Wagner−Egelhaaf, Martina:Autobiographie.2. Auflage Stuttgart und Weimar:
Metzler 2005.