Russland in deutschen Medien wird zur internen Unterrichtung der

Deutsche Botschaft Moskau
- Pressereferat Russland in deutschsprachigen (Online-)Medien
24.07.2015
Redaktion: Maximilian Feldmann
Russland in deutschen Medien wird zur internen Unterrichtung der Botschaft zusammengestellt und enthält eine
Auswahl von Artikeln aus in Deutschland, Österreich und der Schweiz erscheinenden Presseerzeugnissen, die aus
dem Internetangebot dieser Medien heruntergeladen werden, weshalb sich zeitliche Verschiebungen gegenüber der
Veröffentlichung im jeweiligen Druck-Medium ergeben können.
Inhalt
Sommerfrische für Putinbewunderer, FAZ.net ...............................................................................1
Schlechtere Lebensmittel, teurer verkauft, FAZ.net .......................................................................2
Russlands neue Freunde in Nahost, Zeit.de .....................................................................................2
Heute könnte die Ukraine pleitegehen, Welt.online ........................................................................2
Der Putin in uns, Welt. online .........................................................................................................3
Die Ukraine sieht einer Pleite gelassen entgegen, tagesspiegel.de..................................................3
Braunbären greifen immer mehr Menschen an, tagesspiegel.de .....................................................4
Prorussische Propaganda: Raketen mit Rechtschreibschwäche, Der Spiegel .................................4
Russische Kreml-Gegnerin in der Ukraine: Die Träumerin von Kiew, Der Spiegel ......................4
In Stalins langem Schatten, NZZ.ch ................................................................................................6
Sommerfrische für Putinbewunderer, FAZ.net
von Michaela Wiegel, 24.07.2015
Acht Abgeordnete der französischen Oppositionspartei „Die Republikaner“ haben die
Halbinsel Krim besucht. Ihr Parteivorsitzender Sarkozy hat damit kein Problem, ist er
doch selbst ein Bewunderer des russischen Präsidenten.
Eine Parlamentarier-Reise auf die Krim-Halbinsel empört die französische Regierung.
Außenminister Laurent Fabius äußerte sich am Donnerstag „schockiert“ über die Visite der
Abgeordneten der Opposition (Republikaner und Zentristen) in Sewastopol und Jalta. Frankreich
habe die völkerrechtswidrige Annexion der zur Ukraine gehörenden Halbinsel durch Russland
nicht anerkannt. Die acht Abgeordneten aber reisten als Protegés des Putin-Regimes auf die
Krim. Der Organisator der Reise, der Abgeordnete Thierry Mariani, wies die Kritik zurück. „Die
geschichtliche Realität ist stärker als die gegenwärtigen Äußerungen. Die Krim ist russisch,
historisch, kulturell und von der Bevölkerungsentwicklung her gesehen“, sagte Mariani.
Ziel der Reise ist es, für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Moskau zu werben. Mariani, der
für die Auslandsfranzosen in der Nationalversammlung sitzt, hat wiederholt ein Ende der
„ungerechten, demütigenden, provozierenden und kontraproduktiven Sanktionen“ gefordert.
Auch ein Gespräch mit dem Duma-Präsidenten Sergej Naryschkin in Moskau steht auf dem
Besuchsprogramm der Abgeordneten bis Samstag.
[…]
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/frankreich-empoert-ueber-krim-reise-von-8abgeordneten-13717422.html
Schlechtere Lebensmittel, teurer verkauft, FAZ.net
von Friedrich Schmidt, 24.07.2015
Keine Butter, kein Mozzarella und keine Tulpen: Russland spürt die Auswirkungen der
eigenen Gegensanktionen gegen die EU. Es wird zu einem Paradies für Umetikettierer und
Schmuggler.
„Importsubstitution“ ist eines der Zauberworte der russischen Führung. Es geht ihr nicht nur
darum, die heimische Produktion zu stärken, sondern auch um eine Antwort auf die
Sanktionsmaßnahmen westlicher Staaten in der Ukraine-Krise. Die Zielvorgabe betrifft zum
Beispiel die Rüstungsindustrie. Sie wirkt sich aber auch ganz konkret auf den russischen Alltag
aus.
[…]
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/weniger-auslaendische-lebensmittel-inrussland-13716135.html
Russlands neue Freunde in Nahost, Zeit.de
von Michael Thumann, 24.07.2015
Gute Beziehungen zu Iran und Saudi-Arabien, zu Syriens Al-Assad und Ägyptens Al-Sissi:
Alles scheint Russland derzeit zu gelingen. Die USA dürfen besorgt sein.
Während der Westen eifersüchtig auf jede kleinste Bewegung im Flirt von Griechen und Russen
starrt, entgehen ihm die wirklich bedeutsamen Erfolge Moskauer Außenpolitik. Im vergangenen
Monat empfing Russlands Präsident Wladimir Putin in einem verschwiegenen Palast von St.
Petersburg den saudischen Verteidigungsminister und mächtigen Königssohn Mohammed bin
Salman al Saud, der noch einige Minister mitgebracht hatte. Ein bis vor Kurzem kaum
vorstellbares Treffen, denn zwischen Saudis und Russen stehen der syrische Krieg, die saudischamerikanische Allianz und die russische Nähe zum Iran. Nun kam aber heraus, dass Russen und
Saudis in Petersburg eine Reihe weitreichender Verträge abgeschlossen haben.
Saudi-Arabiens Public Investment Fund, einer der mehrere Milliarden umfassenden Staatsfonds
des Königreichs, will in den nächsten Jahren rund zehn Milliarden Euro in Russland investieren.
Profitieren soll davon der russische Einzelhandel, das Transportwesen, die Landwirtschaft,
Krankenhäuser. Die Saudis wollen zudem im großen Stil Immobilien kaufen. Beide Seiten gaben
zudem Absichtserklärungen für Waffenlieferungen und die Zusammenarbeit im Ölsektor sowie
bei der Atomenergie ab.
[…]
http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/russland-saudi-arabien-partnerschaft
Heute könnte die Ukraine pleitegehen, Welt.online
von Eduard Steiner, 24.07.2015
Die Ukraine ist tief in den Miesen, Schulden sind fällig. Zahlt der größte Flächenstaat
Europas nicht, droht ein weiterer Verfall der Währung und die Pleite. Doch das kann
Vorteile haben.
In der Ukraine ist man nicht unglücklich darüber, dass sich der Schulden-Poker zwischen
Europäischer Union und dem Sorgenkind Griechenland schon über Monate hinzieht. Die
politische und mediale Aufmerksamkeit fokussiert sich auf den Staat im Süden Europas,
während in der Ukraine ein wirtschaftliches Desaster eher unbemerkt seinen Lauf nimmt.
Schon am Freitag könnte der größte Flächenstaat Europas mit seinen 45 Millionen Einwohnern
die Voraussetzungen für einen "technical default" schaffen, also eine Staatspleite –
hervorgerufen nicht etwa aufgrund der mangelnden materiellen Fähigkeit, Auslandsschulden zu
bedienen, sondern aufgrund des fehlenden Willens.
[…]
http://www.welt.de/wirtschaft/article144371101/Heute-koennte-die-Ukraine-pleitegehen.html
Der Putin in uns, Welt. online
von Marko Martin, 24.07.2015
Bei den Putin-Verstehern im deutschen Osten schwingt obrigkeitsgläubige DDR-Tradition
mit – vor allem das antiwestliche Ressentiment
Es war der Sommer der Beschwichtigungen. Als vor 25 Jahren die letzten Monate der DDR
eingeläutet wurden, hatte auch das Schönreden Konjunktur. "Auf gleicher Augenhöhe", so ging
die Rede, trete die bankrotte Zone der prosperierenden Bundesrepublik bei, die überdies dankbar
zu sein habe für den geistigen Zugewinn. Schließlich – und dieses Mantra summten Bonner
"Experten" ebenso wie diverse DDR-Bürgerrechtler – habe man östlich der Elbe eine stärkere
Sensibilität für die Belange Osteuropas entwickelt als im transatlantisch geprägten
Westdeutschland. War und ist dem tatsächlich so?
[…]
http://www.welt.de/print/welt_kompakt/debatte/article144383232/Der-Putin-in-uns.html
Die Ukraine sieht einer Pleite gelassen entgegen, tagesspiegel.de
von Nina Jeglinski, 24.07.2015
Finanziell steht die Ukraine vergleichbar schlecht da wie Griechenland. Das Land
verhandelt mit privaten Gläubigern und favorisiert einen Schuldenschnitt. Der
Unterschied: Die Ukraine bleibt gelassen.
Wochenlang hat Europa gebannt auf die griechische Schuldenkrise geschaut. Doch auch in der
Ukraine droht ein kompletter Zahlungsausfall. Seit Monaten dauern die Gespräche mit den
Gläubigern nun schon an. Alle Seiten bestätigen, dass die Verhandlungen mehr als schleppend
verlaufen. Die ukrainische Wochenzeitschrift „Focus“ hat nun Details zu einem möglichen
Staatsbankrott veröffentlicht.
Nach 2013 und 2014 sind auch die Zahlen für das laufende Jahr düster: Die Inflation soll 44,4
Prozent erreichen, 2014 waren es 26 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt soll um 8,3 Prozent
sinken. Nach Angaben des Finanzministeriums muss die Ukraine bis Ende dieses Jahres
umgerechnet fünf Milliarden Euro an Auslandsschulden zurückzahlen.
[…]
http://www.tagesspiegel.de/politik/finanzkrise-in-kiew-die-ukraine-sieht-einer-pleite-gelassenentgegen/12098178.html
Braunbären greifen immer mehr Menschen an, tagesspiegel.de
von Elke Windisch, 24.07.2015
Bären werden ganz im Osten Russlands zunehmend zur Plage – auch weil sie sich immer
häufiger in Siedlungen wagen und die dort die Menschen attackieren.
Die Bewohner von Krasnoje im entlegenen Osten Russlands fürchten selbst am hellen Tag und
mitten auf der Dorfstraße um ihr Leben. Bären treiben ihr Unwesen in allernächster Nähe, dort,
wo der Fluss Amur in den Pazifik mündet. Und sie werden immer dreister. Seit Anfang Juli
wagen sie sich sogar in die Siedlung. Nach dem Tod eines Menschen rief der Gouverneur der
Region Chabarowsk den Notstand aus. Sondereinheiten der Polizei machen Jagd auf die
Raubtiere. Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Vor allem auf der Pazifikhalbinsel
Kamtschatka sind die Bären zu einer regelrechten Plage geworden.
[…]
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/im-osten-von-russland-braunbaeren-greifen-immermehr-menschen-an/12097230.html
Prorussische Propaganda: Raketen mit Rechtschreibschwäche,
Der Spiegel
von Pavel Lokshin, 24.07.2015
Liefern die USA heimlich schwere Waffen an die Ukraine? Prorussische Separatisten
präsentieren Aufnahmen angeblicher Stinger-Raketen. Deren Beschriftung erinnert jedoch
an ein Computerspiel.
Zwei Kämpfer tasten sich in einem dunklen Kellergewölbe voran, es liegt auf dem Gelände des
stark vom Krieg in der Ostukraine zerstörten Flughafens von Luhansk. "Vorsicht, Granate", ruft
der eine. Der andere entdeckt eine Mine. Die Männer machen die Sprengfallen unschädlich und
rücken weiter vor.
Im schummrigen Licht fängt ihre Kamera Feldrationen aus offenbar amerikanischer Herstellung
ein: Ravioli-Packungen, Medikamente, Kisten mit Munition. Sie öffnen eine Holzkiste mit
englischsprachiger Aufschrift. Darin liegen zwei Stinger-Raketen, die gefürchteten
Luftabwehrraketen aus den USA.
[…]
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/ukraine-angebliche-stinger-raketen-aus-den-usa-sindpropaganda-a-1045110.html
Russische Kreml-Gegnerin in der Ukraine: Die Träumerin von
Kiew, Der Spiegel
von Benjamin Bidder, 24.07.2015
Einst die Hoffnung von Moskaus Demokraten, jetzt Exilpolitikerin in Kiew: Die KremlGegnerin Maria Gaidar hofft auf einen politischen Wandel. Und wird in der alten Heimat
gehasst.
Maria Gaidar ist gerade einmal 33 Jahre alt, doch die russische Politikerin hat schon viele
politische Schlachten geschlagen. Die meisten gingen verloren. Gaidar war einmal das
Wahlkampfgesicht der wirtschaftsnahen Partei SPS, zehn Jahre ist das her. Sie galt als eine
große Nachwuchshoffnung der Liberalen.
Aus gutem Grund, schließlich stammt Gaidar aus einer bekannten Politiker-Dynastie. Ihr Vater,
Ökonom Jegor Gaidar, war Anfang der Neunzigerjahre kommissarischer Ministerpräsident
Russlands und einer der Architekten des Übergangs zur Marktwirtschaft.
Doch die Partei SPS gibt es schon lange nicht mehr. In wechselnden Bündnissen haben
Russlands gebeutelte Demokraten bei jeder Wahl den Einzug ins Parlament verpasst. Ihr
Rückhalt in der Bevölkerung ist gering, ins Fernsehen werden sie nicht eingeladen und die
Behörden machen ihnen das Leben schwer.
Ein Beispiel: Gaidar hat im vergangenen Jahr versucht, bei den Wahlen für Moskaus
Stadtparlament anzutreten. Kandidaten der Opposition müssen für die Zulassung mühsam
Unterschriften von 5000 Unterstützern zusammentragen. Bei Gaidar beschied die
Wahlkommission, sie habe zu viele Unterschriften gesammelt und schloss sie von der Wahl aus.
Anfang dieser Woche hat sie nun ein politisches Comeback gefeiert. Nicht in Moskau, sondern
in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Gaidar trug bei ihrem Auftritt ein T-Shirt mit den
Nationalfarben der Ukraine auf der Brust. Ihrer russischen Heimat kehre sie den Rücken, so die
trotzige Botschaft.
Gaidar schließt sich dem Team von Micheil Saakaschwili an, ehemaliger Präsident Georgiens.
Der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko hat ihn im Frühjahr als Gouverneur der
Schwarzmeerstadt Odessa eingesetzt.
Zahlreiche Journalisten sind nach Kiew gezogen
An harte Attacken, an Schikane war Maria Gaidar in Russland längst gewohnt. Doch seit ihrem
Ukraine-Entschluss schlägt ihr in der alten Heimat blanker Hass entgegen. Ein Abgeordneter der
Putin-Partei "Einiges Russland" fordert ein Verfahren wegen "Landesverrats". Das größte
Boulevardblatt des Landes hebt sie auf die Titelseite und befindet, ihr Vater Jegor würde sich
sicher für sie schämen.
Sogar Ella Pamfilowa, Chefin des Menschenrechtsrats beim Präsidenten, kanzelte Gaidar
öffentlich als "prinzipienlos" und "dumm" ab. Es ist dieses Klima, vor dem Gaidar und andere in
die Ukraine fliehen.
So wie Olga Kurnosowa. Früher hat sie die "Märsche der Nicht-Einverstandenen" organisiert,
Kundgebungen gegen Präsident Wladimir Putin. Seit dem vergangenen Jahr lebt sie in der
Ukraine. Zahlreiche Journalisten sind ebenfalls nach Kiew gezogen: Matwei Gonopolskij, einer
der bekanntesten Moderatoren Russlands, arbeitet seit anderthalb Jahren in Kiew beim Radio.
Aider Muschdabajew, bis vor kurzem Vize-Chef des russischen Millionenblatts "MK", leitet in
der Ukraine den Wiederaufbau des TV-Senders der Krimtataren. Moskau hatte ihn im Frühjahr
abgeschaltet.
Auch ein russischer Millionär schwebt ein
Von London aus fliegt regelmäßig der russische Magnat Jewgenij Tschitschwarkin in Kiew ein.
Sein Vermögen machte er mit dem Verkauf von Mobiltelefonen und Handy-Accessoires in
Russland, fiel aber 2010 in Moskau in Ungnade. Tschitschwarkin hat sich bei Präsident
Poroschenko als Wirtschaftsminister für die Ukraine beworben. Zuletzt galt er als ein möglicher
Kandidat für den Chefposten des Ölkonzerns Ukrnafta, der mehrheitlich dem Staat gehört.
Poroschenko gab dann aber doch einem britischen Manager den Vorzug.
Und dann ist da noch Wera Kitschanowa, 24 Jahre alt. Sie hat in Moskau als Journalistin
gearbeitet, war Aktivistin der oppositionellen "Libertären Partei". Sogar in den Kommunalrat
ihres Stadtteils hatte sie es geschafft. Im Wahlkampf jedoch wurden ihre Unterstützer von
Schlägern angegriffen. Als sie bei einer öffentlichen Anhörung das Wort ergriff, wurde sie
angefeindet. "Sie haben mit Kugelschreibern auf mich geworfen und gebrüllt: 'Wer hat Sie
gekauft?'"
In Moskau verzweifelt - in Kiew voller Hoffnung
Ende des vergangenen Jahres hat Kitschanowa Moskau verlassen, auch sie lebt jetzt in Kiew:
"Meine Heimat ist dort, wo die Menschen so denken wie ich", sagt sie. In ihrem öffentlichen
Abschiedsbrief schrieb Kitschanowa, die Ausweglosigkeit der Lage in Russland habe sie fast
wahnsinnig werden lassen. Sie hoffe, dass ihr Engagement in der Ukraine auf fruchtbareren
Boden falle. Schließlich sei sie auch "für Russland nach Kiew gefahren".
Dieser Gedanke findet sich bei vielen der russischen Polit-Emigranten wieder. Sie träumen
davon, dass die Demokratie langfristig Erfolg hat in der Ukraine. Das Land könnte sich dann
einen Wettbewerb der Systeme liefern - mit Putins autoritärem Russland.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/putin-gegnerin-maria-gaidar-in-der-ukraine-dietraeumerin-von-kiew-a-1044948.html
In Stalins langem Schatten, NZZ.ch
von Achim Engelberg, 24.07.2015
Giwi Margwelaschwili hat ein bewegtes Leben hinter sich. Nach bitteren Jahren in der
UdSSR liess er sich 1993 in Berlin nieder. In seinem Werk erweist er sich als ironischer
Mythomane.
Wer Giwi Margwelaschwili in Tbilissi besucht, trifft einen schalkhaft lachenden Autor, der im
Gespräch Berliner Dialekt mit Wissenschaftssprache und Einsprengseln des Georgischen
verbindet. Ähnliches findet man in seinen Manuskripten, die spät und unvollständig publiziert
worden sind. Seit 2007 jedoch entsteht eine Werkausgabe, viele Bände sind dabei
Erstveröffentlichungen. Über vierzig Jahre schrieb der Autor auf Deutsch in der Sowjetunion –
ohne Chance auf Publikation. Ein Versuch, in der DDR zu veröffentlichen, scheiterte – nicht
zuletzt wegen seiner Kontakte zum 1976 ausgebürgerten Wolf Biermann. Nun durfte er die
Sowjetunion nicht mehr verlassen. Heinrich Böll, der den autobiografischen Romanzyklus
«Kapitän Wakusch» gern im Westen veröffentlicht hätte, misslang aufgrund der KGBÜberwachung, das Manuskript nach Köln zu bringen.
Dabei ist Giwi Margwelaschwili 1927 in Berlin geboren. Sein Vater Titus war 1921 dorthin
geflohen, als sich die Sowjetunion die 1918 gegründete erste Republik Georgien einverleibte.
Der junge Giwi lernt sein Berlinerisch als jazzbegeisterter Jugendlicher, der mit dieser Musik
gegen die Nazis rebelliert. «Jazz ist ultramodern und alt zugleich», meint er auch heute noch.
«Auf natürliche Weise hat er etwas Entfesselndes. In einer bedrängten politischen Situation ist
diese befreiende Wirkung besonders gross.» Der Vater toleriert das, aber er steht auf den
Verhaftungslisten, als die Rote Armee einmarschiert – schliesslich ist er ein führender Vertreter
der Exilgemeinde und gewann Kriegsgefangene für die Georgische Legion in der Wehrmacht. In
eine Falle gelockt, werden Vater und Sohn verhaftet und getrennt. Kurz vor der Abiturprüfung
kommt der Jugendliche für 18 Monate ins berüchtigte Lager Sachsenhausen, das unter anderen
Vorzeichen fortbestand.
Heideggers Einfluss
Nach der Schuld des Vaters gefragt, antwortet Margwelaschwili indirekt. Viele Exilanten
hofften, mit Hitler ein selbständiges Georgien zu bekommen. Selbst Grigol Robakidze, dessen
Roman «Schlangenhemd» als Klassiker gilt und nach dem eine Universität in Tbilissi benannt
ist. Seine Bücher über Hitler und Mussolini erschienen, als sein Förderer Stefan Zweig
emigrierte und schliesslich in Brasilien Selbstmord beging . Nach 1945 floh Robakidze in die
Schweiz, wo er 1962 starb. Was trieb ihn dazu? «Ein so grosser Schriftsteller», meint
Margwelaschwili, «musste das Affentheater durchschauen. Wie bei einem georgischen
Trinkspruch sprach er über Hitler und Mussolini, er sagte nicht, was diese getan hatten, sondern
was sie hätten tun sollen. So ist es beim Trinken üblich. Er hat hoch gepokert und verloren.»
Obwohl er volljährig und unschuldig war, entliess man den jungen Giwi nicht ins besetzte
Deutschland, sondern schickte ihn in die Georgische Sowjetrepublik zu Verwandten. Sein Vater,
so sagte man, sei im Gulag verstorben. Erst Jahrzehnte später erfährt er, dass man ihn schon kurz
nach ihrer Trennung 1946 erschoss.
Fremd in Land und Sprache sucht der junge Giwi einen Weg im sowjetischen
Wissenschaftsbetrieb. Aber seine Sehnsucht heisst Berlin, seine literarische Sprache bleibt
Deutsch. Eine Erweckung ist Heidegger, auf den sich überraschend viele Intellektuelle in der
Sowjetunion beriefen. «Bereits 1954 liess ich mir ‹Sein und Zeit› aus Moskau schicken. Was er
vor 1933 geschrieben hat, war frei zugänglich. Ich bekam es für einen Monat zum Lesen und
fotografierte es Seite für Seite ab.»
So entwickelte er das Wortungeheuer Ontotextologie, das aussagen soll: Unser Sein wird
bestimmt von Texten. Wie sie das tun, will Giwi Margwelaschwili darstellen. So ist sein Werk
ähnlich wie bei Borges und Calvino oft eines über Literatur, freilich ohne deren Eleganz und
Dichte. Man merkt zuweilen, dass der Autor in einer Stadt schrieb, in der Deutsch keine
Alltagssprache war. Dennoch eröffnen seine Werke Welten. «Wir sind von Texten
durchdrungen. Unbewusstes schwingt immer mit. Die textliche Abgestimmtheit des Menschen
ist vielen verborgen.» In seinem Werk umkreist er erlittenes Unheil und prägende Texte von der
Bibel bis «Harry Potter». Der schwere Stoff wird leichter durch Ironie und Humor. Ein
philosophisch gebildeter Schalk, der am Fusse des Kaukasus deutschsprachige Literatur schuf
und schafft.
Museum der sowjetischen Okkupation
Giwi Margwelaschwili führt einen langen Kampf mit Stalin, der als Vater der Völker und Sohn
Georgiens propagiert wurde und das Land noch immer spaltet. «Vor langer Zeit schrieb ich die
Erzählung ‹Eine Völkerfriedensstiftung›, sie soll bald veröffentlicht werden. Sie spielt im
Sommer 1956, nachdem Chruschtschow Verbrechen von Stalin aufgedeckt hat, in einem
Schwarzmeer-Badeort. Als ich mit Freunden dort ankam – man erkannte uns an unserem
südländischen Aussehen –, machten die Russen lange Gesichter. Man war empört über die
Georgier. Wir bildeten eine Insel, von der man nichts wissen wollte. Kein Gruss, nichts. Der
Badeort war landschaftlich herrlich, aber abends kannste da nur Wodka trinken. Wir begannen,
mit Gitarre und Akkordeon Lieder zu spielen. Anfangs allein, dann kamen Einzelne, am Schluss
hatten wir sie alle. So siegte die Kunst über Stalin.»
Freilich, bis heute ist sein langer Schatten nur kürzer geworden. Zwei einseitige, staatlich
geförderte Geschichtsmuseen gibt es. In Gori steht sein hölzernes, pompös von einem
Säulentempel umbautes Geburtshaus. Das Museum dahinter ist hagiografisch, allerdings kann
man eine Führerin bekommen, die diese Sicht erörtert, oder jemanden, der zwar nicht der
Generallinie widersprechen darf, aber Widersprüche im Vortrag durchschimmern lässt. Die
Anlage vermittelt ungewollt etwas von der Bedrohlichkeit des Regimes.
Im Museum der sowjetischen Okkupation in Tbilissi wird in abgedunkelten Räumen die
Geschichte erzählt von den guten Georgiern, denen die bösen Bolschewiken von 1921 bis 1991
immer wieder Schlimmes antaten. Gefragt, ob nicht Stalin, der am längsten und brutalsten, von
1922 bis 1953, in der Sowjetunion herrschte, Georgier gewesen sei, ändert die Museumsführerin
den Ton: «Stalin gehört zu unserer Geschichte, er hat die Künste, die Wissenschaft gefördert.
Das Leben unter ihm war schwer. Aber das zwingt den Menschen, etwas zu machen. Wenn das
Leben leicht ist, dann wird man nicht schöpferisch.» Sind viele Georgier deswegen bis heute
gespalten? «Stalin ist Teil des georgischen Nationalismus geworden», erläutert Giwi
Margwelaschwili, «deshalb findet man häufig keine ausgewogenen Meinungen. Dennoch halte
ich das 20. Jahrhundert insofern für einen Einschnitt, als sich in Europa keine Massen mehr um
einen Stalin oder Hitler scharen können.»
Beruf: Schriftsteller
Als die Sowjetunion Geschichte wurde, kam die Stunde von Margwelaschwili. 1991 hielt er, 64jährig, sein erstes literarisches Buch in der Hand. Wie konnte er so lange durchstehen? «Ich habe
einen Drang, etwas Eigenes zu schaffen. Dem Fremdbestimmten etwas entgegenzusetzen. Und
ich wusste, dass der Sowjetismus untergehen muss.»
Bald lebt er wieder in Berlin, wird ausgezeichnet, tourt auf Initiative des Goethe-Institutes durch
die USA. Als aber viele Berliner Vertraute nicht mehr leben, die Schwierigkeiten des Alters sich
bemerkbar machen, geht er 2011 wieder nach Tbilissi, wo seine Familie, vor allem seine Tochter
Anna, lebt. Er bleibt ein Mittler zwischen Ost und West, weil er beide Seiten kennt.
Im dritten Band seiner «Wakusch»-Tetralogie, von dem bisher nur Auszüge erschienen,
beleuchtet er sowjetische Intellektuelle, die wichtig sein könnten in einem geistig verbundenen
Kontinent. Merab Mamardaschwili zum Beispiel stritt für eine bürgerliche Gesellschaft. Er
durfte nicht einmal in den Ostblock reisen, wurde schliesslich aller Posten in Moskau enthoben
und fand in Tbilissi Zuflucht – eine intellektuelle Oase im Sowjetimperium. Er kritisierte am
dogmatisch erstarrten Marxismus-Leninismus, dass er den Menschen die Anstrengung des
Denkens abnimmt und sie dadurch verkümmert. Seine Vorlesungen – nach Margwelaschwili
«philosophische Stegreif-Improvisationen» – kursierten in den siebziger und achtziger Jahren als
mitgeschnittene Kassetten in der Sowjetunion.
Eine fortwirkende geistige Spaltung in Europa sieht Giwi Margwelaschwili. Während die jungen
Leute in den siebziger und achtziger Jahren im Osten begierig nach dem neuen Stand des
philosophischen Idealismus waren – daraus erwuchsen Intellektuelle wie der auch in unseren
Breiten bekannte Michail Ryklin –, war man im Westen vielerorts an marxistischen Reflexionen
interessiert. Für Giwi Margwelaschwili waren Mamardaschwilis Werk, in dem das Bewusstsein
als Raum der Freiheit gedeutet wird, und dessen Wirkung ein Menetekel des Untergangs. Bereits
1990 verstarb der Philosoph 60-jährig. Wer in seinen Schriften liest, so in dem 1989
erschienenen «Der dritte Zustand», findet aktuell Anmutendes: Russland gehe immer wieder
einen Weg «seiner eigenen Unterjochung und der Unterjochung aller Nachbarvölker».
Wie sieht sein Freund Giwi Margwelaschwili das heute? «Im Kalten Krieg war die östliche Seite
weniger wahr. Nach jedem Tauwetter, so nannte Ilja Ehrenburg eine Zeit der Annäherung, fror
sie wieder ein», sagte er. «In dem Sinn setzt Putins Russland diese alte Geschichte fort. Ich bin
sicher, dass das postsowjetische Russland wie die Sowjetunion einmal auftaut. Die Ukraine stand
zu früh auf. In der Politik muss man Geduld haben. Das meint kein passives Abwarten, ich
schrieb und wirkte im Kleinen. Es gibt Bücher, die Weltpessimismus verbreiten, aber ich bin
hoffnungsvoll. Für Georgien, auch für Russland. Der Kampf gegen die alten Eliten, für
Demokratie geht weiter.»
http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/in-stalins-langem-schatten-1.18584521