G.A. Stavrou1 R. Jahns2 P. Flemming3 K.-J. Oldhafer1 Hormoninaktive Nebenschilddrüsenzyste: eine seltene Differenzialdiagnose bei zystischen Veränderungen im Halsbereich Zusammenfassung Abstract Nebenschilddrüsenzysten sind ein äußerst seltenes Krankheitsbild. Die Mehrzahl der Zysten ist hormoninaktiv und führt zu keinen klinischen Beschwerden. Bei der differenzialdiagnostischen Abklärung von Halszysten sollte jedoch unbedingt auch an eine Nebenschilddüsenzyste gedacht werden, da es sich um eine chirurgisch gut therapierbare Entität handelt. Wir berichten über den Fall eines 57-jährigen Patienten mit hormoninaktiver Nebenschilddrüse, der sich in unserer Klinik vorstellte. Die Diagnosestellung gelang letztendlich erst postoperativ am histologischen Präparat, weshalb anhand dieses Fallberichtes die aktuelle Datenlage zur präoperativen Diagnostik behandelt wird. Parathyroid cysts are a very rare disease entity. Hormone activity is uncommon and they usually present without any clinical symptoms. The differential diagnosis of cystic neck masses should nevertheless include parathyroid cysts as surgical therapy can be very effective. We report the case of a 57-year-old patient presenting to our department with a hormone inactive parathyroid cyst. Final diagnosis was achieved eventually after histological examination of the resected specimen, which is the reason for evaluating the current data for preoperative management of this disease entity in this case report. Schlüsselwörter Nebenschilddrüsenzyste · operative Therapie · Differenzialdiagnose Key words Parathyroid cyst · surgical management · differential diagnosis Fallbericht len, die sonografisch bis in den Thorax reichte und mehrfach punktiert wurde. Hierbei konnten jeweils bis zu 50 ml einer klaren serösen Flüssigkeit gewonnen werden. Da die Punktion jedoch nur kurzfristig Symptombesserung erreichen konnte und die Zyste persistierte, wurde eine chirurgische Therapie angestrebt. Klinisch und anamnestisch ergab sich kein Anhalt für Symptome eines Hyperparathyreoidismus. Anamnese Der 57-jährige, bisher internistisch gesunde Patient, war über 9 Monate vor Aufnahme in nuklearmedizinisch-endokrinologischer Behandlung. Er klagte über ein progredientes Druckgefühl im Hals. Bei zunehmender Dyspnoe war eine gut palpable, zystische Struktur kaudal des rechten Schilddrüsenlappens aufgefal- 1 Institutsangaben Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Allgemeines Krankenhaus, Celle 2 Praxis für Nuklearmedizin im Allgemeinen Krankenhaus Celle 3 Institut für Pathologie, Allgemeines Krankenhaus Celle Korrespondenzadresse Dr. med. Gregor A. Stavrou · Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie · Allgemeines Krankenhaus Celle · Siemensplatz 4 · 29221 Celle · Tel.: 0 5141/72 60 72 · Fax: 0 5141/7210 59 · E-Mail: [email protected] Bibliografie Zentralbl Chir 2007; 132: 161–164 · © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York DOI 10.1055/s-2007-960648 ISSN 723-7065 Der besondere Fall Hormone Inactive Parathyroid Cyst: Rare Differential Diagnosis in the Evaluation of Cervical Cysts 161 Der besondere Fall a c Abb. 1 a CT-Diagnostik präoperativ. Bild 1 b und 1 c entsprechen den koronaren bzw. sagittalen Rekonstruktionen von Bild 1 a. In allen Bildern stellt sich die Zyste gut dar (Pfeil), auch die Trachealeinengung (passend zur Klinik des Patienten) ist gut sichtbar. tenflüssigkeit auf Parathormon oder dessen Abbauprodukte wurde nicht vorgenommen, die zytologische Untersuchung des Punktats erbrachte keinen richtungsweisenden Befund. 162 b Befunde Sonografisch zeigte sich ein zystischer Prozess kaudal der rechten Schilddrüse bis in das Mediastinum reichend. Das Schilddrüsenparenchym imponierte unauffällig ohne Nachweis von intraparenchymalen Zysten oder solider Raumforderung. Szintigrafisch zeigte die Schilddrüse keine heißen oder kalten Knoten bei insgesamt unauffälliger Tracerverteilung des TC-99. Das CT von Hals und Thorax zeigte schließlich eine Zyste im Bereich des oberen hinteren Mediastinums kaudal des rechten Schilddrüsenlappens nach intrathorakal reichend mit Trachealverlagerung und einer Größenausdehnung von 2,5 × 3,0 × 4,8 cm (Abb. 1 a–c). Laborchemisch lag eine peripher euthyreote Stoffwechsellage mit einem normwertigen T3, T4 und TSH vor. Die Routinelaborparameter und Elektrolyte waren unauffällig. Eine Tumormarkerbestimmung oder Messung des Parathormonplasmaspiegels wurde nicht durchgeführt. Eine Analyse der Zys- Therapie Bei führender klinischer Symptomatik wurde die Operationsindikation gestellt. Intraoperativ zeigte sich rechts eine vom unteren Schilddrüsenpol ausgehende Zyste, die bereits die Trachea verdrängte. Makroskopisch war das Schilddrüsenparenchym unauffällig, daher wurde auf eine Exploration der linken Schilddrüse und Nebenschilddrüsen verzichtet. Aufgrund der intraparenchymatösen Lage des oberen Zystenpols gelang die Entfernung der Zyste nur als En-bloc-Resektion zusammen mit dem rechten Schilddrüsenlappen unter Erhalt der rechten oberen Nebenschilddrüse und entsprechendem Neuromonitoring. Die Zyste wurde in toto entfernt, wozu nach medianer Erweiterung des Kocherschen Kragenschnitts eine Präparation bis ins obere Mediastinum erforderlich war – die Trachea zeigte dabei bereits eine deutliche Impression rechts lateral. Selbst intraoperativ war die Zugehörigkeit der Zyste zur Nebenschilddrüse nicht zu vermuten gewesen. Das Präparat wurde histologisch aufgearbeitet und nach Anfertigung der Immunhistochemie die Diagnose einer Zyste der Nebenschilddrüse gestellt (Abb. 2 und 3). Das entnommene Schilddrüsengewebe stellte sich insgesamt unauffällig dar, es zeigten sich keine zystischen Veränderungen oder solide Knoten. Verlauf Der postoperative Verlauf gestaltete sich unauffällig. Der Patient konnte am 4. postoperativen Tag in gutem Allgemeinzustand entlassen werden, eine relevante Hypokalziämie war nicht auf- Stavrou G et al. Hormoninaktive Nebenschilddrüsenzyste … Zentralbl Chir 2007; 132: 161 – 164 Abb. 3 Immunhistochemie. 200-fache Vergrößerung, Immunhistochemie für Parathormon. Das Nebenschilddrüsengewebe ist angefärbt, die Zystenepithelien reagieren nicht. getreten. Der Serumkalziumspiegel bei Entlassung war 2,1 mmol / l ohne Substitution. Die postoperative Parathormonbestimmung vor Entlassung ergab einen Wert im Normbereich. Der postoperativ erhobene Stimmlippenbefund war regelrecht. Die Wundheilung verlief primär, die postoperative Nachkontrolle 7 Tage nach Entlassung ergab keine Auffälligkeiten. 8 Wochen nach OP hatte sich bei gutem Allgemeinzustand sonografisch kein Zystenrezidiv nachweisen lassen. Endokrinologische Nachkontrollen 8 Wochen und 6 Monate nach der Operation zeigten weder klinisch noch laborchemisch Auffälligkeiten. Diese Untersuchung wird von vielen Autoren bei unklaren Halszysten gefordert, da sie die einzige Möglichkeit zur präoperativen Diagnosesicherung darstellt [5, 6]. Die Standard-Therapie der hormoninaktiven Zyste ist zunächst die Punktion und Analyse der Flüssigkeit [4]. Eine Übersicht über die Literatur gibt Tab. 1. Eine Operation ist nicht indiziert, wenn die Zyste keine Beschwerden bereitet oder die Beschwerden nach Punktion sistieren. Bei Persistenz der Zyste trotz Punktion und lokalen Beschwerden durch Verdrängung ist die operative Exzision Therapie der Wahl. Besteht ein klinischer Hyperparathyreoidismus ist bei der Diagnostik die Zyste als Ursache der Erkrankung zu bedenken. Therapie ist die operative Resektion [6]. Bei sonografischem Verdacht auf eine mediastinale Ausdehnung der Zyste ist eine CT-Diagnostik ratsam. Zuvor sollte jedoch eine Schilddrüsenpathologie vor Kontrastmittelgabe ausgeschlossen werden. Diskussion Nebenschilddrüsenzysten, die groß genug sind, um klinisch symptomatisch zu werden, sind eine Seltenheit. Die zervikale Lokalisation ist dabei häufiger als die mediastinale (ca. 10 %) [1, 3, 6]. Bisher sind 250 Fälle weltweit beschrieben worden. Die tat- Zusammenfassung Nebenschilddrüsenzysten sind selten, müssen aber in die Differenzialdiagnose zystischer Veränderungen im Halsbereich mit- Stavrou G et al. Hormoninaktive Nebenschilddrüsenzyste … Zentralbl Chir 2007; 132: 161 – 164 Der besondere Fall Abb. 2 Histologische Aufarbeitung des Präparates. 200-fache Vergrößerung, HE-Färbung. Sichtbar sind Nebenschilddrüsengewebe und fibrosierte Zystenwand. sächliche Inzidenz liegt jedoch wahrscheinlich höher. Viele Zysten werden nicht erkannt, manche werden als Schilddrüsenzysten oder Halszysten anderer Genese fehlinterpretiert. Bei fehlendem Nachweis von Nebenschilddrüsengewebe in der Zystenwand ist selbst die histologische Zuordnung unzuverlässig. Die Zysten lassen sich in hormonaktive und -inaktive unterteilen. Sie treten bei beiden Geschlechtern auf, der hormoninaktive Typ ist bei Frauen, der hormonaktive bei Männern häufiger anzutreffen. Der Altersgipfel der Erkrankung liegt zwischen 30 und 50 Jahren. Hormonaktive Zysten sind allerdings wesentlich seltener [1]. Die Herkunft der Zysten ist letztendlich unbekannt, vermutet werden einerseits dysembryogenetische Residuen der 3. und 4. Schlundtasche – allerdings werden Nebenschilddrüsenzysten bei Kindern nur sehr selten beobachtet, was Kritiker dieser Hypothese anführen. Andererseits liegt die Vermutung nahe, dass es zu einer Fusion mehrerer Mikrozysten im Drüsenparenchym kommt, oder das es sich um Retentionszysten von Parathormon aus einer Überproduktion der Drüse ohne konsekutiven Plasmaspiegelanstieg des Hormons handelt [5]. Die Zysten finden sich fast immer in enger Lagebeziehung zum unteren Schilddrüsenpol [4]. Die Symptome bei hormoninaktiven Zysten ergeben sich aus der Verdrängung benachbarten Gewebes, während bei den hormonaktiven Zysten die typischen Manifestationen eines Hyperparathyreoidismus neben lokaler Verdrängung imponieren. Wird eine Zyste im juxtathyreoidalen Bereich entdeckt, sind differenzialdiagnostisch Schilddrüsen-, Bronchial und Thymuszysten von einer Nebenschilddrüse zu trennen. Dieses diagnostische Dilemma kann in den meisten Fällen durch Analyse der Zystenflüssigkeit, die bei einer ultraschallgesteuerten Feinnadelpunktion gewonnen wird, gelöst werden [2]. Die Flüssigkeit ist charakteristischerweise wässrig klar, was schon ein makroskopisches Differenzierungskriterium darstellt. Entscheidend ist jedoch die quantitative Bestimmung von Parathormon beziehungsweise seiner C-terminalen Fragmente in der Flüssigkeit – dieser Nachweis gelingt sowohl bei aktiven wie nicht aktiven Zysten, bei hormonaktiven Zysten ist zusätzlich der Serumparathormonspiegel erhöht [6]. 163 Tab. 1 Insgesamt werden in der Literatur etwa 250 Fälle berichtet. In der Tabelle sind alle Arbeiten mit mehr als 2 Fällen zwischen 1996 und 2006 zusammengestellt. Die Literatur vor 1996 besteht in der Regel aus einzelnen Fallberichten Autor Der besondere Fall Jahr Patienten klinische Symptomatik Hormonstatus Zystenflüssigkeit Therapie Follow-up Ippolito et al.* 2006 37 (25 Jahre) Zufallsbefund im Röntgen n=2 Dyspnoe, Dysphagie n = 6, asymptomatischer Knoten n = 29 inaktiv n = 37 wässrig klar n = 14 PTH / Fragmente positiv n = 14 nicht dokumentiert n=3 intraoperative Aspiration (wässrig klar, PTH / Fragmente positiv) n = 13 Aspiration n = 10 Aspiration + Resektion n = 4 Resektion n = 27 Armstrong et al. 2003 23 (12 Jahre) asymptomatischer Knoten n=3 Zufallsbefund intraoperativ (OP wegen Schiddrüsenpathologie) n = 16 Zufallsbefund intraoperativ (OP wegen PHPT) n = 4 inaktiv n = 22 aktiv n = 1 wässrig klar n = 16 PTH / Fragmente positiv n = 16 intraoperative Aspira- im Mittel 8,7 Jahre nach intraop. Aspiration ohne Resektion tion ohne Rezidiv n=5 Resektion n = 18 Hamy et al. 2002 10 asymptomatischer Knoten n=3 intraoperativ (OP wegen Schilddrüsenpathologie) n=3 intraoperativ (OP wegen PHPT) n = 3 Adipositasscreening n = 1 inaktiv n = 10 wässrig klar n = 4 PTH / Fragmente positiv n = 2 (andere nicht getestet) Aspiration + Resektion n = 2 Resektion n = 8 keine alleinige Aspirationstherapie Rangnekar et al. 1996 4 asymptomatischer Knoten n=4 inaktiv n = 3 aktiv n = 1 wässrig klar n = 3 PTH / Fragmente positiv n = 3 Aspiration + Resektion n = 4 keine alleinige Aspirationstherapie im Mittel 3,9 Jahre nach Aspiration ohne Rezidiv * Es handelt sich hier um die einzige große Studie aus einem Zentrum. Insgesamt wurden die 37 Patienten in einem Zeitraum von 25 Jahren bei fast 25 000 Schilddrüsenoperationen herausgefiltert. 164 einbezogen werden. Die Feinnadelaspiration ermöglicht die Diagnosestellung und kann gleichzeitig therapeutisch sein. Rezidivierende Zysten können operativ gut behandelt werden. Literatur 1 Armstrong J, Leteurtre E, Proye C. Intraparathyroid cyst: a tumour of branchial origin and a possible pitfall for targeted parathyroid surgery. ANZ J Surg 2003; 73: 1048 – 1051 2 Cohen O, Ilany J, Shimon I. Parathyroid cyst. Thyroid 2004; 14: 325 – 326 3 Hamy A, Masson S, Heymann MF, Visset J, Paineau J. [Parathyroid cyst. Report of ten cases]. Ann Chir 2002; 127: 203 – 207 4 Ippolito G, Palazzo FF, Sebag F, Sierra M, De Micco C, Henry JF. A singleinstitution 25-year review of true parathyroid cysts. Langenbecks Arch Surg 2006; 391: 13 – 18 5 Mevio E, Gorini E, Sbrocca M, Artesi L, Mullace M, Lecce S. Parathyroid cysts: description of two cases and review of the literature. Acta Otorhinolaryngol Ital 2004; 24: 161 – 164 6 Rangnekar NB, Bailer WJ, Ghani A, Carbonell FA, Nowak M. Parathyroid cysts. Report of four cases and review of the literature. Int Surg 1996; 81: 412 – 414 Stavrou G et al. Hormoninaktive Nebenschilddrüsenzyste … Zentralbl Chir 2007; 132: 161 – 164
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