Weh mir meine Mutter, dass du mich geboren hast, einen Mann des Streits, einen Mann des Haders für alles Land! Jer 15,10 Wieder einmal macht Bubers Übersetzung einen scheinbar auslegungsbedürftigen Vers eindeutig und klar. Die Einheitsübersetzung übersetzt am Anfang noch fast identisch, um dann aber in einer ganz persönlichen Wehleidigkeit zu versinken: „Weh mir, Mutter, dass du mich geboren hast, einen Mann, der mit aller Welt in Zank und Streit liegt.“ Das klingt so, als sei es Jeremia, um den es geht, während es bei Buber klar ist, dass es um das Land, um seine Menschen, um das Volk Gottes geht. Wem es darum geht, muss Zank und Streit veranstalten.Gut und richtig zu leben gelingt ganz von alleine kaum jemandem, also muss dauernd jemand anders da sein, der oder die korrigiert. Das mag niemand, aber unsere Verantwortung füreinander verlangt von uns, dass wir uns einmischen. Das bestreitet auch niemand, wenn es um nahestehende Menschen geht, um die Schwester, um den Freund. Man kann das den Möglichkeiten des Gegenübers anpasssen, man kann manchmal behutsam formulieren, man kann eine passende Gelegenheit abwarten, aber manchmal muss man seiner Freundin gegenüber einfach ehrlich sein, manchmal ist man es ihm einfach schuldig, dass man die Wahrheit sagt. Wie gesagt, das kennen alle, die eine beste Freundin oder sowas haben, und niemand mag es. Ehe man es tut, denkt man lange nach, berät sich vielleicht mit der Partnerin oder anderen Freunden des Kritisierten, verschiebt es noch einmal oder wählt Formulierungen, die nicht eindeutig sind. All das macht Jeremia nicht. Der ist ein ganz normales Mitglied der Jerusalemer Oberschicht, ein Priestersohn mit allen dazugehörigen Privilegien, und nimmt Gott so, wie ihn sein Vater und dessen Kollegen und die Schrift verkünden, halt einfach ernst. Der nimmt diesen Jahwe, dieses große Bubersche DU, so ernst, dass er „eingetreten (ist) für den Feind bei dir zur Zeit des Unheils und der Bedrängnis“ (Vers 11). Es gbt einen tiefen Streit über die Deutung dieses Verses, den Buber in der Sache genauso übersetzt wie die EÜ und den er mit drei Pünktchen für irgendetwas Fehlendes auch benennt. Ich will und kann mich in die rein sprachlichen Fragen nicht einmischen, in der Sache halte ich den Vers für völlig klar und sehe keinerlei Notwendigkeit, etwas zu erklären. Der Kommentar sagt sogar wörtlich: „Der ganze Vers 11 ist sehr dunkel.“ Ich sehe das genau umgekehrt, der ganze Vers 11 ist völlig klar: Jeremia hat Gott so ernst genommen, dass er begriffen hat, das auch der Feind ein Mensch ist und Rechte hat. Jeremia hat einen universalistischen Gott gedacht, eine, die alle Menschen liebt und heilt. Das kann niemand goutieren in seiner Gesellschaft, das macht ihn zum Ausgestoßenen. Auch Buber sieht das jenseits der offenbar vorhandenen sprachlichen Schwierigkeit so. Wo EÜ einfach konstatiert: „Fürwahr, Herr, ich habe dir mit gutem Willen gedient“, schreibt er: „So spreche ich: DU, habe ich dir nicht geamtet zum Guten?“ Damit fordert er etwas ein von Gott. Es bleibt in all diesen Übersetzungsfragen eine Nuance. EÜ schreibt aus der Sicht des Menschen Jeremia, der frustriert, sauer, unmotiviert, verärgert ist. Das stimmt, das wird der öfter mal gewesen sein. Buber schreibt aus der Sicht des prophetischen Auftrags: Na klar bist du frustriert, aber was hat das mit dem Heil zu tun? Was war denn eigentlich wirklich geschehen, Jeremia selbst hat es gar nicht so recht begriffen. Er hatte nur immer versucht diesen Jahwe ernst zu nehmen. Daraus ergaben sich zwangsläufig Vorstellungen davon, was Menschen einander antun dürfen und was nicht. Das wussten und kannten auch die Priester, diese Regeln standen recht detailliert im Gesetz. Jeremia hatte genau und lange darbüer nachgedacht, ob der Wille Jahwes darin, in den Regeln für den zwischenmenschlichen Umgang, aufgeht, und er war absolut sicher, dass das nicht so ist. Der Wille Gottes, das Reich Gottes würde viel später Jesus sagen, ist niemals individuell zu realisieren. Du bist nicht persönlich verantwortlich, wenn nicht alle so leben können, wie sie sollten. Aber das ist keine Entlastung von Schuld, sondern eine klare Zuweisung von Verantwortung: Wir alle sind verantwortlich für die Lebensbedingungen von allen. „Bin ich nicht eingetreten für den Feind bei dir?“ Und nun stehe ich da und habe lauter Feinde. Die Feinde meiner nationalen Obrigkeit wollen mich als Verräter an ihrer Seite. Das bin ich nicht und werde ich nicht sein. Die Obrigkeit selbst sieht mich auch als Verräter. Irgendwie bin ich das ja auch, will ich doch eine andere Lösung des Konflikts als die und schwäche sie damit. Ja und dann habe ich unsere Verantwortlichen direkt angesprochen. Das mochten die nicht: „Wissen Sie was, Herr Jeremia, ich habe ja damit täglich zu tun. Hier müsste mal eine Bombe einschlagen, in diesen Saustall!“ Aber selbst etwas ändern, dafür würden diese Leute niemals auch nur einen Finger rühren. Jeremia weiß das. Auch das Volk ist irgendwie kein Hoffnungsträger. Im Gegenteil, die normalen Leute haben sich mit den Verhältnissen nicht nur arrangiert, sie erhoffen sich aus einer klugen Bündnispolitik ihrer Obrigkeit mit Ägypten Beutevorteile. Jeremia erklärt diese Hoffnungen für Unfug undd das mag nun wirklich niemand mehr. Nun ist er der Mann des Streits, des Haders. Da kann der gar nichts für, hätte ich beinahe gesagt. Nein, natürlich kann er da alles für. Er könnte aufhören, das zu prophezeihen, was anderen wehtut. Er könnte für sich behalten, was er weiß. Viele Propheten, also Beobachter der politischen und gesellschaftlichen Landschaft, dazu da, Einschätzungen zu liefern, haben das gemacht und die Samuel- und Königsbücher zeigen uns, wie sie bestraft wurden. Du musst kein Prophet sein, aber wenn du einer bist, dann musst du die Wahrheit sagen. Das hatte Jeremia gemacht und alle waren gegen ihn. Ich will unsere heutige Situation strategischer Defensive nicht mit Jeremia vergleichen. Der lebte in einer überschaubaren Gesellschaft, war selbst ein Spross der Mächtigen und dennoch dauerte es einige Generationen und begann am ganz anderen Ende der Jeremia bekannten Welt, bis die – von ihm durchaus vorhergesehene und herbeigesehnte –Torarepublik entstand. Mensch, Gott, Mutter, Vater, was ist das nur für eine Scheiße, wo wir unterwegs sind! Das kennen auch wir heute alle. Jeremia aber nimmt sie bewusst an. Wenn ich vor Gott „zum Guten amte“, dann werde ich „ein Mann des Streits, ein Mann des Haders fü alles Land“! Das musst du akzeptieren. Daraus entsteht nicht unmittelbar die Notwendigkeit, mit nacktem Arsch durch Jerusalem zu laufen, wie es Jeremia tat. Jedes einzelne Mal könnten besorgte Seelen argumentieren, dass dies doch jetzt noch nicht nötig gewesen wäre. Nichts gibt es, das dich zwingt, genau jetzt genau dies zu sagen oder zu tun. Es ist aber egal, weil wenn du sagst, was ist, kannst du das zwar sicherlich unhöflich oder höflich machen, aber du wirst „ein Mann des Streits für alles Land“ bleiben. Um ein guter Mensch zu sein, müssen dich die Leute nicht als guten Menschen wahrnehmen. Das Wort Gottes, die Predigt von der Verkehrtheit der Verhältnisse und der Notwendigkeit der Umkehr, der Aufruf für eine gerechte Gesellschaft spaltet die bestehende Gesellschaft. Deshalb hatte der immer pfäffisch auftretende Rau so im Tiefsten Unrecht, als er „versöhnen statt spalten“ propagierte. Versöhnung ist, kann sein, das Herzensanliegen der Propheten: Wäre ich doch nicht geboren worden! Dann müsste ich diesen Mist nicht aushalten! Aber dann müssten und würden eben andere vor Gott amten, wie es Buber formuliert. Die Notwendigkeit des Zanks und des Haders entsteht nicht aus dir, sondern aus Gottes blöder Idee, das alle Menschen gleich seien und dasselbe Recht auf ein gutes Leben hätten.
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