JUNUT 2015 Das Ende der Osterferien hätte man, vor allem weil diese bislang mit Korrekturen gefüllt waren, in Ruhe ausklingen und dann den ersten Schultag entspannt beginnen lassen können. Nicht so, wenn man sich zu einer Gruppe leichter oder mittelstarker LaufVerrückten zählen darf, die sich vorgenommen haben, den Jurasteig (239km, 7900HM) einfach am Stück einmal abzulaufen. Am Donnerstag, den 9.10.15 reise ich also an, mit Raimund, Stefan und Constanze, und in Dietfurt angekommen werden wir gleich fröhlich begrüßt. Man kennt sich, tauscht schnell noch Krankheitsgeschichten aus (man ist nicht gut vorbereitet, das Training hätte besser sein können, mal sehen, man wird es ganz ruhig angehen lassen, Hauptsache ankommen...). Beim Briefing klärt Gerhard noch einmal sehr konkret über die Strecke, die Verpflegungsposten und auch über mögliche bevorstehende Schwierigkeiten auf. Man wusste das schon aus der Ausschreibung (wenn man sie dann gelesen hat), dennoch flößen mir die Worte wieder großen Respekt ein und ich werde zunehmend nervös. Zu Hause habe ich schon zwei Wochen vorher Sachen zusammengesucht und zurecht gelegt und dann einen Tag vor der Fahrt 3 Stunden sortiert und gepackt! Wir bekommen ein tolles Starterpaket: Eine Dropbagtasche (die wir nach dem Lauf behalten dürfen) und ein sehr schönes, weiches Jäckchen (in der Farbe des Jurasteig-Zeichens). Allerdings stelle ich am Abend fest: In die Tasche geht mein ausgeklügeltes Wechselklamottensystem nicht hinein. Ich muss wieder umentscheiden und das dauert bei mir Ewigkeiten. Dazu ist mein Zimmer im Gästehaus zwar urig, aber auch sehr kalt und letztendlich finde ich nur wenig Schlaf in dieser Nacht. Beim Start um 9:00 Uhr ist der Körper voller Adrenalin und ich fühle mich gut: Ändern lässt sich nichts mehr, aufgeben wäre noch zu früh, es gibt also nur eine Option: Laufen! Das Läuferfeld bewegt sich ruhig aber stetig und man bleibt lange zusammen. Schön ist es. Das Traben fühlt sich gut an, die Abstände zwischen den Verpflegungen sind nicht allzu lang und so scheint die Strecke für den Kopf gut strukturierbar zu sein. Dazu ist das Wetter perfekt! Die Sonne scheint, es ist trocken und soll auch trocken bleiben und auch die Wege sind dementsprechend gut zu laufen. Bis auf die Stellen, an denen die Sturmschäden zu überwinden bzw. zu über- oder unterklettern sind. Bis zum Mittag hin, denn da wird es langsam sehr warm! Ich versuche daran zu denken immer wieder ein paar Schlucke zu trinken, denn ich weiß, dass ich das grundsätzlich zu wenig mache und oft hat sich das schon gerächt, indem mein Magen aufgrund der Übersäuerung krampfte und ich dann auch nichts mehr essen konnte. Die Wärme wird vielen Läufern im Laufe des Tages zu schaffen machen, mir später auch. Gut, dass ich nicht gleich losrenne... Aber da ich noch auf meinen Rücken aufpassen muss, der mir in den letzten Monaten viel Stress gemacht hat, laufe ich ein langsames Tempo und versuche flexibel die Intensität der Belastung den Bedürfnissen meines herausgeforderten Bewegungsapparates anzupassen. Bei der Steigpassage, die nur „geübte Wanderer“ bewältigen können, zwackt er dann plötzlich und ich mache mir Sorgen, ob die 239km nicht doch eine viel zu frühe Belastung sind. Dann aber wird es besser und ich genieße es mich wieder mehr auf die Strecke und auf die anderen Läufer konzentrieren zu können. Raimund ist die ganze Zeit an meiner Seite, obwohl er ein viel schnellerer Läufer ist als ich. Da er aber seinen Fuß schonen will, der nicht ganz schmerzfrei war, betont er immer wieder, dass für ihn dieses Tempo ganz gut sei. Ich freue mich sehr darüber, denn es ist viel schöner zu zweit zu laufen und gemeinsam die Pausen zu planen und über alles, was man erlebt, quatschen zu können. Raimund nutzt dann auch das gemütliche Tempo mit mir, um immer wieder schöne Fotos zu machen und anschließend wieder zu mir aufzuschließen. An jedem VP nehme ich mir Zeit, um genug zu trinken und zu essen. Mindestens eine halbe Scheibe Brot und dazu eine Tasse Tee. Manchmal schaffe ich auch mehr. Dennoch stellt sich das flaue Gefühl im Magen irgendwann am Nachmittag ein und es wird anstrengend. In Matting brauche ich fast 1,5 Stunden, bis sich mein Magen soweit wieder beruhigt hat, dass ich etwas Nahrung aufnehmen und wieder lostraben kann. Die Stimmung ist aber sehr nett dort, so dass es nicht so schlimm ist, dass ein Läufer nach dem anderen, der einmal hinter uns war, uns jetzt überholt. Die Überfahrt über die Donau (ca. 21:50) geht sehr schnell, wir werden das Stück zur Fähre begleitet, sofort in Sicherheitswesten gesteckt und sicher ans andere Ufer gefahren. Vielen Dank! Ich glaube, besser kann man das Ganze nicht organisieren! In der ersten Nacht bleiben zwar die Magenprobleme, allerdings stellt sich nicht die erwartete Müdigkeit ein. Bislang kannte ich es so, dass irgendwann einmal eine Stunde lang Kämpfen angesagt war (zwischen 2 und 3 oder 4 und 5). Diesmal gar nicht. Und als dann die Sonne aufgeht, bin ich wirklich richtig fit. Ich fühle mich stark, voller Motivation und Power und nach der VP Dallenrieck (hier habe ich mich sehr über den Kaffee mit Milch und Zucker gefreut!) laufe ich plötzlich ein schnelleres Tempo. Von Raimund musste ich mich leider verabschieden. Er hat entschieden nun doch lieber aus gesundheitlichen Gründen bei km 170 aufzuhören (Raimund ist ein gutes Beispiel dafür, dass man mit zunehmendem Alter auch vernünftiger wird...). Außerdem hatte er in der Nacht vorher fast gar nicht geschlafen und bleibt lieber erst einmal auf einer der Liegen liegen. Ich mache derweil Tempo! Zwischenzeitlich schließt Georg Kunzfeld aus der späten Startergruppe (der später mit Paul Moog den 239er JUNUT gewinnen wird) zu mir auf und wir bleiben eine Weile zusammen. Von ihm erfahre ich, dass einige der schnellen Läufer leider schon (wegen Übelkeit) aufgeben mussten, da sie den Lauf zu schnell angegangen sind. Und Georg wundert sich, dass er schon so lange keinen Läufer aus seiner Startergruppe mehr gesehen hat. Liegt wohl daran, dass er bereits der Führende ist? Ich dränge ihn etwas, dass er wieder sein richtiges Tempo läuft, mir wird auch unser Kompromisstempo langsam etwas zu schnell. Kurz vor Schmidtmühlen jagen wieder Läufer zu mir heran. Es sind Stefan und Raimund, der sich laut darüber ärgert, dass er sich schon wieder zu so einem schnellen Tempo verführen lässt. Aber er kann es halt. Was soll da das Jaulen? In der VP Schmidtmühlen mache ich wieder eine lange Pause, esse jetzt eine größere Portion Nudeln, ziehe mich einmal komplett um und wechsle auch die Schuhe. Welch ein Fehler! Nicht nur, dass ich die wertvolle Zeit total verdaddelt habe (ich sitze bestimmt 20 Minuten nur auf der Bank in der Umkleide und überlege, welche Socken ich jetzt anziehe, ob ich duschen soll oder nicht, ob ich mich komplett umziehe oder nicht, welche Schuhe ich als nächsten Schuh ausprobieren soll, den Salomon oder den Hoka). Nein, ich entscheide mich auch noch für einen ganz schlechten Schuhwechsel: Von meinem La Sportiva, den ich eine Nummer größer gekauft habe, damit mein Fuß bei langen Läufen Platz hat (dies hat dieser auch bei dem warmen Wetter voll genutzt), steige ich in einen neu gekauften (wenn auch vorher ausprobierten) Hoka, der nicht eine Nummer größer ist. Da ich schon eine dicke und mehrere kleine Blasen am Fuß habe, gestaltet sich der Schuhwechsel schmerzhaft und ich fühle mich schon zu Beginn nicht wohl. Aber ich denke tapfer: Die Blasen ruckeln sich noch zurecht, der Hoka ist weich und der Schmerz wird vergehen. So laufe ich dann los und werde bald eines Besseren belehrt: Der Schuh ist zu eng und lässt meine Füße immer tauber werden. So taub, dass es irgendwann so dermaßen schmerzt, dass ich anhalten und den Schuh ausziehen muss. Die kleine Fußmassage ist eine Wohltat! Raubt aber Zeit. Und die nächsten 60km bis zur nächsten DropBag – Möglichkeit werden durch unzählige Fußmassagen-Pausen in die Länge gezogen. An einer Straße bleibt ein Autofahrer plötzlich stehen und ruft mir durch das offene Fenster zu: „Bist du auch eine von denen, die den Jurasteig laufen?“ - „Ja.“(ich grinse etwas stolz und vielleicht ein klein wenig überheblich) – „Wahnsinn. Und wie fühlst du dich?“ – „Mir tun etwas die Füße weh, aber ansonsten geht es mir ziemlich gut.“ Während ich noch überlege, ob ich hier nicht maßlos übertreibe, fasst sich der Autofahrer kopfschüttelnd an die Stirn, wünscht mir noch viel Erfolg und braust davon. In Hohenburg (km151) verlasse ich – obwohl ich mich sehr wundere – den Jurasteig kletternd und rutschend die Böschung hinunter und über die Leitplanken, weil ein freundlicher Mensch dort unterhalb der Landstraße mir heftig zuwinkt und etwas zuruft, was so klingt wie „Nahrungsaufnahme“, und dort werde ich schon wieder sehr zuvorkommend und sehr nett bedient und es gibt alles, was man so braucht und wünscht. Trotzdem will ich schnell los. Ich trinke einen Tee und esse ein paar gesalzene Kartoffeln und mache mich dann wieder auf, den Abhang hoch, über die Leitplanke – und mir wird klar, dass ich etwas Wichtiges vergessen habe: Ich habe überhaupt kein Wasser nachgefüllt. Mist! Es ist gar nicht mehr so viel in meiner Trinkblase und auch das kleine Fläschchen vorne ist nicht ganz gefüllt. Wenn das mal nicht viel zu knapp bemessen ist, denn es ist immer noch ziemlich warm und bis Kastl sind es noch 19km!... Immer wieder trifft man sich auf der Strecke, keinen Läufer, den ich alleine sehe, die meisten laufen zu zweit oder zu dritt. Aber mich einer Gruppe anschließen mag ich nicht so recht, denn ich muss wegen der Schuhe immer noch Pausen machen und die Zeit will ich wieder aufholen, so dass es sich einfach nicht ganz fügt. In Kastl (km 170) angekommen bin ich tatsächlich schon ziemlich trocken und ich gönne mir ein alkoholfreies Hefe und ein Käsebrötchen. Raimund ist natürlich schon da, und leider hört er hier wirklich schon auf, wie geplant. Auch andere Läufer müssen hier den Lauf vorzeitig beenden und gehen zum „echten“ Bier über. Ich fülle schnell meinen Wasservorrat wieder auf, frage vorsichtshalber noch einmal nach, ob ich vielleicht doch schon hier meine anderen Schuhe finden könnte... (Ne, die Dropbagtaschen sind leider nur für die 170er) und trabe los. Das Handy klingelt, Stefan ruft an und fragt, ob ich von der VP 150 schon wieder los bin. Ja, bin ich. Bin schon bei 170 und bin da auch gerade schon gestartet. Super! Während wir telefonieren, laufe ich zu weit. Macht aber nichts. Ich bin beschwingt vom Anruf meines Mannes und freue mich wirklich darauf jetzt wieder in die Nacht hinein zu laufen, auch oder gerade weil ich alleine laufe. Die einsame Wölfin ist unterwegs, um mehrere hundert Kilometer Wegstrecke zurückzulegen, um in einem fernen Land anzusiedeln... Tatsächlich bin ich immer noch voller Kraft und Motivation! Die Abendsonne taucht die Gegend in ein zauberhaftes Licht, ich bin leichtfüßig und nicht gerade langsam unterwegs. Dann wird es allmählich dunkel und ich nähere mich dem Waldrand. Kurz vorher entscheide ich mich die Stirnlampe anzumachen und habe dann doch ein etwas mulmiges Gefühl, als ich mich dem schmalen Pfad in den schwarzen Wald hinein hingebe. Hatte ich bislang noch über weite hügelige Landschaft schauen können, muss ich mich nun anstrengen, um die Orientierung zu behalten. Ab und an schaue ich zurück und sehe ganz weit hinten ein paar Lichter, die aus meiner Richtung kommen. Irgendwann hört auch das auf und ich sehe nur ins Dunkle. Wie schnell man als Läufer auf dieser Strecke vereinsamt, wenn man es drauf anlegt. Bald bin ich in Habsberg (VP 180) und werde ich sehr fröhlich empfangen. Auch ich bin guter Dinge und so verbringe ich ein wenig länger an dieser VP, weil es so nett ist mit der VP-Betreuerin (bitte verzeihe mir, ich habe deinen Namen vergessen) zu plaudern. Sie versäumt nicht mir noch zu sagen, dass ich „total fit“ aussehe und ich laufe wieder los. Total fit durch die Nacht. Und dann fängt es an... Ich werde müde. Und diese Müdigkeit macht dann mit mir, was mir selber noch völlig neu ist und was mich fasziniert: Meine Umgebung (die Realität) nehme ich zwar sehr scharf war, aber ich sehe immer häufiger in den Bäumen Fratzen, die mich anstarren, wie Traumbilder, die sich fest an die Wirklichkeit krallen, so dass es mir erst kurz vor dieser Erscheinung gelingt diese wieder aufzulösen und die Normalität wieder zu erkennen. In weiter Entfernung sehe ich einen riesigen, aufgeblasenen Drachen und frage mich ernsthaft, ob dort hinten ein Freizeitpark ist. Dann ändert sich das Licht und ich erkenne den bewaldeten Hügel wieder. Jetzt ist es wohl doch Zeit zu schlafen, denke ich mir und ich nehme es mir fest vor, dies spätestens in Deining für ca. 20 Minuten zu tun. Die Müdigkeit wird immer stärker und nun schiele ich auf jede mögliche Schlafgelegenheit. Eine fest, etwas oberhalb des Bodens verankerte und überdachte Futterstelle für Rehe scheint mir plötzlich eine äußerst verlockende Schlafstelle zu sein, fast hätte ich mich hinein gelegt (so wie es wohl, wie ich später gehört habe, tatsächlich ein Läufer gemacht hat). Der Kampf gegen diese Trägheit des Körpers ist hart, immer wieder dreht jemand (wohl mein Kopf) den Energieschalter auf Null, meine Beine verlangsamen sich so sehr, dass ich fast stehen bleibe. Immer wieder kämpfe ich mich vorwärts und auf dieser ellenlangen Strecke auf Asphalt (wo ist hier eigentlich der „Steig“ geblieben?), unter einem laut schreienden Windrad hindurch, komme ich endlich wieder auf Tempo. Und irgendwann komme ich dann tatsächlich in Deining an, wo auch Gerhard schon sitzt und mich sehr freundlich begrüßt. Wahnsinn, dass er neben der Organisation selber noch über 200km läuft. Er weiß gleich, wie es um mich bestellt ist und stellt fest, bevor ich viel erzählen kann: „Na? Hast du Dinge gesehen, die eigentlich nicht existieren?“ Am liebsten hätte ich mich zu ihm gesetzt und mich länger mit ihm darüber unterhalten, aber ich bin zu fertig und – wie üblich – überhaupt noch nicht sicher, was ich als erstes tun will. Also setze ich mich in eine Ecke, breite meine dreckigen Sachen aus und überlege. Erst umziehen, dann Kaffee und dann weiter? Oder erst duschen, Kaffee und weiter? Oder erst hinlegen, dann duschen, Kaffee und weiter? Oder hinlegen, nicht duschen, umziehen, Kaffee, weiter? Oder einfach mich zu Gerhard setzen, essen, trinken, Kaffee und weiter? Man kann sich bekloppt machen, wenn man es nicht vielleicht schon ist. Dabei habe ich eine Alternative noch gar nicht in meinen Fragenkatalog eingebaut. Katrin hatte mir nämlich in Kastl angekündigt, dass sie – weil wir ja nur noch wenige 239km-Durchläufer waren – extra noch nach Deining fahren würde, wo sie mich dann massieren könnte. Jetzt hat sie sich aber gerade selber hingelegt und ich will sie nicht stören. Auch so eine Schwäche von mir, und dafür werde ich von Katrin später noch gerügt, denn sie hat eindringlich darum gebeten, dass man sie weckt, wenn man eine Massage wünscht. Das wusste ich und trotzdem habe ich es nicht gemacht. Auch hingelegt habe ich mich nicht mehr, da ich Sorge hatte, dass ich zu lange schlafe. Natürlich hätte ich auch hier jemanden fragen können, der mich weckt. Hab’ ich aber nicht gemacht. Die Abendteuer suchende Wölfin scheut den Kontakt und schleicht sich fort, Hilfe konsequent ausschlagend und nur auf sich allein gestellt, sucht sie die einsame Weite. Während Wölfe aber über einen hervorragenden Orientierungssinn verfügen, verliere ich denselbigen bereits in den ersten Kilometern nach Verlassen des VP 202. Mir wurde vorher noch gesagt, ich solle der Straße durch das Dorf folgen, bis zum Feuerwehrhaus und dann weiter auf den Jurasteig. Nun geht der Track aber rechts ab und ich folge ihm an der Straße entlang. Da ich beim Garmingerät +++ gedrückt und einen sehr vergrößerten Ausschnitt vor mir habe, verläuft der Track scheinbar neben der Straße auf der anderen Seite des Bächleins. Wie aber da hinüber kommen? Ich schlage mich durch das Unterholz und wahrscheinlich zertrete ich unzählige wertvolle Sumpfgräser, die mir nur widerwillig festen Untergrund bieten. Ich glaube, irgendwo unter ihnen war einfach nur Wasser. Also schlage ich mich wieder auf die Straße, folge ihr zurück zum Kreisel und laufe ein Stück an der anderen Straße entlang in Richtung Dorfmitte. Von hinten kommen schon die nächsten Läufer. Ich könnte mich anschließen, es wäre alles so einfach, aber das Tier in mir ist noch nicht Rudel bereit. Ich will den Weg ALLEINE finden! Da die Läufer plötzlich nicht mehr zu sehen sind, laufe ich auch wieder zurück, denn scheinbar geht der Weg ja doch da lang, wo ich zuerst lang gelaufen bin. Aber wo? Am Kreisel zwischen den Straßen befindet sich ein großer eingegrenzter Hof. Auf dem Hof sehe ich eine Menschengruppe, die sich unterhält. Wahrscheinlich schauen mir alle bei meiner peinlichen Suche zu. Komisch, auch Kinder sind um diese Zeit noch wach? Ich beschließe in die Offensive und auf die Gruppe zuzugehen, um nach den Weg zu fragen. Doch als ich mich nähere, verharrt die Gruppe plötzlich in ihren Bewegungen. Und jetzt – in drei Metern Abstand – sehe ich, dass auf dem Hof gar keine Menschen sind. Was ich dafür gehalten habe, entpuppt sich jetzt als eine Zusammenstellung unterschiedlicher Steinskulpturen. Oje! Wo wird das Ganze hinführen? Ich laufe die Straße entlang und komme wieder auf den Jurasteig. Die Zeichen sind da, ich folge dem Track – alles scheint wieder in Ordnung zu sein. Aber dann – ich bin schon längst wieder abseits der Zivilisation – hört die Beschilderung auf und ich stehe vor einer Weggabelung, bei der beide Wege nicht identisch mit dem Track sind, der Track führt irgendwo dazwischen durch, wo aber kein Weg ist. Ich teste den rechten Weg: Der wird extrem matschig und es gibt kein Jurasteigzeichen. Also umdrehen und den linken Weg testen: Der führt durch eine Senke und ist erst ganz gut zu laufen, plötzlich liegen aber vom Sturm gefallene und vom Förster zerteilte große Baumstämme quer. Da ist kein Durchkommen. Also wieder zurück, irgendwo durch Dornen hindurch und zurück auf den rechten Weg. Hier will ich noch einmal auf das Garmingerät schauen und stelle fest, dass die Batterieanzeige schon wieder warnt. Naja, nicht schlimm, ich habe ja Ersatzbatterien dabei. Habe ich doch, oder? Ich schaue lieber noch einmal nach. Ich finde sie NICHT!! HILFE!! Wollte ich das alles wirklich? Verfluchte Wolfspatin, musst du immer eigene Wege gehen? Wenn ich bald kein Licht mehr habe und mein Garmin mich nicht mehr leitet, wer sucht mich denn noch hier?? Ich finde die Tüte mit den Batterien. Etwas beruhigter folge ich dem Weg und komme irgendwann an die weiße Laber, wo ich irgendwann sicher bin, dass ich doch die ganze Zeit richtig (zumindest nicht ganz falsch) gewesen sein muss. Die Wahrnehmungsstörungen werden allerdings immer schlimmer und es wird schwieriger Traum und Wirklichkeit auseinander zu halten. Mal sehe ich Menschen vor oder hinter mir, ganz klar und realistisch, obwohl es sie nicht gibt, oder ich nehme groteske Fantasiegestalten war und muss mich anstrengen, um die Baumrinde oder die Wurzel hinter der Erscheinung zu sehen. Auf einem Schild sehe ich, dass es nur noch 6,6km bis Holnstein sind, später auf einem Schild lese ich dann aber 10km! Laufe ich in die falsche Richtung? Habe ich das etwas schon hinter Deining gemacht? Panisch gucke ich auf das Garmingerät und bekomme einen neuen Schrecken: Teilweise hat das Gerät meinen Weg, der hellblau markiert ist, nicht aufgezeichnet, ich kann also nicht sicher nachvollziehen aus welcher Richtung ich gekommen bin. Mist: Neben dem Track schlängelt sich eine blaue Linie. War ich die ganze Zeit falsch? Es dauert lange, bis mir klar wird, dass diese hellblaue Linie die weiße Laber ist. Eine Stimme sagt jetzt immer öfter: Komm, hör auf. Sag’ dir einfach, du hast die 239km erreicht und dann machst du jetzt Schluss. Die andere Stimme verweist auf die realistische Aufzeichnung meiner Garminuhr. Du musst noch 20km. Kurz schluchze ich auf und sage es mir laut, um es mir klar zu machen: Ich mach’ das tatsächlich. Ich laufe 239km am Stück und werde das Ding wahrscheinlich tatsächlich finishen! Mir fallen meine koffeinhaltigen „Wunderpillen“ ein, die ich extra mitgenommen habe, da sie mir bei der Tortour auch schon so gut geholfen haben. Allerdings wollte ich vorher etwas geschlafen haben. Egal. Muss auch so funktionieren. Ich nehme also vorsichtshalber eine, die aber irgendwie nicht hinunter will, sondern quer in der Speiseröhre stecken bleibt. Und das ziemlich lange, da sie sich einfach nicht auflöst. Das macht mich nicht wacher, das nervt! Ich sehne mich nach dem nächsten VP. Nach echten Menschen, die mit mir reden, mich wieder normalisieren... Abgesehen davon ist die Strecke durch das Altmühltal am Morgen wunderschön! Und endlich bin ich beim VP, kann mich stärken und freue mich über eine heitere Unterhaltung! Alles wieder gut, ich bin zwar viel später dran, als ich eigentlich dachte, aber nun bin ich wieder optimistisch, dass ich ankommen werde. Ich laufe los und wieder klingelt mein Handy. Stefan fragt noch einmal nach, wo ich mich gerade aufhalte und ich teile ihm mit – während ich laufe und dadurch erneut zu weit laufe - , dass ich wohl noch ein paar Stündchen brauchen werde. Stefan gibt den Tipp, dass ich den Rest der Strecke genießen soll und das kann ich nun auch wieder. Die letzten Kilometer vor dem Ziel geht es noch ein letztes, wunderschönes Trailstück durch den Wald und es stellt sich ein absolutes Glücksgefühl ein. Ein Mann sitzt mit seinem Sohn auf der Bank, beide klatschen mir zu, er ruft: „Jetzt ist es nicht mehr weit.“ „Ne“, rufe ich glücklich zurück, „jetzt kommt der Zieleinlauf!“ Es geht hinunter nach Dietfurt, und unten angekommen beginnt die Kirchturmglocke 12 Uhr zu schlagen. Noch ein paar hundert Meter: Es ist geschafft! Wahnsinn! Ich bin tatsächlich den ganzen Jurasteig nonstop gelaufen. Nach exakt 51 Stunden erreiche ich das Ziel und genieße im Sonnenschein noch eine Weile den Applaus, bevor ich hineingehe und als Finisherin erfasst werde! Ein unbeschreiblich tolles Gefühl! FAZIT: Der JUNUT ist für mich eine der größten aber auch schönsten Herausforderungen gewesen und von Gerhard und Margot Börner hervorragend organisiert worden. Einen großen Dank dafür und an alle Helfer, die in unermüdlichem Einsatz so oft für uns an der Strecke waren! Gerne würde ich noch einmal mit dabei sein, aber wahrscheinlich habe ich nicht noch einmal so viel Glück damit, dass der Lauf in die Ferienzeit fällt. Sandra Sons
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