MAKRO-AUSBLICK 27. März 2015 FOKUS AUF LATEINAMERIKA von Wolfgang Pflüger, Berenberg Volkswirt 1. Brasilien – mit prozyklischer Finanzpolitik in die Rezession - BIP 2013: 2 190 Mrd. US-Dollar Die im Amt bestätigte linksgerichtete Ministerpräsidentin D. Rousseff musste das Scheitern ihrer in den voran gegangenen vier Jahren betriebenen Wirtschaftspolitik eingestehen. Rezessive Tendenzen und gleichzeitig beschleunigt steigende Preise, wachsende Haushaltsdefizite, eine zunehmende Auslandsverschuldung, das erste Handelsbilanzdefizit seit 14 Jahren, so konnte es nicht weitergehen. Es drohte unter anderem eine Bonitätsherabstufung der Staatsanleihen auf „Junk“. Die Notenbank und der neu ernannte Wirtschaftsminister, J. Levy, traten auf die Bremse. Seit Oktober hat die Bank of Brasil den Leitzins um 175 Basispunkte auf 12,75 % angehoben. Ein weiterer Anstieg wird erwartet. Denn im Februar stiegen die Verbraucherpreise immer noch um 7,7 %. Das ist aktuell vor allem eine Folge der Währungsschwäche. Alleine in diesem Jahr hat der Real schon wieder 15 % gegenüber dem US-Dollar verloren. Er fiel auf ein 10-Jahrestief. der staatlichen Abgabenerhöhungen auf Strom, Benzin, Schulgebühren und Nahverkehrspreise. Damit und mit der Streichung von Steuervergünstigungen sowie aller nicht gesetzlich bindender Ausgabentitel um pauschal 30 % in 2015 strebt Levy eine Reduzierung der Neuverschuldung an. In diesem Jahr wirkt ein solcher Politikansatz – so richtig er mittelfristig auch sein mag – prozyklisch. Fast wöchentlich werden die Wachstumserwartungen für das Land reduziert. Derzeit wird von einer BIP-Schrumpfung in 2015 um 0,8 % (+0,2 % in 2014) ausgegangen. Das Verbrauchervertrauen ist ebenfalls auf ein 10-Jahrestief gefallen. Die Einkaufsmanagerindizes liegen auf Schrumpfkurs. Die Korruptionsvorwürfe gegenüber dem staatlichen Energiekonzern Petrobras waren ebenfalls nicht förderlich. Die Bevölkerung ist aufgebracht. Es kommt zu Protesten und Streiks. Außerdem leidet Brasilien unter dem Verfall der Rohstoffnotierungen. Das Leistungsbilanzdefizit liegt wieder bei knapp 4 % des BIP. Zwar ist die staatliche Auslandsverschuldung mit gut 15 % des BIP kein Problem. Unternehmen und Privatpersonen haben allerdings Währungsverbindlichkeiten in Höhe von etwa 400 Mrd. US-Dollar angehäuft. Die gesamten Auslandsschulden liegen bei 540 Mrd.US-Dollar oder 159 % der Währungsreserven. Viel schlechter kann es nicht mehr werden. Für erste Investments mag es dennoch zu früh sein. 2. Mexiko – Wachstumsziel verfehlt BIP 2013: 1 327 Mrd. US-Dollar Die zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas hat die in sie gesetzten Wachstumserwartungen in 2014 nicht erfüllt. Statt erhoffter +3,3 % wuchs das BIP lediglich um 2,3 %. Die einbrechenden Öleinnahmen und bereits zuvor durchgeführte Steuererhöhungen führten im zweiten Halbjahr zu zunehmenden Belastungen. Der konjunkturelle Abwärtstrend ist noch nicht zum Stillstand gekommen. Im Januar ging die Industrieproduktion so stark wie seit 16 Monaten nicht mehr zurück. Sie lag nur noch 0,3 % über dem Vorjahr. Die Einzelhandelsumsätze enttäuschen schon seit Monaten. Angesichts der (zumindest vorübergehenden) Konjunkturabkühlung in den USA sind lediglich schwache Wachstumsimpulse von der Exportseite zu erwarten. 80 % der mexikanischen Ausfuhren gehen in die USA. Auf die Wachstums- und Ölpreisschwäche hat der mexikanische Peso mit deutlichen Abschlägen reagiert. Er notiert auf einem 6Jahrestief zum US-Dollar. Die Notenbank ist daher sehr vorsichtig mit weiteren Zinssenkungen. Aktuell liegen sie mit 3 % auf einem historisch niedrigen Niveau. Das hat seine Berechtigung in der Tatsache, dass die Verbraucherpreise derzeit mit einer Jahresrate von 3 % erstmals seit neun Jahren dem Notenbankziel entsprechen. MAKRO-AUSBLICK Die Peso-Schwäche geht aber auch auf tendenzielle Verschlechterungen bei staatlicher Neuverschuldung (3,6 % nach 3,0 % vom BIP) und Leistungsbilanzdefizit (2,3 % nach 2 % vom BIP) zurück. Diese Werte sind nicht bedrohlich. Bemerkenswert ist jedoch, dass Ausländer 140 Mrd. US-Dollar an Peso-Bonds, das sind 40 % aller ausstehenden Staatspapiere, halten. Ein Vertrauensverlust und entsprechende Abgaben könnten Währung und Finanzsystem schwer treffen. 27. März 2015 ∙ Seite 2 der Vergabe wichtiger Infrastrukturbaumaßnahmen. Am 7. Juni finden sogenannte „Mid-Term-Wahlen“ für Parlament und zahlreiche Regionalregierungen statt. Aktuell ist das politische Risiko relativ hoch, dass zumindest im Vorfeld die gesetzliche Umsetzung der wichtigen Reformvorhaben ausbleibt. Fazit: Sollten US-Konjunktur und Ölpreise im weiteren Jahresverlauf wieder anziehen, wäre Mexiko ein „HighBeta-Spiel“.Die offiziellen Wachstumserwartungen liegen erneut bei 3 % für diese Jahr. Zu Jahresbeginn waren es lediglich 2 %. 3. Die Regierung ist sich dessen bewusst und hat eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet. 2014 wurde ein Zuschlag zu den bestehenden Mehrwertsteuersätzen beschlossen. Steuerbefreiende Tatbestände wurden eingeschränkt. So soll die Einnahmenbasis verbreitert, die Abhängigkeit von den Öleinnahmen (sie finanzieren den Staatshaushalt zu 30 %) reduziert werden. Das hat vor allem den privaten Konsum zunächst belastet (siehe Brasilien). Hinzu kommt, dass für 2015 eine generelle Kürzung der Staatsausgaben um 3 % (etwa 8,3 Mrd. US-Dollar) beschlossen wurde. Mittelfristig eindeutig positiv sind die Gesetzesvorschläge für Privatisierung und mehr Wettbewerb und damit fallende Preise in den bisher staatlich kontrollierten Sektoren Telekom, Energie und Finanzen zu beurteilen. Zudem soll die innere Sicherheit gestärkt werden. Gerade hier hat die Regierung unter Präsident E. Nieto erhebliche Probleme. Noch immer sind die Drahtzieher der Ermordung von 43 Studenten nicht verurteilt. Der seit einer halben Ewigkeit tobende Drogen- und Bandenkrieg ist nicht beendet. Mehr als 100 000 Menschen starben bereits. Zudem rankt sich ein Korruptionsskandal um die Präsidentenfamilie im Zusammenhang mit Chile – Solide durch die Kupfer-Krise BIP 2013: 282 Mrd. US-Dollar Chile wird gerne als das „Preußen Lateinamerikas“ bezeichnet. Schon seit Langem (nach dem Sturz der Pinochet-Diktatur) zeichnet sich das Land durch politische Stabilität, ein unabhängiges Rechtssystem und vor allem durch eine solide Finanz- und Geldpolitik aus. Zwar hat auch Chile eine Linksregierung. Es ist ähnlich wie Mexiko und Brasilien stark von Rohstoff-Exporten abhängig. Die Hälfte der Ausfuhrerlöse stammt aus Kupferverkäufen. Aber trotz des Preisverfalls blieb es auch 2014 bei Exportüberschüssen und einem tendenziell abnehmenden Leistungsbilanzdefizit. Dieser Trend dürfte sich 2015 fortsetzen, denn das Land hat keine eigenen Rohölvorkommen und gilt daher als großer Nutznießer der halbierten Notierungen. Davon dürfte dann auch die Konsumnachfrage profitieren, deren geringe Dynamik einer der Gründe für das enttäuschende Wachstum in 2014 (BIP +1,8 %, so niedrig wie seit 2009 nicht mehr) war. Es gibt zwei weitere Gründe für verhaltenen Optimismus: Sinkende Energiepreise dürften die Verbraucherpreise um bis zu einen Prozentpunkt drücken. Ende 2015 könnten sie dann eine Jahresrate von 3 % (aktuell 4,3 %) erreichen. Die Notenbank hat ihre Leitzinsen bereits seit Oktober 2014 von 5 % auf 3 % gesenkt. Das stimuliert! Im Gegensatz zu Mexiko und Brasilien ist Chile in der Lage, eine antizyklische Fiskalpolitik umzusetzen. In diesem Jahr werden die Staatsausgaben um 9,8 % erhöht. Es soll in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur investiert werden. Die geringe Staatsverschuldung von etwa 27 % des BIP macht dies möglich. Aber Achtung: die Auslandsverschuldung ist mit 53 % des BIP recht hoch. MAKRO-AUSBLICK 27. März 2015 ∙ Seite 3 Das ist auch ein Grund für die anhaltende Schwäche der Landeswährung. Der Peso hat während der vergangenen 15 Monate mehr als 20 % gegenüber dem US-Dollar an Wert verloren. Eine Trendwende steht noch aus. Fundamental gesehen verfügt Chile unter den drei großen lateinamerikanischen Volkswirtschaften aus unserer Sicht jedoch über die besten, da stabilsten, Rahmenbedingungen. Es wird eine Wachstumsbeschleunigung auf 2,5 % bis 3,5 % erwartet. Wichtige Hinweise: Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des § 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche und finanzielle Beratung. Die in diesem Dokument enthaltenen Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen und berücksichtigen den Stand bis zum Tag vor der Veröffentlichung. 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