W. Pannenberg, Wie kann heute glaubwürdig von Gott geredet

W. Pannenberg, Wie kann heute glaubwürdig von Gott geredet werden ?
Argumente gegen drei Hauptströme des Atheismus
…3. Das dritte und vielleicht entscheidende Motiv atheistischer Kritik ist die angebliche Gefährdung der
menschlichen Freiheit durch den Gottesgedanken. Man sagt, der Gedanke eines ewigen und allmächtigen
Herrschers der Welt schließe aus, dass irgend etwas in der Welt geschehe, was nicht von Ewigkeit her von
Gott vorhergesehen und vorherbestimmt wäre. Daher bedeute die Annahme Gottes die Unmöglichkeit der
Freiheit, und umgekehrt: die Erfahrung der Freiheit schließe die Existenz eines Gottes aus. Wieder muss
zugestanden werden, dass die Theologie selbst durch irreführende Denkgewohnheiten diese Argumentation
ermöglicht hat.
Doch wird nur die theologische Reflexionsform von der Kritik des Atheismus getroffen, nicht der Gott der
christlichen Glaubenserfahrung selbst: Dieser Gott ist der Ursprung der Freiheit, nicht ihr Feind. Das ist der
christlichen Theologie immer bewusst gewesen, wenn sie sich dem erlösenden Handeln Gottes zuwendete.
Hier erweist sich Gott als die den Menschen aus aller Gebundenheit zu sich selbst befreiende Macht. Freiheit
hat ja niemand aus sich selbst. Sie muss immer wieder neu geschenkt werden; denn Freiheit besteht gerade
im Hinausgehen über das, was sowieso schon ist, auch über das, was wir selbst je schon sind. Die christliche
Theologie hat, wie gesagt, immer etwas davon gewusst, dass Gott die zur Freiheit erlösende Macht ist. Aber
sie hat sich dieses Motiv verdecken lassen von den vermeintlichen Konsequenzen, zu denen sich die Theologen gedrängt fühlten durch den Gedanken der Ewigkeit Gottes. Ein ewiger Gott, so meinte man, müsse
auch unveränderlich derselbe sein, und also müsse er am Anfang der Schöpfung schon derselbe sein wie an
ihrem Ende, von Anfang an allmächtig und allwissend den Lauf aller Dinge lenken. Dadurch erschien Gott,
obwohl er doch als Erlöser der Menschen die Freiheit allererst ermöglicht, als ihr Feind. Wäre umgekehrt
Gott als der Ursprung der menschlichen Freiheit gedacht worden, dann hätte er nicht zugleich als ein wie die
Dinge der Welt vorhandenes Wesen gedacht werden können. Er hätte als die Zukunft des guten und des
wahren Glückes gedacht werden müssen, deren Fülle in der Welt immer noch unverwirklicht ist, von ihr her
oft unwahrscheinlich erscheinen muss und höchstens in Andeutungen und Gleichnissen anbricht. Dieser
Zukunft ist die Sehnsucht nach Freiheit zugewandt, weil sie allein Ursprung der Freiheit werden kann.
Die traditionelle christliche Gotteslehre wird an dieser Stelle von der atheistischen Kritik hart getroffen,
ebenso wie der klassische philosophische Theismus[ Theismus=Glaube an einen als persönliches Gegenüber
und als Schöpfer wirkenden Gott, der sich auch weiterhin in der Geschichte offenbart.] , dem die Theologie
sich verbunden hatte. Aber der ursprüngliche christliche Gottesgedanke, wie er in der Botschaft Jesu von der
kommenden Herrschaft Gottes und von ihrem Anbruch in Gottes jetzt schon befreiender Liebe beschlossen
ist, wird dadurch nicht zerstört, sondern eher freigelegt. Die atheistische Kritik kann an dieser Stelle der
Theologie dazu verhelfen, die Eigentümlichkeit des christlichen Glaubens an die befreiende Macht der göttlichen Liebe besser zu verstehen, als es in früheren Epochen geschah, in denen man den Gott der Bibel allzu
unproblematisch in den Formeln der philosophischen Gotteslehre der Antike wiederzuerkennen glaubte. Gott
als den Ursprung der Freiheit verstehen, das heißt, ihn zusammen mit der Freiheit des Menschen der vorhandenen Welt entgegensetzen. Als Ursprung der Freiheit kann Gott nicht ein in der Welt oder hinter ihr
vorhandenes Wesen sein. Die Theologie muss ganz neu den Sinn der Botschaft Jesu verstehen lernen, dass
die Herrschaft Gottes noch im Kommen ist. Das heißt, dass Gott selbst noch im Kommen ist und nur als der
Kommende, als Zukunft dieser Welt schon in ihr gegenwärtig wird. So - als der Kommende - wird Gott auch
als Ursprung der Freiheit verstehbar: Er erhebt den Menschen über das Vorhandene, befreit ihn von der Gebundenheit an das System der bestehenden Welt. Und doch wendet er den Menschen der vorhandenen Welt
wieder zu, so wie er selbst in seinem Kommen sich der Welt zuwendet und schon jetzt in ihr gegenwärtig
wird als der Kommende. In dieser Zuwendung zur Welt hat Jesus die Liebe Gottes erkannt, weil dadurch
schon der gegenwärtigen Welt Gemeinschaft mit Gott, mit der sie übersteigenden endgültigen Wirklichkeit
eröffnet wird. Das geschieht im Geschenk der Freiheit, in jedem Augenblick, da ein Mensch hinauswächst
über das, was er bis dahin war, und fähig wird, sich in neuer Weise der Welt zuzuwenden.
Dass Gott Ursprung und Schutzmacht der Freiheit ist, das ist das letzte und stärkste Argument des Glaubens
gegen den Atheismus. ...Denn im Akt seiner Freiheit wird der Mensch eins mit sich selbst, mit seiner Bestimmung. Darum ist die Geschichte der Menschheit, soweit es den Menschen in ihrer Geschichte um sich
selbst geht, eine Geschichte des Kampfes um Freiheit. Und gerade darin ist sie Religionsgeschichte. Der
Gott, der der Ursprung der Freiheit ist - und allein dieser -, ist nicht ein Geschöpf des Menschen, sondern ein
Schöpfer. Er allein vermag dem Menschen mit seiner Freiheit auch seine Würde zu bewahren und wiederzugeben inmitten von Unglück und eigenem Versagen, von Verrat und Erniedrigung. Darum ist er - noch im
Scheitern unserer Auswege, im Versagen unserer Anstrengungen - den Menschen verbunden als die große
Gegenmacht gegen Unrecht, Leiden und Tod.
Aus: Deutscher Evangelischer Kirchentag 1969. Dokumente.
Stuttgart 1970 (Kreuz Verlag), S.146-150
Wolfhardt Pannenberg
(geb.1928, Professor für Systematische Theologie)