Gottesdienst am Sonntag Judica, 22. März 2015, in Erlenbach Der Menschsohn muss viel leiden Text Luk 9,18-22 Predigt Pfrn Käthi la Roche Und es geschah, als er für sich alleine betete und nur seine Jünger bei ihm waren, dass er sie fragte: Für wen halten mich die Leute? Sie antworteten: Für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere meinen, einer der alten Propheten sei auferstanden. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Da antwortete Petrus: Für den Gesalbten Gottes. Da fuhr er sie an und gebot ihnen, dies niemandem zu sagen, und er sprach: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten und Hohen Priestern und Schriftgelehrten verworfen und getötet werden, und am dritten Tage muss er auferweckt werden. Zu allen aber sprach er: Wenn einer mir auf meinem Weg folgen will, verleugne er sich und nehme sein Kreuz auf sich, Tag für Tag, und so folge er mir. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, wird es retten. Liebe Gemeinde Unser Wissen von Gott ist grenzenlos beschränkt. Lassen Sie sich diesen Satz auf der Zunge zergehen – er stammt nicht von mir, ich habe ihn zufällig gefunden: Unser Wissen von Gott ist grenzenlos beschränkt. Vor diese paradoxe Wahrheit, die uns der Schriftsteller Eleazar Benyoëz in präziser Kürzestform vor Augen führt, stellt uns das Evangelium des heutigen Tages: Unser Wissen von Gott ist grenzenlos beschränkt! Zwar erkennt und bekennt Petrus, im Unterschied zu vielen anderen Anhängern Jesu, dass dieser der Gesalbte Gottes sei, der erwartete und ersehnte Messias – aber Jesus will nicht, dass Petrus es öffentlich bekannt mache. Über die Gründe dieses Schweigegebotes lasst uns ein andermal spekulieren. Zur Folge jedoch hat es, dass es fortan Eingeweihte gibt, Insider, eine christliche Gemeinde mit besonderen Einsichten in die Geheimnisse Gottes, und andere, die eben nicht unterrichtet sind und nicht wissen, wer Jesus ist. Was sich jedoch gleichfalls bald herausstellt: Dass auch das Wissen derer, die wissen, ein grenzenlos beschränktes ist. Jesus korrigiert es sogleich, indem er Petrus antwortet: Der Menschensohn muss viel leiden. Petrus bekennt seinen Glauben, indem er sagt: Du bist der Gesalbte Gottes, hebräisch: Maschiach, eingedeutscht: der Messias, oder uns geläufiger in der griechisch-lateinischen Version: Der Christus! Petrus meint: Du bist der, auf den alle warten, der Israel erlösen wird. 2 In der Tradition Israels war ein Gesalbter entweder ein Priester oder ein Prophet oder eben ein König. Die Salbung eines Königs vor dessen Amtsantritt machte diesen zum Beauftragten Gottes, in dessen Dienst er sein Volk führen und richten sollte, in Recht und Gerechtigkeit. Allerdings blieben die realen Könige Israels meist weit hinter diesem Ideal zurück und so richtete sich die Hoffnung Israels, zumal nach dem das Land fremden Herren unterworfen worden war, auf einen neuen, auf d e n Gesalbten des Herrn, den Christus im wahren Sinne des Wortes, und auf den endzeitlichen Anbruch des Gottes-Reiches mit ihm und in ihm. Diese Hoffnung sah Petrus in Jesus erfüllt und darum sagte er: Du bist der Gesalbte Gottes. Aktionen von Königen sind politische Aktionen. Der Gesalbte Gottes jedoch ist einer, der nicht Menschen-politik, sondern Gottes-politik machen wird: Eine Politik, die unsere Welt von Grund auf verändern soll. Sicher hatte Petrus seine eigenen Vorstellungen davon, wie diese Welt verändert werden müsste. Wir alle haben unsere eigenen Vorstellungen. Jeder von uns ist ein kleiner Weltverbesserer und meint zu wissen, was getan werden müsste zum Wohl der Menschen, der Erde, des Klimas, für den Frieden, gegen die Armut. So mag auch Petrus bereits einen Aktionsplan für den Christus-König im Kopf gehabt haben. Wie ein Blitz schlägt da der Satz Jesu ein in diese möglichen und menschlichen Weltver besserungswünsche und –pläne und zerstört sie: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten verworfen und getötet werden. Man fragt sich: Warum m u s s ? Wer steht hinter diesem „muss“? Wer hat dies beschlossen? Und wenn es Gott selber wäre? Ist das denkbar? Da stehen wir an, nicht wahr, mit unserem Bild vom Gott, der doch nur lieb ist: Unser Wissen von Gott ist grenzenlos beschränkt! Jetzt mute ich ihnen grade noch einmal so einen Satz zu vom selben Aphoristiker Benyoëz, der sagt: Was getan werden muss, wird auch ohne Müssen getan. Dieser Satz, auf die bevorstehende Passion Jesu angewendet, ist noch viel verrückter als der erste. Er bringt wiederum in paradoxer Weise zwei Dinge zusammen: Einerseits, dass Jesus zwingend verworfen und getötet werden muss, dass aber andererseits diejenigen, die ihn verworfen haben und töten werden, nicht unter Zwang handeln, also dies nicht notwendigerweise tun müssen. Mit anderen Worten: Jesu Passion entspricht wohl dem Willen Gottes, die Aktion der Menschen hingegen, die Jesu Tod verschuldet haben, in keiner Weise. Ihr Tun ist unentschuldbar, ausser durch den, der sein Leben hingeben wird für sie. Aber ich will nicht vorgreifen. Der Menschensohn muss vieles erleiden, er wird verworfen und getötet werden, sagt Jesus. Die passiven Verben zeigen, dass nicht er selber, sondern die jüdischen Führer und, wie wir dunkel zu ahnen beginnen, möglicherweise Gott selber die Handelnden sind. Die Passionsgeschichte allerdings wird uns begreifen lassen, dass Jesus durchaus nicht nur Opfer, nicht nur Objekt des Geschehens ist, sondern es aktiv mitgestaltet, indem er selber den Weg des Leidens wählt und dann auch g e h t. 3 Die Aktion des Gesalbten des Herrn, des Maschiach, des Christus ist – paradoxerweise – Passion! Ist das Gegenteil all dessen, was Petrus (und nicht nur er!) von dem erwartet, der die Welt von Grund auf verändern und erneuern soll. Statt Triumph wird Verfolgung in Aussicht gestellt, statt Machtergreifung Verhaftung, statt Sieg Tod – das alles zwar mit dem Hinweis auf eine Auferstehung nach drei Tagen. Aber das ist für Petrus kein Trost. Die anderen Evangelien berichten, dass er bestürzt reagiert, Jesus beiseite genommen und ihm Vorwürfe gemacht habe – Vorwürfe, die Jesus in grösster Schroffheit zurückgewiesen hat. Auch Lukas sagt ja in aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass Jesus seine Jünger angefahren habe. Die ausgesprochenen oder unausgesprochenen Vorwürfe und Verständnisschwierigkeiten des Petrus und der Jünger sind auch die unseren. Auch wir begreifen nur schwer, dass und weshalb die entscheidenste Aktion Jesu, des Christus, die Passion gewesen sein soll. Bis heute geht es uns nur schwer ein, dass Leiden und gewaltloses Sich-töten-lassen überhaupt als eine Form von Aktion, von Kampf, ja sogar von Sieg bezeichnet werden kann. Das ist so ganz anders als unsere üblichen Wertungen und Massstäbe – so anders wie Gottes Politik eben anders ist als die Politik der Menschen, wie Gottes Herrschaft eben anders ist als alle menschlichen Herrschaftsformen. An dieser Stelle möchte ich Sie auf etwas aufmerksam machen, was mir beim Lesen unseres heutigen Predigttextes aufgefallen ist. In seinem Bekenntnis schreibt Petrus Jesus einen Titel zu, einen Hoheitstitel: Du bist der Christus. Jesus selbst braucht einen anderen „Titel“. Er spricht von sich in der dritten Person und sagt: Der Menschensohn muss vieles erleiden. Der eine Titel hat eine vertikale Perspektive und bringt dessen Träger in eine direkte Beziehung mit Gott. Der andere Titel hat eine horizontale Perspektive und bringt dessen Träger in eine Beziehung zu den Menschen. Jesus hat für sich nie beansprucht, König der Juden zu sein. Das haben andere über ihn gesagt, die einen, um ihn zu verurteilen und die anderen, um ihn zu verhöhnen; die Römer haben es sogar über sein Kreuz geschrieben, in lateinischen Lettern: Da, seht euren Christus, euren Weltverbesserer, euren Heiland! Er selber hat sich nie der Christus genannt. Aber er hat oft von sich als dem Menschensohn gesprochen, vor allem im Zusammenhang mit seinem Leiden. Und, hier sogar im selben Atemzug, auch mit seiner Auferstehung. Damit machen die Evangelisten schon rein sprachlich hörbar, dass Jesus einerseits ein Kind seiner Zeit war und die endzeitlichen Ängste und Hoffnungen der Menschen von damals nicht nur gekannt, sondern auch geteilt hat: Diese Welt muss zugrunde gehen und eine neue wird anbrechen, eine Welt, in der Gott alle Tränen abwischen wird. Dass Jesus aber gleichzeitig die Erwartungen seiner Jünger und die Projektionen seiner Gegner in Bezug auf seine Person nicht geteilt hat. Er dachte nicht daran, in Gottes Namen die Macht an sich zu nehmen und mit starker Hand jenen Recht schaffen zu wollen, denen Unrecht geschah. Nicht, weil ihn diese nicht interessiert hätten. Im Gegenteil. Aber weil er nicht an die Macht des Stärkeren glaubte. Sondern an die Macht der Vergebung. An die Macht Gottes, der Böses nicht mit Bösem vergilt, sondern es überwindet, indem er ihm nicht widersteht. 4 Ich habe eine zeitlang in Lateinamerika gelebt. Es war während der Zeit des Krieges in El Salvador. In einem Dorf wurde mir ein Mann vorgestellt, zu dem die Menschen grosses Vertrauen hatten. Sie sagten: Es un hombre muy sufrido. Eine Auszeichnung. Ein „Titel“ wie der Menschensohn. Un hombre muy sufrido: Ein Mensch, der viel gelitten hat. Und dabei nicht aufgehört hat, Menschen zu lieben. Sondern im Gegenteil: Gerade aufgrund und durch diese Erfahrungen gelernt hat, Menschen zu verstehen. Passion heisst ja nicht nur Leiden, sondern auch Leidenschaft – für das Leben! Jesus kündigt dem Petrus, der ihn als den Christus bekennt, sein Leiden an und sagt ihm so: Die stärkste Aktion Gottes liegt in meiner Passion. Der Menschensohn muss vieles erleiden, verworfen und getötet, und am dritten Tage auferweckt werden. Muss! Es geht nicht darum, dass Gott ein Opfer braucht – es sind Menschen, die immer wieder Opfer brauchen. Das Muss bezieht sich auf das Leiden, das dem nicht erspart wird, der Böses nicht mit Bösem und Gewalt nicht mit Gewalt vergelten will und das ein erlösendes Leiden ist nur insofern, als es von dem, der den Weg des Leidens geht, ohne Müssen, frei-willig angenommen wird. Was getan werden muss, muss ohne Müssen getan werden. Jesus versuchte dem Leiden weder zu entfliehen noch sich mit Gewalt gegen jene zu wehren, die es ihm zufügen, sondern in Gottes Willen einzustimmen, nämlich Vergebung zu erwirken für die, welche Böses tun. Un hombre sufrido – dessen Überlegenheit darin besteht, dass er nicht mehr umzubringen ist, weil derjenige, der ihn am dritten Tage auferweckt hat von den Toten, hinter ihm steht. Weil es diese Art der Weltveränderung ist, zu der Gott selber sich bekennt in seiner Passion für das Leben, für die Menschen, in seiner Liebe zu jedem Einzelnen von uns. Das ist es, was Petrus, was die Jünger Jesu, was seine Kirche, was wir so schwer zu verstehen und zu begreifen bereit sind, denn: Unser Wissen von Gott ist grenzenlos beschränkt. Gott lässt sich aber nicht in diese Beschränkungen hineinzwängen, er sprengt sie auf – schmerzhaft für ihn und für uns. Er zwingt uns, unserem Unglauben, der sich immer neu als Aberglaube an die Gewalt, an die Macht des Stärkeren und in der Angst vor Ohnmacht und Leiden manifestiert, den Abschied zu geben. (Kurt Marti) Er lädt uns ein, auf Jesus zu schauen, den Menschensohn, und uns an die von ihm proklamierte Herrschaftsform, an das PassionsKönigtum des Christus zu gewöhnen. Kurt Marti sagt in einer Predigt zu diesem Thema: Solche Gewöhnung ist Einübung ins Vertrauen, dass Gott unsere Welt durch die nackte Gewaltlosigkeit seines Wortes und seines Sohnes richten und aufrichten wird. Amen.
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