Was ist ein Kraniopharyngeom?

Was ist ein Kraniopharyngeom?
Das Kraniopharyngeom (Kranio) ist ein seltener Fehlbildungstumor,
der im Kindes- und Jugendalter mit einem Häufigkeitsgipfel um das
10. Lebensjahr und bei Erwachsenen mit einem Gipfel im Alter von
40 bis 50 Jahren diagnostiziert wird. Das Kraniopharyngeom ist
eine
Fehlbildung,
die
von
Gewebe
ausgeht,
das
in
seiner
Entwicklung bereits embryonal, d.h. noch vor der Geburt, gestört
wurde. Die Gründe für diese gestörte Gewebeentwicklung sind
bislang nicht bekannt. Der auf kernspintomographischen Bildern
sichtbare Tumor ist also keine bösartige Geschwulst, sondern eine
Art Fehlbildung. Allerdings liegt das Kranio in direkter Nähe zu
Teilen des Gehirns, die ausgesprochen wichtig für die körperliche
und geistige Entwicklung sind. Die Nähe zum Sehnerven (Optikus)
kann zu Sehbeeinträchtigungen bis hin zur Erblindung führen.
Benachbarte Hirnanteile wie Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) und
Hypothalamus
sind
für
die
Bildung
zahlreicher
Hormone
verantwortlich, die für Wachstum, Gewichtsregulation, Pubertätsentwicklung und Flüssigkeitshaushalt verantwortlich sind. Häufig
beruhen die ersten Beschwerden der Patienten auf hormonellen
Ausfallserscheinungen,
die
durch
das
Kranio
hervorgerufen
werden. Darüber hinaus werden in direkter Nachbarschaft zum
Kranio Eiweiße im Gehirn gebildet, die für den Tag-NachtRhythmus, die Konzentrationsfähigkeit und das Sättigungsgefühl
der Patienten eine wichtige Rolle spielen. Die langfristige Lebensqualität
vieler
Patienten
wird
durch
die
meist
lebenslang
notwendige Hormoneinnahme, bleibende Sehbeeinträchtigungen
und ein oft ausgeprägtes Übergewicht beeinträchtigt.
Wer erkrankt an einem Kranio und warum?
Es handelt sich beim Kranio um eine Fehlbildung, die bereits vor
der Geburt in der Embryonalphase entsteht. Die Gründe für die
vorgeburtliche Entstehung der Fehlbildung und warum sie bei
einigen
Patienten
im
Kindesalter
und
bei
anderen
erst
im
1
Deutsche Kinderkrebsstiftung · Adenauerallee 134 · 53113 Bonn
Telefon 02 28. 6 88 46 0 · Telefax 02 28. 6 88 46 44
Spendenkonto IBAN DE48 3708 0040 0055 5666 00 · ggf. Verwendungszweck „Kraniogruppe“
Erwachsenenalter diagnostiziert werden, sind unklar. Eine erbliche
Veranlagung oder familiäre Häufung ist nicht nachgewiesen.
Pro Jahr werden in der Bundesrepublik Deutschland ca. 30 Kinder
und Jugendliche mit Kranio neu diagnostiziert. Das Deutsche
Kinderkrebsregister (www.kinderkrebsregister.de) registriert seit
1980 alle neu diagnostizierten Fälle.
Woran erkennt man ein Kranio?
Häufige Beschwerden bei Erstdiagnose sind Kopfschmerzen und
morgendliches Nüchternerbrechen, die durch erhöhten Druck im
Inneren des Kopfes verursacht werden. Das Kranio versursacht die
Druckerhöhung
durch
einen
Aufstau
des
Nervenwassers
im
Schädelinnern. Weitere Zeichen sind Sehstörungen (62-84%) und
endokrine Ausfälle (52-87%). Hormonelle Ausfälle betreffen die
hypothalamisch-hypophysären
Hormonachsen
für
Wachstums-
hormon (75%), Geschlechtshormone (Gonadotropine) (40%), das
Stresshormon Cortisol (ACTH) (25%) und das Schilddrüsenhormon
(TSH) (25%). Ein Diabetes insipidus besteht bei Diagnose und vor
OP bei 17% der betroffenen Patienten und äußert sich durch große
Urin-
und
Trinkmengen.
Störungen
der
Pubertätsentwicklung
zeigen sich als vorzeitig oder verspätet einsetzende Pubertätsentwicklung. Die genannten Beschwerden werden häufig bereits
lange
vor
Diagnose
angegeben.
Kopfschmerz,
Sehstörung,
Wachstumsstörung und vermehrter Durst/Urinmenge sind die
typische Kombination von Symptomen bei Kranio.
Wie wird das Kranio diagnostiziert?
Zur Diagnosestellung und Vorbereitung des operativen Eingriffs
werden eine Kernspintomographie (MRT) und meist auch eine
Computertomographie (CT) durchgeführt. Beim MRT liegt man in
einer Art „Röhre“, um die ein starkes Magnetfeld erzeugt wird. Eine
Strahlenbelastung besteht nicht. Schädliche Nebenwirkungen des
MRT-Magnetfeldes
bestehen
darin,
sind
dass
nicht
die
bekannt.
Nachteile
Untersuchungszeit,
in
des
der
MRTs
man
bewegungslos in der Röhre liegen muss, für Kinder oft zu lang ist
(ca. 30 Minuten). Hier wird eine Untersuchung in Narkose
notwendig.
Die Computertomographie (CT) stellt eine Strahlenbelastung dar,
ist aber häufig notwendig, um Verkalkungen nachzuweisen, die im
2
Deutsche Kinderkrebsstiftung · Adenauerallee 134 · 53113 Bonn
Telefon 02 28. 6 88 46 0 · Telefax 02 28. 6 88 46 44
Spendenkonto IBAN DE48 3708 0040 0055 5666 00 · ggf. Verwendungszweck „Kraniogruppe“
MRT nicht darzustellen sind. Insofern sollten CT-Untersuchungen
so geplant werden, dass nur das Kranio abgebildet wird und das
normale
Gehirn
und
im
Besonderen die
Linsen
der
Augen
ausgespart werden.
Die eigentliche Diagnose Kranio wird dann vom Pathologen gestellt,
der das operativ entnommene Gewebe untersucht. Wenn kein
festes Gewebe in der Operation gewonnen werden konnte, weil
z.B. eine Zyste entlastet wurde, wird die entnommene Flüssigkeit
vom Pathologen untersucht.
Wie wird das Kranio behandelt?
Neurochirurgische Operation:
Die Behandlung bei neu diagnostiziertem Kranio wird meist die
Operation sein. Die Entscheidung über das operative Vorgehen
(wie und wieviel operiert/entlastet werden soll) wird der Sie
betreuende Arzt/Neurochirurg mit Ihnen besprechen. Sie werden
darüber aufgeklärt werden, dass das Kranio häufig nicht ganz
entfernt werden kann, weil sonst schwere Schäden an den
benachbarten Gehirnanteilen zu befürchten sind (Sehnerv und
Hypothalamus). Andererseits gibt es aber auch viele Kranios, die
trotz kompletter Entfernung wieder auftreten. Können Teile des
Kranios operativ nicht komplett entfernen werden und zeigt der
verbliebene Rest weiteres Wachstum, so muss die Durchführung
einer Bestrahlungstherapie erwogen werden.
Besteht das Kranio überwiegend aus einer einzelnen Zyste, kann
der Neurochirurg den Zysteninhalt dadurch ablassen, dass er ein
Loch in die Zystenwand schneidet und einen Drainageschlauch in
das
Loch legt, der verhindert, dass
sich das
Loch wieder
verschließt, so dass der Inhalt der Zyste weiter abfließen kann.
Verbindet man das Ende des Drainageschlauchs mit einer kleinen
Kammer (Reservoir), die unter der Kopfhaut liegt und mit einer
Nadel problemlos punktiert werden kann, so kann man wiederholt
den Druck in der Zyste entlasten.
Befindet sich das Kranio ausschließlich in der Sella (knöcherne
Nische im Bereich der Schädelbasis), ist die operative Entfernung
über die Nase als Zugangsweg möglich. Dieser „transsphenoidale
Zugangsweg“ ist insofern schonend, als keine operative Verletzung
hypothalamischer Hirngebiete als Komplikation zu befürchten ist.
Häufig erstreckt sich aber das Kranio über die Sella hinaus in
3
Deutsche Kinderkrebsstiftung · Adenauerallee 134 · 53113 Bonn
Telefon 02 28. 6 88 46 0 · Telefax 02 28. 6 88 46 44
Spendenkonto IBAN DE48 3708 0040 0055 5666 00 · ggf. Verwendungszweck „Kraniogruppe“
Regionen
des
Gehirns,
die
über
den
transsphenoidalen
Zugangsweg nicht zugänglich sind. In diesen Fällen erfolgt der
operative Eingriff über einen Zugang durch die Schädeldecke meist
im Bereich der oberen Stirn (pterionaler Zugangsweg).
Der operative Eingriff zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sollte immer
das Ziel verfolgen, möglichst viel vom Kranio zu entfernen, ohne
den Sehnerven oder hypothalamische Hirngebiete zu verletzen. Bei
dem geschilderten Vorgehen kann trotz vorsichtiger Operation die
Hirnanhangsdrüse häufig nicht erhalten werden. Da der Tumor mit
dieser Drüse häufig untrennbar eng verwachsen ist, wird ihr
Verlust bzw. die Notwendigkeit zur lebenslangen Hormontherapie
nach OP in Kauf genommen.
Neue endoskopische Operationsverfahren ermöglichen ebenfalls
schonende Behandlungsmöglichkeiten. Das Endoskop wird in die
erweiterten Räume des Hirnwassers (Ventrikel) über ein kleines
Bohrloch in der Schädeldecke eingeführt und unter endoskopischer
Sicht wird (wie bei einer Magen-Darm-Spiegelung) der Tumor
entfernt oder die Zyste entlastet.
Wenn das Kranio bei der ersten Operation nicht komplett entfernt
werden konnte, mag das eine gewisse Enttäuschung für den
Patienten und seine Familie sein. Aber in der Regel erfolgt eine
inkomplette Entfernung, weil bei radikalem Vorgehen die Gefahr zu
groß ist, wichtige benachbarte Hirnstrukturen zu schädigen. Das
Ziel der Behandlung ist nicht, nach der Operation eine MRTAufnahme zu sehen, auf der das Kranio nicht mehr zu sehen ist.
Das eigentliche Ziel der operativen Therapie ist, dass es dem
Patienten nach Operation langfristig besser geht als vorher.
Strahlentherapie:
Welche Behandlungsmöglichkeiten hat man, wenn in der ersten
Operation das Kranio nur teilweise entfernt werden konnte? Es ist
bekannt, dass ein Tumorrest des Kranios in über 90% der Fälle
irgendwann wieder wachsen kann und so zu Problemen führt.
Andererseits ist auch nachgewiesen, dass eine Strahlentherapie
das weitere Wachstum eines Kraniopharyngeomrestes verhindern
kann. Derzeit wird für Kinder und Jugendliche (im Alter über 5
Jahre
bei
Diagnose)
eine
Untersuchung
durchgeführt,
die
analysiert, wann der optimale Zeitpunkt für eine Strahlentherapie
nach
unvollständiger
Entfernung
des
Kranios
gekommen
ist
(www.kraniopharyngeom.net).
4
Deutsche Kinderkrebsstiftung · Adenauerallee 134 · 53113 Bonn
Telefon 02 28. 6 88 46 0 · Telefax 02 28. 6 88 46 44
Spendenkonto IBAN DE48 3708 0040 0055 5666 00 · ggf. Verwendungszweck „Kraniogruppe“
Abwarten?
Es gibt durchaus Fälle, in denen das Kranio zufällig diagnostiziert
wird, z.B. im Rahmen einer CT- oder MRT-Bildgebung aus ganz
anderen Gründen. Beim Kranio handelt es sich nicht um einen
bösartigen
Tumor,
sondern
um
eine
Fehlbildung,
deren
Wachstumsverhalten gerade bei „zufälliger“ Diagnose nur schwer
vorherzusagen ist. In Einzelfällen kann es daher gerade bei
zufälliger Diagnose und sonstiger Beschwerdefreiheit sinnvoll sein,
zunächst
das
kontrollieren,
weitere
bevor
Wachstumsverhalten
man
sich
zur
mit
Therapie
MRT
zu
(Operation,
Strahlentherapie) entschließt.
Im Rahmen des Behandlungsnetzwerkes HIT werden alle Befunde
bei
Diagnose
des
Kranios
(MRT-Bilder,
neurochirurgisches
Vorgehen, Gewebeuntersuchung) von Experten mitbeurteilt und
behandelnde Ärzte, betroffene Patienten und deren Familien
hinsichtlich des besten Vorgehens beraten. Hierzu ist eine Meldung
des Patienten an das Deutsche Kinderkrebsregister notwendig.
Autor:
Prof. Dr. med. Hermann L. Müller
Multizentrische Therapieoptimierungsstudie Kraniopharyngeom,
Studienleiter
Klinik für Allgemeine Kinderheilkunde, Hämatologie/Onkologie
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
Klinikum Oldenburg, Medizinischer Campus Universität Oldenburg
Rahel-Straus-Straße 10, 26133 Oldenburg
Tel. 0441-4032013, Fax 0441-4032887
Email: [email protected]
www.kraniopharyngeom.net
Die Multizentrische Therapieoptimierungsstudie Kraniopharyngeom 2007 und
Vorläufer werden/wurden von der Deutschen Kinderkrebsstiftung gefördert.
Selbsthilfegruppe Kraniopharyngeom:
Kraniopharyngeom-Gruppe
unter dem Dach der Deutschen Kinderkrebsstiftung
Adenauerallee 134, 53113 Bonn
Tel. 0228-68846-16, Fax 0228-68846-44
Email: [email protected] (Ansprechperson Selbsthilfe)
[email protected] (Verwaltung)
www.kraniopharyngeom.de
Stand der Informationen: 2015
5
Deutsche Kinderkrebsstiftung · Adenauerallee 134 · 53113 Bonn
Telefon 02 28. 6 88 46 0 · Telefax 02 28. 6 88 46 44
Spendenkonto IBAN DE48 3708 0040 0055 5666 00 · ggf. Verwendungszweck „Kraniogruppe“