Wie gut sind Gütesiegel? - Brand eins

EINSTIEG
Gute Frage
Wie gut sind Gütesiegel?
Wie schön, dass uns immer mehr Kennzeichen beim nachhaltigen, umweltfreundlichen und qualitätsbewussten Einkaufen helfen. Wie schade, dass immer mehr von ihnen das Gegenteil bewirken.
Text: Harald Willenbrock
Illustration: Nadine Pfeifer
Ungefähre Zahl der deutschen Gütesiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1000
Aussagekraft von Labels wie „Geprüfte Qualität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0
Zahl der Gütesiegel, die „Nachhaltigkeit“ versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Anteil der Bundesbürger, die den „Blauen Engel“ kennen, in Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Anteil der Bundesbürger, die beim Einkauf auf den „Blauen Engel“ achten, in Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Prozentsatz der Verbraucher, die sich durch Labelvielfalt verwirrt fühlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Optimale Anzahl von Labels aus Verbrauchersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
• Kleiner Alltagstest: Was heißt „dermatologisch getestet“? Was genau bedeutet das
„delphinfreundlich“-Siegel? Und wofür steht
die Kennzeichnung „hypoallergen“?
Keine Ahnung? Macht nichts. Denn
alle drei Kennzeichnungen sind nach Einschätzung der Verbraucher Initiative e. V.,
die auf ihrer Website www.label-online.de
rund 450 Labels bewertet, nicht nur sinnfrei, sondern geradezu irreführend. Ihr ein12
zig verlässlicher Effekt besteht darin, dass
sie die Armada der mehr als 1000 Qualitätskennzeichen und Siegel vergrößern, die
auf Produkten und Verpackungen pappen
wie Orden an der Gala-Uniform von
Oberst Gaddhafi. Und demnächst dürften
es noch ein paar mehr werden.
Verbraucherschützer fordern eine individuelle Kohlendioxid-Bilanz auf jeder
Lebensmittelverpackung, die beispielsweise
klimaschädlich eingeflogenes Obst als solches kenntlich machte. Die Hamburger
Gesundheitsbehörde etwa kämpft für die
bundesweite Kennzeichnung scharfer Lebensmittel, nachdem sie in einer Chilisoße
Schärfegrade jenseits gängiger Pfeffersprays
entdeckt hatte. Vom Jahr 2014 an schreibt
die EU-Kommission eine Auflistung von
Fett, Zucker, Eiweiß, Salz und anderen Inhaltsstoffen auf jeder LebensmittelverpaBRAND EINS 03/11
EINSTIEG
ckung vor. Und die Handelsgruppe Rewe
hat den mehr als vier Dutzend Siegeln, die
im weitesten Sinne etwas mit Nachhaltigkeit zu tun haben, im April 2010 noch ein
eigenes hinzugefügt.
Zu finden ist das hellblaue Pro-PlanetLabel unter anderem auf Erdbeeren, die
nach Recherchen der »Frankfurter Rundschau« aus der südspanischen Region
Huelva stammen. Dort hat exzessiver
Landbau – unter anderem für den Obstexport – den Grundwasserspiegel nahezu
flächendeckend absinken lassen. Dass
Rewes Zuchtbeeren dennoch das ProPlanet-Dreieck tragen dürfen, wird mit
einem Tröpfchenbewässerungssystem begründet, das den Wasserbedarf bald um
20 Prozent senken solle.
„Das System der Label und Kennzeichnungen krankt unter anderem daran, dass
bei vielen kaum zu erkennen ist, wofür
genau sie eigentlich stehen“, sagt Rolf
Buschmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter
bei der Verbraucherzentrale NordrheinWestfalen. Logos verdichten komplexe
Zusammenhänge auf ein einprägsames
Zeichen, das ist ihre Stärke. Und genau
das ist auch ihr Problem.
Viele Gütezeichen folgen nämlich der
klassischen Radio-Eriwan-Methode und
versprechen etwas, das im Prinzip nicht
ganz falsch ist, aber eben auch nur im Prinzip. So zeichnen Plaza- und Sky-Märkte
regionale Produkte mit ihrer Eigenmarke
„Unser Norden“ aus, was nach Darstellung des Unternehmens ein aktiver Beitrag
„für die Umwelt, die traditionellen Produzenten in unserer Region und Arbeitsplätze
in der Nachbarschaft“ sein soll. Seltsamerweise umfasst das Unser-Norden-Sortiment aber auch Produkte wie Orangensaft, Tee oder Kaffee, für die es in unserem
Norden weder geeignetes Klima noch Produzenten gibt.
Auf der Unser-Norden-Website findet
man dazu den Hinweis, natürlich könnten
nicht alle Rohstoffe aus der Region kommen, schließlich wüchsen „nördlich der
Elbe kein Pfeffer, kein Kaffee und keine
BRAND EINS 03/11
Apfelsinen“. Nach dieser eigenwilligen
Definition ist auch ein Produkt heimisch,
das zwar Tausende Kilometer entfernt gepflanzt, großgezogen, bewässert, gedüngt
und geerntet wurde, kurz vor dem Supermarktregal aber noch irgendwo in Norddeutschland durch eine Abfüllanlage gegangen ist.
So ist es kein Wunder, dass sich mittlerweile 83 Prozent der Deutschen durch
die Flut von Orientierungshilfen in die Irre
geführt fühlen. Die allermeisten Label würden sowieso nicht erkannt, so der Soziologe Wilfried Konrad, Autor einer Vergleichsstudie zu Wirkung und Grenzen von
Gütesiegeln*. „Neben populären Gütesiegeln wie dem Blauen Engel, dem Deutschen Bio-Siegel oder dem GS-Zeichen
bewegen sich sehr viele Labels deutlich
unterhalb der Wahrnehmungsschwelle von
Verbrauchern. Unbekannte Kennzeichen
aber verfehlen per se ihr Ziel, Kaufentscheidungen zu beeinflussen.“
Sie taugen nichts, vermehren
sich aber wie die Karnickel
Gut belegt ist lediglich die umsatzsteigernde Wirkung von Verbrauchskennzeichnungen wie dem EU-Energie-Etikett,
das 1998 für Haushaltsgroßgeräte eingeführt wurde. Denn die Klassifizierung eines
Kühlschranks oder Herdes in der EU-Energieeffizienzklasse „A“ oder „A++“ bedeutet für den Käufer eine niedrigere Stromrechnung – und damit einen persönlichen
Nutzen.
Die Auszeichnung mit dem FairtradeSiegel hingegen, das faire Arbeitsbedingungen der Lieferanten in Entwicklungsländern bescheinigt, ist für die meisten
Leute ebenso abstrakt wie irrelevant. Dennoch erzielt das Prüfzeichen einige lenkende Wirkung, und zwar vor allem bei
jenen, die sich ohnehin für solche Pro dukte interessieren. „Die Voreinstellung
der Konsumenten ist mitentscheidend für
den Effekt eines Labels“, sagt der Soziologe Konrad. Das belegen auch Studien
aus Kanada und den Niederlanden, die den
Effekt von Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen („Rauchen fügt Ihnen und den
Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen
Schaden zu“) untersucht haben.
Ergebnis: Die drastischen Hinweise
bewegen tatsächlich eine nennenswerte
Zahl Nikotinsüchtige, es einmal ohne
Zigarette zu versuchen, und zwar vor
allem solche, die ohnehin auf dem Absprung von der Kippe waren. Doch rund
15 Prozent der Raucher gaben an, sich
durch den warnenden Aufdruck belästigt
zu fühlen und jetzt erst recht weiterqualmen zu wollen.
Ähnlich kontraproduktive Wirkung
dürfte auch von der wachsenden Flut an
Pseudo-Kennzeichnungen ausgehen. Labels wie „hypoallergen“ und „dermatologisch getestet“ beispielsweise können Hersteller nach Belieben interpretieren und
einsetzen. Ob ein Thunfisch „delphinfreundlich“ gefangen wurde und was das
überhaupt bedeutet, wird von niemandem
überprüft. Der Aufdruck „FCKW-frei“
bestätigt nur etwas, das gesetzlich ohnehin
schon lange vorgeschrieben ist, „geprüfte
Qualität“ einen Umstand, der bei jedem
Hersteller selbstverständlich sein sollte.
Auf diese Weise wird eine ursprünglich
gute Idee – Verbraucher schnell und verlässlich per Gütezeichen zu informieren –
in ihr Gegenteil verkehrt. Sogar der Blaue
Engel, mit seinen 33 Jahren ein Veteran
unter den Gütesiegeln, hat mit stetig sinkenden Akzeptanzwerten zu kämpfen. Ein
Drittel der jüngeren Kunden weiß mit dem
populärsten deutschen Qualitätskennzeichen schon nichts mehr anzufangen.
-
*Wilfried Konrad, Dirk Scheer: Grenzen und
Möglichkeiten der Verbraucherinformation durch
Produktkennzeichnung. Institut für ökologische
Wirtschaftsforschung/Bundesinstitut für Risikobewertung 2010
13